Rede von
Detlef
Struve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der zweiten Lesung ist jedem einzelnen Mitglied dieses Hohen Hauses ohne Zweifel klargeworden, daß vermutlich ein Gegensatz zwischen vertriebenen und einheimischen Bauern zu bereinigen sei. Ich glaube, daß das eine große Belastung für diese Debatte gewesen ist, weil nach meiner Auffassung dadurch eine völlige Frontverschiebung stattgefunden hat. Das Hohe Haus sollte geschlossen immer wieder den Grundsatz unterstreichen, daß das Vertriebenenproblem eine Aufgabe ist, die das ganze deutsche Volk diesseits des Eisernen Vorhangs gemeinsam verpflichtet. Ich glaube weiter, daß der Lastenausgleich mehr war, als das auch heute von seiten der Opposition hier dargestellt worden ist. Schließlich hat das Vertriebenenproblem, insbesondere das Bundesvertriebenengesetz, zwangsläufig eine so einseitige bäuerliche Note, weil Ostdeutschland weit mehr als der nordwestdeutsche Raum ein ausgesprochenes Bauernland war und ist. Deshalb ist es so ungeheuer schwer, in der Bundesrepublik gerade die vielen bäuerlichen Menschen einzugliedern, d. h. ihnen wieder zu einer Bauernstelle zu verhelfen. Wenn auch heute wiederholt der Begriff der Vollbauernstelle gebraucht worden ist, dann muß erneut der deutschen Öffentlichkeit und all denen, die sich mit uns in der Aufgabe verbunden fühlen, das Problem gemeinsam anzupacken, gesagt werden, daß die Bundesrepublik im Gegensatz zu Ostdeutschland ein reines Land der Familienwirtschaften ist, wo Vollbauernstellen leider heute in viel zu geringem Maße zu finden sind. Ein Blick auf die Realteilungsgebiete zeigt uns, wieweit in manchen Gegenden die einzelnen Familien auf kleinste Flächen abgedrängt sind, von denen sie sich ernähren müssen. Die Eingliederung der ostvertriebenen Bauern wird deshalb immer nur in bescheidenem Umfang möglich sein. Diese Tatsache soll-
ten wir voranstellen, wenn wir zur gleichen Zeit den Grundsatz unterstreichen, daß wir alles in unseren Kräften Stehende tun sollen und tun müssen, um der Not zumindest zu begegnen, wenn wir sie auch nicht abwenden können.
Der Umstand, daß wir sie nicht voll abwenden können, zwingt zweifellos zu gewissen Vorschlägen. Es ist abwegig und irreführend, wenn man die Äußerungen unseres Herrn Bundeskanzlers, der anläßlich seines Besuchs gewisse zeitlich begrenzte Auswanderungsmöglichkeiten in die Debatte geworfen hat, abtun will als eine böse Sache gegenüber den Menschen, die Hof und Heimat verlassen mußten. Es ist weiter nichts als ein Weg, der aufgezeigt wird, mit eine Überlegung, die wert ist, geprüft zu werden, durch gemeinsame Anstrengungen mit dieser Not fertig zu werden.
Auf der andern Seite ist es erfreulich, daß dem Problem in der dritten Lesung verstärkt von der allgemeinen, grundsätzlichen Seite her Aufmerksamkeit geschenkt wird. Abgesehen von den Bemerkungen des letzten Redners, bei denen man nur bedauern muß, daß so etwas überhaupt noch der westdeutschen Öffentlichkeit geboten werden kann, wird das Hohe Haus jetzt in der dritten Lesung, insbesondere bei der Beratung der Änderungsanträge, die zahlreiche Freunde mit mir zusammen eingereicht haben, zu der Überzeugung kommen müssen, daß es uns schon ernst ist. Während in der Zwischenzeit gewisse Veröffentlichungen, vor allen Dingen wohl in der zuständigen Vertriebenenpresse, erschienen sind, die ich bedauert habe, haben wir in dem Deutschen Bauernverband und in den Landesverbänden zusammengesessen, um uns verstärkt mit der Frage zu beschäftigen, was heute gemeinsame Aufgabe ist, nachdem der tägliche Zustrom von Bauern, die alles aufgeben, nicht abreißen will. Wir bekennen uns auch in diesem Zusammenhang zu unseren Pflichten und sagen unseren Mitgliedern immer wieder, daß diese Tatsache, dieses Hereinströmen, uns und allen deutschen Menschen, die noch eine Verantwortung in sich spüren, eine erneute Ermahnung und ein erneuter Aufruf zu größerem Pflichtbewußtsein ist.
Ich darf nun bezüglich der einzelnen Bestimmungen und vor allen Dingen im Hinblick auf die beiden Auffassungen, die sich in der zweiten Lesung sehr scharf gegenüberstanden, ganz kurz einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Ich möchte diese in zwei Punkte zusammenfassen: einerseits die Neusiedlung im Zusammenhang mit der Ödlandkultivierung und andererseits die zwangsweisen Eingriffe in bestehende Pachtverhältnisse, die nach unserem Dafürhalten in das Gegenteil dessen ausschlagen müssen, was die Fürsprecher dieser Ansicht erwarten. Auf dem Weg über die Neusiedlung wird in der Bundesrepublik zwangsläufig nicht sehr viel geschehen können. Wenn wir die zurückliegenden drei Jahre verfolgen, so stellen wir fest, daß nur etwa 10 % der neugegründeten Existenzen durch Neusiedlung geschaffen worden sind. Diese Schwierigkeiten müssen notwendigerweise auftreten. Nach meinem Dafürhalten ist es auch nicht angängig, daß auf Grund von Bodenreformgesetzen Gutshöfe Westdeutschlands denselben Weg gehen und dieselbe Entwicklung durchmachen, wie sie uns von Ostdeutschland ab und zu noch durch Bilder übermittelt werden.
Zum anderen ist das Problem von der menschlichen Seite anzusprechen. Wir haben in der zweiten Lesung wiederholt von den Aufgaben und von den Pflichten gesprochen, die wir gegenüber den Landarbeitern, den kleinen Pächtern und den landwirtschaftlichen Beamten auf diesen Gutshöfen haben. Die heutige Darlegung der gegensätzlichen Auffassung war keineswegs eine Gegenargumentation. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß man diese Dinge zu beachten hat. Wenn man positive Vorschläge machen will, dann kann man nur sagen: man sollte nicht so sehr den in den einzelnen Ländern und im Bundesgebiet insgesamt weniger als 0,5 % ausmachenden Gutshöfen nachstöbern, sondern sollte vorweg dann den Staatsbesitz für diese Siedlung in Anspruch nehmen.
Dabei soll vor allen Dingen beachtet werden, daß nicht nur Existenzen gegründet werden, sondern daß auch so billig gesiedelt wird, daß die neu angesetzten Bauern mit Hoffnung und Zuversicht die neue Arbeit beginnen können.
Nach unserer Auffassung sind auf dem Gebiet der Ödlandkultivierung weit größere Möglichkeiten gegeben. Nach sehr reiflicher Überlegung sind wir der Meinung, daß man den § 65, also die Einspruchsmöglichkeit über die Kultivierungseinrede, nicht aufrechterhalten kann. Wir glauben, daß im Gegenteil unverzüglich alle Maßnahmen eingeleitet werden müssen, die zu einer verstärkten Erschließung, Urbarmachung und Besiedlung dieser Ödlandflächen führen können. Dies wird nicht ohne erhebliche Mittel möglich sein. Bund und Länder werden deshalb sehr wahrscheinlich über die in dem Bundesvertriebenengesetz gemachten Vorschläge hinaus weitere Geldquellen erschließen müssen, um das nachzuholen, was in anderen Ländern auf dem Wege der Kultivierung von Ödland ohne Zweifel schon erreicht worden ist.
Wir sind allerdings der Auffassung — und bekunden das durch unseren heutigen Änderungsantrag —, daß in diesen Gebieten die Anliegersiedlung und damit die Aufstockung der kleinen Existenzen genau so wie die Seßhaftmachung der dort ansässigen nachgeborenen Söhne den Vorrang haben müssen, den Vorrang allerdings im Rahmen der zweiten Hälfte, weil ja, wie die Damen und Herren aus dem Änderungsantrag ersehen haben, die Vorwegbewilligung von 50 % der anfallenden Fläche zugunsten der Heimatvertriebenen auch von uns bejaht wird.
Ohne Zweifel ist das Schwergewicht der Eingliederungsmaßnahmen auf die Möglichkeiten, die durch Pacht und durch Kauf gegeben sind, zu verlagern. Das uns übergebene amtliche Material legt einwandfrei klar, daß hier bei weitem die größten Erfolge zu verzeichnen waren. Ich möchte allerdings in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß die Hälfte der mit dem Stichtag des 31. Dezember 1952 ausgewiesenen 35 000 neuen Existenzen allein auf die beiden Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen entfällt. Ich habe von der gemeinsamen Aufgabe des Bundes gesprochen; und ich bin der Meinung, daß in dieser Beziehung alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, die ohne Zweifel gegeben sind, um über den Weg von Pacht und Kauf die erwünschten Erfolge nachzuholen. Der Tatsache, daß nach einzelnen Paragraphen über den Weg von Pacht und Kauf den Betroffenen 20 000 DM in Form von verlorenen Zuschüssen und zinslosen Darlehen zur Verfügung gestellt werden sollen, und den Ausführungen des Herrn Kollegen Kather, der in diesem Zusammenhang heute die
Zahl von 280 Millionen DM aus Mitteln des Lastenausgleichs nannte, möchte ich gegenüberstellen, daß die Deutsche Landwirtschaftliche Rentenbank zugunsten der einheimischen Siedler in diesem Jahr 31/2 Millionen DM zur Verfügung stellt. Dabei ist aber nicht von verlorenen Zuschüssen und auch nicht von zinslosen Darlehen die Rede; nein, diese Gelder werden voraussichtlich mit 6 bis 8 °/o verzinst werden müssen.
Ich glaube, bei einer Gegenüberstellung dieser Zahlen wird das Hohe Haus Verständnis dafür haben, daß meine Freunde und ich mit aller Leidenschaft dafür eingetreten sind, daß in diesem Gesetz zugunsten der Gruppen der Pächter, zugunsten der vorwärtsstrebenden Arbeiter und zugunsten unserer nachgeborenen Söhne, aber auch zugunsten der Bauern, die durch irgendein anderes Ereignis — Städtevergrößerung, Flugplatzbau oder solche Dinge — jetzt ihr Eigentum aufgeben müssen, daß also für diese zweite Hälfte mehr geschehen muß als nur eine bloße gesetzliche Verankerung, daß diese Gruppe mit 50 % beteiligt werden muß. Ich bin der Auffassung, daß das von dem Hohen Haus gebilligte Gesetz über die landwirtschaftliche Siedlung hierfür Wege und Geldquellen erschließen muß, damit wir auch hier in etwa zu den gleichen Startbedingungen kommen.
In Anbetracht dessen, daß die auf der Seite der Vertriebenen liegenden großen finanziellen Möglichkeiten nun schon aufgezeigt worden sind, glaube ich, daß allein dieser Hinweis genügt, die Berechtigung der Bitte zu beweisen, die ich dem Hohen Hause erneut vortrage, nämlich von den Zwangseingriffen, wie sie in der zweiten Lesung des Gesetzes vom Hohen Hause beschlossen worden sind, Abstand zu nehmen; denn das Hohe Haus muß sich über eins klar sein: wird diese Möglichkeit des zwangsweisen Eingriffes im Gesetz verankert, dann wird ohne Zweifel in den beiden Ländern, die an der freiwilligen Eingliederungsaktion mit 50 % des Gesamtanteils beteiligt sind, erneut die Welle des zwangsweisen Eingriffs einsetzen.
Hier im Gesetz ist von einer freiwilligen Hergabe von seiten des Besitzers die Rede. Dieser Besitzer bekommt einen starken finanziellen Anreiz. Neben 2000 DM, die bei der Steuerberechnung vom Einkommen abgezogen werden, bekommt er den Lastenausgleich, die Hypothekengewinnabgabe und die Erbschaftsteuer frei. Täuschen wir uns nicht über folgendes: von dieser Seite her ist jeglicher Zwangseingriff nicht nur bedenklich, sondern er muß zwangsläufig die Rechtsverhältnisse durcheinanderbringen, die das Hohe Haus im vergangenen Jahr in dem neuen Pachtgesetz einstimmig gebilligt hat. Warum haben wir die Notwendigkeit der Neuordnung des Pachtrechtes gemeinsam bejaht? Weil uns gemeinsam vorschwebte, daß durch Alter und durch die kriegsbedingten großen Verluste an Menschenleben auch im Landvolk zweifellos sehr oft Möglichkeiten und Neigung zu einer Verpachtung bestehen. Verpachten wird aber nur jemand, wenn er weiß, daß das, was in den Verträgen steht, auch Rechtens ist. Ich darf das Hohe Haus daran erinnern, daß hier Befugnisse auf die Länder übertragen sind, die die Langfristigkeit und damit die Unantastbarkeit von Pachtverträgen gewährleisten, indem die Frist auf zwölf und sechs Jahre herabgesetzt werden kann. Wir können dieses im vergangenen Jahr geschaffene Bundesrecht und das inzwischen in einzelnen Länder sich entwickelnde Landesrecht nicht durch die Zwangseingriffe nach § 57 einengen. Das würde sich gegen statt für die Vertriebenen auswirken.
Zu dem anderen Punkt: Wenn wir durch unsere Änderungsvorschläge den Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Gebäuden zustimmen, dann deswegen, weil wir wissen, daß die Baukosten zur Zeit so schrecklich hoch sind, daß dadurch manche Existenzgründung unterbleiben muß, die auf diese Art und Weise noch denkbar ist.
Ich darf abschließend feststellen: dieses Bundesvertriebenengesetz wird nach unserem Dafürhalten nicht nur den bisherigen Zustand, der mit dem Flüchtlingssiedlungsgesetz eingeleitet worden ist, erhalten; es wird aus dem einfachen Grunde, weil die Gelder in erheblich größerem Umfange flieBen, diesen Eingliederungsprozeß sehr stark beschleunigen. Ich glaube, daß diese Möglichkeit vor allen Dingen in den Ländern verstärkt ausgenutzt werden könnte, in denen bisher auf diesem Gebiete noch nicht sehr viel erreicht worden ist.
Der Herr Kollege Kather hat in der zurückliegenden Zeit — vor allem in Berlin — der Ansicht Ausdruck gegeben, daß vorweg nun einmal die älteren Vertriebenen berücksichtigt werden müßten. Man muß sich in diesem Zusammenhang über folgendes klar sein. Wenn die Umsiedlung der Bauern aus den reinen Vertriebenenländern nicht in ganz anderem Umfange vorangetrieben wird, dann werden zwangsläufig die vertriebenen Bauern der Ostzone hier mit den vom Kollegen Dr. Kather angeführten Gruppen in starke Konkurrenz treten. Wir wollen an dieser Stelle nicht untersuchen, wie das Verfahren abzuwickeln ist; aber ich möchte doch das Hohe Haus auf die Tatsache aufmerksam machen, weil die Ausnutzung der im Bundesvertriebenengesetz gegebenen Möglichkeiten sehr eng mit den Bewerbungen zusammenhängt, die sich in gewissen Ländern schon zu Bergen aufgehäuft haben, während in anderen Ländern das Problem so gut wie unbekannt ist.
Es ist wiederholt von Zahlen geredet worden. Zum Abschluß darf ich auf eine zurückkommen. Es ist gesagt worden, daß 35 000 Betriebe mit 265 000 ha geschaffen worden sind. Der Stichtag dafür war der 31. Dezember 1952. Gemessen am Gesamtvolumen mag das gering erscheinen. Es ist aber Tatsache, daß 93,5 % aller Betriebe des Bundesgebietes weniger als 100 ha Land haben. Darin liegt die Erklärung, warum wir bei weitem nicht die Möglichkeiten wie in Ostdeutschland haben. Das muß gesehen werden, wenn man das Problem in seiner Ganzheit beurteilen will.
Zum Schluß möchte ich die Bitte aussprechen, man möge nicht nur in diesem Hohen Hause und nicht nur in Westdeutschland, sondern in Europa und in der westlichen Welt erkennen, daß das Problem vertriebener Bauern kein deutsches, sondern ein urecht europäisches, ein urechtes Problem des Westens ist.