Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Mellies hat die
Liebenswürdigkeit gehabt, in seiner heutigen Rede
und in der nichtgehaltenen Rede, die am 6. März 1953 im „Neuen Vorwärts" veröffentlicht wurde, mich zu zitieren. Ich möchte dazu einiges sagen.
Das alles geht zurück auf eine Pressekonferenz, die ich in Stuttgart gehalten habe und die Herr Abgeordneter Mellies nach Zeitungsberichten wiedergibt. Leider hat er selbst diese Zeitungsberichte nicht richtig zitiert,
auch nicht den Bericht, der in der ihm nicht ganz
fernstehenden „Neuen Ruhrzeitung" erschienen ist.
Ich habe mich bei dieser Pressekonferenz, als ich nach dem Wahlrecht gefragt wurde, zunächst bemüht, die Einwendungen der Herren von der Presse aller politischen Parteien gegen den Regierungsentwurf kennenzulernen. Ich muß sagen, daß das, was mir dort entgegengehalten worden ist, genau so — sagen wir — inhaltlos war wie das, was ich an Einwendungen bei der Rede des Herrn Kollegen Menzel und heute von Ihnen gehört habe.
— Ich spreche hier als Abgeordneter. Herr Kollege Mellies hat die Liebenswürdigkeit gehabt, die Scheidung zwischen dem Bundestagspräsidenten und dem Abgeordneten zu machen. Ich spreche als Abgeordneter und möchte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Ich habe mich bei dieser Pressekonferenz mit aller Deutlichkeit für das Mehrheitswahlrecht eingesetzt; ich habe das aus dem gleichen Grunde getan, der Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft und des Schleswig-Holsteinischen Landtags dazu veranlaßt hat, das gleiche zu tun. Der Herr Abgeordnete Scharnberg hat bereits zitiert, was der Abgeordnete Richter am 27. Juli 1949 in der Hamburgischen Bürgerschaft gesagt hat. Herr Richter hat aber noch etwas mehr gesagt:
Beim Verhältniswahlrecht, wie wir es bis 1933
hatten, ist das Elend der Zersplitterung so ungeheuer stark in Erscheinung getreten, daß wir,
die wir die damalige Zeit aktiv handelnd miterlebt haben, dieses Elend der Parteienzersplitterung als einen der hauptsächlichsten Krisenfaktoren unserer deutschen Demokratie empfunden haben.
Hinzu kam, daß in den damaligen Parlamenten bei den Mehrheitsverhältnissen, wie sie gerade durch das Verhältniswahlsystem begünstigt wurden, die kleinen Parteien und Interessengruppen, diejenigen, die nicht einmal politische Parteien waren, mit zwei oder drei Abgeordneten in einem Reichstag, der zwischen 4- und 600 Abgeordneten zählte, die Möglichkeit hatten, in entscheidenden Koalitionsverhandlungen das Zünglein an der Waage zu bilden.
Sie bekamen dort ein politisches Gewicht, das jeder tatsächlichen politischen Situation widersprach. Diese Möglichkeit wird durch das Mehrheitswahlsystem in weitgehendem Maße verhindert.
Ich habe weiter nachgelesen, was der Abgeordnete Käber von der SPD während der fünften
Tagung des vierten Schleswig-Holsteinischen Landtags am 19. Dezember 1950 gesagt hat:
Wir sehen den Sinn jeder Wahl nicht so sehr darin, im Parlament ein genaues Spiegelbild sämtlicher politischen Strömungen in der Wählerschaft herzustellen, sondern vielmehr dafür zu sorgen, daß klare Mehrheitsverhältnisse und eine arbeitsfähige Regierung aus den Wahlen ohne Zeitverlust hervorgehen.
Er hat weiter gesagt:
. . . Der Sinn des Wahlsystems, das wir in Schleswig-Holstein entwickelt haben, besteht ja darin, daß die relativ stärkste Partei, die auf sich allein gestellt mit offenem Visier in den Wahlkampf geht, bewußt begünstigt wird, mit dem Ziele, dann nachher auch die Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Das ist bei der ersten Wahl 1947 der Fall gewesen.
Bei der Wahl zum gegenwärtigen Landtage aber hat die Partei, die dieses System im Januar 1947 mit beschlossen hat, sich, nur um die regierende Sozialdemokratie unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu schlagen, der Splitterparteien bedient, und zwar der Parteien, die nach dem Sinn des Wahlsystems nicht zum Zuge kommen sollte n.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht wissen, was uns entgegengehalten worden wäre, wenn wir zur Begründung unserer Anträge das in diesem Hause ausgesprochen hätten.
In dem, was Herr Kollege Mellies gesagt hat, ist von der Verfälschung des Wählerwillens die Rede gewesen, und der Kollege Ritzel hat vorhin das gleiche dazwischengeworfen.
Ich darf erklären, daß ich Anhänger des Mehrheitswahlrechts bin.
Aber nehmen wir doch einmal das Beispiel des hessischen Wahlkreises Dieburg, Herr Kollege Ritzel! In diesem Wahlkreis hat die SPD, haben nämlich Sie 36,6 % der Stimmen bekommen, die CDU 23,8 %, die FDP 20%, die KPD 8,8 % und die Unabhängigen 10,8 %. Ich bin bereit — und darin bin ich mit Ihnen einig —, den Mehrheitswähler-willen so zu respektieren, daß die relative Mehrheit entscheiden soll, und ich bitte Sie nur, auch dafür zu stimmen. Genau das hat der Entwurf Wuermeling vorgeschlagen. Ob das aber etwas mit dem Wählerwillen zu tun hat, daß jemand, der 63,4 % der Stimmen gegen sich hat, Bundestagsabgeordneter wird, das ist eine Frage, über die wir uns noch unterhalten müssen.
Ich bin weiter gefragt worden: Will denn die Regierung, will denn die Koalition mit diesem Gesetz ihre eigene Machtposition sichern?
Meine Damen nd Herren, Sie haben alle — und darum wird es zitiert — die unsinnige Aufstellung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gelesen, die ich auch vor mir gehabt habe, wo ein Herr Rapp ausrechnete, daß nach dem neuen Wahlrecht die CDU 218 und die SPD 114 Stimmen bekommen würde. Ich habe gesagt, es sei dummes Zeug, solche Rechnungen aufzumachen, da niemand die Zahlen voraussehen könne und jeder wisse, daß von Schleswig-Holstein bis Freiburg die Koalitionsverhältnisse so durcheinandergingen, daß es völlig
unsinnig sei, für solche Berechnungen Zahlen von 1949 zugrunde legen zu wollen.
— Herr Kollege Heiland, wollen Sie mir etwa sagen, daß Sie und Ihre Wahlrechtsexperten nicht unter Verwendung aller verfügbaren Zahlen in den letzten Wochen sich ausgerechnet haben, daß hic et nunc das Verhältniswahlsystem für Sie das günstigste wäre?!
Meine Damen und Herren, nachdem ich das in der Pressekonferenz gesagt habe, habe ich erklärt: ich bin für ein Wahlrecht, in dem die Mehrheit entscheidet, in dem auch nicht durch eine Manipulation das Mehrheitswahlrecht praktisch in ein Verhältniswahlrecht umgewandelt wird, wie es beim Bundestagswahlrecht geschieht.
Denn ich halte das Verhältniswahlrecht für ein zerstörerisches Wahlrecht, und ich habe das mit den Stimmen Ihr er Parteifreunde belegt. Ich habe dann gesagt und halte das aufrecht: Sie werden auf der andern Seite von uns ja schließlich auch nicht erwarten, daß wir ein Wahlrecht machen, das das Ziel — das Ziel! — hat, die Opposition an die Macht zu bringen. Meine Damen und Herren , würden Sie das an unserer Stelle machen,
wenn Sie davon überzeugt wären, daß ein Verhältniswahlrecht dazu führt, daß die stabile Mitte zerschlagen wird?
Sie haben das alles nicht so zitiert, sondern Sie, Herr Kollege Mellies, haben gesagt, ich hätte zum Ausdruck gebracht, daß man es den Regierungsparteien doch nicht verübeln könne, wenn sie ein Wahlrecht verabschiedeten, das den Regierungsparteien weiter die Macht lasse und der Opposition den Weg zur Regierung versperre. Ich stelle fest, daß ich das nicht gesagt habe, nicht meine und daß das auch nirgendwo in einer Zeitung erschienen ist, sondern daß das, was Sie darüber gesagt haben, der Kampf gegen Windmühlenflügel ist und mit der tatsächlichen Lage nicht das Geringste zu tun hat.
Ich halte den Gesetzentwurf der Regierung ebenso wie der Herr Bundesminister des Innern für das unter den möglichen Umständen, angesichts der von Ihnen in Aussicht gestellten Stellungnahme, für das am wenigsten Übel aufweisende Wahlgesetz
und habe mich darum dafür eingesetzt. Aber wenn Sie bereit sind, dazu zu helfen, daß wir zu einem klaren Mehrheitswahlrecht kommen,
dann bin ich nur dankbar, wenn Sie das tun.
Noch einen Satz, Herr Kollege Mellies, zum Schluß: Wenn Sie gesagt haben, die Regierung müsse sich unter den gleichen Umständen zur Wahl stellen, unter denen sie gewählt worden ist — das heißt doch die Festlegung jedes Wahlrechts auf die nächsten 1000 Jahre!
Wenn Sie das als Ihr Prinzip verstehen, dann verstehe ich nicht, warum Sie bei uns in Niedersachsen erstens verhindert haben, daß neue Parteien ihre Kandidaten ohne besondere Schwierigkeiten aufstellen,
daß Sie weiter verhindert haben, daß eine Partei an einem Landesausgleich teilnehmen kann, die nicht in allen Wahlkreisen Kandidaten aufstellt;
und dann verstehe ich nicht, daß Sie, wenn Sie so in Schleswig-Holstein und Hamburg die Zersplitterung vermeiden wollen, in Niedersachsen die 5 %-Klausel deswegen nicht gebrauchen konnten, weil eine Partei dann vielleicht die vier oder fünf Sitze bekam, die Sie für eine Regierungsbildung brauchten! Man soll nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt!