Es wird mitunter angenommen, daß das Evakuiertenproblem sich im wesentlichen bereits durch Zeitablauf von selbst gelöst habe. Das ist ein entschiedener Irrtum. Allerdings sind schon viele Evakuierte in ihre Heimat zurückgekehrt, insbesondere die Jüngeren, die leichter eine Arbeitsgelegenheit gefunden haben und die, wenn sie eine Arbeitsmöglichkeit hatten, dann auch eine Unterkunft bekommen haben. Aber es sind doch noch viele, die Jahre nach ihrer Evakuierung heute noch gezwungen sind, fern der eigentlichen Heimat zu leben, die, wenn sie überhaupt eine Beschäftigung gefun-
den haben, eine Arbeit haben aufnehmen müssen, die ihrer früheren Tätigkeit und ihrer Vorbildung nicht entsprochen hat. Ich denke namentlich an die Evakuierten, die sich in gebirgigen und ärmeren Gegenden aufhalten — im Sauerland, im Bayerischen Wald, an der Nordseeküste — und die dort vielfach keine oder jedenfalls keine auch nur annähernd angemessene Arbeit gefunden haben. Andere haben wohl eine ihnen zusagende Arbeit gefunden, aber sie leben entfernt von ihrer Familie. Das sind die sogenannten Pendler, die täglich weite Wege zur Arbeitsstätte und wieder nach Hause zurücklegen müssen. Dann denke ich auch an die Vielzahl von Fällen, in welchen Kinder nicht die erforderliche Ausbildung erhalten können, und an diejenigen Personen, die es, auf sich allein gestellt, ohnehin besonders schwer haben, und nicht zuletzt an die Gebrechlichen und die Alten, bei denen das Heimatgefühl und das Heimweh besonders ausgeprägt sind und die wieder nach Hause kommen müssen.
Die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung des Evakuiertenproblems ist übereinstimmend vom Bundestag — ich darf hier vielleicht auf die früheren Beschlüsse vom 16. Mai 1952 und vorher schon vom 8. März 1951 hinweisen — und vom Bundesrat anerkannt worden. Da die Evakuierung in Kriegszeiten auf Maßnahmen zurückzuführen ist, die die Evakuierten nicht selbst verschuldet oder sonstwie zu vertreten haben, entspricht es der Billigkeit — und damit nehme ich einen wesentlichen Punkt des Gesetzentwurfs vorweg —, daß die Kosten der Rückführung grundsätzlich von der öffentlichen Hand zu übernehmen sind. Nach § 8 trägt das Land des Wohnsitzes oder des Aufenthaltsortes diese Kosten. Der Entwurf bestimmt grundsätzlich diese Kostenpflicht. Die Evakuierten sollen die Rückführungskosten nur dann selbst tragen, wenn es ihnen nach ihrer wirtschaftlichen Lage zur Zeit der Rückkehr tatsächlich zugemutet werden kann. Die Frage der Kostentragung richtet sich also, was ich besonders vor Ihnen hervorheben möchte, nicht nach fürsorgerechtlichen Grundsätzen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Im übrigen ist das Überleitungsgesetz maßgebend.
Diese Regelung soll gelten gleichgültig, ob es sich um die Rückführung der Evakuierten von Land zu Land oder innerhalb eines Landes, also um die sogenannte Binnenrückführung, handelt. Erfaßt werden alle diejenigen, die rückkehrwillig sind, die also während des Krieges aus Orten, die im heutigen Bundesgebiet gelegen sind, zwangsweise „ausgewandert wurden" oder aus dem Lande Berlin evakuiert worden sind und nun im Bundesgebiet ihren Zufluchtsort gefunden haben.
Dieser Evakuiertenkreis kann durch Rechtsverordnung noch erweitert werden. Dabei ist insbesondere an Personen gedacht, die aus dem Bundesgebiet in das augenblicklich zur Sowjetzone gehörende Gebiet evakuiert worden sind.
Das Gesetz hat schlechthin zum Ziel, die Rechtsstellung und die Eingliederung der Evakuierten zu regeln. Nach dem von mir und meinem Hause immer verfolgten Grundsatz der Gleichstellung der Evakuierten mit den Flüchtlingen und anderen Geschädigtengruppen, sofern sie sieh in gleicher oder in ähnlicher Lage befinden, lehnt sich der Entwurf in manchen seiner Bestimmungen an das Bundesvertriebenengesetz an. Ich sage, er lehnt sich an; er übernimmt auch diese Teile nicht unverändert.
Das Gesetz ist primär ein Rückführungsgesetz. Eine Beschränkung der gesetzlichen Maßnahmen auf die Rückführung allein erscheint aber weder wirtschaftlich noch in sozialer Hinsicht gerechtfertigt. Die Rückführung wäre ohne gewisse Betreuungsmaßnahmen, wie sie in den §§ 9 und 10 und den folgenden Paragraphen des Entwurfs vorgesehen sind, schlechterdings nicht möglich. Deshalb sieht der Entwurf auch eine Reihe von Betreuungsmaßnahmen vor: einmal solche, die die Ausübung des früheren Berufs oder Gewerbes sicherstellen, und zum andern auch solche, die der Wiedereingliederung der zurückgekehrten Evakuierten in das wirtschaftliche Leben dienlich sein sollen. Von diesen Möglichkeiten sollen alle unter das Gesetz fallenden Evakuierten Gebrauch machen können. Sie müssen sich nur selbst für die Rückführung entscheiden und sich für die Rückkehr melden.
Der Entwurf gibt den Evakuierten einen Anspruch auf Rückführung. Eine Ausschlußfrist für die Geltendmachung dieses Ausspruchs ist nicht vorgesehen. Die Evakuierten sollen Zeit haben, sich ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu überlegen, und dann ihre Entscheidung treffen, ob sie die Möglichkeiten, die ihnen das Gesetz bietet, nutzen wollen oder nicht. Nun müssen wir uns allerdings über die Zahl der Rückkehrwilligen und über den Umfang der gesamten Rückführung in absehbarer Zeit doch ein Bild machen können. Deshalb ist vorgesehen, daß nach einer gewissen Anlaufzeit des Gesetzes im Wege einer Rechtsverordnung eine Ausschlußfrist für die Abgabe der Erklärung der Rückkehrwilligen festgesetzt werden kann.
Zu der Frage der Bereitstellung des erforderlichen Wohnraums muß ich bekennen, daß es des Zusammenwirkens aller berufenen Stellen im Bund, in den Ländern und vor allen Dingen in den Gemeinden bedarf, um die Lösung dieses wichtigen und für die Rückführung ausschlaggebenden Problems zu verwirklichen.
Ich muß dann noch zu einigen Einschränkungen etwas sagen. Wie ich schon zum Grundsätzlichen bemerkt habe, hat das Gesetz in erster Linie die Rückführung zum Ziele, und die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen erstrecken sich daher nur auf die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht in ihren Heimatort, in ihren Ausgangsort Zurückgekehrten. Die Betreuungsmaßnahmen können auch erst nach Rückkehr in den Ausgangsort in Anspruch genommen werden. Wenn nun die soziale Lage des Evakuierten am Zufluchtsort unbefriedigend ist, dann steht es ihm eben frei, sich zur Rückkehr zu melden, um in den Genuß der besonderen Betreuungsmaßnahmen zu kommen. Es erschien auch nicht möglich, die als Starthilfe gedachten Betreuungsmaßnahmen auf unbegrenzte Zeit zu gewähren. Der Entwurf sieht daher vor, daß sie drei Jahre nach Rückkehr in den Ausgangsort enden. Den Ländern bleibt allerdings im einzelnen anheimgestellt, ob sie diese Betreuungsmaßnahmen ihrerseits sowohl sachlich als auch hinsichtlich des Personenkreises günstiger und weiter gestalten wollen. Im übrigen liegt die Durchführung des Gesetzes bei den Ländern, die insbesondere befugt sind, die Binnenrückführung landesgesetzlich besonders zu regeln.
Zum Schluß gestatten Sie mir noch eine Bemerkung über den wünschenswerten Anlauf der Rückführung. Die Reihenfolge der Rückführung wird
sich nach sozialer und wirtschaftlicher Dringlichkeit richten müssen. Dabei sollten die Familienzusammenhänge, die Familienzusammenführung namentlich solcher Evakuierter, deren Ernährer am Ausgangsort, also dem Heimatort, bereits arbeitet, neben der Rückkehr von Familien mit ausbildungsfähigen Kindern im Vordergrund stehen. Besondere Vorsorge muß auch dafür getroffen werden, daß die Alten und Schwachen nicht an letzter Stelle zurückgeführt werden. Es wird eben Aufgabe aller mit der Rückführung beauftragten Stellen sein, einen gerechten Ausgleich zwischen den einzelnen zurückzuführenden Personen zu finden. Alle, die dieses schwere Amt nun auf sich zu nehmen haben, werden sich der Evakuierten nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit warmem Herzen annehmen müssen.
Schließlich scheint es mir angebracht, zur Vermeidung von Mißverständnissen noch auf folgendes hinzuweisen. Soweit Betreuungsmaßnahmen den Evakuierten eine bevorzugte Berücksichtigung einräumen, sieht der Entwurf gleichzeitig vor, daß durch diese Bestimmungen gleichartige Regelungen für andere Geschädigte, z. B. für die Vertriebenen oder die Heimkehrer, nicht berührt werden. Das bedeutet also, daß die Evakuierten in solchen Fällen mit den anderen bevorzugten Geschädigtengruppen immer als gleichrangig behandelt werden.
Meine Damen und Herren, wir stehen in dauernder Fühlung mit den Evakuiertenkreisen, und ich glaube Ihnen sagen zu können, daß in Kenntnis der Wünsche dieser Kreise der Gesetzentwurf den berechtigten Wünschen und Interessen der Evakuierten soweit Rechnung trägt, als es die finanziellen und verwaltungsmäßigen Möglichkeiten zulassen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles, was hier im Gesetzentwurf den Evakuierten gegeben wird, auch tatsächlich ohne jeden Abstrich gegeben werden muß.