Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich berichte gleichzeitig zu Punkt 20, weil der Punkt 20, das Verfahren gegen den Abgeordneten Müller, eines der maßgebenden Kapitel ist.
Ich darf vorweg bemerken: sowohl in diesem Hause wie auch außerhalb ist die Rede davon gewesen, daß diese Anträge, die uns auf dem normalen Wege der Zuständigkeiten zugeleitet worden sind, etwa den Zweck verfolgen könnten, eine ganze Fraktion dieses Hauses arbeitsunfähig zu machen. Darüber haben nicht wir zu entscheiden, sondern die Justiz, mit der wir nichts zu tun haben, der wir höchstens gestatten können, ihren Weg zu gehen. Arbeitsunfähig würde das Haus, wenn auch nur von einer Staatsanwaltschaft der Versuch ge-
macht wäre, den Antrag anzubringen, daß wir eine etwa beabsichtigte Verhaftung zulassen sollten. Ein solcher Antrag ist nicht einmal in dem Verfahren gegen Müller wegen Vorbereitung des Hochverrats gestellt, geschweige denn vorn Geschäftsordnungsausschuß des Hauses zur Annahme empfahlen worden. Es handelt sich also lediglich darum, daß die Herren Abgeordneten dieses Bundestags sich für angeblich begangene strafbare Handlungen in einem einzuleitenden Ermittlungsverfahren zur Rede stellen lassen müssen, wie es jeder Staatsbürger in jedem Rechtsstaat muß.
Dies vorausgeschickt, möchte ich zunächst zu Punkt 20 - dem Verfahren Müller — berichten, weil es das Zentralverfahren ist. Dabei betone ich: daß es gerade Herrn Müller trifft, ist mehr ein Zufall. Es liegt an folgendem Umstand.
Seitens der Zentralstellen der KPD - ohne Rücksicht darauf, wo diese liegen mögen, ob in Düsseldorf, in Berlin oder außerhalb Deutschlands — ist nach der Meinung der beantragenden Behörde —
— jawohl! —
eine Flut von Flugblättern beanstandeten Inhalts auf die Bewohner Westdeutschlands losgelassen worden,
und zwar handelt es sich im Verfahren Müller um Flugblätter oder Broschüren, die etwa in der Zeit zwischen Oktober 1951 und Frühjahr 1952 in verschiedenen Gegenden verteilt, zum Teil auch gleich bei der Verteilung von den Polizeibehörden beschlagnahmt worden sind. Die Überschriften dieser Broschüren und Flugblätter lauten wie folgt: „An alle friedliebenden Deutschen!", „Das deutsche Volk duldet kein System der Knechtschaft", „Die Zeit ist gekommen, um Adenauer zu stürzen", „Schöne deutsche Heimat", „Offener Brief des Zentralkomitees der SED an Funktionäre der SPD", „Bauer, wehr dich!", „Der Agitator" — eine regelmäßige Schrift offenbar für den inneren Dienst — Nr. 17 und 18, „Dr. Luetkens erklärt im Bundestag", „Der nationale Kampf des deutschen Volkes", „Erklärung der Regierungsdelegation der DDR", „Das Maß ist voll", „Das Blitzgesetz", „Arbeiter, es ist an der Zeit!", „Trotz Verbot immer wieder da". Das sind 14 Druckschriften, Flugzettel, zum Teil auch längere, seitenlange Broschüren, die verteilt und behördlich beschlagnahmt worden sind und in deren presserechtlichem Impressum als verantwortlicher Mann ausnahmslos der Abgeordnete Müller angegeben ist. Aus diesen rein presserechtlichen Äußerlichkeiten richtet sich das Verfahren zunächst einmal gegen denjenigen, der für die Herausgabe und den Inhalt dieser Schriften die Verantwortung durch sein Signum übernommen hat.
Die Staatsanwaltschaft erblickt in der Gesamttendenz dieser Schriften und einer Fülle von einzelnen darin vorhandenen Worten, Aufforderungen oder Zurufen an die Bevölkerung im Zusammenhang gesehen die Vorbereitung einer bestimmten Hochverratshandlung gemäß § 81 StGB.
Der Immunitätsausschuß hat von einzelnen von der Staatsanwaltschaft besonders beanstandeten Stellen Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, daß
es angebracht ist, hier im Hause eine große Fülle von Kostproben des Inhalts der Schriften zum besten zu geben. Ich möchte mich darauf beschränken, zwei nach meinem Urteil besonders anzügliche Stellen zur Verlesung zu bringen, und zwar zunächst einmal aus der Flugschrift „Der nationale Kampf des deutschen Volkes". Da heißt es z. B., ein kleiner Satz nur:
Den modernen Görings und Heydrichs, den Reichstagsbrandstiftern von heute, muß man nicht erst später die Maske vom Gesicht reißen, sondern schon vorher die Brandfackel aus den Händen schlagen.
In der Schrift „Arbeiter, es ist an der Zeit!" findet sich folgender etwas längerer Passus:
Mit den Todfeinden der Arbeiterklasse
— als solche sind in den Absätzen vorher insbesondere Dr. Schumacher und Herr Fette bezeichnet worden —
und des ganzen Volkes aber, mit den Postenjägern und Kriegstreibern darf es keine Zusammenarbeit und keinen Burgfrieden geben. Ihnen muß der kompromißlose Kampf angesagt werden. Die gewaltige Kraft der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen ist in der Lage, sie in die Knie zu zwingen. Deshalb fordern wir die Arbeiter in allen Belegschaften und Gewerkschaftsorganisationen auf, zu beschließen: Heraus aus allen Gremien und Organen, die den Imperialisten dienen! Schluß mit jeder gewerkschaftlichen Teilnahme an Unternehmerorganen wie den paritätischen Ausschüssen!
Ich lasse einige kurze Zwischenpassagen weg. Es endet dann:
Die Grundstoffindustrie gehört in Volkes Hand. Fort mit der Adenauer-Regierung, denn sie ist die Regierung der deutschen Imperialisten! Gemeinsam werden wir siegen!
Wie gesagt, der Herr Staatsanwalt erblickt in dieser ersichtlich von einer Zentrale aus gesteuerten Flut von Schriften, die sich zum Teil an mittelständische Kreise, zum Teil an Flüchtlinge, zum Teil an Bauern, in der Mehrzahl aber — nach ihrer ganzen Aufmachung — natürlich an Arbeiter wenden, die hochverräterische Vorbereitung eines Umsturzes und möchte deswegen gegen Herrn Müller und eine große Anzahl uns im einzelnen Unbekannter — nicht Abgeordneter —, die an der Sache beteiligt sind, ein Verfahren wegen Verbrechens der Vorbereitung des Hochverrats einleiten.
— Die Zahl ist uns nicht genannt worden, interessiert uns auch nicht. Wir haben uns nur mit Abgeordneten des Bundestages zu befassen.
Die Angelegenheit liegt nun so, daß diese Erklärungen, die hier abgegeben sind, nach Meinung des Staatsanwalts erstens einen Verstoß gegen die Strafbestimmung des § 81, nämlich eine Vorbereitungshandlung zu einem Hochverratsunternehmen, darstellen, zweitens aber unzweifelhaft in ihrer Mehrzahl, wenn auch vielleicht nicht ausnahmslos, gegen den § 97 des Strafgesetzbuches — Staatsgefährdung — verstoßen, weil hier im Zuge von Be-
strebungen, die gegen den Bestand und die Verfassung der Bundesrepublik gerichtet sind, öffentlich durch Verbreitung von Schriften eine Verunglimpfung der Bundesregierung erfolgt ist, und
zwar in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise. Denn wenn die Mitglieder unserer Bundesregierung als „Görings", als „Heydrichs" und als
„Reichstagsbrandstifter" bezeichnet werden, so
wird kein Mensch glauben, daß das dem Ansehen
des Staates dient. Vielmehr muß jeder Mensch zugeben, daß, wenn es geglaubt würde, dies das Ansehen des Staates — egal, wer gerade die Regierung bildet — in der Tat völlig untergraben würde.
— Ich zitiere keineswegs falsch; ich zitiere nur wörtlich das, was uns berichtet worden ist. Wie komme ich dazu, falsch zu zitieren!