Rede von
Dr.
Richard
Hammer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen, also nach der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs, ist eine Wolke von Papier auf uns herabgeschneit, auf dem man den Anhängern dieses Gesetzes allen Ernstes den Vorwurf gemacht hat, sie beabsichtigten, die deutsche Jugend mit Zigaretten und mit Nikotin zu vergiften. Ich bitte, diese Dinge doch einmal auf ein vernünftiges Maß zurückführen zu dürfen. Es besteht ja gar kein Zweifel darüber, daß Nikotin ein Gift ist. Das hat niemand bestritten, und man braucht nicht in böswilliger Propaganda ausgerechnet approbierten Ärzten vorzuwerfen, sie hätten das übersehen. Das ist gar nicht das Entscheidende bei einer positiven Stellungnahme zu diesem Gesetz.
Das Gesetz befaßt sich doch nur damit, eine Verlagerung zustande zu bringen, zu erreichen, daß statt unversteuerter und unverzollter Zigaretten versteuerte und verzollte geraucht werden und daß statt Zigaretten, die im Ausland erzeugt werden, solche, die im Inland erzeugt werden, geraucht werden. Man müßte uns erst noch nachweisen, daß es Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, eine Steigerung des Tabakverbrauchs in Deutschland zu erreichen.
Bei dieser Auseinandersetzung hat nun das Wort „Rauschgift" eine ebenso große Rolle gespielt wie das Wort „Jugend und Sittlichkeit". Gestatten Sie mir, dazu einiges zu sagen. Von Ausnahmen abgesehen, wird der Rausch durch irgendwelche Drogen erzeugt. Es gibt auch einen anderen Rausch, meine Herren: Der König Saul ist in den Tempel getanzt als ein Trunkener aus religiöser Trunkenheit! Wir pflegen das meistens nicht mehr zu machen, sondern wir bedienen uns dazu als Mittel des Weins oder des Tabaks. Aber dieses Rauschbedürfnis ist doch bei uns Adamskindern, soweit wir grad gewachsen sind, gleichmäßig vorhanden, und die Kunst der Menschheit ging immer darauf hinaus, das richtige und ordentliche Maß dabei zu halten. Das aber sollten Sie doch den Leuten überlassen, die die Fürsorge dafür zu tragen haben, daß wir Menschen erzogen werden und eine eigene sittliche Haltung zu bewahren haben. Das sind ganz andere Leute als der Finanzminister.
— Ich werde darauf zu sprechen kommen.
Die Jugend — ja, Herr Kollege Brönner, sagen Sie einmal, — ich darf Sie daran erinnern —: Haben Sie nicht auch einmal als Bube versucht, die Friedenspfeife der großen Rothaut zu rauchen?
Es wäre vielleicht ganz interessant, sich zu überlegen, wie denn die Jugend zu so etwas kommt. Die Jugend spielt ja bekanntlich eine Rolle; sie ahmt ein Vorbild nach, und das Vorbild, das sie hier nachgeahmt hat, das ist ja ein heldisches Vorbild gewesen. Sein Attribut war diese merkwürdige Friedenspfeife. Und wenn die Jugend von heute die Zigarette nimmt, dann ahmt sie eine Geste nach, die der Kraftfahrzeugführer, der Flieger angenommen hat: das Zigarettenrauchen. In Wirklichkeit möchte sie auch hier einen Helden darstellen. Es ist eine Aufgabe der Erziehung, diesen Jugendlichen klarzumachen, daß sie ihrem Vorbild nicht in seinen Gesten, sondern in seiner Leistung nachzueifern haben — eine reine Erziehungsaufgabe. Wenn Sie die erfüllen wollen, meine Damen und Herren, dann denken Sie doch vielleicht auch einmal daran, daß wir unsere Volksschullehrer hundsmiserabel bezahlen und ebenso unsere Pfarrer und daß wir Klassengrößen haben, die einem Lehrer unmöglich den notwendigen Einfluß auf die sittliche Gestaltung einer jugendlichen Persönlichkeit gestatten.
Dann denken Sie doch auch noch an etwas anderes: Diese Zigarette, die nun einmal das kleine Rauschmittel unseres Alltags ist, wird ja wohl für breite Volksschichten unentbehrlich sein. Um eine Zigarre zu rauchen, braucht man eine halbe Stunde oder Stunde. Aber jener Straßenbahnführer, der an der Endstation „dreht" und gerade seinen Bügel herumgelegt hat, hat nur Zeit für die drei Züge einer Zigarette. Und auch der Kraftfahrzeugführer, der durch den Nebel mit dem Tod um die Wette fährt, braucht diesen kleinen Rausch.
Seien Sie nicht so intolerant und erinnern Sie sich daran, daß man seelische Erkrankungen wie Rauschgiftsucht nur adäquat behandeln kann, nämlich mit dem Mittel der Einwirkung auf die Seele, aber niemals mit Polizeigeboten, mit Steuergesetzgebung und mit all den Methoden einer vergangenen Periode der Diktatur, von der wir nichts wissen wollen.
Nur Erziehung ist hier erfolgreich. Wem also daran gelegen ist, Rauschgiftsucht zu bekämpfen, der befasse sich damit.
Wir werden im Grundsatz dieser Regierungsvorlage zustimmen. Die überwiegende Mehrheit meiner Fraktion glaubt, damit richtig zu fahren und auch unser Gewissen gegenüber der Volksgesundheit in keiner Form belastet zu haben.