Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich dem eigentlichen Kernpunkt meiner Ausführungen zuwende, der Eingliederung des ostdeutschen Landvolkes, muß ich mir erlauben, ganz kurz den § 23 dieses Antrags, die Bildung des Beirats beim Vertriebenenministerium, zu streifen. Ich tue das deshalb, weil der Berichterstatter Dr. Kather auf diesen Paragraphen eingegangen ist.
Herr Dr. Kather hat darauf hingewiesen, daß die Organisationen der Vertriebenen bei der Beratung dieses Paragraphen unterschiedliche Standpunkte eingenommen haben. Der Zentralverband der vertriebenen Deutschen, den Herr Dr. Kather vertrat, hielt die Bildung dieses Beirats nicht für notwendig, da der Zentralverband befugt sei, den alleinigen Gesprächspartner des Ministeriums abzugeben. Die Landsmannschaften haben sich auf einen anderen Standpunkt gestellt, und zwar aus folgenden Gründen: Die Vertreibung hat die Heimatvertriebenen als Einzelmenschen in allen ihren Lebensregungen erfaßt; sie haben nicht nur die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz verloren, sondern, aus der Heimat vertrieben, den ganzen Bereich ihres gewohnten Lebens auch im Hinblick auf ihr geistiges Leben, auf ihre Kirche usw. Deshalb glauben wir, der Beirat beim Vertriebenenministerium sollte so konstruiert sein, daß die
Möglichkeit besteht, in ihm alle Lebensregungen der Vertriebenen möglichst genau zu prüfen. Es ist doch unser aller Ansicht, daß die Heimatvertriebenen möglichst schnell, nicht als atomisierte Einzelpersonen, sondern als Angehörige ihrer ostdeutschen Stämme — als Symbol ihrer Zugehörigkeit zur angestammten Heimat — in das Leben unseres Volkes eingegliedert werden. Deshalb begrüßen wir es, wenn in diesem Beirat z. B. die Kirchen — und nicht nur die Kirchen, sondern auch die Wohlfahrtsverbände usw. — voll vertreten sind. Wir glauben, daß eine derartige Konstruktion es ermöglichen wird, diesen Prozeß einer wirklichen Eingliederung möglichst schnell — soweit es die Funktion des Beirats betrifft — zu Ende zu führen.
Aber die Landsmannschaften haben bei der Begründung dieser ihrer Haltung noch eine andere Überlegung gehabt. Ich kann sie nur andeuten. Die Landsmannschaften sind der Ansicht, daß, wenn aus einem Gesamtkomplex eine Organisation
— dieses Mal wäre es der Zentralverband der vertriebenen Deutschen gewesen — eine, wenn ich so sagen darf, Monopolstellung im Sinne der Vertretung eines Gesamtproblems erhält, dies weder für diesen Verband selbst, noch für die Vertriebenen überhaupt wünschenswert ist. Denn es ist doch klar, daß eine Monopolstellung immer gewisse Gefahren — auch für eine solche Organisation selbst
— in sich schließt.
Ich habe eben von den Organisationen der Vertriebenen gesprochen. Dazu möchte ich mir einige Feststellungen erlauben. Neben der Vertretung der heimatvertriebenen Wirtschaft und Landwirtschaft bestehen auf Bundesebene nur zwei umfassende Organisationen der Heimatvertriebenen: der Zentralverband der vertriebenen Deutschen und der Verband der Landsmannschaften. Die Vertretungskörperschaften dieser Verbände haben beschlossen — und sie glauben, damit einem alten Wunsch der Masse der Heimatvertriebenen entgegenzukommen —, den Bund der vertriebenen Deutschen auf Bundesebene zu schaffen. Ein solcher Bund der vertriebenen Deutschen besteht aber heute noch nicht. Wer heute glaubt, im Namen eines solchen Bundes sprechen zu können, tut dies ohne rechtmäßige Legitimation von seiten der Vertriebenen. Ich glaube, es ist gut, wenn sich die Presse diese Tatsache merkt und sich auch in der Terminologie an diese Tatsache hält. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich Ihnen eine ganz kurze Meldung aus der „Vertriebenen-Korresnondenz", dem Mitteilungsorgan des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen, Nr. 6, vorlesen. Überschrift: Dr. Kather an Königin Juliane!
Text:
Dr. Kather hat namens des Bundes der vertriebenen Deutschen der Königin Juliane der Niederlande die aufrichtige Anteilnahme an dem großen Unglück ausgesprochen, das das holländische Volk durch die Sturmflutkatastrophe betroffen hat.
Meine Damen und Herren, daß die Heimatvertriebenen aufrichtiges Mitgefühl für die Opfer der Sturmkatastrophe in Holland empfinden, ist eine Selbstverständlichkeit, und die namhaften Spenden, die u. a. von seiten der Landsmannschaften der Hollandhilfe zugeleitet worden sind, sind ein äußeres Zeichen dafür. Ebenso selbstverständlich ist es. daß die Heimatvertriebenen Ihrer Majestät der Königin Juliane sehr dankbar dafür sind, daß sie mehrfach, u. a. in einem Schreiben an Präsident
Truman, die Initiative zu einer vernünftigen Lösung des Vertriebenenproblems ergriffen hat. Aber gerade weil dem so ist, werden Sie mir wohl zustimmen, wenn ich sage, daß ein so erfahrener Politiker wie Herr Dr. Kather ganz sicher nicht im Namen eines nicht bestehenden Verbandes ein Telegramm an den Souverän eines uns befreundeten Nachbarvolkes gesandt hat. Es wäre deshalb gut, wenn Herr Dr. Kather die „Vertriebenenkorrespondenz" anhielte, den Tatsachen entsprechend zu berichten.
Nun komme ich zur Frage der Eingliederung des heimatvertriebenen Landvolks. Das heimatvertriebene Landvolk, Bauern und Landarbeiter, haben die große Bewährungsprobe, die sie nach 1945 ablegen mußten, bestanden. Denn es ist eine Tatsache, daß keine deutsche Ernte nach 1945 hätte eingebracht werden können und daß auch die Produktion der Landwirtschaft nicht so gewachsen wäre, wenn nicht der deutsche Bauer aus dem Osten von neuem den Pflug und den Rechen ergriffen hätte, um nun, nicht mehr auf eigenem Boden, dazu mitzuhelfen, daß die deutsche Landwirtschaft auch weiterhin leben kann.
Bei der zweiten Lesung dieses Gesetzes ist immer wieder das Wort „Zwang" gebraucht worden. Ich glaube, es ist notwendig, sich eins ganz klar vor Augen zu halten: Weder dieses Gesetz noch das Gesetz über den Lastenausgleich enthalten auch nur den kleinsten Hinweis auf das, was man eine wirkliche Enteignung nennt. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, was heute in den Gebieten um die Bundesrepublik vor sich geht. Ich bitte nicht zu vergessen, daß nach einem völligen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, nach einer bedingungslosen Kapitulation die Rechtsordnung in der Bundesrepublik und die bestehenden Eigentumsverhältnisse in keiner Weise berührt worden sind. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß gerade die Heimatvertriebenen mit die festesten und tatkräftigsten Vertreter der Rechtsordnung und des Eigentumsbegriffs gewesen sind. Wenn es dazu gekommen wäre, daß die Heimatvertriebenen die Rolle gespielt hätten, die ihnen Stalin einmal zugedacht hatte, so säßen wir nicht so ruhig in diesem Saal, und die Sozial- und Rechtsordnung im Bundesgebiet wäre nicht so unangetastet geblieben, wie es der Fall ist. Und wir freuen uns darüber.
— Es ist nur eine Feststellung, Herr Dr. Müller. Wir sind ebenso überzeugt davon wie die Mehrheit dieses Hauses, daß das westdeutsche Bauerntum im Kern gesund ist. Aber auch ein gesunder Körper kann schmerzende Stellen haben. Ich darf nur darauf hinweisen, was das Problem der wüsten und auslaufenden Höfe bedeutet. Wäre es nicht richtig und selbstverständlich, daß so schnell und in so großem Umfang wie nur irgend möglich das frische Bauernblut aus dem Osten dazu aufgerufen würde, diese Lücken zu schließen? Vergessen wir doch nicht, wo die bolschewistischen Panzer stehen! Vergessen wir nicht, daß viele Kräfte dazu ausgebildet werden, die Sozialordnung auch im Bundesgebiet zu unterhöhlen! Ist es nicht richtig, den Stand, der letzten Endes den Kern eines jeden Volkes bildet, den Bauernstand, so fest, so gesund und so stark wie möglich zu machen? Ist es nicht richtig, so schnell es geht die Reihen der Bauernschaft durch möglichst viele Neubauern aufzufüllen?.
Leider befindet sich unter den Abgeordneten dieses Hohen Hauses kein Vorstandsmitglied der Organisation der heimatvertriebenen Landwirtschaft. So kann keiner an dieser Stelle, wenn ich so sagen darf, aus erster Quelle den Ansichten der heimatvertriebenen Bauern Ausdruck geben. Deshalb müssen wir versuchen, es stellvertretend zu tun. Ich werde es auch versuchen, da ich bis 1939 selbst noch auf eigenem Boden stehen konnte. Ich frage Sie, meine Herren von der Grünen Front: Warum haben Sie nicht in den Jahren nach 1945 mit den heimatvertriebenen Bauern gemeinsam einen Plan zur Eingliederung der heimatvertriebenen Bauern geschaffen? Die heimatvertriebenen Bauern haben nicht nur einmal an Ihre Tür geklopft. Mehrfach haben sie versucht, mit Ihnen in ein wirkliches Gespräch zu kommen, um zu erreichen, daß von der Landwirtschaft aus selber ein tragfähiger Plan zur Eingliederung der heimatvertriebenen Bauern geschaffen werde. Ein solcher Plan, der von weitesten Kreisen der Bundesrepublik, von der Bundesregierung, vom Bundestag mit allen Kräften unterstützt worden wäre, wäre ein staatspolitisch großes Werk gewesen. Ich sage Ihnen das nicht, um Ihnen nachträglich Vorwürfe zu machen. Das hat heute keinen Sinn mehr, denn für einen solchen Plan ist die Zeit vorbei. Ich sage dies nur, um aufzuzeigen, worum es heute geht. Nach dem Abschluß der heutigen Verhandlungen und nach der Annahme dieses Gesetzes soil es nach unserer Auffassung keine Sieger und keine Besiegten geben. Es soll nicht so sein, daß die Heimatvertriebenen sagen: Wir haben die Grüne Front besiegt! Es soll aber auch nicht umgekehrt sein! Sondern wir sollten dieses Gemeinschaftswerk gemeinsam verabschieden. Wenn wir das tun, dann können wir, glaube ich, sagen: Wir haben
versucht, nach bestem Wissen und Gewissen unserer Pflicht zu genügen.