Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
In dem gemeinsam sehr sorgfältig abgewogenen Schlußkommuniqué hat sie übereinstimmend, auch mit Zustimmung
des französischen Außenministers, ihre Meinung wie folgt festgelegt:
Die Minister haben anschließend den Stand der Ratifikation des EVG-Vertrages geprüft und haben einstimmig ihre Überzeugung verkündet, daß, um ihren Willen zur Verwirklichung der europäischen Idee .konkret zu beweisen und um den Gefahren zu begegnen, die noch immer auf dem freien Europa lasten, es notwendig ist, ohne weiteren Verzug zur Verwirklichung der europäischen Idee zu kommen.
Die Minister haben festgestellt, daß den Parlamenten aller Mitgliedstaaten der Entwurf des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft vorgelegt worden ist, und haben bekräftigt, daß ihre Regierungen fest entschlossen sind, den Entwurf unter besonderem Hinweis auf seine äußerste Dringlichkeit vor den Parlamenten zu vertreten.
Die Minister haben von den Erörterungen Kenntnis genommen, die auf Grund der französischen Zusatzanträge in dem Ständigen Interimsausschuß im Rahmen der diesem bei Unterzeichnung des Vertrages übertragenen Aufgaben stattgefunden haben. Die Minister haben den Interimsausschuß ersucht, seine Arbeiten unter Berücksichtigung der für bestimmte Vertragschließende bestehenden überseeischen Aufgaben fortzusetzen und sobald wie möglich über Formulierungen zu entscheiden, die sich im Rahmen der Auslegung des Vertrags halten und das in verschiedenen Parlamenten bereits eingeleitete Verfahren nicht behindern.
Daraus ergibt sich völlig klar, daß die Ratifizierung der Verträge ohne Rücksichtnahme auf die von der französischen Regierung gewünschten Erläuterungen von allen Außenministern gewünscht und als notwendig anerkannt wird.
Ein weiterer Einwand gegen den Abschluß der Verträge: Es wird behauptet, daß dadurch die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit verhindert würde. Nichts, meine Damen und Herren, ist falscher als diese Ansicht.
Ich glaube, niemand auf der Welt wird etwa behaupten wollen, daß Sowjetrußland bereit ist, spontan und völlig uneigennützig die Sowjetzone freizugeben, auf daß sie frei zu uns zurückkehren kann.
Ich darf in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß die Forderung auf freie Wahlen in ganz Deutschland zwecks Bildung einer freien Regierung niemals von Sowjetrußland anerkannt worden ist,
und daß die letzte Note der Westalliierten in dieser Frage überhaupt unbeantwortet geblieben ist.
Ich darf Sie weiter darauf hinweisen, daß in der ersten sowjetrussischen Note vom Herbst 1952
ein Diktatfrieden für Deutschland auf Grund des Potsdamer Abkommens verlangt worden war,
daß uns dadurch ein niedriger Lebensstandard auferlegt werden sollte
und eine ständige bis in die kleinsten Einzelheiten gehende Kontrolle.
Ich habe schon so oft darüber gesprochen, daß es zu den obersten Zielen der Politik der Bundesregierung gehört, diese Wiedervereinigung in Freiheit im Wege von Verhandlungen mit Sowjetrußland herbeizuführen.
Wir würden es jederzeit begrüßen, wenn die drei Westalliierten zu aussichtsreichen und guten Verhandlungen mit Sowjetrußland kämen,
Verhandlungen, an denen wir als freies Land teilzunehmen berechtigt sein müßten.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt keinen anderen Weg, zu Verhandlungen mit Sowjetrußland zu kommen, es gibt keinen anderen Weg, zur Wiedervereinigung in Freiheit zu kommen,
als den, den Westen so stark wie möglich zu machen.
Die Bewohner der Sowjetzone, die Flüchtlinge, die tagtäglich herüberkommen,
stehen alle auf demselben Standpunkt.
Als ich zuletzt in Berlin war, haben mir immer wieder Männer und Frauen aus der Sowjetzone, die zur Grünen Woche nach Berlin gekommen waren, zugerufen: „Kanzler, bleibe hart!"
Zur Rechtfertigung dieser meiner Ausführungen kann ich mich auf den SPD-Pressedienst vom 13. Januar 1950 berufen, in dem es wörtlich heißt:
Die Lehre von Berlin ist nicht verstanden worden, die Lehre, daß die Russen nur härteste Entschlossenheit respektieren.
Derselbe Sozialdemokratische Pressedienst sagt in seiner Nummer vom 27. Dezember 1950:
Der Westen kann nun einmal, so wie die Dinge
liegen, auf eine maximale Kraftentfaltung als
Gegengewicht zu .der östlichen Ballung von Macht und Gewalt trotz atmosphärischer Störungen, die damit verbunden sein mögen, nicht verzichten,
weil er sich sonst selbst in eine unmögliche Ausgangsposition für jede Verhandlung mit dem Gegenspieler bringen würde.
Was im Dezember 1950 gegolten hat, meine Damen und Herren, gilt sicher und erst recht jetzt, im Jahre 1953, da die sowjetrussische Militärmacht seit 1950 noch außerordentlich gesteigert worden ist.
Sobald diese Ausgangsposition für aussichtsreiche Verhandlungen geschaffen ist, d. h. sobald, um mit dem Sozialdemokratischen Pressedienst vom 27. Dezember 1950 zu sprechen, der Westen eine maximale Kraftentfaltung gezeigt hat, werden solche Verhandlungen in Gang gesetzt werden müssen.
Wiederholt habe ich darauf hingewiesen, daß auch Sowjetrußland eines Tages zu Verhandlungen bereit sein wird, dann nämlich, wenn es die Aussichtslosigkeit des von ihm geführten kalten Krieges einsieht, wenn es zu der Erkenntnis gekommen ist, daß sich seine Rüstungskosten nicht mehr lohnen.
Aus Anlaß der Neuaufteilung der Herrschaft unter die verschiedenen neuen Machthaber im Kreml ist bekanntgeworden, daß in immer stärkerem Maße in Sowjetrußland die Schicht der leitenden Wirtschaftsleute an Bedeutung zunimmt, weil auf die Dauer die Niederhaltung der Konsumgüterproduktion zugunsten der Kriegsproduktion auch für die unter Diktatur stehende sowjetrussische Bevölkerung nicht tragbar ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun übergehen zu einem Artikel in der „Zeit",
der Nummer von heute, die gestern ausgegeben worden ist.
Darin steht, und zwar auf der ersten Seite, ein Artikel von Herrn Bourdin.
— Habe ich gekannt! —
Dieser Artikel trägt die faszinierende Überschrift: „Auf krummen Wegen",
„Geheimabmachung über die endgültige Spaltung
Deutschlands". Lassen Sie mich einige Stücke aus
diesem Artikel mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen.
Der Artikel beginnt wie folgt:
Gerade noch rechtzeitig vor der letzten Lesung der deutsch-alliierten Verträge im Bundestag sind die Hintergedanken zweier Vertragspartner enthüllt worden. Der international angesehene Journalist Kingsbury Smith . . . berichtet: „Zwei französische Kabinettsmitglieder und einer der führenden alliierten Botschafter in Paris vertraten unabhängig voneinander in einem Gespräch mit mir die Ansicht, daß die französische, die britische und die sowietische Regierung gegen die Wiedervereinigung Deutschlands seien . . .
Auf indirektem Wege oder über Dritte haben sie einander zu verstehen gegeben, daß sie die Ansicht vertreten, man solle sich nicht über die Wiedervereinigung Deutschlands einigen . . . Nach der Darstellung eines Mitgliedes des jetzigen französischen Kabinetts hat der britische Außenminister Anthony Eden seinem französischen Kollegen kürzlich mitgeteilt, er glaube, daß Rußland und die europäischen Westmächte nur dann friedlich nebeneinander leben könnten, wenn Deutschland nicht wieder vereinigt werde."
Mit anderen Worten,
— fährt der Artikel fort —
René Mayer und Bidault haben sich bei ihrem kürzlichen Besuch in London mit Eden darüber verständigt, die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern, und zwar im Einverständnis mit der sowjetischen Regierung,
nachdem sie sich mit ihr „auf indirektem Wege oder über Dritte" darüber geeinigt hatten, (Zurufe von der KPD: Der Kanzler liest Zeitungen vor! — Das ist doch bestellte
Arbeit!)
„sich nicht über die Wiedervereinigung Deutschlands zu einigen". Wir haben es also mit einem Agreement . . ., einer geheimen Abmachung über die Verewigung der Spaltung Deutschlands zu tun, die von England und Frankreich hinter dem Rücken Deutschlands und Amerikas mit der Sowjetunion geschlossen worden ist.
An einer weiteren Stelle heißt es:
Die Politik von London und Paris richtet sich vor allem gegen den Deutschlandvertrag, der von der britischen und der französischen Regierung ebenso unterzeichnet worden ist wie von der amerikanischen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, sagt der Artikel:
Angesichts dieser neuen Situation, die seit der Unterzeichnung der deutsch-alliierten Verträge im Mai vorigen Jahres eingetreten ist, wäre es aber nun völlig falsch, etwa die fällige Ratifizierung zu verweigern.
Ich habe selten einen so perfiden Artikel wie diesen gelesen.
Auch wenn zum Schluß des Artikels steht, man solle trotzdem die Ratifizierung beschließen, so ist doch völlig klar, was dieser Artikel bezweckt.
Denn wenn das wahr wäre, was in dem Artikel steht, wenn wirklich eine solche Verständigung zwischen Frankreich und England stattgefunden hätte, würde ich Ihnen diesen Vertrag heute in dritter Lesung nicht vorlegen.
— Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wohl kaum in einem Parlament der Welt üblich, daß der Chef der Regierung so andauernd unterbrochen wird.