Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Gülich hat in seinen Ausführungen zum Haushaltsplan erklärt, es sei Aufgabe der Opposition, der Regierung zu helfen.
Ich habe in seinen Ausführungen leider vergeblich nach einem einzigen Punkt gesucht, den wir als Hilfeleistung für unsere Aufbauarbeit werten und auslegen könnten.
Ich hatte überhaupt gedacht, daß, nachdem der gestrige Tag nach der so eindrucksvollen Rede des Herrn Bundesfinanzministers doch eindeutig zum Tag der Regierung geworden war,
die Opposition den Versuch machen würde, den heutigen Tag zu einem Tag der Opposition zu machen. Aber jetzt gegen Abend, da wir am Schluß der Debatte stehen, habe ich das Gefühl, daß aus diesem Tag der Opposition allenfalls eine Nacht der Opposition geworden ist.
Denn wir haben nichts entdecken können, was im Raum der Opposition irgendwie als Erleuchtung für die Arbeit der Regierung oder der Regierungsparteien hätte genutzt werden können.
Meine Damen und Herren, der große Tatsachenbericht des Herrn Bundesfinanzministers schloß gestern nicht nur mit Ergebnissen finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Art, über die wir unserer Opposition immer wieder sagen müssen, daß das gesamte Ausland, die ganze Welt mit Staunen und Bewunderung davor steht, sondern dieser Bericht des Herrn Finanzministers schloß obendrein noch damit, daß trotz all der Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, diese Bundesregierung und diese Koalition dem deutschen Steuerzahler nun schon die zweite Steuersenkung nach der ersten von 1950 bringen konnten. Nach diesen drei schweren Aufbaujahren noch mehr zu verlangen, scheint mir wirklich nicht einmal das Recht der Opposition zu sein.
Wiederholen wir es ruhig noch einmal: Früher, vor ein oder zwei Jahren, hörten wir noch von der „Katastrophenpolitik" der Bundesregierung und von dem „sozialen Ärgernis", das wir geschaffen hätten. Nun, wenn diese Katastrophenpolitik der Bundesregierung dazu geführt hat — um einmal einen Sektor zu nennen —, daß unsere Gold- und Devisenguthaben allein von 1951 auf 1952 von 1,2 auf 4,2 Milliarden Goldmark angestiegen sind
und der Goldfonds der Bank deutscher Länder jetzt ungefähr 600 Millionen Goldmark beträgt, dann, meine Damen und Herren, wollen wir gern noch mehr solcher „Katastrophen" in Kauf nehmen.
— Sie bestreiten diese Zahlen immer, aber hier ist das amtliche Mitteilungsblatt des Statistischen Bundesamts, darin können Sie es nachlesen. — Wenn das „soziale Ärgernis" darin bestehen soll, daß weit über das Ausmaß der Preissteigerung hinaus. wie eben schon gesagt wurde, der Lohnindex der Industriearbeiterschaft beim Stundenlohn bei 195,8 liegt gegenüber einem Lebenshaltungsindex von 171, was Sie beides nicht bestreiten können, dann, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen wir gern auch noch mehr solcher „sozialer Ärgernisse" in Kauf nehmen. Und wenn es ein „soziales Ärgernis" sein soll, daß die Sozialleistungen aus Bundesmitteln, die 1949 gut vier Milliarden betragen haben, auf über neun Milliarden DM schon im Jahre 1952 gesteigert worden sind, dann ist auch das ein „soziales Ärgernis", das wir gern vergrößern wollen.
Aber, meine Damen und Herren, auf diesem Gebiete bewegen sich ja jetzt die Argumente der Opposition nicht mehr, jetzt beginnt man schon, andere Wege zu gehen. Jetzt sagt man sich: man möchte auch dabei gewesen sein, als diese Erfolge erzielt wurden.
— Ja, das kommt von der Mitarbeit, die wir in den Ausschüssen leisten. — Jetzt hören wir von der Opposition: „Wir sind ja, bevor die Bundesregierung anfing, dabei gewesen". Die Aufbauarbeit in den Ländern und Gemeinden, auch wo sie von sozialistischen Regierungen geleistet worden ist, wird von uns in keiner Weise verkleinert. Sie war überall Voraussetzung für das, was wir haben aufbauen können. Aber es ist doch nicht so, als wenn beim Zusammentritt des Bundestags oder bei der Währungsreform die Katastrophenlage bereits überwunden oder beseitigt gewesen wäre.
Wenn die wirtschaftliche Industrieproduktion nach der Währungsreform bei 57 Prozent von 1936 gelegen hat und im vergangenen November auf 167 Prozent von 1936 gestiegen ist, dann kann die Opposition immerhin nicht sagen, das wäre unter ihrer Verantwortung geschehen, sondern dann ist das die Konsequenz von drei Faktoren: nämlich erstens der Initialzündung — das wurde bereits von Herrn Professor Gülich gesagt —, die die Auslandshilfe mit insgesamt sechs Milliarden DMark auslöste. Aber man soll die Bedeutung dieser sicher sehr wichtigen Initialzündung nun nicht übersteigern, um daneben die Auswirkungen der Sozia-
len Marktwirtschaft nun als ein Nichts hinstellen zu können; denn schließlich umfassen die ganzen Investitionen, die mit den Marshallplanmitteln geleistet worden sind, nicht mehr als sechs Prozent der gesamten deutschen Nachkriegsinvestitionen, Es war also erstens die „Initialzündung" der Auslandshilfe.
Das Zweite — es ist wichtig, daß das immer wieder betont wird —, was ursächlich für den Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist, ist die Tatsache, daß unsere deutsche Arbeitnehmerschaft, vor allem unsere deutsche Industriearbeiterschaft, im Rahmen dieser Aufbauzeit gemeinsam mit allen, die im Wirtschaftsleben tätig sind, das Letzte eingesetzt und hergegeben hat, um unseren wirtschaftlichen Wiederaufbau in unserem Vaterlande zu ermöglichen, und dafür gebührt ihnen der Dank des ganzen Volkes.
Das Dritte — es gehort eins zum andern, und das eine hätte wenig Zweck ohne das andere — ist eben das System unserer Sozialen Marktwirtschaft gewesen, die mit diesen beiden anderen Faktoren zusammenwirkte, einerseits mit der Initialzündung und andererseits mit der Arbeitnehmerschaft und allen im Wirtschaftsleben Tätigen. Diese Marktwirtschaft hat uns unter Einsatz der Sachkunde, der Initiative und der Risikobereitschaft des deutschen Kaufmanns und Unternehmers wieder in die Höhe gebracht, und zwar viel besser und schneller, als uns irgendein planwirtschaftliches Bürokratenhirn in irgendeinem Ministerium hätte in die Höhe bringen können.
Nun hat Herr Professor Gülich einige wenige --
— Herr Kollege, die Währungsreform! Da wurde mir in einem Rundfunkgespräch von einem Ihrer Parteifreunde einmal entgegengehalten, die Soziale Marktwirtschaft lebe ja doch von der Währungsreform. Meine Damen und Herren, die Soziale Marktwirtschaft hat meines Erachtens mit der Währungsreform gar nichts zu tun, denn sie hat nach der Währungsreform begonnen und hat genau so auf der Währungsreform, die uns auch nicht in allen Punkten paßt, aufgebaut, wie jede Planwirtschaft ihrerseits auch auf dieser Währungsreform hätte aufbauen müssen.
Nun hat Herr Professor Gülich auch einige wenige außenpolitische Ausführungen gemacht. Ich war eigentlich etwas überrascht darüber, als ich hörte, daß dieser Haushaltsplan eine vorweggenommene Bejahung des Deutschland-Vertrags und des EVG-Vertrags bedeute. Meine Damen und Herren, bisher hatten wir Besatzungskosten, und künftig haben wir Verteidigungskosten.
Glaubt man denn wirklich, glaubt man denn im Ernst, daß uns, wenn wir die Verträge ablehnen würden, die Besatzungsmächte nicht mindestens die gleichen Besatzungskosten kraft Besatzungsstatuts auferlegen würden, die wir freiwillig als Verteidigungsbeitrag unsererseits bewilligen? Es
ist doch eine Irreführung der öffentlichen Meinung, wenn draußen im Land versucht wird, den Eindruck zu erwecken, als ob uns der Abschluß der Verträge von allen Kosten für unsere Sicherheit befreite.
— Bitte sehr, wenn Sie es hier nicht gesagt haben, so hören wir es im Land draußen überall und immer wieder, und das kommt ja nicht von ungefähr. Auch in Briefen bekommen wir es immer wieder geschrieben.
Und noch eines, gerade in diesem Zusammenhang. Man sollte doch nicht vergessen, daß diese Bundesrepublik sicherlich viereinhalb Jahre nach 1945, aber doch auf einer Grundlage aufgebaut werden mußte, die mit der bedingungslosen Kapitulation von 1945 unentrinnbar belastet war. Und was wir von daher gesehen auch nach 1948/49 — denn Herr Professor Erhard hat schließlich die Wirtschaftspolitik im Wirtschaftsrat auch schon geführt — alles erreicht haben, das sollte uns die Opposition zunächst einmal nachmachen oder uns nur den Anflug eines Beweises dafür erbringen, daß mit ihren Methoden der Planwirtschaft so etwas überhaupt möglich gewesen wäre!
Dann fiel eine etwas überraschende Äußerung von Herrn Professor Gülich, die dahin ging, daß die Regierung das deutsche Ansehen im Ausland geschädigt habe.
Es wäre ja vielleicht ganz nützlich, wenn die sozialdemokratische Opposition etwas mehr in die ausländischen Zeitungen hineinschaute; denn das Ansehen im Ausland ergibt sich ja wohl aus der öffentlichen Meinung dort. Ich möchte hier einmal eine Gegenfrage stellen. Hat nicht die Opposition immer und immer wieder das deutsche Ansehen im Ausland aufs schwerste geschädigt, z. B. wenn aus der Opposition heraus „der Kanzler der Alliierten" dem Herrn Bundeskanzler zugerufen wurde, oder wenn gesagt wurde, daß der kein Deutscher mehr sei, der sich für die Verträge zur Sicherung unserer Freiheit und des Friedens erklärte? Oder hat nicht die Opposition das Ansehen Deutschlands geschädigt, wenn sie die deutsche Gleichberechtigung konterkarierte, indem sie die Wahl des Herrn Dr. von Brentano zum Präsidenten des Montanparlaments verhindert hat?
Hier war Gelegenheit, das deutsche Ansehen, das die Ausländer uns zuerkennen wollten, zur Geltung zu bringen; aber die Opposition hat aus parteipolitischen Gründen dem Deutschen die Anerkennung verweigert und einen ausländischen Sozialisten gewählt.
Wenn wir nun einmal bei der Außenpolitik sind, möchte ich noch eines erwähnen. Die ganze Entwicklung um die Verträge in den letzten Wochen scheint mir doch reichlich eigenartig zu sein. Die Opposition freut sich darüber, daß aus Frankreich
Widerstände oder Schwierigkeiten gegen die abzuschließenden Verträge gemacht werden. Glaubt die Opposition denn wirklich oder will sie etwa behaupten, daß die Wünsche des Herrn de Gaulle gegenüber den Verträgen die gleichen Wünsche sind, die von ihr vertreten werden? Oder ist nicht gerade die Tatsache, daß jetzt die vereinbarten Texte in Frankreich auf Widerstand stoßen, der beste Beweis dafür, daß der Kanzler das äußerst Mögliche durchgedrückt hat?
Und weiter. Was das Ansehen im Ausland angeht, so können wir, glaube ich, beruhigt und befriedigt darauf hinweisen, daß, sagen wir es ganz bescheiden, unser Bundeskanzler Dr. Adenauer heute zu den angesehensten und am meisten bewunderten Staatsmännern Europas und der ganzen Welt gehört.
Meine Damen und Herren, dann kam die Frage der gemeinsamen Außenpolitik. Dazu haben wir ja schon durch einen Zwischenruf Stellung genommen. Man lese den Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Oppositionsführer, und man wird feststellen, daß der Oppositionsführer es trotz dringlicher Bitten des Kanzlers abgelehnt hat, über außenpolitische Fragen noch weiter mit ihm zu verhandeln.
Man wird dann erkennen, wer daran schuld ist, daß wir in der Außenpolitik nicht zu einer Linie kommen können. Schließlich kann die Opposition nicht verlangen, daß der Kanzler seine ganze gesunde Konzeption von heute auf morgen umwirft und einfach das tut, was die Opposition wünscht.
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Ich möchte nun wieder zu den innenpolitischen Dingen kommen. Herr Professor Gülich hat etwas Freude daran gehabt — oder Arger, wie man will —, daß der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundeswirtschaftsminister gelegentlich Gegensätzlichkeiten auszutragen haben.
Nun, meine Damen und Herren, diese Gegensätzlichkeiten und ihre Austragung haben immerhin zu sehr positiven Ergebnissen in beiden Richtungen geführt. Was den Herrn Finanzminister angeht, so haben seit 1949 die Steuereinnahmen allein des Bundes von 8,5 Milliarden auf 19, 6 Milliarden zugenommen, und was den Herrn Wirtschaftsminister angeht, so hat das Sozialprodukt, wie schon erwähnt wurde, von 80 Milliarden im Jahre 1949 auf 125 Milliarden im Jahre 1952, also um mehr als 50 %, zugenommen. Mir scheint also, daß aus diesen Gegensätzen für beide Teile ein ganz vernünftiger Mittelweg entwickelt worden ist, da beide Seiten unserer politischen Aufgabe hierbei sehr positiv und erfolgreich zum Zuge gekommen sind.
Über die Sozialleistungen hat Herr Professor Gülich wenig gesagt. Ich war darüber etwas überrascht; denn er begann mit der Erklärung, die Ausführungen des Herrn Finanzministers über die Sozialleistungen dürften nicht unwidersprochen bleiben. Ich war nun gespannt, was wohl für Beanstandungen erhoben würden, und das ganze, was
kam, war, daß eine Scheidung der Kriegsfolgelasten und der sonstigen Sozialleistungen im Haushaltsplan erfolgen müsse. Dazu haben wir zu sagen, daß diese Scheidung aus dem Haushaltsplan eindeutig ersichtlich ist. Wenn wir im übrigen von Steigerung der Sozialleistungen sprechen, so geht es dabei auch um die Aufbringung der Mittel für diese Leistungen, für die wir ja wohl oder übel mit unserer Zustimmung zu den Steuergesetzen auch bei Erhöhungen verantwortlich zeichnen, und in diesem Zusammenhang scheint es mir nicht entscheidend zu sein, ob es sich um normale Sozialleistungen oder soziale Kriegsfolgeleistungen handelt. Oder will man etwa seitens der Opposition behaupten, daß die Kriegsopferversorgung nicht zu den Sozialleistungen gehörte, denen unser ganz besonderes Interesse gewidmet sein muß?
Zum sozialen Sektor noch eine Tatsache, die immer und immer wieder vergessen oder von der Opposition vielleicht bewußt unterdrückt zu werden scheint. Viele haben leider völlig vergessen, daß wir heute in der Bundesrepublik ein Preisniveau haben, das nur ganz geringfügig höher liegt als das von Anfang 1949. Wenn Sie die Nominallöhne und die Nominalrenten von Anfang 1949 vergleichen und feststellen, daß die Preise im Durchschnitt der Lebenshaltungskosten fast gleichgeblieben sind — bis Mitte 1950 fielen sie erheblich, dann stiegen sie seit Korea wieder an, blieben aber im letzten Jahr — trotz Butter — ziemlich stabil — und bei den Löhnen und Renten erhebliche Erhöhungen erfolgt sind, so ergibt sich daraus eindeutig, daß eine erhebliche Steigerung der Kaufkraft in allen Schichten eingetreten ist.
Gewiß, auch wir wissen — und niemand bedauert das mehr als wir —, daß vor allem die Renten in der Invalidenversicherung und die Renten in der Kriegsopferversorgung in den Fällen, in denen die Empfänger ausschließlich davon leben müssen, einfach noch nicht ausreichend sind. Aber wir können demgegenüber doch wenigstens feststellen — und das sollte einmal auch von der Opposition anerkannt werden —, daß trotz ungefähr gleichgebliebenen Preisniveaus in den letzten Jahren ganz erhebliche Erhöhungen auch dieser Bezüge eingetreten sind. Ich erwähne nur die Erhöhung der Durchschnittsrente in der Invalidenversicherung von 36 Mark im Monat auf 73 Mark im Monat und die Tatsache, daß die Kriegsopferversorgungsleistungen, die 1949 noch 1,9 Milliarden DM betragen haben, jetzt bereits auf 3, 4 Milliarden DM angestiegen sind. Wir möchten genau so wie die Opposition die Sozialrenten weiter erhöhen und mühen uns jetzt und ringen mit dem Finanzminister, ob wir die zweiten fünf Mark noch ermöglichen können. Aber die Methoden, mit denen die Opposition die Dinge behandelt, können wir nicht anwenden, die Opposition, die beim Rentenzulagengesetz von 1951 sagte: „Jawohl, wir wollen nicht nur eine Milliarde mehr, sondern wir wollen zwei Milliarden mehr für die Rentner ausgeben." Aber die Deckung dafür lehnte man damals schon für die erste Milliarde ab, von der zweiten Milliarde überhaupt gar nicht zu reden. Als wir — das muß einmal wiederholt werden — damals hier erklärten: „Meine Herren von der Opposition, nun sagen Sie uns doch einmal, wo die Deckung für diese zwei Milliarden herkommen soll!", da wurde uns erwidert — Sie können es im Protokoll nachlesen —: Dafür ist j a der Herr Finanzminister da, sich um diese Deckung zu sorgen! Meine Damen und Herren, dieser Herr Finanzminister sind in diesem Zusammenhang wir, alle Abgeordneten des Bundestages, die alle gleichmäßig für den Ausgleich des Haushalts und für die Währung verantwortlich sind und nicht nur agitatorische Ausgabeanträge zu stellen haben. Alle Abgeordneten des Bundestages haben sich gleichzeitig die Sorge zu machen, wie die Deckung der Ausgaben erfolgen kann.
Nun hat mir Herr Professor Gülich noch den Gefallen getan, auf das Wahlgesetz anzuspielen. Ich möchte ihm darauf eine sehr klare Antwort geben: Man kann über den Inhalt des Wahlgesetzes der Bundesregierung sicher streiten.
Wir jedenfalls werden demnächst bei der Behandlung des Entwurfs im Plenum unsererseits belegen können, daß dieser Wahlgesetzentwurf besser ist als das bisherige Bundestagswahlrecht,
wenn auch nicht bestritten werden kann, daß der Entwurf ein wenig komplizierter ist. Aber wenn man ähnliche Dinge in Bayern schon durchgeführt hat, habe ich keinen Zweifel, daß auch das übrige deutsche Volk den bayrischen gesunden Menschenverstand aufbringen wird.
Aber darum geht es mir jetzt nicht. Wenn die SPD uns wegen dieses Regierungsentwurfs Vorwürfe macht, dann antworte ich von der CDU/CSU darauf zunächst einmal, daß dieser Regierungsentwurf eigentlich auch nicht das ist, was wir möchten.
Wir sind im Parlamentarischen Rat und von jeher immer Anhänger des Mehrheitswahlrechts gewesen.
Wenn der Bundestag den Mut hat, das Mehrheitswahlrecht auch seitens der Parteien zu beschließen, die Angst davor haben, dann werden wir in der Lage sein, das Mehrheitswahlrecht, das die breite Masse des Volkes wünscht,
dem deutschen Volke zu geben.
— Es genügt ja, Herr Kollege, wenn Sie dafür stimmen.
Im übrigen ist dazu noch ein Weiteres zu bemerken. Wenn die Opposition den Versuch macht, uns oder der Regierung zu unterstellen, für dieses Gesetz seien koalitionspolitische Gründe maßgebend, dann habe ich einmal eine Gegenfrage zu stellen: Weswegen lehnen denn die 23 SPD-Abgeordneten, die sich vor der Bundestagswahl gegenüber der Deutschen Wählergesellschaft verpflichtet haben,
im Bundestag für das Mehrheitswahlrecht zu kämpfen, heute das Mehrheitswahlrecht ab?
Welche staatspolitischen Gründe, Herr Professor Gülich, sind denn bei Ihnen maßgebend, daß Sie Ihre Unterschrift unter die Idee des Mehrheitswahlrechts heute zurückziehen?
Ich habe den Eindruck, daß hier parteipolitische Gesichtspunkte der SPD im Hintergrund stehen,
daß Sie vor der Bundestagswahl gehofft hatten, das Mehrheitswahlrecht würde Ihnen den Sieg bringen können und jetzt, nachdem Sie inzwischen vielleicht errechnet haben, daß Sie damit nicht hinkommen, das Mehrheitswahlrecht ablehnen. Wir stehen zu unserer staatspolitischen Auffassung, die wir unabhängig von aller Parteipolitik immer gehabt haben und weiter behalten.
Wenn Sie bereit sind, wieder zu Ihrer alten Konzeption zurückzufinden, dann werden wir dem deutschen Volk wieder das Wahlrecht geben können, das die breite Masse sich wünscht und das staatspolitisch das beste ist.
Ich darf hinzufügen, meine Damen und Herren: diese Erklärung gegenüber der Deutschen Wählergesellschaft haben damals abgegeben: 96 in den Bundestag gewählte Abgeordnete der CDU/CSU, 23 der SPD, 9 der FDP, 9 der DP und 9 der BP, also fast 150 Mitglieder dieses Hauses. Und wenn der nicht zur CDU/CSU gehörende Teil dieser 150 Mitglieder dieses Hauses seine staatspolitische Konzeption inzwischen nicht geändert hätte, dann brauchten wir um die Einführung des Mehrheitswahlrechts nicht so besorgt zu sein.
Nun ein letztes noch! Über die Bezüge der Beamten und Angestellten wurde auch einiges gesagt. Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, wir gehören wohl zu denen, die sich seit langen Monaten mühen, die schwierige wirtschaftliche Lage der öffentlichen Bediensteten zu bessern. Aber nachdem wir jetzt als Koalitionsparteien im Beamtenrechtsausschuß des Bundestags einen Vorschlag entwickelt haben, wie die Dinge gebessert werden können, da stellen wir mit einem Male fest, daß ausgerechnet die sozialistischen Länderregierungen über den Bundesrat erklären: „Nein, das können wir nicht leisten!" und daß sie diesen Vorschlag ablehnen.
Es wäre gut, wenn in der Öffentlichkeit, in der Beamtenschaft und in der Angestelltenschaft des öffentlichen Dienstes einmal an Hand dieser Tatsache bekannt würde, wie es wirklich um die Fürsorge der SPD-Regierungen gegenüber den Beamten bestellt ist.
Als letztes noch eine Anregung und eine Bitte, die uns als CDU/CSU — Herr Kollege Neuburger hat heute nachmittag schon kurz darüber gesprochen — ganz besonders am Herzen liegt. Wir freuen uns über die Vorschläge zur Steuersenkung, die der Herr Finanzminister gemacht hat. Wir können aber die Bemerkung nicht unterdrücken, daß das Ausmaß dieser Steuersenkung bei den größeren Familien, die uns besonders am Herzen liegen, keinesfalls ausreichend ist.
Wenn für die Ehefrauen eine Erhöhung des steuerfreien Betrags um 33 % erfolgt, wenn sie für das erste Kind überhaupt nicht erfolgt, wenn sie für das zweite Kind auch nicht erfolgt, sondern erst vom dritten Kind an mit 20 % einsetzt, dann folgt daraus, daß bei dieser neuen Steuerregelung eine Verlagerung der Steuerlast zuungunsten der kinderreichen Familien eintritt. Das ist für uns vollkommen untragbar. Wir werden entsprechende Anträge im Ausschuß stellen, die dafür sorgen, daß diese Entwicklung, die nach 1945 schon Platz gegriffen hat, nun endlich wieder revidiert wird.
Darf ich dazu einmal einige Zahlen geben. Gemessen an der einkommensteuerlichen Belastung aus der Zeit von 1933 bis 1939 sind 1950 folgende Belastungserhöhungen zu verzeichnen: Bei den Ledigen um 23%, bei den kinderlos Verheirateten um 103 %, bei den Verheirateten mit zwei Kindern um 130 %,
bei den Verheirateten mit vier Kindern um 244 %, bei den Verheirateten mit sechs Kindern um 372 % und bei den Verheirateten mit acht Kindern um 660 %. Wir sind nicht der Meinung, daß die Kriegsfolgelasten nun ausgerechnet vorwiegend auf die kinderreichen Familien verlagert werden sollen, denen wir in erster Linie zu helfen und sie zu fördern berufen sind.
Ich darf damit zum Schluß kommen und mich den Dankesworten der Vorredner an den Herrn Bundesfinanzminister aus voller Überzeugung anschließen. Wir haben gestern eine Erfolgsbilanz vorgelegt bekommen, eine Erfolgsbilanz sondergleichen, nachdem aus dem Nichts heraus mehr oder weniger alles neu geschaffen werden mußte.
Meine Damen und Herren! Nachdem die Dinge sich so entwickelt haben, habe ich keinen Zweifel daran, daß die Wähler etwa Gefahr laufen, bei der nächsten Bundestagswahl auf Grund der Opposition der SPD alles das wieder zu zerstören, was wir in drei bis vier Jahren mühsam aufgebaut haben.