Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Warum Sie, Herr Kollege Becker, jedesmal im Falle Sontra so besonders betonen, daß Sie gebürtiger Hesse sind, das weiß ich nicht. Ich glaube, meine genealogischen Beziehungen zu Sontra sind doch etwas älter als Ihre; den sie reichen schon sehr lange zurück.
In der Sache selbst habe ich doch einigen Widerspruch zu dem anzumelden, was der Herr Abgeordnete Sabel und der Herr Abgeordnete Becker hier ausgeführt haben. Der Antrag unter Ziffer 1 ist noch keinesfalls erledigt. Denn bloß der
Umstand, daß die Bundesregierung in ihrem Vorschlage eine Bewilligung angesetzt hat, bedeutet ja
noch nicht, daß das Parlament sie auch vollzieht.
— Nein, sicher nicht, Herr Kollege, das wissen Sie.
Im übrigen sind immerhin zwei Umstände von Ihnen dabei übersehen worden, nämlich einmal, daß bis zur vorvergangenen Woche durchaus streitig war, ob sich die Bundesregierung und das Bundesfinanzministerium mit einer Übertragung der im letzten Haushaltsjahr insoweit nicht verbrauchten Mittel einverstanden erklären würden. Überdies ist übersehen worden, daß Herr Staatssekretär Hartmann das böse Wort von der Möglichkeit eines Konkurses gesprochen hat. Und Sie, Herr Sabel, haben heute sehr eindeutig hinzugefügt, daß der Zustand „keine Dauerlösung" sei, so daß die Arbeiterschaft und die Bevölkerung dort befürchten müssen, daß eines Tages von Ihnen aus doch ein Widerstand gegen diese Bewilligung kommen könnte.
Das haben Sie doch damit begründet, daß Sie bestritten haben, wirtschaftliche Gesichtspunkte seien hierbei „entscheidend".
Das habe auch ich nicht gesagt. Ich habe lediglich gegenüber der Behauptung von Herrn Staatssekretär Hartmann, es seien ausschließlich sozialpolitische Gesichtspunkte, geltend gemacht, daß durchaus auch ein wirtschaftliches Interesse und vor allen Dingen ein politisch es Interesse besteht, das Sie durchaus immer zu übersehen pflegen.
Denn Ihr Vorschlag, die Arbeiter in andere Bergwerke, in Kaligruben oder gar nach Salzgitter oder ins Ruhrgebiet zu verbringen, wird ganz bestimmt wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung finden. In früherer Zeit sind solche Versuche der Umsiedlung gemacht worden.
Sie haben sich als äußerst familienzerstörend herausgestellt. Das sollten Sie doch eigentlich als Letzter gutheißen. Überdies würde es doch zu einem Vakuum 6 km vor dem Eisernen Vorhang führen. Es würde dazu führen, daß nur noch die Arbeitsunfähigen, die Witwen und die Kinder eventuell dort übrigblieben und alle irgendwie arbeitsfähigen Männer von dort wegkämen. Das ist eben kein Zustand, den wir wollen, und das ist auch kein Zustand, den die Bevölkerung wünscht. Deshalb wünscht sie, auf die Dauer gesichert zu sehen, daß das Bergwerk betrieben wird. Diesem Ziele dient der Antrag, der deshalb keinesfalls erledigt ist, zumal er noch nicht vom Bundestag beschlossen ist.
Dann zum andern Teil des Antrags, der kommunalen Erstausstattung. Es ist nicht richtig, Herr Kollege Sabel, daß diese Verpflichtung nur die juristisch selbständige Gesellschaft träfe. Ich habe solch einen Haufen Papiere selbst bei der Bundesregierung vorgelegt, aus denen eindeutig hervorgeht, daß sich das Deutsche Reich damals rechtsverbindlich verpflichtet hat, diese Aufgaben durch-
zuführen, als es im Zuge der Aufrüstung darum ging, von überallher Arbeiter dienstzuverpflichten und über Nacht diesen Bergwerksbetrieb aufzumachen, wodurch allein die kleine Ackerbauerstadt Sontra, die damals ungefähr 1600 Einwohner hatte, in kurzer Zeit auf etwa 7000 Einwohner anwuchs. Diese rechtsverbindlichen Verpflichtungen des Reichs liegen vor, und sie liegen gesetzlich vor für die Gesellschaft. Es ist doch wirklich merkwürdig, daß, wenn eine bundeseigene Gesellschaft eine gesetzliche Pflicht hat, die durch die Ansiedlung ihres Betriebes zusätzlich erwachsenen kommunalpolitischen Aufgaben auch finanziell zu unterstützen, der Bund als Eigner dieser Gesellschaft den Standpunkt einnimmt, wie es Herr Hartmann hier getan hat: „Ich kann ja meine GmbH in Konkurs gehen lassen, oder aber das Land soll das tun." Nun, Herr Schäffer pflegt ja auch sonst, glaube ich, als Bundesfinanzminister nicht ohne weiteres Leistungen zu übernehmen, zu denen ein Land gesetzlich oder rechtlich verpflichtet ist. In der Weise kann also der Bund sich hier nicht so aus der Affäre ziehen.
Aber ich will Ihnen dazu noch eines ganz deutlich sagen, damit Sie sehen, mit welch verschiedenen Maßstäben man mißt. Der Bund hat seinerzeit die Option ausgeübt, und zwar in Kenntnis dieser kommunalpolitischen Verpflichtungen, gegenüber der privaten Mansfelder Kupferschieferbergbaugesellschaft, früher Eisleben, die ja treuhänderisch für das Deutsche Reich die Gesellschaftsanteile in Besitz hatte, und der Bund hat an Eisleben bei Ausübung dieser Option 1 500 000 DM gezahlt, für Geschäftsanteile auf den Tisch des Hauses gelegt, die wertlos gewesen wären, wenn das Land Hessen nicht bereits 7 Millionen DM und jetzt der Bund weitere Millionen in das Bergwerk investiert hätten; denn dann wäre es nichts anderes als ein ersoffenes Loch. Überdies sind die Investitionen, die Eisleben früher gemacht hat, in Reichsmark erfolgt. Da hat man das Portemonnaie aufgemacht und eineinhalb Millionen an die privaten Anteilseigner bei Ausübung der Option gezahlt. Aber 1,8 Millionen DM jetzt in drei Jahresraten zu bezahlen, damit die Arbeiterschaft Schulen und Rathäuser bekommt und das, was sie braucht, die Arbeiterschaft, die dort von den Nationalsozialisten zwangsläufig angesiedelt worden ist, weigert man sich. Da sagt man: Das können wir nicht, da lassen wir unter Umständen eher die GmbH in Konkurs gehen. Ich glaube nicht, daß das ein moralisch, geschweige denn ein juristisch zu verantwortender Standpunkt ist.
Sie müssen dabei folgendes bedenken. Normalerweise leben die Kommunen von der Gewerbesteuer, besonders der Gewerbesteuer der Betriebe. Der bundeseigene Betrieb Kupferschiefer zahlt hier entweder gar keine oder so gut wie keine Gewerbesteuer, auch keine Lohnsummensteuer, weil es sich um einen subventionierten Betrieb der öffentlichen Hand handelt. Infolgedessen hat das Land Hessen dauernd schon durch ständige Zuschüsse alle diese Gemeinden über Wasser gehalten, weil sie von sich aus überhaupt nicht lebensfähig sind, und der Bund muß nun das tun, was er hier zusätzlich für seinen Bergwerkbetrieb zu tun hat. Wenn Sie einmal dahin kämen, würden Sie sehen, daß z. B. in der Bergbausiedlung Cornberg bei 1600 Einwohnern und 300 Kindern für diese Hunderte von Schulkindern zwei alte RAD-Baracken dastehen, und das alles bei einem bundeseigenen Betrieb,
obgleich man doch in Deutschland wissen sollte, daß da, wo der Bund einen Betrieb hat, alles am besten gerichtet und vorbildlich sein muß, wozu dann noch alle diese politischen Erwägungen der unmittelbaren Nähe der Zonengrenze kommen.
Ich glaube und hoffe — Herr Kollege Sabel, ich habe sehr eindeutig hier meinen Dank der Bundesregierung und dem Bundestag für die großen Leistungen für Kupferschiefer ausgesprochen, daran ist nichts irgendwie zu bemänteln —, daß diese Ausweichtaktik, sich hinter dem Land zu verbergen oder zu sagen, man kann eine GmbH auch in Konkurs gehen lassen, aufhört und daß Bundestag und Bundesregierung sich auf die Verpflichtung besinnen, die kommunale Erstausstattung genau so wie in Watenstedt-Salzgitter auch für Kupferschiefer Sontra und die dazu gehörenden Siedlungsgemeinden zu geben.