Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der zweiten Lesung dieser Verträge hat der Bundestag verschiedene Beschlüsse gefaßt, zu denen ich zunächst Stellung nehmen möchte. Es ist beschlossen worden:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, die
Aufstellung des deutschen Kontingents zur
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft so
weit und so lange als möglich auf der Grund-
lage der freiwilligen Meldung durchzuführen. Hierzu erkläre ich folgendes. In der Bundesrepublik wird nach Erfüllung aller Voraussetzungen die Aufstellung des deutschen Kontingents für die Europäischen Verteidigungsstreitkräfte nach dem Inkrafttreten des EVG-Vertrags so weit als möglich auf der Grundlage freiwilliger Meldungen durchgeführt.
und damit dem Beschluß des Bundestags vom 5. Dezember 1952 Rechnung getragen.
Der Europäische-Verteidigungsgemeinschafts-Vertrag mußte i edoch die endgültige Stärke des deutschen Kontingents so vorsehen, daß es für den Ver-
teidigungszweck ausreichend erscheint und in einem bestimmten Verhältnis zu den übrigen europäischen Kontingenten steht. Da diese Stärke aller Wahrscheinlichkeit nach durch freiwillige Meldungen nicht erreicht werden kann,
hat die Bundesregierung der für alle Teilnehmerstaaten gültigen Regelung des Vertragswerks zugestimmt.
Der Bundestag hat weiter folgenden Beschluß gefaßt:
Die Bundesregierung wird ersucht, mit den Vertragspartnern des EVG-Vertrages zu vereinbaren, daß sofort eine ständige Konferenz der Regierungen der Vertragspartner eingesetzt wird mit der Aufgabe, gemeinsam unter Wahrung .der Verfassungen der Teilnehmerstaaten eine Politik zu entwerfen und durchzuführen, um bis zum Zustandekommen einer europäischen Gemeinschaft durch eine einheitliche europäische Willensbildung die gemeinsame Sicherung der Vertragsstaaten nach außen zu ermöglichen.
Dazu erkläre ich folgendes. Eine einheitliche europäische Willensbildung, durch die die gemeinsame Sicherung nach außen ermöglicht werden soll, ist auch jetzt schon als Ziel in der gegenwärtig ,auf europäische Integration gerichteten Politik inbegriffen. Die Konferenzen, die diese europäische Integration vorbereiten, haben zu einem ständigen Meinungsaustausch zwischen den Ministern und leitenden Beamten der Teilnehmerstaaten geführt. Die Bundesregierung wird im Sinne des Beschlusses des Bundestags vom 5. Dezember 1952 anstreben, den ständigen Kontakt mit den Regierungen der Teilnehmerstaaten zu verstärken, damit unter Wahrung der Verfassungen der Teilnehmerstaaten die Politik gemeinsam auf die Nowendigkeit eines Schutzes gegen Angriffe von außen ausgerichtet
wird.
Der Bundestag hat weiter folgendes beschlossen.
Die Bundesregierung möge zu den Vertragswerken folgende verbindliche Erklärung abgeben:
Der deutsche Vertreter im Ministerrat wird vor der endgültigen Beschlußfassung über das Haushaltsvolumen der EVG und die Aufteilung der Beiträge auf die Mitgliedstaaten das zugrunde liegende Zahlenmaterial mit dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages erörtern.
Dieser Antrag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten entsprach einer Anregung des Haushaltsausschusses, der für diese Fragen zuständig ist. Herr Bundesminister Se h ä f f er hat dem Haushaltsausschuß bereits eine Erklärung im Sinne des Antrags abgegeben und mir hiervon Mitteilung gemacht. Diese Erklärung kann ebenfalls schriftlich abgegeben werden, falls das gewünscht wird.
Meine verehrten Damen und Herren! Seit der zweiten Beratung der Ratifikationsgesetze, seit Anfang Dezember, sind eine ganze Reihe außenpolitische Ereignisse eingetreten. Diese neuen Ereignisse gestatten uns eine Nachprüfung der Frage, ob diejenigen Abgeordneten, die bei der zweiten Beratung für die Annahme gestimmt haben, und ob
die Bundesregierung beim Abschluß der Verträge richtig gehandelt haben oder nicht.
Die wesentlichen Ereignisse, die seit der zweiten Beratung eingetreten sind, sind die folgenden.
Zunächst das Ausscheiden des Außenministers Schuman aus seinem Amt als Außenminister am 7. Januar 1953. Es drängt mich, seiner heute besonders zu gedenken,
weil er derjenige war, der allen europäischen Verträgen einen starken Antrieb gegeben hat.
Die jetzige französische Regierung hat sich, wie ich zu meiner Genugtuung feststellen kann, sehr klar und entschieden für die bis dahin von Frankreich verfolgte europäische Politik ausgesprochen.
Ich fahre in der Darstellung der Ereignisse fort. Am 20. Januar 1953 hat Präsident Eisenhower sein neues Amt angetreten. Ich komme darauf noch besonders zurück. Am 11. Februar wurden die französischen Vorschläge für Zusatzprotokolle zu den Verträgen überreicht. Am 24. und 25. Februar war die Konferenz der sechs Außenminister in Rom. Am 5. März starb Stalin. Am 9. März übergab die Ad-hoc-Versammlung den Entwurf eines Statuts der europäischen Gemeinschaft den sechs Außenministern. Am 11. März ließ die britische Regierung in den sechs EVG-Ländern gleichlautende Noten über die Stellung Großbritanniens zum Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft überreichen.
Schon diese Aufstellung wichtiger außenpolitischer Ereignisse seit Anfang Dezember 1952 zeigt, in wie starkem Fluß die politische Entwicklung ist. Diese Fülle von politischen Ereignissen gibt uns, wie ich eingangs sagte, nochmals die Möglichkeit, nachzuprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nicht.
Zwei Ereignisse möchte ich besonders hervorheben. Das eine ist der Tod Stalins. Welche Folgen der Tod Stalins auf den Gang der Weltpolitik und auf das Geschick Deutschlands und Europas haben wird, läßt sich bei der Gestaltung der Verhältnisse in Sowjetrußland naturgemäß noch nicht mit voller Klarheit erkennen. Eines aber, glaube ich, kann man mit Bestimmtheit sagen: der Tod Stalins hat die Gefahren, die in der heutigen Weltlage enthalten sind und die insbesondere uns Deutsche bedrohen, sicherlich nicht gemindert.
Der Tod Stalins hat die Nachrichten, daß er seit längerer Zeit krank sei, in vollem Umfang bestätigt. Stalin war wohl schon geraume Zeit den physischen und psychischen Anstrengungen, die ein heißer Krieg an ihn gestellt hätte, nicht mehr gewachsen.
Er hatte auch, an seinen Ideen gemessen, in seinem Leben große Erfolge gehabt,
so daß man verstehen kann, daß er diese Erfolge nicht durch einen heißen Krieg gefährdet wissen wollte und daß er sich scheute, sich Aufregungen und Anstrengungen, denen er nicht mehr gewachsen war, auszusetzen.
Der Tod Stalins hat die Labilität der Weltlage noch gesteigert, die Gefahr, in der wir alle schweben, noch vermehrt.
Vielleicht haben wir, bis sich die Machtverhältnisse in Sowjetrußland konsolidiert haben, eine Atempause, eine Atempause, die hoffentlich die europäischen Völker zum Aufbau ihrer Verteidigung zu nutzen wissen.
Der Amtsantritt des Präsidenten Eisenhower ist ein Ereignis von größter Bedeutung nicht nur für die Vereinigten Staaten,
sondern für die ganze Welt, insbesondere auch für uns Europäer. Ein Wechsel in der Administration der Vereinigten Staaten hätte für die von ihnen hinsichtlich Europas einzuschlagende Politik unter Umständen eine Änderung der bisherigen Linie bringen können, die für uns Europäer sehr vieles hätte bedeuten können. Präsident Eisenhower kennt von seiner Zeit als Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte her die Lage in Europa und den sowjetrussischen Druck. Er ist, wie wir alle wissen, bereit, die schon unter seinem Vorgänger hinsichtlich der Verteidigung Europas geführte Politik gegenüber dem Druck von Osten fortzusetzen,
wenn nötig verstärkt fortzusetzen. Die neue Aktivität, die in den Vereinigten Staaten die mit dem Präsidentschaftswahlkampf verbundene Stille in der außenpolitischen Betätigung ablöste, wird sich in Bälde zeigen.
Mit aufrichtiger Freude haben wir alle das Bekenntnis Eisenhowers zum Schutze der Freiheit und zum Frieden gehört.
Es waren schon geraume Zeit vor dem Tod Stalins Stimmen lautgeworden, die glaubten, sein Tod werde eine allgemeine Entspannung bringen. Es hat sich gezeigt, daß diese Entspannung nicht eingetreten ist, daß im Gegenteil die sowjetrussischen Machthaber unruhiger sind, als es Stalin war. Es hat weiter Stimmen gegeben, die vor der Inauguration des Präsidenten Eisenhower glaubten,
die neue amerikanische Administration werde eine andere Haltung gegenüber Sowjetrußland und Europa einnehmen, als das die Vereinigten Staaten unter Truman getan haben; Stimmen, die glaubten, daß die amerikanische Administration alsbald in aussichtsreiche Verhandlungen über die Beseitigung der Spannungen zwischen Sowjetrußland
und den Vereinigten Staaten eintreten und ihr Interesse an Europa und der Bundesrepublik verlieren würde.
Auch diese Propheten haben sich getäuscht. Das amerikanische Interesse
an der Integration Europas, an dem Zustandekommen des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist noch stärker zum Ausdruck gekommen als im letzten Halbjahr 1952.
Ich darf daran erinnern, daß Staatssekretär Foster Dulles bei seinem Besuch in Bonn erklärt hat, die Politik der Vereinigten Staaten gehe dahin, mitzuhelfen, daß sich Westeuropa zu einem festen Bollwerk der atlantischen Verteidigung von Frieden und Freiheit zusammenschließe.
Wenn schon im Jahre 1952 der Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und die Fortsetzung der Europapolitik der Bundesrepublik notwendig war, so sind sie seit der Übernahme der Präsidentschaft durch Eisenhower
und seit dem Tod Stalins noch notwendiger geworden. Sie sind auch deshalb noch notwendiger geworden,
damit die Bundesrepublik endlich aus dieser unmöglichen Lage herauskommt, in der sie sich zur Zeit befindet.
Wir stehen noch immer unter Besatzungsrecht
mit all den Konsequenzen, die ein Besatzungsrecht mit sich bringt. Auch wenn die Westalliierten von den ihnen zustehenden Rechten zur Zeit einen zurückhaltenden Gebrauch machen, immerhin,
sie machen doch Gebrauch davon. Wir haben noch immer Industriebeschränkungen; wir haben noch immer die Tatsache, daß die oberste Gewalt in der Bundesrepublik in den Händen der Besatzungsmächte liegt,
und noch immer sind wir Objekt in der auswärtigen Politik.
Auch wenn man im Hinblick darauf, daß von den Regierungen der Deutschlandvertrag und der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft unterschrieben sind, uns dies nicht immer fühlen läßt und uns in den Fragen, die das Verhältnis Deutschlands zu Sowjetrußland betreffen, konsultiert — letzten Endes haben wir noch kein Recht auf solche Konsultationen. Wir können keine selbständige Außenpolitik treiben. Wir sind, wie ich eben sagte, noch immer ein Objekt der Außenpolitik der anderen. Noch immer, meine Damen und Herren, sind wir auch ohne ausreichenden Schutz gegenüber den Bedrohungen aus dem Osten. Ich glaube, der größte Teil der Deutschen gibt sich
nicht Rechenschaft darüber, wie groß diese Bedrohung ist;
sie wissen nicht, wie dünn die Decke ist, auf der das deutsche Volk lebt und arbeitet. Die Zwischenfälle in der Luft, die in den letzten Wochen stattfanden
und die fast den Charakter von Luftgefechten zwischen sowjetischen und tschechoslowakischen Flugzeugen auf der einen, amerikanischen und britischen auf der anderen Seite annahmen — und zwar über deutschem Boden und in deutschem Luftraum —, mußten jedem nachdenkenden Deutschen klarmachen, wie machtlos wir sind
und wie groß die Gefahren sind, in denen wir schweben.
Aus solchen Zwischenfällen können sich ja nur zu leicht schwerwiegende Folgen für unser Land ergeben. Ich weise in diesem Zusammenhang auch hin auf den Strom der Flüchtlinge aus der Sowjetzone,
auf die Verschleppungen aus Westberlin.
Heute früh bringen wieder die Morgenblätter eine Nachricht über einen Mord an einem Polizeiwachtmeister von Westberlin
und von einem Luftgefecht zwischen einem sowjetrussischen und einem amerikanischen Flugzeug vor der Ostküste von Kamtschatka.
Von der Größe der Gefahr,
in der wir schweben, geben folgende Ziffern eine sehr nüchterne und klare Vorstellung. -
Rund 140 sowjetrussische Divisionen, 70 Divisionen in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone stehen an unserer Grenze oder in zweiter Linie hinter diesen Grenzdivisionen.
Alle diese Divisionen sind nunmehr mit den besten und modernsten Waffen ausgerüstet. Wir Deutschen, meine Damen und Herren, haben selbst nichts, aber auch gar nichts, was unser Land schützen könnte.
Wir sind auf den guten Willen der Westalliierten angewiesen; wir haben keine vertraglichen Rechte diesen gegenüber. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, wie ungeheuer stark die Labilität der gesamten politischen Lage auf der Erde infolge der zwischen Ost und West eingetretenen Spannungen ist, dann kann, glaube ich, nur jeder Deutsche den einen Gedanken haben: da solange, bis Sowjetrußland einsieht, daß es trotz all seiner militärischen Macht nichts ausrichten kann, wir nicht in Ruhe und Sicherheit leben können, wir vielmehr für unsere Freiheit und für alles, was uns teuer
ist, fürchten müssen, müssen wir alles tun, den nötigen Schutz und die nötige Sicherheit zu erhalten.
Der Abschluß und die Durchführung der Verträge geben uns diese größtmögliche Sicherheit.
Die Bundesrepublik wird dadurch einbezogen in ein Sicherheitssystem, das als gemeinsame Aufgabe und als gemeinsames Interesse von der gesamten westlichen Welt getragen wird. Zunächst bekommen wir ein Recht auf den Beistand der EVG-Staaten. Jeder bewaffnete Angriff gegen irgendeinen der Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Europa oder gegen die Europäischen Verteidigungsstreitkräfte wird als ein Angriff gegen alle Mitgliedstaaten angesehen. Die Mitgliedstaaten der EVG und ihre Verteidigungsstreitkräfte leisten der Bundesrepublik im Falle eines Angriffs mit allen ihnen zu Gebote stehenden militärischen und sonstigen Mitteln Hilfe und Beistand.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir zur Zeit nur Objekt der Außenpolitik anderer Mächte sind, daß wir von anderen zwar geschützt werden, aber nur so lange und so weit, als unser Schutz in deren Interesse liegt.
Am deutlichsten wurde der bisherige Charakter der Bundesrepublik als reines Objekt durch Art. 6 des Nordatlantikpakts gekennzeichnet. In ihm war bestimmt, daß zwar der Angriff auf in der Bundesrepublik stationierte Streitkräfte der Nordatlantikpaktstaaten die Verpflichtungen aus diesem Pakt auslöst; aber ein Angriff auf die Bundesrepublik selbst löste die Beistandsverpflichtung der Nordatlantikpaktstaaten nicht aus. Nach Abschluß des EVG-Vertrages wird das Gebiet der Bundesrepublik ebenso zum Gegenstand der Verteidigung durch die Nordatlantikpaktstaaten wie das Gebiet der anderen Mitgliedstaaten dieses Paktes.
Der EVG .Vertrag wird ergänzt durch einen besonderen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der EVG und Großbritannien, der seinerzeit in Paris unterzeichnet und vom britischen Parlament genehmigt worden ist. In diesem Vertrag verpflichtet sich Großbritannien zur automatischen Beistandsleistung bei der Abwehr jeden Angriffs auf Mitgliedstaaten der EVG. Großbritannien ist damit verpflichtet, der Bundesrepublik im Angriffsfall automatisch militärische Hilfe zu gewähren.
Ich erwähnte schon, daß das Gebiet der Bundesrepublik nach Ratifizierung der Verträge durch den EVG-Vertrag, den Vertrag zwischen EVG und Großbritannien und auch durch die anderen Mitglieder des Nordatlantikpakts gesichert wird. Durch drei Protokolle ist im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Gründung der EVG eine enge Verbindung zwischen diesem Vertrag und dem Nordatlantikpakt geschlossen worden. Ich betone nochmals, weil das von so außerordentlich großer Bedeutung für uns ist, was ich eben schon gesagt habe: ein Angriff auf die Mitglieder der EVG in Europa, damit auch ein Angriff auf die Bundesrepublik, löst die Beratungs- und Hilfsverpflichtungen aus dem Nordatlantikpakt ebenso aus, wie ein Angriff auf ein
Mitglied des Nordatlantikpakts die Beistandsverpflichtungen der Mitglieder der EVG wirksam werden läßt.
Neben der Verpflichtung, die die Vereinigten Staaten als Mitglied des Nordatlantikpakts mit der EVG verbindet, hat der Außenminister der Vereinigten Staaten zusammen mit den Außenministern von Großbritannien und Frankreich gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Gründung der EVG eine feierliche Garantieerklärung für diese Gemeinschaft und mit ihr für die Bundesrepublik und für Berlin abgegeben. In dieser Erklärung haben die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich ausdrucklich festgelegt, daß durch einen Angriff auf die Integritat der EVG und damit auf die Bundesrepublik die Unterstutzungsverpflichtungen nach Art. 4 des Atlantikpakts ausgelost werue. Durch Noten der britischen Regierung vom 3. Februar und vom 11. Marz dieses Jahres sind Verhandlungen eingeleitet worden, um die britiscHen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch zu verstarken. Die britische Regierung hat in der ersten Note, in der Note vom 3. Februar, eine enge militartechnische Zusammenarbeit zwischen den Streitkraften der EVG und den britischen Truppen vorgeschlagen. Großbritannien ist bereit, Ausbildungsmoglichkeiten bereitzustellen und in gemeinsame Beratungen über Fragen der Ausbildung einzutreten. Ein Austausch von Offizieren für Kommando- und Stabsdienst und gemeinsame Ausbildung von Formationen unter dem Oberbefehl des Atlantischen Oberbefehlshabers sollen durchgeführt werden. Besonders eng soll die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Luftwaffe sein, wo an einen Austausch von Staffein der Luftstreitkräfte und an eine Koordinierung des gesamten Luftverteidigungssystems gedacht ist.
In der Note vom 11. März hat sich die britische Regierung bereit erklärt, in einer formellen Erklärung die Verpflichtungen zusammenzufassen und feierlich zu wiederholen, die ihr aus dem Vertrag zwischen Großbritannien und der EVG, sowie aus den Protokollen über die Beistandsverpflichtungen der Nordatlantikpaktstaaten gegenüber der EVG und schließlich aus der Garantieerklärung vom 27. Mai 1952 erwachsen.
Ferner — das ist sehr bedeutungsvoll, meine Damen und Herren — hat sich die britische Regierung in der Note vom 11. März bereit erklärt, auf eine Verlängerung der Laufzeit des Nordatlantikpakts auf 50 Jahre hinzuwirken,
um ihn damit der Laufzeit des EVG-Vertrages anzugleichen.
Schließlich ist Großbritannien, wie aus der Note vom 11. März hervorgeht, auch bereit, bei den Arbeiten der EVG dadurch unmittelbar mitzuwirken, daß die britische Regierung eine Sondermission zu dem Kommissariat der EVG entsendet und einen Vertreter an den Sondersitzungen des Ministerrats teilnehmen läßt. In den Sondersitzungen des Ministerrats der EVG sollen die Richtlinien der Zusammenarbeit zwischen der EVG und Großbritannien erörtert und eine Konsultation in allen Fragen gemeinschaftlichen Interesses herbeigeführt werden.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es wichtig und wertvoll für uns Deutsche ist, diese ganzen Verbindlichkeiten und Verpflichtungen einmal insgesamt, abgesehen von den Einzelheiten der Verträge, darzustellen.
Natürlich bringt ein Vertrag, der unter Sechsen geschlossen wird, keinem der vertragschließenden Teile eine volle Erfüllung seiner Wünsche und seiner Interessen.
Nur durch Kompromisse und Ausgleiche kommen schließlich solche Verträge zustande. Aber es ist nach meiner Meinung nicht richtig, sich in einer Kritik von Einzelbestimmungen zu erschöpfen. Das Wesentliche ist eine politische Entscheidung. Das Wesentliche ist, die großen und entscheidenden Gesichtspunkte zu sehen.
Wenn wir die Verträge und die Weltlage betrachten, so ist folgendes absolut sicher: Wir sind bedroht. Wir sind Objekt der Außenpolitik anderer. Wir können uns nicht wehren. Wir haben keinen Anspruch auf Schutz. Das wird sich nach der Ratifizierung der Verträge grundlegend und schnell ändern.
Wir werden uns dann zusammen mit den übrigen Teilen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und den NATO-Streitkräften selbst verteidigen können. Wir werden gesichert und einbezogen in die größte Verteidigungsorganisation, die die Menschheit bisher geschaffen hat.
Wir legen durch die Ratifizierung dieser Verträge als freies Volk die Grundlage für eine politische und wirtschaftliche Einigung Europas und retten damit Europa vor dem drohenden Zerfall und Untergang.
Das, meine Damen und Herren, sind die großen, in Wahrheit entscheidenden Gesichtspunkte für unsere Entschlüsse und für unser Handeln.
Von ihnen müssen wir uns leiten lassen und nicht von dem, was uns an diesem oder jenem Artikel nicht gefällt. Die Zeitverhältnisse verlangen gebieterisch Entscheidungen nach großen Gesichtspunkten. Bei vielen Gesetzen mag man die einzelnen Bestimmungen kritisieren und zerpflücken; hier geht das nicht an. Wenn man sich über das Ziel klar ist, muß man entschlossen den Weg gehen, der zu diesem Ziele führt.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu einigen der bisher von Angehörigen der Opposition — dazu rechne ich nicht mehr die Kommunisten —
und zu den in Oppositionszeitungen gemachten Einwendungen gegen den Abschluß der Verträge Stellung nehmen.
Man sagt uns: Ihr gründet ein Klein-Europa! Alle freien europäischen Länder müssen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hinzugenommen werden! Das gilt vor allem von Großbritannien. — Gegenüber dieser Einwendung weise ich sehr nachdrücklich auf die letzten Noten Großbritanniens vom März dieses Jahres über seine Stellung zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hin. Diesen Erklärungen Großbritanniens gegenüber kann man wahrhaftig nicht mehr davon sprechen, daß Großbritannien nicht absolut zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft politisch und militärisch steht. Daß die nordischen Staaten den Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und die damit in Zusammenhang stehende europäische politische Gemeinschaft von Herzen begrüßen, wissen wir alle durch ihre eigenen Erklärungen.
Man sagt weiter — und damit komme ich auf die Geschäftsordnungsdebatte zurück —: Aber Frankreich verlangt Zusatzprotokolle. Ehe diese Frage der Zusatzprotokolle nicht entschieden ist, können wir nicht Stellung nehmen. — Nun, meine Damen und Herren, man hat hier zu den Verträgen schon Stellung genommen, noch ehe überhaupt von Zusatzprotokollen die Rede gewesen ist.
Aber ich halte eine solche Einwendung für völkerrechtlich falsch, und ich halte sie für politisch
falsch. Die französische Regierung, der damalige
Ministerpräsident Pinay und Außenminister Schuman, haben die Verträge unterschrieben und sind
damit die Verpflichtung eingegangen, alles zu tun,
was in ihren Kräften steht, um eine Genehmigung
der Verträge durch ihr Parlament herbeizuführen.
Die Regierung Mayer und Außenminister Bidault haben sich ausdrücklich zu der gleichen Verpflichtung bekannt.
Wenn jetzt von französischer Seite die Frage von
Zusatzprotokollen oder, wie ein andermal gesagt
worden ist, von Erläuterungen zu dem EVG-Vertrag aufgeworfen wird, so wird man bei der Erörterung dieser gewünschten Erläuterungen davon
auszugehen haben, daß sie weder dem Sinne noch
dem Wortlaut des Vertrags widersprechen dürfen.
Die Konferenz von Rom am 25. und 26. Februar hat sich mit dieser Frage beschäftigt.