Nicht nur die Tatsache, daß wir diese acht Parteien hatten, sondern vor allem ihr Verhalten führte zu der Katastrophe; aber ihr Verhalten war ebenso wie sie selbst durch das Wahlrecht bedingt.
Das Parlament ist Gesetzgeber und hat die Regierung zu bilden und zu kontrollieren.
Darüber hinaus aber — und das scheint man eigentlich wenig zu beachten — sollte es Aufgabe des Parlaments sein, dafür zu sorgen, daß wir eine konstruktive und verantwortungsbewußte, weil nämlich verantwortliche, einheitliche Opposition haben. Diese Aufgabe haben die Reichstage der Weimarer Periode nicht gelöst, und. dieses Versäumnis führte zu der Katastrophe. Wir haben in den vierzehn Jahren fünfzehn Regierungen gehabt, von denen die meisten Minderheitenregierungen waren; das heißt, daß in den Reichstagen sich meistens keine tragfähigen Mehrheiten bildeten, aber auch keine einheitliche Opposition bestand. Die Minderheitenregierungen lebten nicht von der Kraft, die hinter ihnen stand, sondern von der Uneinigkeit, die ihnen gegenüberstand.
Die Vorgänge, welche sich bei den einzelnen Regierungskrisen, bei der Zusammensetzung der neuen Regierungen und bei der Zusammenarbeit der jeweiligen Koalitionsparteien ereigneten, diskreditierten die Demokratie in den Augen der Bevölkerung in ständig zunehmendem Maße. Die an sich gesunde Tendenz im demokratischen Raum zum Kompromiß führt beim Verhältniswahlrecht zu Regierungen der Mitte, beim mehrheitsbildenden Wahlrecht aber zur Regierung entweder rechts oder links.
Um Regierungen der Mitte nun, wenn man sie sich einmal als Kern vorstellt, bilden sich gewissermaßen zwei Schalen, die Opposition darstellen. Die innere Schale bildet die aus demokratischen Elementen bestehende, von konstruktiven Absichten beseelte Opposition. Die äußere Schale bilden die radikalen Parteien, nicht auf dem Boden
der verfassungsmäßigen Staats- und Gesellschaftsordnung stehen. Dabei ist das Wesentliche, daß sich diese radikalen Parteien beim System der Regierung der Mitte rechts und links bilden, diametral entgegengesetzt sind und dadurch ausschließlich verneinend und destruktiv wirken. Nun muß bekanntlich jede Regierung damit rechnen, daß sie gewisse Anhänger im Laufe der Zeit abstößt. Bei Regierungen der Mitte wirkt sich dieser Abstoßungsprozeß als Zentrifugalkraft aus, und durch
diese Zentrifugalkraft wächst nun die äußere Schale ständig an, bis sie schließlich die Mehrheit über den Kern plus der inneren Schale gewinnt.
Betrachten Sie die Ergebnisse der acht Wahlen in der Weimarer Republik, so finden Sie diese Darstellung in klassischer Form bestätigt. Wir fingen in der Nationalversammlung mit 22 radikalen Linken an und endeten im Juli 1932 mit 230 Nationalsozialisten und 89 Kommunisten, zusammen also 319 Abgeordneten; das heißt, die Mehrheit von 608 Abgeordneten.
Ein System von unabhängig voneinander manövrierenden Parteien in größerer Zahl zu nehmen, bewirkt aber, daß sich diese Parteien mehr oder weniger zu Interessentenvertretungs-Parteien entwickeln, aus dem einfachen Grunde nämlich, weil es so viele echt politische Konzeptionen gar nicht gibt und die Parteien daher auf die Vertretung bestimmter Standesinteressen ausweichen. Die Wähler aber lehnen in einem sehr richtigen politischen Instinkt solche Interessentenparteien auf die Dauer ab. Ich erinnere an den völligen Verfall der Deutschen Volkspartei und der Staatspartei, die sich im Laufe der Zeit ja stark der Interessen der Industrie bzw. des Handels annahmen und die in ihren besten Zeiten 65 bzw. 75 Sitze hatten, im November 1932 aber nur noch 11 bzw. 2 Sitze erhielten.
Ich erinnere aber auch daran — und dies, Herr Menzel, soll gewiß kein Liebesverben sein, sondern nur ein ganz bescheidener Hinweis —, daß auch die Sozialdemokratie von ursprünglich 38,7 % auf 20,4 % zurückging und im Laufe der Weimarer Periode 4,5 Millionen Wähler verlor.
Die Bilanz des Verhältniswahlrechts nach dreizehn. Jahren Weimarer Republik zeigt also einen vollständigen Verfall derjenigen Mittelparteien, die sich stark zu Interessentenvertretungsparteien entwickelt hatten, und ein durch zwei radikale Flügelparteien arbeitsunfähig gemachtes Parlament.
Und sehen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, darum geht es uns, wenn wir so leidenschaftliche Gegner des Verhältniswahlrechts sind: Das soll nicht noch einmal passieren.
Wenn ich gesagt habe, daß die Konzeption einer Regierung der Mitte falsch ist, so will ich damit keineswegs sagen, daß eine Politik der Mitte falsch ist und daß ein Zweiparteiensystem oder ein System zweier Parteigruppierungen eine Abkehr von einer Politik der Mitte und des Kompromisses ist. Das Gegenteil ist der Fall. Dadurch, daß die jeweils opponierende Gruppe jederzeit danach strebt und bereit sein muß, die Verantwortung zu übernehmen, verschiebt sich ihr politischer Kristallisationspunkt organisch zur Mitte. Dasselbe trifft für die Regierungsgruppe zu. Gleichzeitig werden die radikalen Elemente angezogen und im Rahmen der Politik der Regierungs- und Oppositionsgruppen neutralisiert. Aus der Zentrifugalkraft beim Verhältniswahlrecht ist eine Zentripetalkraft beim Mehrheitswahlrecht geworden.
Man sage auch nicht, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Kanzlerwahl und das konstruktive Mißtrauensvotum die gefährlichen Wirkungen des Verhältniswahlrechts aufzuheben vermögen. Die erfreuliche Stabilität unserer Regie-
rung seit 1949 beruht auf den klaren Mehrheitsverhältnissen im Bundestag.
Wenn einmal solche Mehrheitsverhältnisse nicht vorhanden sind, werden die Bestimmungen, so fürchte ich, versagen, und es wird zu sehr schwierigen Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung kommen.
Der Regierungsentwurf ist ein Kompromiß zwischen dem Mehrheitswahlrecht und dem Verhältniswahlrecht. Er läßt beide Elemente selbständig nebeneinander bestehen. Das Entscheidende beim Regierungsentwurf ist, daß er politisch isolierte Parteien, das heißt radikale oder Interessentenvertretungsparteien, vor die Wahl stellt, entweder aus ihrer politischen Isolierung herauszugeben und sich mit anderen Parteien zusammenzutun, oder sich damit abzufinden, daß sie nur die Hälfte der Wähler bekommen, die sie erhalten würden, wenn nach dem alten Bundestagswahlrecht oder nach dem SPD-Entwurf gewählt würde.
— Darauf komme ich gleich. — Die Rechnung ist sehr einfach. Bei dem SPD-Entwurf würde z. B. eine radikale Partei, wenn sie 10 % Stimmen aufbringt, bei 484 Mandaten 48 bekommen. Bei dem Regierungsentwurf, bei dem ja nur 242 Mandate nach der Verhältniswahl verteilt werden, würde eine solche Partei, weil sie mit 10 % Stimmen ja kaum Aussicht hat, in der direkten Wahl ein Mandat zu erringen, nur 24 Mandate erhalten. Wenn aber diese Partei mit einer anderen, nicht radikalen zusammengeht — was letztere natürlich nur dann tut, wenn die andere auf ihren Radikalismus verzichtet —, bekommt sie durch den internen Proporz mehr oder weniger ihre 48 Mandate. Hierin liegt die von uns gewünschte integrierende Wirkung, die dahin geht, daß einerseits die einzelnen Parteien völlig selbständig bleiben, daß sie trotzdem aber gehalten werden, schon vor der Wahl zu zeigen, wo sie politisch stehen, anstatt ihre Wähler nach der Wahl mit einer Regierungskoalition zu überraschen, die ganz anders aussieht, als die Wähler sie sich gedacht haben.
Das Gesetz hat in der Öffentlichkeit eine vielfach abfällige Kritik gefunden. Die Kritik wendet sich gegen die Hilfsstimme. Dabei wird übersehen, daß die Hilfsstimme gar nichts anderes bezweckt, als den zweiten Wahlgang bei der absoluten Mehrheitswahl zu vermeiden.
Grundsätzlich sollen 242 Abgeordnete nach dem absoluten Mehrheitswahlprinzip gewählt werden; und hiergegen kann doch wohl niemand sagen, daß es eine einseitige Begünstigung der Koalition herbeiführe oder gar verfassungswidrig sei.
Ob man bei der Hilfsstimme bleibt oder zur absoluten Mehrheitswahl bei der Wahl der 242 im Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten übergeht, ist eine Frage völlig sekundärer Bedeutung. Man wird in aller Ruhe überlegen müssen, was zweckmäßiger ist: die größeren Kosten und manche sonstigen Nachteile der zwei Wahlgänge in Kauf zu nehmen, oder mit dem Instrument der Hilfsstimme oder einer anderen Methode den zweiten Wahlgang zu vermeiden. Die Kritik wendet sich ferner gegen die vorgesehene Verbindung der Bundeslisten. Die Listenverbindung in der Art, wie sie beim Regie-
rungsentwurf vorgesehen ist, hat außer der bekannten Wirkung, die es beim Verhältniswahlrecht ja immer gegeben hat, die weitere Bedeutung, daß die Parteien, die ihre Listen miteinander verbinden, damit bekunden, daß sie die in den Wahlkreisen und auf den Listen gemeinsam errungenen Mandate zwischen sich so aufgeteilt wissen wollen, wie es dem Verhältnis der auf sie abgegebenen Stimmen entspricht.
Dabei wird genau das gleiche Verfahren angewandt, das Sie, meine Damen und Herren, bei dem bisherigen Wahlrecht für alle Parteien wünschten. Es verlieren oder gewinnen durch den Regierungsentwurf weder die Gruppen, die ihre Listen miteinander verbinden, in ihrer Gesamtheit noch irgendeine andere Partei Mandate. Auch geht kein im Wahlkreis erworbenes Mandat verloren. Danach ist nicht einzusehen, was gegen eine solche Listenverbindung, die eine rein interne Angelegenheit der sich verbindenden Parteien ist,
einzuwenden sein soll.
Zu der weiteren Behauptung, das Gesetz sichere die Koalition und sei verfassungswidrig, möchte ich folgendes sagen. Das erste ist eine glatte Unwahrheit! Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wissen ganz genau, daß dieses Wahlrecht nichts anderes bezweckt und bezwecken kann, als der stärkeren Gruppe die Mehrheit im Bundestag zu geben. Die Chancen sind für beide gleich.
Wenn Sie mit Ihren Freunden mehr Stimmen aufbringen als wir mit unseren Freunden, haben Sie gewonnen; wenn es umgekehrt ist, was wir allerdings zuversichtlich erwarten, haben wir gewonnen!
Im übrigen: warum sind Sie denn eigentlich so kleinmütig, da man doch sonst immer von Ihnen hört, daß Sie mit einem großen Stimmenzuwachs rechnen?
Unterstellen Sie doch bitte einmal den von Ihnen erhofften oder zumindest in der Öffentlichkeit immer behaupteten Stimmenzuwachs und berechnen Sie, welches Ergebnis der Regierungsentwurf dann zeitigt! Sie werden Ihre helle Freude an diesem Gesetz haben — es sei denn, daß Sie an diesen Stimmenzuwachs nicht recht glauben!
Zu dem zweiten Argument, dem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, möchte ich mich auf die Feststellung beschränken, daß wir ebenso wie das Innenministerium einer Verfassungsklage mit größter Ruhe entgegensehen.
Sie wissen ja auch selbst, daß diese Klage abgewiesen wird.
Ich möchte hier aber einmal etwas Grundsätzliches sagen. Ich glaube nämlich, wir würden zu einer sehr guten Übung kommen, wenn man die
politischen Diskussionen über irgendwelche Gesetzesvorlagen nicht dadurch auf eine außerhalb dieses Hohen Hauses liegende Ebene brächte, indem man, wenn einem ein Gesetz nicht paßt, kurzerhand behauptet, es sei verfassungswidrig.
Damit wird beim deutschen Volk ein dem Ansehen der Demokratie durchaus unzuträglicher Eindruck erweckt.
Ich glaube auch nicht, daß man unserer gemeinsamen Sache, dem Aufbau der Demokratie, dient, wenn man einen Regierungsentwurf kritisiert mit Worten wie „unanständig", „schamlos", „illegal", „kalter Staatsstreich" und „Anschlag auf die demokratischen Grundlagen des Staates".
Solche Worte, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, veranlassen mich doch, Ihre Einstellung zum Problem des Wahlrechts einmal ein wenig unter die Lupe zu nehmen.
Dabei fällt zunächst auf, daß Herr Menzel in seiner angeblichen Begründung des SPD-Entwurfs mit keinem Wort begründet hat, warum denn die SPD dieses Verhältniswahlrecht eigentlich wünscht. Obwohl die Auseinandersetzungen über Mehrheitswahl und Verhältniswahl in der deutschen Öffentlichkeit seit Jahren geführt werden, obwohl viele Anhänger des Mehrheitswahlrechts — so wie ich es hier getan habe — die Weimarer Katastrophe und damit das ganze Elend der 13 Hitlerjahre vorwiegend dem falschen Verhältniswahlrecht zur Last schreiben,
geht Herr Menzel hierauf mit keinem Sterbenswörtchen ein. Das ist auch gar kein Wunder; denn die Sozialdemokratie hat zu der Wahlrechtsfrage keinen anderen Standpunkt als den, den sie uns fälschlich vorwirft. Für die Sozialdemokratie ist das Wahlrecht nämlich nur ein Mittel, um an die Macht zu kommen.
— Bitte, in Hamburg, Hessen und Bremen sprach sie sich bei Verabschiedung der letzten Wahlgesetze gegen das Verhältniswahlrecht und für ein mehrheitbildendes System, also im Prinzip für die gleiche Kompromißlösung aus, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht.
In allen anderen Ländern und im Bund setzte sie sich jedoch für das Verhältniswahlrecht ein.
Diese überraschend widerspruchsvolle Haltung, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, erklärt sich sehr einfach aus der Wählerzahl. Alle drei Länder haben nämlich im Gegensatz zu den anderen Ländern zweierlei gemeinsam. Erstens ist die Sozialdemokratie die stärkste Partei, und zweitens besteht rechts von ihr eine ziemlich gleichmäßige Stimmenverteilung zwischen CDU und FDP, wozu in Hamburg und Bremen noch die
DP kommt; mit anderen Worten, ein hohes Maß
von Desintegration. Ihr Verhalten, meine Damen
und Herren von der Sozialdemokratie, ist eindeutig.
Eine Zersplitterung rechts von Ihnen gibt Ihnen
bei Anwendung des mehrheitbildenden Wahlrechts die Chance, allein zu regieren, und Sie haben
es ja dort, wo Sie dieses Wahlrecht durchgesetzt
haben, in Hamburg und in Hessen, auch geschafft.
— Darauf komme ich gleich! — Dort aber, wo die Zersplitterung bisher nicht eingetreten ist, wie in allen anderen Ländern, muß sie herbeigeführt werden. Dazu ist eben das Verhältniswahlrecht geeignet,
das Ihnen die Möglichkeit verschafft, alles, was rechts von Ihnen ist, durcheinanderzubringen. und unter dem Motto „divide et impera" auch dann an die Macht zu kommen, wenn Sie nicht die Mehrheit hinter sich haben.
Die Haltung der CDU hingegen ist völlig konsequent, Herr Erler. Ich sagte schon, daß wir im Parlamentarischen Rat für das Mehrheitswahlrecht eingetreten sind und gegen das Verhältniswahlrecht gestimmt haben. Ebenso konsequent waren wir in Hamburg, wo ich die Verhältnisse ja nun aus eigenem Augenschein kenne und wo in den Jahren 1946 und 1949 gewählt wurde. In beiden Fällen hat die Sozialdemokratie etwas über 40 % der Stimmen bekommen. Dabei erhielt sie, weil die Parteien rechts von ihr getrennt in die Wahl gegangen waren, im Jahre 1946 75 % der Mandate.
Trotz dieses Ergebnisses hat die CDU in Hamburg einmütig beschlossen, bei diesem Wahlrecht zu bleiben.
Im Jahre 1949 wurde dann wieder gewählt. Die Integrationswirkung war inzwischen eingetreten, indem CDU und FDP zusammengingen. Neu trat aber damals die DP in Erscheinung, mit der ein Zusammengehen nicht ermöglicht wurde. Der Erfolg war, daß die SPD mit ungefähr der gleichen Stimmenzahl von etwa 43 % 54 % der Mandate errang. Auch jetzt blieb die CDU bei diesem Wahlrecht, weil sie seine staatspolitische Richtigkeit bejahte. So kam es denn dazu, daß dieses Wahlrecht vor kurzem aufs neue in Hamburg Gesetzeskraft erhielt.
Warum, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, finden Sie es denn eigentlich in Hamburg nicht „unanständig", „schamlos" und „wahlbetrügerisch", mit 43 % der Stimmen 75 bzw. 54 % der Mandate zu bekommen?
Warum ist es denn in Hessen kein „kalter Staatsstreich" und kein „Anschlag auf die Demokratie",
wenn Sie bei 44 % der Stimmen 59 % der Mandate bekommen?
Unsere Haltung, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, gibt uns nun aber auch das Recht, für ein grundsätzlich gleiches Wahlrecht im Bundestag einzutreten! Ihre zwiespältige, lediglich
auf parteiegoistischen Motiven beruhende Haltung aber
nimmt Ihnen das Recht, die deutsche Öffentlichkeit in einer Frage, in der es um Sein oder Nichtsein der deutschen Demokratie geht, mit Worten zu verwirren und zu vergiften, wie Sie es getan haben!
Es ist nicht uninteressant, zu hören
— vielleicht hören Sie mir mal zu, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, es kommt etwas für Sie Interessantes —, welche Argumente die sozialdemokratischen Sprecher bei der Verabschiedung der Wahlgesetze in der Bürgerschaft Hamburg und im Landtag Hessen vorgebracht haben. Hier habe ich eine ganze Anzahl solcher Äußerungen. Ich möchte mich aber darauf beschränken, nur eine Äußerung, die der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Richter in der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft am 27. Juli getan hat, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorzulesen:
Das Verhältniswahlrecht
— hat Richter gesagt —
hat neben seinen großen Vorzügen auch erhebliche Schwächen, insbesondere auch dadurch, daß es verhältnismäßig kleinen Parteien und Interessentengruppen eine Vertretung im Parlament ermöglicht. Wir
— die Sozialdemokratie —
sind der Meinung, daß das Mehrheitswahlrecht die Möglichkeit bietet, das Gewicht jeder einzelnen Stimme des Wählers wieder stärker zur Geltung zu bringen, daß es die persönliche Verantwortung des Abgeordneten steigert und vor allem eine bessere Chance bietet, tragfähige Mehrheiten im Parlament zu bilden.
So die Äußerung von Herrn Richter. Ich könnte Ihnen auch noch viele derartige Äußerungen vorlesen.
Diese Äußerungen fielen immer, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wenn es darum ging, mit Hilfe eines mehrheitsbildenden. Wahlrechts an die Macht zu kommen.
Ich glaube aber, ich kann mich hier darauf beschränken, nur noch eine Äußerung wiederzugeben, die Herr Bürgermeister Brauer als Senatskommissar bei der Einbringung des Wahlgesetzes in der Bürgerschaftssitzung vom 26. November 1952, also vor kurzem, getan hat und die in einem so bemerkenswerten Gegensatz zu seinen Worten „kalter Staatsstreich" und „Wechselbalg" und „Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!" steht.
Herr Brauer hat nämlich zur Begründung des Hamburger Wahlrechtsentwurfs — der, wie ich sagte, dem Regierungsentwurf grundsätzlich gleicht — folgendes gesagt — Sie finden diese Worte im amtlichen Protokoll der 20. Sitzung vom 26. November —:
Ein Wahlrecht
— hat Herr Brauer gesagt —
wie das Hamburger kann von sich sagen bzw. man kann von ihm sagen: es ist ein demokratisches Wahlrecht.
Das, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sagte der Herr Brauer — um Ihre Worte zu gebrauchen — von dem „SPD-Sicherungsgesetz, das Ihner mit 42 % Stimmen 75 % und nachher 54 % der Mandate ermöglicht hat.
Zum Abschluß noch unser Antrag, der dahin geht, die drei vorliegenden Gesetzentwürfe einem neu zu bildenden 27er-Sonderausschuß für Wahlrecht zu überweisen. Wir sind mit unseren Koalitionspartnern, für die ich diesen Antrag ebenfalls stellen darf, der Meinung, daß dieses Gesetz von den Wahlrechtsspezialisten der Parteien bearbeitet werden muß und daß diese Spezialisten in einem neuen Sonderausschuß, der so groß ist, daß auch alle Fraktionen daran teilnehmen können, zusammengefaßt werden sollten.