Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen, da nach meiner Meinung nach der sehr eingehenden Debatte in der zweiten Lesung kaum noch viel Neues zu sagen ist. Wenn ich trotzdem ein paar grundsätzliche Ausführungen zu dem Thema machen will, über das wir uns nicht haben verständigen können, nämlich zu der Eingliederung unserer Bauern, so hin ich sicher, daß diese Zeit nachher bei der Begründung der Anträge eingespart wird, da ich das dann nicht mehr zu sagen brauche.
Wenn wir in dieser entscheidenden Frage eine richtige Antwort finden wollen, dann missen wir uns die Aufgabe vor Augen halten. Wir müssen darüber Klarheit gewinnen, welche Aufgabe wir hier zu lösen haben. Wir stehen vor der Tatsache, daß 300 000 bäuerliche Familien aus dem Osten gekommen sind und daß ein ständiger Zustrom von Sowjetzonen-Bauern über Berlin zu uns kommt. Bisher sind 35 000 wieder angesetzt worden. Das sind rund 10 %. Es ist ganz sicher, daß von den übrigen ein großer Teil für die Ansiedlung nicht mehr in Betracht kommt, aus Gründen, die ich hier gar nicht zu nennen brauche. Aber ebenso wird man mir wohl nicht widersprechen, wenn ich sage, daß der Plan, in den nächsten fünf Jahren je 20 000 Bauern anzusetzen, nicht daran scheitern wird, daß die Bewerber nicht da sind. Sie werden unter allen Umständen da sein. Wir stehen vor dieser Aufgabe, wenn wir die bäuerliche Substanz aus dem Osten im Hinblick auf die einstige Rückkehr und Neubesiedlung unserer Heimat erhalten wollen. Der größte Teil dieser Bauern wartet bereits acht Jahre. Wir sind uns eigentlich in der Vergangenheit immer darüber einig gewesen, daß ein Bauer, wenn er länger als zehn Jahre nicht mehr Bauer gewesen ist, allmählich diese Eigenschaft verliert. Es ist daher Eile geboten. Wir stehen weiter vor der Tatsache,
daß wir bei dieser Gelegenheit die Ernährungsgrundlage des deutschen Volkes ausweiten könnten. Wir wissen, daß wir 40 % unseres Nahrungsmittelbedarfs — es mag auch etwas weniger sein — einführen. Wir müssen jede Maßnahme, die nebenher den Erfolg hat, hier ein günstigeres Verhältnis herzustellen, begrüßen. Da ist eine staatspolitische Aufgabe ersten Ranges.
Ich glaube, daß durch den Lastenausgleich die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, daß Geldmittel in ganz anderem Umfange als bisher zur Verfügung stehen. Ich darf darauf hinweisen, daß der Kontrollausschuß für diesen Zweck allein 280 Millionen DM für das kommende Jahr bereitgestellt hat. Auch das Land wird oder muß da sein. Nach dem Statistischen Jahrbuch von 1952 gibt es in der Bundesrepublik 1 178 000 ha Ödland. Das ist ganz bestimmt sehr vorsichtig und deshalb wahrscheinlich zu gering geschätzt. Mit Ödland allein ist es aber nicht zu schaffen, weil die Bebauung zu teuer ist und zu lange dauert. Die Menschen sind, wie ich schon sagte, da, und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das Land, die Mittel und die Menschen zueinander kommen.
Im Rahmen dieses Gesetzes geht es in der Hauptsache um die Landbeschaffung. Die Hauptstreitfrage ist eigentlich die: Kommen wir mit dem bisherigen Prinzip der Freiwilligkeit aus, oder müssen wir im beschränkten Umfange Zwangsmaßnahmen vorsehen? Ich glaube, das ist die Kernfrage, die zu beantworten ist. Man kann sie natürlich nur nach dem bisherigen Ergebnis beurteilen, und deshalb müssen wir es etwas näher ansehen. Die genaue Zahl der Angesetzten beträgt für den Jahresschluß 1952 35 084. Das ist die Gesamtzahl der Stellen. Davon sind 48,5 % oder 16 969 Nebenerwerbsiedlerstellen bis zu 2 ha, 12,8 % oder 4496 Stellen von 2 bis 5 ha, 14,6 % oder 5135 Stellen von 5 bis 10 ha und — nun kommt der letzte Posten — 24,1 % oder 8468 Vollbauernstellen über 10 ha. Das bedeutet, daß in mehr als drei Jahren über 8000 Vollbauern angesetzt worden sind. Das sind noch nicht 3000 im Jahr. Wie ich aber vorhin schon sagte, stehen wir vor der Aufgabe, in den kommenden fünf Jahren je 20 000 anzusetzen. Wenn das auch nicht alles Vollbauernstellen sein können und sein werden, so sind wir uns doch darüber klar, daß es in diesem Tempo nicht weitergehen kann. Für den Zeitpunkt, als 17 000 Stellen geschaffen waren, waren das, wie ich einer amtlichen Veröffentlichung entnommen habe, 0,6 % der bäuerlichen Betriebe und 0,015 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Daraus ergibt sich ja erst die richtige Beurteilung der Größenordnung. Jeder 37. Vertriebenenbauer ist wieder, und zwar, wie ich annehmen muß, als Vollbauer angesiedelt worden; sonst würde die Zahl nicht stimmen. Man hat uns darauf hingewiesen, daß auf diesem Wege insgesamt 265 000 ha Land in die Hände von Vertriebenen gebracht worden sind. Die Zahl von 0,015 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen zeigt, daß das nicht ausreicht. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht noch einmal darauf hinweisen, daß Finnland in vier bis fünf Jahren für etwa die gleiche Zahl Bauern fast zwei Millionen ha zur Verfügung gestellt hat. Das können wir nicht.
— Mein lieber Horlacher, das zeigt doch jedenfalls, daß hier gewaltige Unterschiede vorhanden sind und daß wir so nicht weiterkommen. Ich möchte die Behauptung aufstellen, daß unsere Bemühungen auf
dem bisherigen Wege zum Scheitern verurteilt sind. Wenn wir so weitermachen, daß wir im Jahr bestenfalls 3000 Vollbauernstellen schaffen, dann haben wir die Schlacht um die bäuerliche Substanz aus dem Osten verloren.
Dabei ist von mir noch nicht in Rechnung gestellt worden, daß die Freiwilligkeit der Bauern, wenn es nun geprüft wird, ja langsam versiegen muß. Es geht in dieser Hinsicht nicht aufwärts, sondern ganz bestimmt abwärts. Wir müssen also zu Zwangsmaßnahmen greifen. Grundsätzliche Bedenken bestehen nicht.
Darüber kann gar nicht gestritten werden. Das ganze Staatsleben ist davon beherrscht, daß man gegenüber einem Notstand auch zu Zwangsmaßnahmen greifen darf. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir schon seit 1919 die Möglichkeit der Enteignung im Siedlungsgesetz haben, die hier ausdrücklich aufrechterhalten und von der Kultivierungseinrede befreit worden ist. Ich darf an die Bodenreformgesetzgebung erinnern, die ja auch einen Zwang vorsieht. Ich darf weiter daran erinnern, daß wir es doch alle auf dem Gebiet der Wohnungszwangswirtschaft in den letzten Jahren erlebt haben, daß man auch vor dem häuslichen Frieden nicht Halt machen kann, wenn die Notwendigkeit es erfordert.
Wir haben die Eingriffe, die wir vorgesehen haben, auf das Nötigste beschränkt; das möchte ich hier ganz besonders herausstellen. Wir haben überhaupt keine neuen Enteignungsmöglichkeiten geschaffen, sondern nur die Pacht auf 18 Jahre vorgesehen. Der oberste Grundsatz, von dem das ganze Gesetz beherrscht wird, ist der, daß keine Existenz gefährdet werden kann. Wie Sie wissen, haben wir überall dort, wo wir solche Eingriffe vorgesehen haben, dazugeschrieben: der abgebende Betrieb darf nicht unwirtschaftlich werden, und für den abgebenden Betrieb soll der Pächter keine unbillige Härte bedeuten.
Meine Damen und Herren, wir haben uns — wenn Sie mir zurufen „dehnbar", paßt es hier sehr schön herein — der bäuerlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Wir hatten ursprünglich im Gesetz die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehen. Jetzt haben wir uns damit einverstanden erklärt, daß wir uns der bäuerlichen Gerichtsbarkeit unterwerfen.
Ich bin deshalb der Überzeugung, daß man angesichts des einmaligen Tatbestandes, vor dem wir stehen, diese geringfügigen Einschränkungen, von denen ich mir noch gar nicht sicher bin, daß sie für unsere Zwecke ausreichend sein werden, doch in Kauf nehmen soll. Mit dieser Abwehr jeden Zwanges ist es auf der anderen Seite unvereinbar und schwer verständlich, daß man auch in der Frage der Anreize uns Abstriche gemacht hat und gerade in dem einen Punkt, der sich in der Vergangenheit ganz besonders gut bewährt hat: das sind die Vergünstigungen für den Fall einer Eheschließung. Zu diesem Punkt möchte ich noch eines sagen: Vergessen wir nicht, meine Damen und Herren, daß diese Bestimmungen drei Jahre in Kraft sind und noch weitere zwei Jahre in Kraft bleiben würden, wenn wir hier nicht gesetzlich eingriffen. Vergessen wir auch nicht, daß in der Ver-
gangenheit hier zumindest moralische Bindungen eingegangen worden sind, an denen wir nicht vorüberkönnen. Es steht fest, daß auf diesem Wege etwa ein Drittel der Eingliederungen — gerade der größten Eingliederungen, die ich vorhin erwähnt habe — zustande gekommen ist. Glauben Sie doch nicht, daß dadurch der dörfliche Friede gestört werden wird; er kann genau so gut auch von der anderen Seite her gestört werden, wenn etwa der Vertriebene als Habenichts zurückgewiesen wird und aus diesem Grunde eine Ehe unterbleibt. Ich darf auch jetzt einmal sagen, daß die Ablehnung dieser Bestimmungen zu Umgehungstatbeständen führen würde. Man würde mit weniger Pacht dasselbe Ziel zu erreichen versuchen und wahrscheinlich auch erreichen. Wir wollen aber diesen Anreiz haben, gerade weil wir den Zwang, den wir vorgesehen haben, nur im Notfall anwenden wollen. Wir werden nur zu irgendwelchen Zwangsmaßnahmen greifen, wenn es in der Durchführung gar nicht geht, und es steht schon fest, daß bei den Instanzen, die mit der Durchführung beauftragt sind, im wesentlichen nicht das Vertriebenenelement herrschend sein wird. Darüber kann man doch ernsthaft gar nicht verschiedener Meinung sein.
Nun noch eine letzte Frage. Es ist die zweite Frage, die mir von großer Bedeutung zu sein scheint. Das ist das Verlangen, bei dem neuanfallenden Siedlungsland die Hälfte für die einheimischen Bewerber sicherzustellen. Meine Damen und Herren, das ist in der politischen und wirtschaftlichen Situation, vor der wir stehen, nicht vertretbar. Es würde bedeuten, daß man die zweiten und dritten Söhne gleichsetzte mit unseren Bauern und den ersten Söhnen; und das geht wirklich nicht. Es geht auch wirklich nicht, daß man bei dieser Gelegenheit nun unbedingt nachholen will und muß, was in vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten nicht durchgeführt worden ist. Wenn wir uns auf diesen Standpunkt stellen, so führt das praktisch zu einer Verneinung des Vertreibungstatbestandes. Das ist unmöglich.
Was hat der Ausschuß von Ihnen gefordert? Er hat von Ihnen nichts anderes gefordert, als daß auf die besondere Notlage des Personenkreises, für den das Gesetz gemacht ist, Rücksicht genommen wird. Ja, meine Damen und Herren, ist es überhaupt möglich, daß der Bundestag eine solche Rücksichtnahme auf die Not eines großen Volksteils ablehnt? Das ist doch vollkommen ausgeschlossen!
Es ist jetzt eine andere Fassung angenommen worden, die Fassung unseres hochverehrten Freundes Horlacher. Jetzt will er sie aber selber nicht mehr wahrhaben.
Nachdem wir nun gemeinsam mit allen Herren von
den landwirtschaftlichen Abgeordneten zu der
Überzeugung gekommen sind, daß diese Bestimmung so auszulegen ist, daß bei der zweiten
Hälfte die Vertriebenen gleichrangig zum Zuge
kommen, da wird diese Fassung nicht mehr — —
Wir sind jetzt dafür, daß der Antrag Horlacher bleibt, und haben deshalb keinen Änderungsantrag gestellt.
Wenn aber Bedenken dagegen bestehen, sind wir ebenso gern bereit, wieder zu der Ausschußfassung zurückzukehren, die weiter nichts verlangt, als daß auf die Notlage Rücksicht genommen wird, und die in der Praxis des täglichen Lebens ja doch auch alle Möglichkeiten offenläßt, wie auch die Vergangenheit gezeigt hat.
Meine Damen und Herren, ich bedaure es außerordentlich, daß die Solidarität, die die bäuerlichen Abgeordneten umschließt, nicht die vertriebenen Bauern mit einbezogen hat.
Ich wäre sehr glücklich darüber gewesen, wenn es gelungen wäre — und ich würde sehr glücklich darüber sein, wenn es noch gelingen würde —, diesen Widerstand zu überwinden. Denn wir brauchen ja auch die einheimischen Bauern, wenn aus der ganzen Sache etwas Vernünftiges werden soll. Wie soll überhaupt eine solche Sache zum Erfolg geführt werden, wenn solch ein Widerstand auf der andern Seite da ist! Ich bitte, das noch einmal zu überlegen, sich das Schicksal dieser Berufskameraden vor Augen zu führen, auf der andern Seite sich zu vergegenwärtigen, wie wenig doch praktisch letzten Endes in dem Gesetz verlangt wird, und zu überlegen, ob man nicht zu einer anderen Haltung kommen kann. Wir sollen i a morgen einen neuen Schritt auf dem Wege zu Europa hin tun. Meine Damen und Herren, auch dieses Gesetz und seine Verabschiedung ist doch ein ganz erheblicher Prüfstein dafür, ob ein wirklicher Wille zur Gemeinschaft, eine wirkliche europäische Gesinnung da ist. Eine solche Gesinnung würde doch zum Zuge kommen, wenn hier auch unsere bäuerlichen Abgeordneten sich entschließen könnten, unseren Anträgen ihre Zustimmung zu geben.