Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute morgen einen Text aus der Heiligen Schrift gelesen, der mich zum Nachdenken gezwungen hat, im Evangelium Johannes Kap. 21 Vers 18:
Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir: da Du jünger
warest, gürtetest Du Dich selbst und wandeltest, wohin Du wolltest; wenn Du aber alt
wirst, wirst Du Deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird Dich gürten und führen, wohin Du nicht willst.
Meine Damen und Herren! Diese Lektüre hat mich berührt und hat mich besonders mahnend auf den Ernst dieser Stunde und dieser Entscheidung hingewiesen. Es ist immer ein heikles Unterfangen, einen solchen Text gewissermaßen zu profanieren, indem man ihn auf ein weltliches Verhältnis anwendet. Aber ich glaube, daß in diesen Worten für den, der zu hören vermag, mehr liegt als nur eine Mahnung. Ich glaube, daß unsere Entscheidung, die Verantwortung, die wir übernehmen, uns auf den richtigen Weg bringt — dann, wenn sie wirklich von der vollen Überzeugung getragen wird. Wenn wir dagegen nicht von einer eindeutigen und klaren Überzeugung ausgehen, wenn unsere politischen Entschlüsse weiter im Zwielicht des Wortspiels bleiben, dann kann es geschehen — das ist zwar nicht der theologische Sinn dieses Spruchs —, daß wir dahin geführt
werden, wohin wir nicht wollen.
Der Zweck der dritten Lesung ist, die Gründe der Entscheidung, die eine Partei bestimmen, klar zutage zu legen. Hierbei haben wir uns als Abgeordnete nach unseren Grundsätzen zu fragen, die -uns bisher geleitet haben, und nach dem, was unsere Wähler wollen. Unsere Wähler wollen eine Antwort auf die Frage haben, wie der Friede erhalten wird. Sie wollen eine Antwort darauf haben, wie es wirtschaftlich und sozial weitergeht, und sie wollen schließlich eine Antwort auf die Frage, die uns als Nation im tiefsten berührt: wie wir wieder zusammenkommen. Darauf haben wir klare Antworten zu geben und unsere Entscheidung klar zu begründen.
Wenn wir unseren Standpunkt in der dritten Lesung richtig erkennen, wenn wir die Entwicklung der außenpolitischen Verhältnisse, seitdem diese Verträge von uns in diesem Hause und in der Öffentlichkeit diskutiert werden, überschauen, dann stellen wir fest, daß durch die Verzögerungen, aus welchen Gründen sie auch immer entstanden sein mögen, wertvollste Zeit verlorengegangen ist.
Ich möchte nicht zu dem Komplex Karlsruhe, wo uns von der Opposition eine juristische Denksportaufgabe aufgegeben worden war, nochmals näher Stellung nehmen. Aber ich glaube, das Bild, daß wir für die letzte Entwicklung gewissermaßen die Alimente zu bezahlen hätten, stellt doch die Dinge auf den Kopf. Denn der Anlaß, daß die Koalition gezwungen war, vor dieses Gericht zu gehen, um die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit feststellen zu lassen, ist doch- nun nicht von uns gegeben worden.
Und was bedeutet denn diese ganze juristische Erörterung der Vertragswerke? Es kam der Opposition darauf an, mit der Behauptung, daß zur Durchführung dieser Verträge eine Verfassungsänderung notwendig sei, die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause zu einer Art Blockade auszubauen. Ich habe für dieses Verfahren kein Verständnis; denn wenn man politisch zugeben muß, daß dieses Land einer Sicherung bedarf, dann würden sich auch Mittel und Wege finden lassen, den verfassungsrechtlichen Weg freizumachen. Aber die Entscheidung dieser Frage auf das juristische Feld zu verlagern, bedeutet angesichts der Schwere der Verantwortung und der Bedeutung der Frage eine Verkennung, wenn nicht eine Verneinung der Aufgabe überhaupt.
Wir sind auf dieses Feld gefolgt, weil wir nach der von der Opposition aufgebauten Polemik auf dieses Feld folgen mußten, um endgültig festzustellen, wo die Grenzen der politischen Entscheidung und wo die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit liegen. Ich habe die Hoffnung, daß die Prinzipien, die das Gericht bei seinen beiden Entscheidungen geleitet haben, auch maßgeblich sein werden, wenn dieser Fall, wie die Opposition angekündigt hat, später zu einer abschließenden Beurteilung gestellt wird, und daß die einschränkende Auslegung der Verfassungsgerichtskompetenz dann auch auf die abschließende Entscheidung angewendet wird.
Es ist wertvolle Zeit verlorengegangen. Meine Fraktion hat von Anfang an, bereits im Sommer 1952, die Abhaltung der dritten Lesung gefordert. Man ist meiner Fraktion leider nicht gefolgt. Wir haben befürchtet, daß das Näherrücken der amerikanischen Wahlen und überhaupt die stetig ansteigende Spannung zwischen Ost und West und damit die Verwirrung, die in Europa und der Welt angerichtet wird, die konstruktiven Gedanken zur Überwindung dieser Nachkriegssituation mehr und mehr an Kraft verlieren lassen würden. Ich bin kein Pessimist; ich glaube, daß es sogar eine politische Verpflichtung ist, in grundsätzlichen Fragen der Politik Optimist zu sein. Aber man müßte blind sein, um nicht zu erkennen, daß der europäische Gedanke in einem gewissen Niedergang begriffen ist; und zu diesem Niedergang hat die Polemik und die Kritik der Opposition nicht wenig beigetragen. Ich glaube, es ist ein Wort von Albert Schweitzer, daß man auf den Sand des Skeptizismus kein Werk gründen könne.
Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hat man sich einen Überfluß an Skeptizismus geleistet. Man hat sich an immer wieder neuen, immer schillernderen skeptischen Argumenten geweidet. An dieser Geisteshaltung droht Europa zugrunde zu gehen.
Wir sind durch die Entwicklung der vergangenen zwölf Jahre und der drei Jahre Besatzungsregime in der Zeit der Strafbesetzung zu einem äußerst mißtrauischen Volk geworden, und wenn man die Argumente der Opposition, die in diesen Monaten vorgebracht worden sind, überprüft, dann ist es eine Argumentation, die geradezu von Mißtrauen und Unterstellungen durchtränkt ist: Wir mißtrauen, und man mißtraut uns. Auf diese Geisteshaltung läßt sich eine Politik der Zukunft, die die Rettung Europas bringen soll, auf keinen Fall gründen. Unsere Aufgabe sollte es sein, Vertrauen gegen Mißtrauen zu setzen, denn eines der wichtigsten Fundamente unserer deutschen Außenpolitik ist, daß wir überhaupt das Normalmaß des Vertrauens, das im internationalen Verkehr erforderlich ist, zurückgewinnen.
Und wer Vertrauen im Ausland und im internationalen Verkehr fordert, der sollte zunächst einmal das notwendige Selbstvertrauen aufbringen.
Ich habe in der Argumentation der Opposition kein aufbauendes Element entdecken können, das
zur Stärkung des deutschen Selbstvertrauens beitragen könnte,
indem alle praktischen Vorschläge, um das mögliche Maß an Sicherheit zu gründen, immer wieder in eine fernere Zukunft verschoben werden. Wenn sich das deutsche Volk ausschließlich in dieser Haltung des Provisoriums bewegt, als könnte man die Geschichte der Zukunft drei- oder viermal ins Unreine schreiben, als könnte man verhandeln und wieder verhandeln und immer wieder neue Ideen gebären — ich fürchte, dann wird das Verhandeln zu einem Gesellschaftsspiel der europäischen Regierungen im Exil.
Provisorium — gewiß! Unsere Zeit befindet sich sozial und politisch in einem Übergang; ganz neue Ordnungen steigen herauf, und das bedeutet ein gewisses Provisorium. Wir sollten aus dieser Tendenz unserer Zeit, aus dem provisorischen Charakter der allgemeinen Verhältnisse in der Welt für uns nur die Folgerung der Bescheidung ziehen, d. h. die kleinen möglichen Bausteine, die uns das Schicksal dargeboten hat, benutzen, um an den Fundamenten einer Zukunft zu bauen, nicht aber jeden Stein, den uns das Schicksal in die Hand gibt, verwerfen, weil man glaubt, daß sich ein neuer Plan ergeben könnte, daß sich allein aus dem Kopf erklügelte neue Möglichkeiten abzeichneten. Ich glaube, es ist eine geschichtliche Erfahrung, daß die dargebotenen Möglichkeiten von einem Volk ergriffen werden müssen, die Gunst der Stunde wahrgenommen werden muß, denn die Gunst dieser Lage kehrt nicht mehr zurück.
Was ist denn eigentlich unsere Zielsetzung mit diesen Verträgen? Wir wollen zurück zu den Möglichkeiten, als ein Staat wieder Verantwortung tragen zu können, um die Nation als Glied der europäischen Gemeinschaft wiederherzustellen, und zwar streben wir das an in einem Prozeß friedlicher Methoden und um den Frieden zu erhalten. Wenn der Führer der Opposition, Herr Ollenhauer, vorhin formuliert hat: Oberstes Ziel der sozialdemokratischen Politik ist es, den Frieden zu erhalten, so hat er damit eine Selbstverständlichkeit jeder deutschen politischen Partei ausgesprochen,
etwas, was überhaupt der Sinn jeder politischen Betätigung, insbesondere der Sinn jeder Außenpolitik ist.
Das ist kein Privileg der Sozialdemokratie, ebensowenig wie es Privileg der Sozialdemokratie ist, gute Demokraten zu sein, sondern das ist das Fundament und die Voraussetzung jeder diskutablen politischen Haltung überhaupt.
Eine der häufigsten Einwendungen der Opposition, die unserer politischen Auffassung entgegengehalten werden, ist die, die Regierung betreibe eine Politik der Vorleistungen. Meine Damen und Herren, ich möchte mich unterfangen, zu erklären, daß schon der Begriff „Vorleistung" angesichts der Lage unseres Landes eine vollkommene Verkennung unserer politischen Situation ist.
Aus dem Begriff „Vorleistung" kann man bereits erkennen, wie wenig man — und das scheint sozialdemokratische Tradition zu sein — die innenpolitischen Begriffe den außenpolitischen Erfordernissen anzupassen geneigt ist.
Wir sind nicht nur im Kriege geschlagen worden. Es ist auch nicht das Unglück des Zusammenbruchs unseres Reiches das alleinige Kriegsergebnis, sondern mit der Vernichtung unserer gesamtstaatlichen Existenz als Deutsches Reich ist eine vollkommene Wandlung der Weltlage eingetreten. Das müssen wir erst einmal einsehen. Und wenn man schon in aller Regel den Besiegten zu einer Leistung, und zwar zu einer bitteren Leistung, auffordert, so sollte man die konstruktiven Versuche einer Außenpolitik, neue Fundamente, die sich aus der gewandelten Weltlage ergeben, auch für unser Staatswesen zu ermöglichen, so sollte man, meine ich, diese Leistungen nicht als ein Geschäft betrachten. Eine gewisse Großzügigkeit im politischen Planen ist erforderlich. Das sollte man nicht mit dem Begriff „Vorleistung" diffamieren. Dieser Begriff besagt doch, daß die Leistung gewissermaßen für die Katz gemacht wird. In diesem Begriff bzw. in dieser Kritik an der Regierungspolitik liegt jene illusionäre Verkennung unserer Situation, die, glaube ich, auf tiefere geistige Mängel der sozialdemokratischen Auffassung zurückgeht. Jeder sozialistische Staat ist seiner Doktrin und seinem Wesen nach an die Existenz der Nationalstaaten gebunden und vermag sich aus dieser seiner Doktrin so gut wie nicht zu lösen.
Wenn nicht alle Dokumente über die Konferenzen von Jalta und Potsdam lügen, kann kein Zweifel daran sein, daß man Deutschland auf die Dauer vernichten wollte. Wenn man das geschehen ließ, was in Anwesenheit amerikanischer Truppen in Prag an den Sudetendeutschen geschah, was in unserem eigenen Gebiet geschah — jener Befehl, der die deutschen Frauen der Soldateska auslieferte, jener Befehl, der das innere Würdegefühl eines Volkes zerbrechen sollte —, wenn das alles möglich war, dann ist es nicht zuviel gesagt, wenn ich feststelle, daß der Ausgangspunkt unserer außenpolitischen Situation der Wille der Sieger war, uns zu vernichten, buchstäblich zu vernichten. Wenn man sich diese drohende Gefahr, diese völlige Entartung staatlicher Macht und völkerrechtlicher Grundlagen vor Augen hält, dann sollte man es, glaube ich, doch nicht gering einschätzen, sondern als selbstverständlich in der Verantwortung einer Regierung liegend ansehen, daß sie die Möglichkeiten, die sich aus der veränderten Weltlage boten, ergriff und nicht in einer passiven Resistenz verharrte.
Einige der wichtigen Steine, ja, ich glaube, das Fundament für die Schaffung der Voraussetzungen einer deutschen Außenpolitik werden mit diesen Verträgen, so bitter gewisse Einzelheiten auch sein mögen, geschaffen. Alle Sicherungssysteme sind Systeme des Mißtrauens, und je mehr wir versuchen, auf dem so hilflosen Wege juristischer Formeln uns gegen gewisse Übergriffe zu sichern, um so mehr locken wir damit Garantien gegen uns hervor. Ich glaube, darin war uns die alte sogenannte Geheimdiplomatie über. Damals konnten heikle Probleme der Öffentlichkeit in einem gereiften Zustand übergeben werden. Ich erinnere
nur an die Entwicklung des Art. 7, der nach meiner Auffassung um ein Vielfaches schlechter ist, als er ursprünglich geplant war. Es gibt eine ganze Reihe von Bestimmungen, die aufzuzählen mir hier nicht möglich ist, die nur durch die am ungereiften Objekt gemachte Kritik in die Vertragstexte hineingekommen sind. Daraus folgt auch jener unleidliche Zug zum Perfektionismus. In unserer Situation können wir die Dinge durch weitere Verhandlungen nur in einem uns nachteiligen Sinne perfekter gestalten.
Darum muß auch — und das ist unsere Ausgangslage — von uns die Eignung als Bündnispartner überhaupt erst nachgewiesen werden, wenn dieses Bündnis effektiven Wert bekommen soll. Es wird sehr viel an uns selber liegen, diesen Wert durch unser Verhalten, durch die Stabilität unserer Politik nachzuweisen.
Ich stehe nicht an, an dieser Stelle ein heikles Problem einmal anzusprechen. Sie wissen, daß mein Standort in diesem Hause auf dem konservativen Flügel der deutschen Politik ist. Wenn der Vergleich — und dieser Vergleich ist gezogen worden — mit der Erfüllungspolitik nach dem ersten Weltkrieg auch erheblich hinkt — denn wir erfüllen nicht fremde und vielleicht unzumutbare Forderungen, sondern wir bemühen ans um den Aufbau neuer politischer Grundlagen und um die Anpassung an eine zutiefst gewandelte Weltsituation —,
so ist doch festzustellen, daß in der Nachkriegszeit in der Periode nach dem ersten Weltkrieg von den Kreisen meines politischen Standorts aus die Politik der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung mit nationalen Argumenten bekämpft worden ist, die sich im Kampf nur allzu leicht zu einer nationalistischen Übersteigerung wandelten.
Heute scheinen die Verhältnisse vollkommen auf den Kopf gestellt zu sein. Die Linke gebärdet sich nationalistisch, und die sogenannte Rechte sucht auf Grund der gewandelten Bedingungen in der Welt eine neue Möglichkeit für die Sicherung des Lebens der Nation zu finden. Weil das der Fall ist, unterstellt man einer deutschen Rechten, die diesen neuen politischen Standort verteidigt, irgendwelche Hintergedanken. Man erwartet von ihr einen Rückfall in den Nationalismus, und wenn man noch weiter geht, sagt man, diese Leute verfolgten in Wirklichkeit irgendwelche Revanchegelüste.
Ich fühle mich verpflichtet, diese Dinge einmal offen anzusprechen. Die deutsche Opposition hat — ich denke hier an einen in der belgischen Presse erschienenen Artikel — nicht wenig dazu getan, solche Verdächtigungen zu unterstreichen.
Eine Politik, in der sich die Parteien in dieser Form gegenseitig diffamieren und die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen und Absichten in Frage stellen, schädigt nicht nur denjenigen, den man der Diffamierung aussetzt, sondern schädigt unser Land.
Ich möchte auch einmal eine andere Frage erwähnen. Heute hält sich die Linke für die eigentliche Garantin der Demokratie. Sie hat es mehrfach öffentlich ausgesprochen, daß in diesem Lande die einzig zuverlässigen Demokraten die Sozialdemokraten seien. Wir bestreiten nicht und wir haben die Hoffnung — und das ist ein Stück innenpolitischen Vertrauens, das ich hiermit ausspreche -, daß diese Sozialdemokratie wirklich gute Demokraten in sich birgt und ihre Auffassung von demokratischen Grundsätzen leiten läßt. Aber sie begeht mit der Behauptung, allein die guten Demokraten zu haben, etwas, was wir in der Geschichte schon einmal erlebt haben. Früher waren es die deutschen Konservativen, die behaupteten, daß sie die einzigen und eigentlichen Träger des Staates seien. Nun ist die Sozialdemokratie in die Macht hineingewachsen, eine Macht, die plus Gewerkschaften oft eine Vormacht zu sein scheint,
Sie ist so in die Macht hineingewachsen, daß sie plötzlich die Selbstüberheblichkeit -in sich kultiviert, die alleinige Repräsentantin des Staates zu sein. Alles das sind Gefahren für unsere außenpolitische Stellung. Wenn die Sozialdemokratie diese ihre Auffassung vertritt und damit nach außen den Eindruck erweckt, daß nur sie diesen Staat repräsentiere, dann bedeuten ihre eigenen Einwendungen und Kritiken an den Verträgen, daß man die Zuverlässigkeit Deutschlands in Frage stellen wird.
Noch ein Weiteres kommt hinzu. Wenn ich mir die stets wechselnden Argumente der Opposition ansehe — der Herr Bundeskanzler hat sie heute dargelegt, Herr von Brentano hat einige Beispiele davon gegeben; ich brauche sie nicht zu wiederholen — wächst in mir der Verdacht, daß die Verlagerung des innerpolitischen Machtkampfes auf die Argumentation in der Außenpolitik nur ein Scheinmanöver ist, um den eigentlichen Zweck zu verschleiern, der das legitime Anliegen jeder Opposition ist, an die Macht zu kommen.
Aber ich bin der Auffassung, daß in der Demokratie nichts weniger als die Außenpolitik geeignet ist, innenpolitische Machtkämpfe auszutragen. Außenpolitik ist immer Staatspolitik und darf niemals in die Form der volksgefälligen Parteipolitik abgleiten. Denn in der Außenpolitik sind Verantwortungen für die Zukunft zu übernehmen, die im Augenblick unpopulär sein können. Ich glaube, daß eine Demokratie zugrunde geht, wenn außenpolitische und oft unpopuläre Fragen, Fragen reiner Staatspolitik, rein objektiver Verantwortung in den Parteienkampf hineingezogen werden. Ich befürchte, daß die Verzögerungstaktik der Opposition das Ziel verfolgt, die noch nicht ratifizierten Verträge zu einem der Hauptgegenstände des kommenden Wahlkampfes zu machen. Es ist bestimmt ein Fehler, die in unserem Volke unleugbar vorhandenen Ängste, die in unserem Volke - das die Folgen eines verlorenen Krieges zu tragen hat — vorhandenen Gefühle des Unbehagens so anzusprechen, wie es auch heute Herr Ollenhauer getan hat. Als Beispiel möchte ich nur erwähnen, daß er es für die Sozialdemokratie als einziges und als oberstes Ziel in Anspruch genommen hat, den Frieden zu erhalten. Darin liegt — er hat das nicht gesagt, aber zu solchen Schlußfolgerungen kommt der primitive Hörer, weil er ja die Politik, die die Bundesregierung zu führen beabsichtigt, als eine Politik des Risikos bezeichnet hat — die Gefahr, daß die Haltung der Sozialdemokratie in die Nähe der kommunistischen Propaganda gerät. Die Kom-
munisten haben bekanntlich davon gesprochen, daß die Politik der Bundesregierung eine zum Krieg treibende Politik sei.
Diese Gefahr, daß sich in dem Kampf um die außenpolitische Linie irgendwie die Infektion aus der Ostzone geltend macht, muß auch im Interesse der Opposition selbst vermieden werden.
Es wäre noch manches hier vorzutragen. Die Zeit drängt, und auch durch viele Reden wird nur Zeit vertan. Ich glaube, .daß ein Fortfahren mit der zwielichtigen Behandlung auch der gesamtdeutschen Frage ein Ende finden muß. Denn ich behaupte hier: wer die gesamtdeutsche Politik, die unser innerstes nationales Anliegen ist, in einen Gegensatz zu der europäischen Politik bringt, wer hier Rangfolgen aufstellt, der gerät in Gefahr, mit einem Fuß bereits jenseits des Eisernen Vorhangs zu stehen.
Ich kann es mir in der heutigen Stunde nicht versagen, noch an einigen Dingen Kritik zu üben. Es ist ein Fehler, wenn in der öffentlichen Erörterung jedes Argument, das im Kampf um die Verträge aufgebracht wird, durch eine ganze Meute zerfasert wird. Damit kommen wir nicht weiter. Wir haben in diesem Hause, wir haben in Karlsruhe, wir 'haben in der Öffentlichkeit, in der Presse diesen Fehler fortgesetzt begangen. Ich möchte behaupten, daß der propagandistische Mißbrauch mit der Sehnsucht unseres Volkes, unsere Nation wiedervereinigt zu sehen, dazu geführt hat, daß die gesamtdeutsche Politik in einer unerträglichen Weise im Deklaratorischen und in den Illusionen steckenbleibt. Ich glaube, ein Schweizer Schriftsteller hat einmal gesagt: Der Ausdruck „Wiedervereinigung Deutschlands" trägt irgendwie die Behauptung in sich, als ob es mehrere Deutschlands gebe. Es gibt nur e i n Deutschland und nur einen deutschen Staat, und das ist die Bundesrepublik,
und die Aufgabe ist nicht ein im Wege des Verhandelns und des Brückenbaus zu schaffender Ausgleich. Die Aufgabe ist vielmehr ,die Befreiung der besetzten deutschen Gebiete, die man de facto von uns abgetrennt hat.