Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu Eingang dagegen verwahren, daß hier ständig mit kollektiven Diffamierungen gearbeitet wird. Genau so wie Sie von der Mitte sich dagegen verwahren, als Jasager zu diesen Verträgen als Volksverräter bezeichnet zu werden, genau so verwahren wir, die wir diese Verträge mit guten Gründen ablehnen, uns dagegen, hier ständig als Hilfstruppen Stalins bzw. Malenkows diffamiert zu werden.
Der Bundeskanzler schloß seine große Rede zu Beginn der zweiten Lesung dieser Verträge, indem er die Frage stellte: „Kann in dieser Lage ein Deutscher es verantworten, die hilfreiche und rettende Hand, die der Westen uns entgegenstreckt, zurückzustoßen?" Die gleiche Tendenz beherrschte seine heutige Rede. Bei diesen Verträgen handelt es sich unseres Erachtens aber nicht um „rettende Hände", die uns entgegengestreckt werden, sondern um die öffentliche Bankerotterklärung der Politik von Teheran, Jalta und Potsdam, die Bankerotterklärung einer Politik, die der Welt nicht den auch uns verheißenen Frieden, sondern durch die Versklavung Deutschlands — entgegen allen Warnungen im westlichen Lager — neue und anhaltende Unruhe brachte.
Hier steht nicht zur Debatte, ob wir ein Heer haben wollen oder nicht. Hier steht nicht zur Debatte, ob wir eine eigene deutsche Außenpolitik führen wollen oder nicht. Wir wollen ein Heer, und wir sehen in einer selbständigen deutschen Außenpolitik sogar einen notwendigen Bestandteil zur Erhaltung der freien Welt. Hier steht aber zur Debatte, ob durch diese Verträge die militärische Kapitulation des Dritten Reiches nunmehr von dem ersten Organ deutscher Willensäußerung, nämlich diesem Bundestag, durch eine politische Nachkapitulation ergänzt wird, in die wir ohne jeden militärischen Zwang hineinkommen. Unsere Lage erfordert keineswegs einen solchen Schritt; im Gegenteil, die Regierung, unterstützt von der Opposition, wäre durchaus in der Lage gewesen, den ständigen alliierten Pressionen einen ebenso entschlossenen wie geschlossenen Widerstand entgegenzusetzen.
Ja, nicht einmal in der „Kriegsverbrecherfrage" ist das Leiseste erreicht worden, und diejenigen, die noch vor Monatsfrist erklärten, sie würden die Verträge ablehnen, wenn hier nichts passierte, erklären jetzt, daß sie zustimmen würden.
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß nur wir von den anderen etwas wollen, nämlich unsere uneingeschränkte nationale Freiheit. Die anderen wollen doch auch etwas von uns, nämlich den deutschen Soldaten. Und nicht weil sie diesen deutschen Soldaten nun so lieb gewonnen haben, sondern weil sie mit vollem Recht annehmen, daß ohne diesen Soldaten deutscher Nation ein möglicher Angriff des Ostens nicht aufgehalten werden kann. Aber nur ein freier Mann trägt Waffen, und daher wenden wir uns gegen diese Koppelung des EVG-Vertrages mit dem Generalvertrag, die bei gleichzeitiger Stellung deutscher Soldaten die liebgewordenen Annehmlichkeiten, der Besatzungszeit in die Zukunft hinüberretten soll.
Es erübrigen sich jetzt Erörterungen über einzelne Bestimmungen der Verträge. Auch die Vertragstexte im ganzen können keine alleinige Grundlage für ein Ja oder ein Nein zu den Verträgen abgeben. Maßgeblich für eine abschließende politische Entscheidung kann nur eine gesamte Beurteilung der politischen Zusammenhänge und der Konsequenzen sein, die wir uns von den Verträgen erhoffen bzw. befürchten. Die deutsche Öffentlichkeit wird immer wieder durch Zweckdarstellungen an einer realen Beurteilung der Dinge gehindert. Es ist eine voreilige und durch den Text der Verträge konkret widerlegte Illusion, auf Grund der Absätze 2 und 3 der Präambel der Verträge die Verheißung der „Gleichberechtigung" und der „Wiederherstellung eines freien und vereinigten Deutschlands" als eine wirkliche Absicht der Westmächte anzusehen. Es herrscht ja nicht einmal Klarheit darüber, w a s für ein Deutschland denn wiederhergestellt werden soll. Sollen Königsberg
und Kattowitz dabei sein? Soll es ein Deutschland mit oder ohne das Saargebiet sein?
Auf der andern Seite wäre es noch einfältiger, geschweige denn vertretbar, den Einwurfball des Kreml aufzunehmen und zur diabolischen Freude Malenkows auf dem innerpolitischen Felde Deutschlands weiterzuspielen, den Einwurfball, der in der These besteht, daß die Vereinigung Deutschlands sozusagen greifbar nahe läge und nur durch die geplante Aufstellung bewaffneter deutscher Streitkräfte verhindert werde. Daß mit dieser These und dem Anspruch auf ihre Glaubwürdigkeit überhaupt eine gewisse politische Propaganda gemacht wird, das sollte nach den einschlägigen Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr gut möglich sein. Die letzten und fortdauernden Gewaltaktionen gegen die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone geben über die realen und unumstößlichen Absichten Moskaus ein leider nur zu klares Bild. Aber das gerade ist ja das Verheerende an unserer Situation, daß die Politik des Kreml in ihrer durch gelegentliche Winkelzüge kaum verschleierten Geradlinigkeit zum einzigen verläßlichen Moment in unserer Außenpolitik geworden ist. Dagegen ist bei den Westmächten, die nun noch unsere Bundesgenossen werden sollen, von einer gemeinsamen Zielsetzung überhaupt nichts zu erkennen, wobei wir von einigen völlig belanglosen Phrasen absehen können. Und gerade weil uns die Ziele Moskaus immer bekannt waren, wenden wir uns auch gar nicht gegen die Absicht, daß die Völker Westeuropas den Versuch unternehmen wollen, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit den entsprechenden Verträgen eine wirklich schlagkräftige Verteidigung aufzubauen. Wir sehen auch in der allgemeinen Wehrpflicht bei einem unverzichtbaren Wehrrecht einen Grundsatz, dessen Notwendigkeit für die Erhaltung der nationalen Existenz von keinem innerpolitischen Kräftewechsel berührt werden darf.
Der Kanzler hat heute wieder Dr. Schumacher zitiert und dessen These, daß die Verteidigung offensiv an der Weichsel geführt werden müsse. Ich erinnere mich daran, daß diese These vor 2 1/2 Jahren in diesem Hause mit den schärfsten Worten als Illusionismus abgelehnt wurde. Diese These war immer richtig. Wir sind aber gespannt, wie diese heutigen Äußerungen in der französischen Kammer aufgefaßt werden, wo man immer wieder darauf hinweist, daß eine Offensive, .die dann natürlich auch um die Wiedergewinnung der deutschen Ostgebiete gehen würde, niemals geführt werden dürfe. Diese deutsche Auffassung, die hier heute wieder vertreten wurde, steht in diametralem Gegensatz zu den Äußerungen verschiedener französischer Politiker. Äußerungen der französischen Prominenz stehen in totalem Widerspruch zu dieser heute nur mit Worten geführten Politik der Stärke. Der französische Staatspräsident sagte sogar kürzlich einmal, daß deutsche Divisionen abgerüstet werden müßten, wenn französische Divisionen in die Kolonien abgezogen werden sollten und damit das französische Kontingent schwächer als das deutsche werden sollte.
Diese EVG wird eine merkwürdige Sache. Man wußte früher schon, was ein mutmaßlicher Gegner im Frieden an Truppen hat. Man wußte auch in etwa, was er im Kriege haben würde. Heute ist das völlig anders. Da sagt man gleich die Zahl der Divisionen, die man im Kriege haben will, mit dem gleichzeitigen Hinzufügen, daß es nicht mehr werden dürften, da sonst Deutschland zu stark würde. Unseres Erachtens gibt es hier nur ein Entweder-Oder. Entweder Europa berücksichtigt die tatsächlich seit 1945 unveränderte russische Stärke und rüstet selbst bis zum Äußersten auf, und dann muß man gleich und von vornherein diese Absicht haben, oder aber man läßt es. Der Aufbau eines gegenüber der effektiven Stärke der Russen bewußt unzulänglichen Heereskörpers wäre eine Spielerei zu Lasten des Steuerzahlers.
Alles, was hier geschieht, erscheint uns als der Versuch, die Quadratur des Zirkels zu lösen, nämlich deutsche Divisionen aufzustellen, aber schwächer als die französischen und stärker als die 175 mobilen russischen Divisionen. Dies kann niemals geeignet sein, dem deutschen Volk ein Gefühl der Sicherheit zu geben, einem Volk, von dem Millionen Männer die Feststellung machen mußten, wie verhängnisvoll es ist, einen Gegner zu unterschätzen.
Wozu diese vielen Paragraphen? Sie sind alle nur ein Ausdruck des Mißtrauens und der Angst vor einem wiedererstarkenden Deutschland. Auf dieser Basis kann auch nicht den Deutschen in der sowjetischen Zone das Gefühl vermittelt werden, daß der Westen durch eine dem Russen ebenbürtige Stärke den Versuch machen will, sie aus ihrem grauenhaften terrorisierten Dasein zu befreien. Wir wissen, daß wir allein — ob mit oder ohne 12 Divisionen — dem Russen keinen derartigen Schrekken einjagen werden, daß er die Ostzone räumt. Diese Räumung der Ostzone wäre aber die Voraussetzung für eine Einheit Deutschlands in Freiheit und für Freiheit der vier Besatzungszonen als Vorstufe für eine Wiedervereinigung ganz Deutschlands. Dieses Ziel ist nur von den Europäern in einer gemeinsamen wirklichen Kraftanstrengung zu erreichen, nicht aber mit einer Politik der vorgetäuschten Kraft gegenüber einer gewaltigen realen Kraft des Bolschewismus.
Die Einleitungssätze des Vertrages sprechen zwar von der deutschen Einheit. Aber der einfache Hinweis auf die deutsche Stadt Saarbrücken erweist diesen Passus der Präambel als eine den Tatsachen scharf widersprechende Phrase. Wir sehen nicht den Willen der Westmächte, ein gegenüber dem Osten starkes Europa zu schaffen, ein Europa, das nur mit einem starken Deutschland, nicht aber mit einem niedergehaltenen Deutschland lebensfähig ist. Diese Verträge werden Mißtrauen säen, statt Vertrauen zu schaffen, und daher Europa schwächen, anstatt es zu kräftigen.
Anläßlich der zweiten Lesung dieser Verträge wurde von verschiedenen Rednern der große deutsche Staatsmann Bismarck zitiert. Ich möchte meine Ausführungen auch mit einem Wort des Fürsten Bismarck beschließen, der einmal sagte:
Jedesmal, wenn einer etwas Unrechtes von Deutschland will, dann tut er es im Namen Europas.
Und gerade deshalb lehnen wir Abgeordneten der Deutschen Reichspartei diese Verträge ab.