Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Hätten Sie es getan, Herr Dr. Adenauer, dann hätten Sie feststellen können und müssen, daß Sie ein Kanzler ohne Volk sind und daß das Volk gegen Sie als Kanzler steht.
Sie haben es nicht getan. Deswegen besteht gar keine Veranlassung, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, um die Stimmung der Bevölkerung Westdeutschlands gegen diese Bundesregierung noch besonders in Bewegung zu bringen; Ihre eigene Politik sorgt schon dafür.
Wenn also der Staatssekretär im Rundfunk eine solche Erklärung abgegeben hat, dann ist das doch nur ein Beweis dafür, wie verkrampft man danach sucht, von der eigenen Schuld und der eigenen Verantwortung abzulenken.
Ich glaube, es kann nicht bestritten werden, daß das Gesetz, das hier vorliegt, und auch die Ursachen, die zu diesem Gesetz geführt haben, eine einzige Anklage gegen die amerikanischen Hetzzentralen und gegen die Bundesregierung selbst sind.
Wenn ein Mann wie der Rundfunkkommentator im Bayerischen Rundfunk, Herr von Cube, Vorschläge dafür macht, wie das Flüchtlingsproblem gelöst werden kann, dann möchte Herr Dr. Lehr am liebsten sofort seinen Revolver zücken, um den Mann mundtot zu machen.
Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer versucht, in der Frage der erzeugten Panikstimmung abzuschwächen und zu beruhigen. Er kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses sogenannte Ostzonenflüchtlingsproblem von hier aus, von Westdeutschland aus organisiert worden ist und organisiert wird.
Die Tatsachen sprechen ihre eigene Sprache.
Ich darf darauf hinweisen, wie man gegen die Deutsche Demokratische Republik solche Panikstimmungen organisiert,
wie man durch Abruf Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Westen lockt. Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte und Handwerker erhalten geheimnisvolle Telefonanrufe, in denen behauptet wird, sie seien in Gefahr, verhaftet zu werden, und man fordert sie auf, das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik schleunigst zu verlassen.
In Geschäfte, zu verschiedenen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik gehen solche Agenten und sagen ihnen: Setzen Sie sich ab! Sie sind in Gefahr, verhaftet zu werden! Verlassen Sie schleunigst Ihre Wohnung und verlassen Sie das Gebiet — wie sie dann sagen — der Ostzone!
Ich erinnere an die Diskussion in der vergangenen Woche. Es ist erwiesen, daß Bauern telefonisch nach Westdeutschland abgerufen worden sind.
— Ich würde an Ihrer Stelle nicht zu früh lachen,
denn einige von diesen Agenten sind bereits dingfest gemacht worden, Agenten, die diese Abwanderung nach dem Westen organisieren und veranlassen.
In Halle an der Saale entstand unter dem jüdischen Teil der Bevölkerung eine Unruhe, weil diesen Menschen gleichfalls Nachrichten zugeflüstert wurden, sie seien in Gefahr.
Daraufhin fand eine Versammlung statt, an der alle teilgenommen haben und in der festgestellt wurde, daß sie das Opfer solcher Hetze und Panikmache geworden sind. Das Resultat war, daß an all dem,, was ihnen mitgeteilt worden ist, auch nicht ein Fünkchen Wahrheit ist.
Ich hatte in der vergangenen Woche Gelegenheit, auf die Resultate der Hetzarbeit des Kaiser-Ministeriums, der Bundesregierung, von RIAS-Berlin und der Ostbüros der von mir damals genannten Parteien hinzuweisen. In Hechingen fand am vergangenen Samstag eine Versammlung der sogenannten Ostzonenflüchtlinge statt. In dieser Versammlung erklärte ein Redner: „Wir sind das Opfer der Versprechungen von RIAS-Berlin geworden; nachdem wir nun hier sind, hat man uns der Not und dem Elend überlassen!"
Drei Viertel der Teilnehmer dieser Versammlung
in Hechingen haben den Saal verlassen. Die Em-
)
pörung darüber, wie mit diesen Menschen Schindluder getrieben worden ist,
wird — daran wird ebenfalls kein Zweifel bestehen — eines Tages gegen Sie selber umschlagen, weil Sie für diesen Zustand, für diesen sogenannten Flüchtlingsstrom die Verantwortung tragen.
In der Entschließung, die die Fraktionen der Regierungskoalition und auch die sozialdemokratische Fraktion eingebracht haben, wird von einer Massenvertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat gesprochen. Das ist eine bewußte Entstellung der Tatsachen. Es ist selbstverständlich, daß Sie nicht wahrhaben wollen und nicht zugeben können und dürfen, daß das Resultat auf Ihre eigenen Maßnahmen, auf Ihre eigene Hetze, auf Ihre eigene Propaganda zurückzuführen ist.
Ich möchte noch einmal auf das Zahlenspiel zu sprechen kommen, das ich bereits in der vergangenen Woche angeführt habe und das im Bulletin der Bundesregierung in Form einer Jahresübersicht über die sogenannten Sowjetzonenflüchtlinge vom Jahre 1952 veröffentlicht worden ist. In diesen Zahlen — und ich möchte noch einmal unterstreichen: wir bezweifeln diese Zahlen und stützen uns dabei insbesondere auch auf die Erklärung des Staatssekretärs Dr. Schreiber vom Flüchtlingsministerium —
wird unter anderem angegeben, daß von 182 000 Menschen im Jahre 1952 die Zahl derjenigen, die, wie es heißt, wegen Lebens- oder Freiheitsgefährdung herübergekommen sind, d. h. diejenigen also, die Sie als politische Flüchtlinge ansprechen, 7537 Personen ausmacht. Das ist also nur ein ganz geringfügiger Prozentsatz.
Demgegenüber ist festzustellen, aus welchen Gründen die anderen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen haben. Das sind — das möchte ich noch einmal zusammenfassend sagen — einmal die Gruppe jener, die das Opfer der Hetze, der Propaganda, das Opfer jener Panikstimmung sind, die organisiert wurde, damit diese Menschen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen, und jene anderen, die aus kriminellen Gründen herüberkamen, und die dritte Gruppe bilden die, die als Agenten die Hauptverantwortung für das tragen, was hier vor sich geht.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz — ich sagte es schon — ist eine einzige Anklage gegen Sie selbst, gegen die Bundesregierung und gegen die amerikanischen Dienststellen der Propaganda und der Hetze. Wir lehnen dieses Gesetz ab. Wir sind der Meinung, daß die Frage so gelöst werden muß, daß diesen Zentralen der Hetzpropaganda das Handwerk gelegt wird,
daß ihnen ein für allemal die Möglichkeit genommen wird, deutsche Menschen gegeneinander zu hetzen,
daß zum anderen die Frage der deutschen Einheit
endgültig geregelt wird. Dann wird nicht nur den
Hetzzentralen das Handwerk gelegt werden, sondern dann wird auch dieses Problem gelöst sein.