Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Worte des Vorredners Wuermeling anschließen, der sagte: eine Erfolgsbilanz sei Ihnen heute vorgelegt worden.
Sehr richtig, eine Erfolgsbilanz der Steuerbüttel der Finanzämter, die die Zahl derer, die durch diese verfehlte Finanzpolitik und Eintreibepolitik der Finanzämter ruiniert worden sind, Ihnen bis jetzt aber leider nicht mitgemeldet haben! Eine Erfolgsbilanz der Regierung Adenauer zugunsten derer, die sich fette Kredite durch die Regierung und durch gewisse Regierungsabgeordnete zu verschaffen gewußt haben! Eine Erfolgsbilanz derer, die durch die Regierung Adenauer zu Tausenden
in Posten hineingekommen sind, obgleich sie keine Ahnung vom Tuten und Blasen haben,
obwohl sie nicht für die Posten geeignet sind, die sie heute bekleiden, weil sie einmal etwas ganz anderes gelernt haben, als Oberregierungsrat oder Ministerialrat zu spielen!
Eine Erfolgsbilanz für alle diejenigen wie Sie, Herr Kollege Wuermeling; damit haben Sie allerdings Recht gehabt.
Auf der andern Seite Ihrer Bilanz aber stehen Millionen von Mittelstandsexistenzen, die kaum mehr wissen, wie sie mit ihren Betrieben durchkommen sollen.
Auf der andern Seite steht immer noch eine Riesenarbeitslosenzahl, die von Ihnen in der Statistik völlig falsch angegeben wird, meine Herren von den Regierungsparteien: Sie verschweigen nämlich die jugendlichen Arbeitslosen, die früher noch nicht in Arbeit standen, bei all diesen statistischen Mätzchen, die Sie da machen! Auf der andern Seite kleine Rentner und so fort, denen man jetzt sogar das verbilligte Brot noch nehmen will.
Auf der andern Seite Kriegsversehrte, für die der Herr Bundesfinanzminister kein Geld mehr hatte zur Aufbesserung ihrer Renten. Sie haben ihn doch die ganzen Jahre hindurch gehört! Er hatte niemals Geld; er erklärte, daß eine auch nur geringfügige Erhöhung der Versehrtenrenten bei ihm schon den finanziellen Dalles in seinen Kassen bedeuten würde. Das alles hat er Ihnen damals gesagt. Heute ist plötzlich genügend Geld da! —
So sieht diese Bilanz aus, eine Erfolgsbilanz für ein
paar hunderttausend, vielleicht ein paar Millionen
Leute in diesem Lande, und eine Mißerfolgsbilanz
größten Umfanges für diejenigen, die sich nicht der Gunst der Adenauer-Clique erfreuen.
Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich genug, daß heute in diesem Hause anläßlich der Debatte über den Haushaltsplan, der sich um volle 26 000 Millionen DM dreht — um 26 Milliarden DM geht es heute! —, es kaum 10 bis 20% der Abgeordneten für nötig gehalten haben, wenigstens teilweise bei diesen Debatten hier anwesend zu sein, und daß sie schon so lammfromm geworden sind — die Herren von den Regierungsparteien —, daß sie es kaum mehr wagen, auch nur noch ein bißchen Kritik an diesem unerhörten Ausgabenplan der Regierung Adenauer-Schäffer zu üben.
Meine Damen und Herren! Das soll vielleicht noch ein Erfolg sein,
daß sich der Haushaltsplan von 8 Milliarden DM
— oder waren es wohl 12 Milliarden DM im ersten
Haushaltsjahr — auf bereits jetzt 26 Milliarden DM
erhöht hat! Das soll vielleicht Euer Erfolg sein?! Das Sozialprodukt ist prozentual nur in viel geringerem Umfange in die Höhe gegangen als die Steuern des Herrn Bundesfinanzministers!
— Wem die Milliarden zugute kommen, Herr Zwischenrufer, das kann ich Ihnen gleich sagen. Sie kommen zugute einer völlig verfehlten Wirtschaftspolitik,
sie kommen zugute den Zehntausenden von Nichtskönnern, die in den Ämtern drinnen hocken und durch Sie und Ihre Leute dort hineingebracht worden sind;
sie kommen zugute gewissen Günstlingen der Regierung, die Kredite am laufenden Band bekommen haben
— unterbrechen Sie mich doch nicht immer, Sie Zwischenschreier da vorne —;
sie kommen zugute einigen Zehntausenden Kreditnehmern, die Kredite bekommen haben und sie dann verwirtschaftet haben. Im übrigen müßte man sich fragen, ob wir überhaupt von einem wirtschaftlichen Wiederaufstieg hier in diesem Lande reden sollen. Man müßte mit solchen Ausdrücken etwas sparsamer sein; sonst kann es einem nämlich passieren, daß sogar ausländische Zeitungen
— wie neulich Schweizer Zeitungen —
schreiben, daß diese schönen Straßen hier in Bonn und Köln und München nur Fassaden sind, so wie der Kurfürstendamm in Berlin jetzt eine große Fassade ist, hinter der sich das Elend derer verbirgt, die heute noch in Holzbaracken und Bunkern wohnen müssen, hinter der sich das Elend von Hunderttausenden von mittelständischen Existenzen verbirgt,
die kaum mehr wissen, wie sie ihr Geschäft aufrechterhalten können, und das Elend der Kriegsopfer und Arbeitslosen!
Meine Damen und Herren: in der unerhörtesten Art und Weise ist Geld von der Regierung Adenauer für schlechte Zwecke hinausgeschmissen worden!
Soll ich Sie an einige Umfragen erinnern, die neulich stattfanden? In Kempten hat eine Umfrage ergeben, daß 80 % der Beamten und Angestellten des dortigen Landratsamts überhaupt keine Vorbildung für ihren Posten haben,
daß dort sogar Schreibfräuleins eingestellt waren, die überhaupt nicht maschineschreiben und stenographieren konnten, daß dort juristische Referenten eingestellt waren, die in ihrem Leben noch keine juristische Vorlesung besucht haben.
So, wie es hier auf der Basis Landratsamt ist, so ist es auf der Basis Bundesministerium des Innern oder der Finanzen usw.; genau so! Und so geht das hinauf bis in die obersten Stellen.
Und die Millionen, die vom Kaiser-Ministerium hinausgeschmissen werden, um die Annahme dieses Schand-EVG-Vertrages durchzupeitschen, diese Millionen sollte man uns einmal aufgeschlüsselt hier vorführen. Diese Propaganda der Regierung mit Steuerzahlergeldern, um ihre eigenen Zwecke, nicht die Zwecke der Steuerzahler, zu erreichen, — ein Skandal in der deutschen Verwaltungspraxis, wie er schlimmer selbst in den schlimmsten Zeiten des Verwaltungsmißbrauchs des „Dritten Reiches" noch nicht dagewesen ist —,
dieser Einsatz der Mittel der Steuerzahler für eine
Propaganda der Regierung und nur der Regierung!
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß die wenigsten von Ihnen diesen Haushaltsplan bis zu Ende durchgelesen haben, diese dicken Bücher, ungefähr einen halben Meter dick, alles zusammengerechnet,
sonst wäre es kaum zu verstehen, daß hier nicht ein schärfster Kampf heute begonnen hat, um diese einzelnen Posten anzugreifen und zu zerpflücken, die von einer geradezu unerhörten Aufblähung des Verwaltungsapparates in all den betreffenden Ministerien zeugen. Mein Herr Vorredner von der CDU, Sie sagen, Sie hätten k e in e Planwirtschaft, Sie hätten so etwas wie freie Marktwirtschaft. Ich antworte Ihnen: Sie haben dafür einen Etatismus in größtem Umfange.
Das ist bekanntlich die schlimmste Planwirtschaft, der Etatismus! Sie haben einen Etatismus in Form eines künstlich auf 26 Milliarden DM aufgeblähten Haushaltsplanes. Da wagen Sie noch von freier Marktwirtschaft zu reden!
Geld haben Sie heute kurz vor der Wahl plötzlich in der Kasse. Jetzt versprechen Sie auf einmal Steuersenkungen.
Nach der Wahl werden Sie die Steuern — falls Sie wieder ans Ruder kämen — wieder hinaufsetzen!
Nachdem Sie heute so schöne Worte über das künftige Wahlsystem gefunden haben, muß ich Ihnen doch dazu noch ein bißchen sagen. Das liegt Ihnen ja anscheinend sehr am Herzen. Nach der heutigen Entscheidung des Bundesrates und des Rechtsausschusses des Bundesrats kann ich das ja sehr verstehen, daß Ihnen das auf dem Magen liegt. Meine Herren, ich möchte Ihnen dazu sagen: Ob Verhältniswahlrecht oder Persönlichkeitswahlrecht, Sie werden die Mißbräuche des Parlamentarismus, die vom Volk draußen mit Recht so gerügt werden, n i c h t beseitigen oder auch nur eindämmen können, weder durch das eine noch durch das andere System, wenn Sie nicht eines tun, was die WAV schon immer gefordert hat, was aber von Ihnen verlacht und verspottet worden ist:
Sie müssen die Allmacht der Abgeordneten, ganz egal, ob sie durch Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht gewählt sind, einschränken! Sie müssen wenigstens die wichtigsten Gesetze, von
denen Wohl und Wehe unseres Volkes auf Jahrzehnte hinaus abhängt, dem Volk zur geheimen Abstimmung vorlegen!
Das müssen Sie tun. Erst d an n werden Sie ein gutes Wahlrecht und eine Förderung der Demokratie in diesem Lande haben.