Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat gegen den Ausschußbeschluß drei Einwendungen. Der erste Einwand richtet sich gegen die Einführung der „Schutzbedürftigkeit".
Nach dem Ausschußbeschluß sollen die Leistungen der Krankenversicherung der Rentner, die bis jetzt alle Rentner erfaßt, auf „schutzbedürftige" Rentner beschränkt werden. Der Begriff „Schutzbedürftigkeit" ist im Sozialrecht unbekannt. Die Vertreter der Regierungsparteien konnten diesen Begriff „Schutzbedürftigkeit" auch bei den Ausschußberatungen nicht ausreichend erläutern;
insbesondere konnten sie nicht klarlegen, worin eigentlich der Unterschied zwischen „Schutzbedürftigkeit" und „Hilfsbedürftigkeit" — „Hilfsbedürftigkeit" ist ein Begriff der Fürsorge — liegen soll.
Bei Anwendung einer sogenannten „Schutzbedürftigkeit" müßte für fast 6 Millionen Rentner festgestellt und laufend überprüft werden, wer als Schutzbedürftiger Anspruch auf Leistungen der Rentnerkrankenversicherung hat. Ganz abgesehen von dem erheblichen Verwaltungsaufwand sind derartige Prüfungsmethoden nach Ansicht meiner Fraktion mit dem Rechtsanspruch, der ein wesentliches Merkmal der Leistungen der deutschen Rentenversicherung ist, unvereinbar. Zudem unterliegt die Schutzbedürftigkeit gerade bei Rentnern im besonderen Maße Wandlungen. Ein Rentner, der heute nicht schutzbedürftig ist, weil er vielleicht noch über ein Einkommen oder bescheidene Vermögenswerte verfügt, kann morgen infolge einer schweren Krankheit schutzbedürftig werden;
lang andauernde Krankheiten befallen insbesondere alte Menschen, die Rentner sind. Sollen nun eigentlich diese Rentner, die infolge einer Krankheit schutzbedürftig werden, Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhalten oder nicht?
— Hochverehrte Frau Kalinke, wenn der Rentner, der infolge Krankheit schutzbedürftig wird, die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhalten soll, dann frage ich Sie, weshalb Sie überhaupt die Schutzbedürftigkeit zu einem wesentlichen Merkmal machen.
Soll der Rentner aber die Leistungen nicht erhalten, dann verweisen Sie ihn im Falle einer schweren lang andauernden Krankheit praktisch auf die soziale Fürsorge.
Wir sind deshalb der Ansicht, daß die Anwendung
eines so unklaren Begriffs — um nicht zu sagen,
eines Kautschukbegriffs — wie „Schutzbedürftigkeit" zu höchst bedenklichen Auswirkungen führt.
Der zweite Einwand meiner Fraktion richtet sich dagegen, daß die Rentnerkrankenversicherung zu einer freiwilligen Versicherung umgestaltet werden soll. Über den Umfang, den die Pflichtversicherung und die freiwillige Versicherung im Rahmen der deutschen Sozialversicherung einnehmen sollen, bestehen in diesem Hause naturgemäß Meinungsverschiedenheiten. Aber seit vielen Jahrzehnten ist es Grundsatz der deutschen Sozialversicherung gewesen, in die Pflichtversicherung alle Personenkreise einzubeziehen, die soziale Leistungen mit aller Wahrscheinlichkeit benötigen. Dagegen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung für die Personengruppen vorgesehen, bei denen ein sozialer Schutz nicht unbedingt notwendig ist und denen es auf Grund ihrer individuellen Verhältnisse überlassen werden kann, ob sie die Leistungen der Sozialversicherung suchen wollen oder nicht. Über die Hälfte aller Rentner sind aber alte und arbeitsunfähige Menschen, die die sozialen Leistungen dringender benötigen als diejenigen, die im Arbeitsleben stehen.
Die andere Hälfte der Rentner sind Witwen und Waisen. Bisher sind wir stolz darauf gewesen, daß die deutsche Krankenversicherung Familienhilfeleistungen gewährt, d. h. daß die Angehörigen eines Versicherten in gleicher Weise wie dieser selbst Leistungen erhalten. Wir stehen deshalb auf dem Standpunkt, daß nach dem Tode des Ernährers seiner Witwe und den Waisen Leistungen der Rentnerkrankenversicherung gewährt werden sollen,
und zwar als Pflichtleistungen, also obligatorisch für alle und nicht fakultativ im Wege einer freiwilligen Versicherung.
Der beabsichtigte Umbau der Rentnerkrankenversicherung von einer Pflichtversicherung zu einer freiwilligen Versicherung bedeutet deshalb nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion einen bedenklichen sozialen Rückschritt.
Das wird veranschaulicht, wenn man sich die beabsichtigte Umwandlung der Rentnerkrankenversicherung in eine freiwillige Versicherung einmal in den praktischen Auswirkungen verdeutlicht. Die Millionen von Rentnern, die trotz der Einschränkungen durch den Begriff „Schutzbedürftigkeit" weiterhin unter die Rentnerkrankenversicherung fallen, erhalten künftig nicht automatisch Leistungen der Rentnerkrankenversicherung von der nächsten Orts- oder Landkrankenkasse, sondern sie müssen sich als Einzelpersonen versichern. Die einzelnen Rentner, also vorwiegend alte und arbeitsunfähige Personen oder Witwen und Waisen, müßten Monat für Monat ihre Beiträge für die Rentnerkrankenversicherung an eine Krankenkasse abführen. Die Krankenkassen haben für 5 oder 6 Millionen Rentner einzelne Beitragskonten zu errichten und die monatliche Beitragszahlung laufend zu überwachen.
In diesem Zusammenhang frage ich die Vertreter der Regierungsparteien: Was soll eigentlich geschehen, wenn einer von diesen 5 Millionen Rentnern oder tausend oder zehntausend es verabsäumen, jeden Monat den Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung zu zahlen, weil er es entweder vergißt oder den Beitrag zur Aufbesserung seines bescheidenen Lebensunterhalts, den er auf Grund seiner Rente hat, benutzt?
— Aber, meine Damen und Herren, Sie haben in Ihrem Antrag vorgeschlagen,
— ich darf noch einmal verlesen —:
Der Rentner erhält zur Durchfuhrung seiner
Krankenversicherung .... einen Pauschalbetrag, .. .
Nicht wahr, das ist Ihr Antrag! Wenn nun der Rentner diesen Pauschalbetrag nicht an die Krankenkasse abführt, soll er dann Leistungen erhalten oder nicht?
Über eine solche sozialpolitisch entscheidende Frage muß natürlich eine Klärung vor Beschlußfassung über den Antrag erfolgen.
Im übrigen bringt man meiner Ansicht nach durch ein solches Verfahren den Rentner in einen schweren Konflikt, nämlich in den Konflikt, ob er diesen Pauschalbetrag nun für seinen Lebensunterhalt verwenden soll oder an die Kasse abführen soll.
— Aber das ist in dem Antrag zum Ausdruck gebracht.
— Natürlich war ich bei den Beratungen dabei,
und ich habe sehr genau verfolgt, zu welchen unmöglichen Folgerungen Ihr Antrag führt. Im übrigen zeigt das, daß die Umwandlung der Rentnerkrankenversicherung von einer Pflichtversicherung zu einer freiwilligen Versicherung in Gestalt einer eigenen Beitragsabführung des Rentners, die ein wesentliches Merkmal des Antrags ist, unzweckmäßig ist.
Der dritte Einwand meiner Fraktion bezieht sich auf die beabsichtigte Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung. Nach dem Ausschußbeschluß soll der Rentner zur Durchführung der Rentnerkrankenversicherung einen Pauschalbetrag erhalten, „dessen Höhe" — so heißt es wörtlich — „die Selbstverwaltungsorgane der Träger der Rentenversicherung festsetzen". Im Bundesgebiet gibt es gegenwärtig 26 verschiedene Träger der Rentenversicherungen einschließlich der Knappschaften. Die Selbstverwaltungsorgane dieser 26 Anstalten sollen also die Höhe des Beitrags zur Rentnerkrankenversicherung doch wahrscheinlich auf Grund der jeweiligen Finanzlage der einzelnen Anstalt festsetzen.
Praktisch würde das dazu führen,
daß die finanzstarken Anstalten — um ein praktisches Beispiel zu nehmen — Westfalen oder Rheinprovinz vielleicht in der Lage sind, einen Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung — Herr Kollege Winkelheide, als Mitglied des Organs der Landesversicherungsanstalt Westfalen nicken Sie zustimmend — von 6, 8 oder 10 DM festzusetzen. Aber auf der anderen Seite bedeutet das, daß finanzschwache Anstalten wie Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz oder Berlin nur in der Lage sind einen Beitrag von vielleicht 3 oder 4 DM monatlich zur Rentnerkrankenversicherung festzusetzen.
— Meine Damen und Herren, wenn Sie in Ihrem Antrag erklären: „die Organe der Selbstverwaltung der einzelnen Träger der Rentenversicherung setzen die Beiträge fest", dann kann das nur einen Sinn haben, wenn der Beitrag von den einzelnen Anstalten unterschiedlich festgesetzt wird. Sonst hätten Sie sagen müssen: Der Bundesarbeitsminister setzt den Beitrag zur Rentnerkrankenversicherung fest,
wie es gegenwärtig der Fall ist.
Meine Damen und Herren! Eine solche Festsetzung unterschiedlicher Beiträge führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Leistungen der Rentnerkrankenversicherung.
Derartige Gedankengänge sind nach Auffassung meiner Fraktion mit dem Grundsatz bundeseinheitlicher Leistungen in der deutschen Rentenversicherung nicht vereinbar.
Die Verwirklichung des Ausschußbeschlusses würde also verwaltungstechnisch, finanzwirtschaftlich und sozialpolitisch zu, ich kann es nicht anders sagen, verhängnisvollen Auswirkungen führen.
Deshalb ist meine Fraktion nicht in der Lage, dem Beschluß des Ausschusses zuzustimmen.
Die sozialdemokratische Fraktion hat dem Hause einen Antrag auf Änderung des Ausschußbeschlusses in Gestalt des Umdrucks Nr. 802 vorgelegt. Ich darf Ihnen kurz den Antrag meiner Fraktion begründen.
Nach Ziffer 1 beantragen wir, daß die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung grundsätzlich alle Rentner erhalten sollen. Wir sind mit den Regierungsparteien darin einer Meinung, daß es gilt, gewisse Mißstände, die sich durch Doppelversicherung ergeben haben, zu beseitigen. Deshalb haben wir beantragt, daß Rentner, die auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ohnehin krankenversicherungspflichtig sind, keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhalten sollen und daß beschäftigte Rentner, die über die Versicherungspflichtgrenze hinaus verdienen, ebenfalls keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhalten sollen. Wir halten das für eine sozialpolitisch und verwaltungsmäßig vernünftige Regelung.
In Ziffer 2 beantragen wir, daß die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung weiterhin Pflichtleistungen der Rentenversicherung bleiben sollen, so wie es gegenwärtig der Fall ist. Alle Versicherten sollen also einen Rechtsanspruch auf die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhalten. Die Aufwendungen für diese Pflichtleistungen sollen, wie die Aufwendungen für alle anderen Pflichtleistungen, gemeinsam von allen Trägern der Rentenversicherung getragen werden. Denn Pflichtleistungen der deutschen Rentenversicherung gehen bekanntlich ist das Gemeinlastverfahren ein. Das ist der fundamentale Unterschied zu Ihrem Antrag, der eine Festsetzung des Beitrags der Rentenversicherung durch die einzelne Anstalt, d. h. unterschiedliche Beiträge, vorsieht.
Durch Ziffer 3 wird gesagt, daß die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung durch alle Träger der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen soll. Insofern gehen wir mit den Regierungsparteien einig. Aber in den Ausschußberatungen sind unsere Sorgen nicht voll beseitigt worden, daß sich durch die Beteiligung anderer Kassen an der Rentnerkrankenversicherung eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes ergeben könnte. Deshalb soll der Regierung die Verpflichtung auferlegt werden, dafür zu sorgen, daß sich durch die Umgestaltung der Rentnerkrankenversicherung in Gestalt einer Einbeziehung auch anderer Kassen kein erhöhter Verwaltungsaufwand ergibt. Das ist der Sinn der Ziffer 3.
Nun zu Ziffer 4. Die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung sind — darauf muß immer wieder hingewiesen werden — gegenwärtig die niedrigsten der deutschen Krankenversicherung.
Im gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es in der deutschen Rentnerkrankenversicherung keine Zuschüsse zum Zahnersatz, keine Zuschüsse zu größeren, sondern nur zu kleineren Heil- und Hilfsmitteln. Das heißt, wenn ein stärkerer gesundheitlicher Bedarf entsteht, werden keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung gewährt. Das Sterbegeld in der Rentnerkrankenversicherung beträgt heute immer noch 75 DM für den Versicherten und 40 DM für seine Witwe. Die Honorierung der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen der Rentnerkrankenversicherung ist mit 4 DM im Quartal unter der regulären Honorierung für sonstige Pflichtversicherte. Deshalb steht meine Fraktion auf dem Standpunkt, daß es eine dringende Notwendigkeit ist, bei einer Neugestaltung der Leistungen der Rentnerkrankenversicherung den Leistungsfragen besondere Aufmerksamkeit zu widmen
durch Einführung von Zuschüssen zum Zahnersatz, durch Einführung von Zuschüssen für größere Heil-und Hilfsmittel, durch Erhöhung des Sterbegeldes und durch eine sinnvolle Regelung, Herr Kollege Hammer, auch des Arzthonorars in der Rentnerkrankenversicherung.
Dem gilt Ziffer 4 unseres Antrages.
Nun ganz kurz zu Ziffer 5. Viele Versicherte haben während ihres Arbeitslebens Rechtsansprüche auf erhöhte Leistungen der Krankenversicherung erworben. Meine Fraktion ist der Ansicht, daß den Rentnern die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich diese erhöhten Leistungen durch eine Zusatzversicherung weiterhin zu sichern.
Die Regierungsparteien werden nun einwenden, diese Anträge seien insbesondere hinsichtlich der Leistungen finanziell undurchführbar. Gegenwärtig werden für die Rentnerkrankenversicherung im Bundesgebiet etwa 400 Millionen DM jährlich ausgegeben. Erfolgen Leistungsverbesserungen, wie es etwa dem Inhalt des Antrages meiner Fraktion entspricht, um 25 %, so bedeutet das einen Mehraufwand für die Rentnerkrankenversicherung von 100 Millionen DM jährlich. Wir sind uns über diese wirtschaftlichen Auswirkungen durchaus im klaren. Wir müssen aber darauf hinweisen, daß nach dem Material des Bundesarbeitsministeriums die Rentenversicherung im laufenden Rechnungsjahr einen Kassen- oder Finanzüberschuß — wie Sie ihn nennen wollen, ist gleichgültig — von 970 Millionen DM erzielt. Der Antrag meiner Fraktion läuft also darauf hinaus, daß etwa 10 % der Überschüsse der Rentenversicherung für eine Aufbesserung der Leistungen der Rentnerkrankenversicherung verwendet werden sollen, ohne daß dadurch der Bundeshaushaltsplan in Anspruch genommen wird.
Nach Ansicht meiner Fraktion sollte die Regierung
beauftragt werden, in diesem Rahmen Vorschläge
zu Leistungsverbesserungen in der Rentnerkran-
kenversicherung vorzulegen, um damit eine Verpflichtung des deutschen Volkes gegenüber seinen Alten, Arbeitsunfähigen, Witwen und Waisen zu erfüllen.