Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Wuermeling veranlassen mich, einige Anmerkungen zu machen. Über das Wahlgesetz werden wir bei der ersten Lesung sprechen. Herr Wuermeling hat mich aber unmittelbar angesprochen, und deswegen will ich ihm auch unmittelbar antworten. Ich war 1949 für das Mehrheitswahlrecht und würde auch heute noch dafür sein
— das hat mit der Partei gar nichts zu tun —,
wenn ich in diesen vier Jahren nicht die Erfahrungen mit den „Wuermelingen" gemacht hätte.
Wenn Sie der Bevölkerung nicht immer wieder mit dem „roten Gespenst" drohten, wenn Sie nicht jahrzehntealte Schlager hervorholten, wenn Sie sich nicht nur im Negativen gegen die SPD zusammenschlössen, um nach der Wahl wieder auseinanderzugehen, und wenn dann jede Partei von Ihnen nicht wieder ihre eigenen Interessen verträte, könnte man darüber reden. Aber so, wie die Dinge heute liegen, bleibt mir nichts anderes übrig, als ein Bundeswahlgesetz zu wünschen, das den neuen Bundestag unter genau den gleichen Bedingungen wie den alten
und — hören Sie zu — mit denselben Wahlkreisen wählt. Erst dann ist es eine echte Wahl; erst dann können wir wirklich den Willen der Wähler erkennen.
Zur Außenpolitik! Es ist noch klar in unser aller Erinnerung, daß wir von der Opposition aus es beklagt haben, daß der Herr Bundeskanzler mit der Opposition keine Fühlung genommen hat. Das haben Sie in Ihren eigenen Kreisen ja auch oft beklagt. Daß Herr Ollenhauer es jetzt für sinnlos hält, in dieser Situation einen Briefwechsel fortzuführen, der nichts anderes als Zeitverschwendung bedeutet, das wäre wohl einzusehen.
Kommen neue Tatsachen und neue Situationen, dann, davon bin ich überzeugt, kann auch neu geredet werden.
Zu den schönen Flugblättern von Herrn Wuermeling werde ich doch nun demnächst einmal
sehr genau Stellung nehmen. Im Ton, glaube ich, sind Sie mir über, aber in der Richtigkeit bin ich Ihnen über!
Zu den Preisen! Die Preise lagen 1949 80 % höher als die Preise am Währungsstichtag. Die Löhne und Gehälter aber waren auf Grund der Stopplöhne genau die gleichen. Es ist also ein unzulässiges Verfahren, so wie Sie es machen, die Preise und Löhne von 1949 mit denen von 1948 zu vergleichen.
— Das ist auch überzeugend!
— Ich kann Ihnen noch Material dazu bringen!
Die Lebenshaltung der Arbeitnehmer habe sich in der sogenannten sozialen Marktwirtschaft gebessert, sagt Herr Horn. Das wird gar nicht be stritten.
— Das ist auch nie bestritten worden. Aber bei Ihrer Art, Statistik zu interpretieren, übersehen Sie immer, daß die statistischen Zahlen für gewisse Schichten des Volkes und für gewisse Gebiete nicht repräsentativ sind. Kommen Sie mit mir nach Schleswig-Holstein, und ich werde Ihnen dort massiert Rentner und Arbeitslose, Dauerarbeitslose, zeigen, die ein Renteneinkommen haben, welches weit unter dem Existenzminimum liegt, und die von Ihren freundlichen Zahlen in keiner Weise erfaßt werden!
Dort, wo die Arbeitslosen massiert in bestimmten Notstandsgebieten zusammengedrängt sind, herrscht eine solche Not, daß es unrecht ist, diese Not mit solchen allgemeinen Redensarten wegdiskutieren zu wollen.
Auf alle anderen Dinge will ich jetzt nicht eingehen. Ich will nur die Frage beantworten, inwiefern die Opposition geholfen habe. Der Herr Bundesfinanzminister kann sich über Unsachlichkeit seitens der Opposition nicht beschweren. Ich will Ihnen genau sagen, wie die Opposition geholfen hat: Die Opposition hat geholfen, bei Hunderten von Gesetzen, sachkundig, tatkräftig und fleißig mitzuarbeiten. Sie hat zahlreiche Gesetzentwürfe initiativ eingebracht. Sie hat Kritik und Kontrolle ausgeübt.
Wo stünden wir bei dieser Bundesregierung, wenn die Opposition nicht Kritik geübt hätte?
Das ist die Aufgabe der Opposition, und im großen und ganzen wird niemand von Ihnen bestreiten können, daß die Opposition
stets eine konstruktive Mitarbeit in diesem Parlament bewiesen hat.