Rede von
Josef
Becker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute das zweite Mal, daß ich hier über Verhältnisse und Probleme spreche, die mit dem Ort Schweigen an der pfälzischen Grenze zusammenhängen. Die Große Anfrage der SPD vom 18. November behandelt ein Problem, das alle Deutschen ohne Unterschied der politischen Richtung seit Jahren beunruhigt und mit ernster Sorge erfüllt. Ich darf auch meinerseits sagen, daß es uns mit besonderer Freude erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler zu diesem für das ganze Volk so ernsten Problem hier Stellung genommen hat.
Ich darf auch daran erinnern, daß meine Fraktion durch die Anfrage Nr. 303 vom 17. November 1952 der Bundesregierung ihre ernste Sorge für die deutsche Jugend wegen des Grenzzwischenfalls in Schweigen am deutschen Weintor zum Ausdruck gebracht und Maßnahmen gegen die Wiederholung dieses bedauerlichen Zwischenfalls gefordert hat.
Was ist in Schweigen geschehen? Ich möchte nicht wiederholen, was bereits in der Antwort der Regierung auf Drucksache Nr. 3924 ausgeführt wurde, was der Herr Bundeskanzler heute noch einmal ausdrücklich unterstrichen hat und was auch von meinen Herren Vorrednern zum Teil noch ergänzt und wiederholt wurde. Lassen Sie mich aber das Wesentliche noch einmal feststellen. Junge deutsche Menschen, die aus den verschiedensten Gründen, oft freiwillig, oft aber auch unter Vorgaukelung von Illusionen und unter Anwendung von verabscheuungswürdigen Werbemethoden in die Fänge der Werber und Werbebüros der Fremdenlegion geraten, werden in einer Kaserne der französischen Besatzungsmacht auf deutschem Gebiet in französische Uniform gesteckt und zur
Grenze gebracht. Deutsche Grenz- und Zollbeamte, die in Erfüllung ihrer Pflicht unbewaffnet das Öffnen der Zollschranken verhindern wollen, werden durch bewaffnete französische Gendarmerie gewaltsam zur Seite gedrängt und an der Erfüllung ihrer Pflicht gehindert. Französische Besatzungsstreitkräfte leisten aktiven Beistand zum völkerrechtswidrigen Verbringen von Angehörigen eines besetzten Landes in die Streitkräfte einer Besatzungsmacht.
Die Angelegenheit ist uns zu ernst, um vielleicht in überschwenglichem Nationalismus zu machen; aber eines, glaube ich, müssen wir doch sagen: daß es mit der Ehre unseres Landes und Volkes einfach nicht zu vereinbaren ist, wenn deutsche Staatsangehörige freiwillig oder gewaltsam über die Grenze gebracht werden, um Militärdienst in einem anderen Land zu tun. Daß dieses Tun mit den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts nicht vereinbar ist, sagte ich schon.
Die Überschreitung der deutschen Grenze durch Deutsche ohne Vorlage eines Reisepasses verstößt gegen die deutschen Bestimmungen. Die Unrechtmäßigkeit des illegalen Grenzübertritts wird nicht dadurch behoben, daß die Deutschen in französische Uniformen gekleidet werden, da sie dadurch nicht zu Besatzungsstreitkräften im Sinne des Gesetzes Nr. 2 der Alliierten Hohen Kommission geworden sind.
Leider ist der Zwischenfall in Schweigen vom 13. November 1952 kein Einzelfall. Wenngleich bisher außer in Schweigen keine Gewaltanwendung in diesem Ausmaß an deutschen Grenzstellen vorkam, war es und ist es doch ein offenes Geheimnis, daß aus der Fortkaserne in Landau regelmäßig Transporte mit jungen Deutschen über die Grenze bei Schweigen gebracht werden, meist mit Militärlastwagen, die mit geschlossenen Planen überdeckt sind und deren Durchsuchung den deutschen Zollbeamten nicht gestattet ist. Wie j a der Vorfall von Schweigen beweist, hatten die jungen Menschen strenges Schweigegebot und konnten sich deshalb dem Posten nicht bemerkbar machen.
Wie schon der Herr Bundeskanzler eben ausgeführt hat, sind außer am 13. November auch noch an anderen Tagen Grenzübergänge erfolgt, neben dem 15. und 26. November noch am 5. Dezember und am 8. Dezember. Alle Omnibusse an diesen vier jetzt genannten Tagen kamen innerhalb 20 Minuten leer zurück, ein Beweis, daß sie ihre Menschenfracht nach dem etwa 2 Kilometer entfernten Weißenburg gefahren und dort ausgeladen hatten. Das ist die traurige Bilanz eines einzigen Monats an nur einer einzigen deutschen Übergangsstelle unter den Augen der deutschen Grenzorgane, die ohnmächtig zusehen mußten.
Neuerdings werden die Legionsanwärter, mit Dienstvorschriften und Kontrollschein versehen, angewiesen, bis in die nächste Nähe der Grenze mit einem Freifahrtschein der Bundesbahn zu fahren und dann einzeln an bestimmten Stellen die grüne Grenze zu passieren.
In einer Werbeschrift, die uns vorliegt, die von verabscheuungswürdigen Subjekten jungen Deutschen im Bundesgebiet in die Hand gedrückt wird, ist angegeben, daß sich Werbestellen für die Fremdenlegion in Koblenz, Horchheim, Landau/Pfalz, Rottenburg und Offenburg befinden. Französische Besatzungsstellen in Deutschland geben den Bewerbern zum Teil ohne jede Vorprüfung Freifahrtscheine zur nächsten Werbestelle und diese wie-
derum an die nicht angenommenen Bewerber freie Rückfahrscheine. Ich möchte auch das unterstreichen, was der Kollege Paul hier schon gesagt hat, daß das deutsche Volk mit seinen Besatzungskosten die Werbekosten für die Fremdenlegion bezahlt. Mir ist eine Nachricht zugegangen, nach der beispielsweise vom 1. April 1952 bis zum 25. September 1952 3060 Jugendliche mit Freifahrtschein in Landau angekommen sind. Zirka 40 % dieser jungen Leute erhielten Rückfahrscheine, weil sie auf den Werbestellen nicht angenommen wurden. Neuerdings, nachdem immerhin der Zwischenfall von Schweigen Aufsehen erregt hat, hat man andere Methoden gesucht. Man hat festgestellt, daß die jungen Legionsanwärter mit der Eisenbahn bis Edenkoben in der Pfalz fahren, dort mit Lastautos abgeholt und nach Ludwigshafen verbracht werden und schließlich per Schiff den Rhein aufwärts fahren.
Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat sich wiederholt an die Besatzungsmacht mit der Bitte um Abstellung dieses Zustandes wenden müssen. Wir haben es dankbar begrüßt, daß uns auch der Herr Bundeskanzler hier von den Bemühungen berichtet hat, die seitens der Bundesregierung in der letzten Zeit unternommen wurden. Wir haben es wohl alle begrüßt, daß der Landtag von Rheinland-Pfalz am 18. November 1952 einmütig mit der Landesregierung zusammengestanden und die Verhältnisse an der Landesgrenze gebrandmarkt hat.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit nur wenige Sätze zitieren, die der Herr Ministerpräsident aus diesem Anlaß vor dem Landtag in Mainz ausgesprochen hat:
Ich glaube feststellen zu dürfen, daß Landtag und Landesregierung einmütig übereinstimmen in der Verurteilung eines Systems, das Deutsche in unserem eigenen Lande als Söldner anwirbt, um sie fremden Interessen zu opfern. ... Unsere Verurteilung betrifft schon dieses System und diese Methoden als solche. Um so mehr aber müssen wir unserer Empörung darüber Ausdruck verleihen, daß irgendwelche Stellen glauben, dieses finstere Geschäft des Menschenhandels selbst mit Gewalt unter Außerachtlassung der deutschen Gesetze betreiben zu dürfen.
So weit der Herr Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Ich glaube, daß nicht nur die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz, sondern das ganze deutsche Volk einmütig derselben Meinung ist.
Wenngleich die Bundesregierung in ihrem Handeln noch eingeengt ist, wird sie doch nichts unterlassen dürfen, um dieser Schmach Einhalt zu gebieten. Wir würden es wohl alle sehr begrüßen, wenn der auf Initiative von Rheinland-Pfalz durch den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches von diesem Hohen Hause baldigst verabschiedet würde, damit wenigstens den Werbern für die Fremdenlegion das schmutzige Handwerk gelegt werden kann. Wir begrüßen es, daß der Rechtsausschuß diese Vorlagen heute bereits verabschiedet hat, so daß der Bundestag sich in der nächsten oder übernächsten Woche mit diesem Problem befassen kann. Wir begrüßen es auch, daß sich der Jugendfürsorgeausschuß heute mit diesem Problem beschäftigt und über Fürsorgemaßnahmen für unsere deutsche Jugend beraten hat.
Es wird notwendig sein, durch eine intensive Aufklärungsaktion unsere Jugend vor den Gefahren und Schrecken zu warnen, die die Söldnerschaft
in der Fremdenlegion mit sich bringt. Plakatanschläge, insbesondere in den Grenzgebieten, könnten hier wohl helfen. Aber nicht nur der Staat, sondern auch Elternschaft, Jugendorganisationen sowie Schulen müssen und können hier aufklärend wirken. Heime und Arbeitsstätten, wie wir sie zum Teil schon für die Jugend in der Pfalz haben, müssen ausgebaut und vermehrt werden, um die arbeitslose und vielfach streunende Jugend, die oft aus dem Osten unseres Vaterlandes kommt und noch keinen festen Fuß fassen konnte, vorübergehend aufzunehmen und sie in geordnete Verhältnisse zu bringen.
Es müßte weiterhin überlegt werden — und dieser Wunsch wird an der Grenze oft zum Ausdruck gebracht —, ob nicht bei den besonders exponierten Grenzübergangsstellen unser Bundesgrenzschutz zusätzlich den verstärkten Schutz deutscher Menschen übernehmen sollte. Vorfälle wie der am 13. November 1952 in Schweigen dürfen sich im Interesse des Rechts und der gegenseitigen Achtung einfach nicht wiederholen.
Unseren Männern vom Zolldienst in Schweigen sei an dieser Stelle ein besonderes Wort der Anerkennung gesagt. Sie haben durch ihr ruhiges und besonnenes Verhalten noch Schlimmeres verhütet, als sie eine Stunde lang etwa 20 bewaffneten französischen Zoll- und Gendarmeriebeamten gegenüberstanden. Es war bei der beleidigenden Behandlung, die sie erfahren mußten, sicher nicht leicht für diese unsere Männer.
Unserem Nachbarn Frankreich möchten wir aber hier und über die Grenze zurufen, er möge es doch verstehen, daß wir uns selbst aufgeben würden, wollten wir diesem Verbrechen des Menschenhandels noch länger zusehen. Wir reden so viel von der Integration Europas. Ja, wir wünschen und wollen diese Integration ehrlich im Interesse unserer Völker. Aber diese gemeinsame Arbeit und Zielsetzung ist doch nur möglich bei gegenseitiger Achtung. Diese notwendige Achtung und das ebenso notwendige Vertrauen bekommen aber durch diese auf deutschem Gebiet geübten Methoden immer wieder einen Knacks.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir als einem Abgeordneten aus dem Grenzland bei dieser Gelegenheit eine Zwischenbemerkung. Gerade die Grenzbevölkerung von Rheinland-Pfalz muß im Augenblick sehr große Opfer bringen für die Sicherheit Europas, Opfer, die bei etwas mehr Verständnis, insbesondere bei der Landbeschlagnahme, geringer gehalten werden könnten.
Die Meinung, daß die Beschlagnahmen nicht immer unter dem Gesichtspunkt der unbedingten Notwendigkeit, sondern als einseitiges Diktat des Siegers von gestern vorgenommen werden, ist bei der Bevölkerung schwer auszuräumen, wenn immer nur Land erster Bonitätsklasse herangezogen wird, obschon einige Kilometer weiter geringeres Land zur Verfügung steht. Das gilt beispielsweise für den Fall Sembach bei Kaiserslautern, wo drei oder vier Kilometer nebenan der alte, brachliegende Exerzierplatz der früheren Reichswehr zur Verfügung stände, oder für den Fall Mühlhofen-Iggelheim im Kreis Bergzabern, wo erst am vergangenen Dienstag die Bauern gemeinsam mit der Regierung und Vertretern aller Parteien eine Protestkundgebung veranstaltet haben, weil bestes Ackerland und Weinberge als Panzerübungsgelände herangezogen wur-
den, obschon auch hier im sogenannten Bienwald geringeres Land im Austausch vorhanden wäre und obschon sich nur einige Kilometer weiter, am Ebenberg bei Landau in der Pfalz, Panzergelände befindet, das ebenfalls brachliegt. Einige Kilometer weiter nach der anderen Seite liegt auf französischem Boden der große Truppenübungsplatz Bitsch, für Panzer nach unserer Meinung doch sicher keine unüberwindliche Entfernung.
Jetzt lassen Sie mich zu unserem eigentlichen heutigen Thema abschließend noch zwei Sätze sagen. Stehen wir alle, Regierung und Parlament, in dieser Frage einmütig zusammen ohne Unterschied der sonstigen politischen Auffassungen! Helfen wir gemeinsam der deutschen Jugend, und mancher Vater wird sich um seinen Jungen nicht mehr grämen, und manche Mutter wird sich nicht mehr die Augen rot weinen müssen um den Sohn, der aus Leichtsinn oder Unerfahrenheit in einer dunklen Stunde einen Schritt tat, den er sein ganzes Leben bereuen wird.