Rede von
Hans
Merten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte hört, könnte man meinen, daß in absehbarer Zeit allen einheimischen Bauern sämtliches Land weggenommen und anderen Eigentümern gegeben werde. Wenn man sich aber das Gesetz einmal genau ansieht, wird man feststellen, daß nicht einem einzigen Bauern auch nur ein einziger Quadratzentimeter Land weggenommen werden soll, sondern daß das Land nach wie vor sein Eigentum bleibt, daß er Pacht dafür bekommt und daß es nur in ganz bestimmten, sehr seltenen Fällen in Anspruch genommen werden kann, um einem Vertriebenen eine selbständige Ackernahrung zu geben. Von Enteignung ist in diesem Paragraphen überhaupt nicht die Rede, es handelt sich vielmehr lediglich um eine Verpachtung.
Wir wären sehr glücklich, wenn wir diesen Paragraphen gar nicht brauchten: wenn nämlich die Heimatvertriebenen inzwischen auf freiwilliger Basis eingegliedert worden wären. Aber leider ist das nicht der Fall. Warum ist das nicht der Fall? Weil es hier und da an der notwendigen Solidarität der Bauernschaft mit ihren vertriebenen Berufskollegen gefehlt hat.
Weil es an dieser Solidarität gefehlt hat, haben Sie auch eine ganze Menge Änderungsanträge gestellt, die alle unter dem Oberbegriff „Verschlechterung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes" und „Verschlechterung der Ausschußvorlage" — immer gegen die Vertriebenen gerichtet — zusammengefaßt werden können.
Die Reaktion der Öffentlichkeit auf die Verhandlungen in der zweiten Lesung war sehr sauer, und zwar deswegen, weil man den Eindruck haben konnte, daß das im Grunde doch gute Verhältnis zwischen den Vertriebenen und den Einheimischen und das harmonische Zusammenleben beider durch die Reden, die hier gehalten worden sind, entscheidend gestört worden ist. Nun will ich Ihnen
aber sagen, daß diese Reden nicht im Interesse einer Gruppe gehalten worden sind und daß das, was hier gefordert worden ist, auch nicht für die Interessen einer Gruppe gefordert worden ist. Um was es hier geht, ist das Interesse des Gemeinwohls. Gerade ich als Einheimischer habe mich oft geschämt, hier hören zu müssen, daß aus den Vertriebenen Einheimische gemacht würden und daß aus den Einheimischen Vertriebene gemacht werden sollten. Hier ist gesagt worden, daß die Nichteingliederung eben eine bittere Wahrheit sei, mit der man sich abfinden müsse; natürlich nur die Vertriebenen, denn die anderen trifft es ja gar nicht. Hier ist gesagt worden, den Einheimischen sei jede Siedlungsmöglichkeit genommen; eine glatte Unwahrheit! Hier ist gesagt worden, durch dieses Gesetz werde neues Unrecht geschaffen; dabei ist es nichts anderes als der schwache Versuch, ein geschehenes und ein bestehendes Unrecht nur halbwegs wieder in Ordnung zu bringen. Hier ist klipp und klar erklärt worden, die Siedlungsbehörden bestünden zum größten Teil aus Vertriebenen; eine glatte Unwahrheit. Es ist nicht wahr, daß es so ist. Alle diese Dinge mußten hier im einzelnen mühsam widerlegt werden, obwohl man längst geglaubt hatte und glauben mußte, daß diese Dinge nun doch im großen und ganzen bereinigt worden seien.
Sie haben sich nun plötzlich zum Schutzpatron für die Gruppen der Einheimischen aufgeworfen, die Ihres Schutzes viel eher bei anderer Gelegenheit bedurft hätten. Denken Sie an die heimatvertriebenen Landarbeiter in Niedersachsen! Der Anteil der heimatvertriebenen Landarbeiter an den Arbeitslosen ist mit 50 % doppelt so hoch, wie er eigentlich sein dürfte. Diese Menschen sind außerdem weit unter Tarif bezahlt.
— Das werde ich Ihnen gleich beweisen. Die Gewerkschaft, der sie angehören, hat in den Jahren 1950 und 1951 2 Millionen DM herausgeholt, die widerrechtlich vom Lohn zurückbehalten worden waren. Sie hat im Jahre 1950 durch Prozesse vor Arbeitsgerichten 382 000 DM, im Jahre 1951 312 000 DM herausgeholt. Sie hat durch außergerichtliche oder gerichtliche Vergleiche 1950 653 000 DM und 1951 635 000 DM hereinholen müssen. Von Prozessen, die geführt wurden, wurden 3558 gewonnen, und an Vergleichen wurden 9062 geschlossen. Diese Zahlen sind kein Zeichen dafür, daß das Verhältnis zu den Heimatvertriebenen, sofern sie Landarbeiter sind, besonders herzlich und besonders gut wäre, sondern diese Zahlen sind mir ein Beweis dafür, daß diese Menschen, auch im Stande des Landarbeiters, um ihr Recht doch ganz bitter und sehr energisch kämpfen müssen, um zu dem Ziel zu kommen, das nun einmal erreicht werden soll.
Der Herr Vizepräsident fr, Schäfer hat, wenn die Zeitungsberichte darüber zutreffen, vor kurzem auf einer Versammlung gesagt, es gehe darum, eine Verwurzelung der Entwurzelten durchzuführen. Da hat er hundertprozentig meinen Beifall. Aber das, was heute wieder geschehen ist — wir hätten uns auch gegenseitig die Protokolle der zweiten Lesung vorlesen können; das wäre auf dasselbe herausgekommen —, hat mit der Förderung der Verwurzelung nicht mehr allzuviel zu tun.
Es sind außergewöhnliche Zustände, die wir in Ordnung bringen müssen. Das kann man nicht einfach so wie im normalen Leben oder, wie Herr Kollege Struve sagte, durch ein paar Mahnungen und durch ein paar Aufrufe an die Standesorganisationen in Ordnung bringen. Das hat bis heute zu nichts geführt. Wenn Sie, Herr Struve, vorhin von denen gesprochen haben, die eingegliedert worden sind, dann haben Sie vergessen, dazu zu sagen, daß gerade in Schleswig-Holstein und gerade in Niedersachsen in weitaus mehr als der Hälfte aller Eingliederungsfälle in Nebenerwerbsstellen unter zwei Hektar eingegliedert worden ist.
Das ist nicht gerade die Form, die wir uns bei der Eingliederung der heimatvertriebenen Landwirte wünschen. In keinem Land der Bundesrepublik, mit Ausnahme der Stadtstaaten, ist der prozentuale Anteil der Nebenerwerbsstellen so hoch wie gerade in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Ich muß in diesem Zusammenhang — im Gegensatz zu sonst — einmal Bayern lobend erwähnen und ich muß Hessen lobend erwähnen, wo diese Dinge wesentlich anders aussehen. Alle diese Zustände haben sich durch die gesetzlichen Maßnahmen der Vergangenheit nicht bereinigen lassen. Sie dürfen aber nicht so bleiben, wie sie sind. Deswegen wird in diesem Gesetz der Versuch gemacht, in ganz wenigen Ausnahmefällen eine Möglichkeit zu geben, dem Vertriebenen, wenn der andere mit bösem Willen ihm nicht helfen will, von Staats wegen zu helfen, weil das im Staatsinteresse und im Volksinteresse liegt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch noch einmal an die immer wiederholten eindringlichen Entschließungen kirchlicher Instanzen der beiden Konfessionen erinnern, die sich besonders heftig um die Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft bemüht haben und die auch beide bereit sind, durch die Zurverfügungstellung von Land auf diesem Wege das ihre zu tun. Die Kirchen kommen zu diesen Appellen aus der klaren Erkenntnis, daß das Wort des Galaterbriefes: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen!" jeden einzelnen Christen zu einer Haltung verpflichtet und aufruft, die an und für sich selbstverständlich sein sollte; aber weil diese Haltung eben nicht so selbstverständlich war, muß die Frage endlich einmal durch ein umfassendes Gesetz geregelt werden.