Rede von
Franz
Neumann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Kollege Friedensburg ist noch nicht so lange im Hause wie wir, sonst wüßte er, daß wir über das Problem der freien Wahlen in Berlin schon des öftern gesprochen haben. Der Herr Kollege Fisch hat früher die Kehrseite dieser Platte aufgelegt und sich gegen freie Wahlen ausgesprochen.
Heute können wir zum erstenmal feststellen, daß er für freie Wahlen in Berlin ist.
— Herr Fisch, Sie haben soeben dem Herrn Kollegen Friedensburg zugerufen: „Sie brauchen nur ja zu sagen, dann haben wir die freien Wahlen in Berlin." Nun, Herr Kollege Fisch, ich schätze, daß es ungefähr ein Jahr her ist, daß ich von dieser Stelle den Generalsekretär der SED, Herrn Ulbricht, zitiert habe. Er hat am 3. August 1950 vor der SED in Berlin ausgeführt:
Die Führung dier SPD in Westberlin hat vor längerer Zeit die Frage der Neuwahlen gestellt. Wir sind der Meinung, daß die Lage in Berlin sich soweit entwickelt hat, daß die Bevölkerung auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre ein richtiges Urteil abgeben wird, wer Freund und wer Feind des Volkes ist. Wir sind für Gesamtberliner Wahlen, und zwar auf der Grundlage der Wahlordnung, die gemeinsam mit den jetzigen Westberliner Vertretern vor der Spaltung Berlins vereinbart wurde.
Wir haben am 5. Dezember 1948 die zweiten Wahlen in Berlin gehabt. Es waren Ihre politischen Freunde, die damals unter dem Schutz der sowjetischen Bajonette den Ostsektor daran hinderten mitzuwählen. Wir haben ein Vierteljahr nach dieser Erklärung des Herrn Ulbricht — am 3. Dezember 1950 — wiederum demokratische Wahlen in Berlin gehabt. Auch jetzt durfte der Ostsektor sich nicht demokratisch entscheiden.
Herr Ebert, der Oberbürgermeister von „Groß-Berlin", hat am 30. November 1948, am Tage der Spaltung der Stadt, vor der Universität erklärt, er werde sein Amt nur kurzfristig ausüben, dann werde eine Verfassung geschaffen und das Volk von Berlin dürfe so schnell als möglich wählen. Nun, die Machthaber des Ostens haben sich dabei nicht gerade als Henneckes gezeigt. Seit dem 30. November 1948 gibt es das Versprechen von Neuwahlen für Berlin. Ich will Ihnen eins sagen, Herr Fisch — und ich glaube das nicht nur im Namen der Berliner Sozialdemokraten, sondern auch namens der Fraktionsvorsitzenden der CDU und FDP sagen zu können —: Wir sind bereit, jeden Tag auf der Grundlage der Wahlordnung von 1946 und auf der Grundlage der Berliner Verfassung Neuwahlen in Berlin durchzuführen
unter der Voraussetzung, daß wir eben auch im Ostsektor ein Minimum an demokratischen Rechten haben.
— Das ist die Voraussetzung!
— Bitte, dann machen Sie die Modellwahlen in Berlin.
Ich glaube, wir kämen dann auch, wenn Ihre Worte einen echten Klang haben sollten, zu gesamtdeutschen Wahlen.
Nun gestatten Sie mir, etwas zu dem Antrag, den die Sozialdemokratie eingebracht hat, zu sagen. Wir haben, Herr Kollege Fisch, in Berlin nicht vor, irgendwelche neuen Steuern zu schaffen. Die Summe der Abgaben, die Sie hier Notopfer nennen, haben wir Währungsnotopfer genannt. In Berlin gibt es ja die weitestgehende Angleichung an das Recht des Bundes. Wir haben uns darin nicht unterschieden. Aber einiges möchte ich doch zu den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers sagen. Er hat festgestellt, daß die Arbeitslosigkeit in Berlin gesunken ist. Das ist richtig. Wir sind froh darüber, daß wir endlich einmal unter die 250 000-Grenze gekommen sind. Wir sind froh darüber, daß unsere wirtschaftliche Kapazität gestiegen ist und daß auch die Ausfuhr der Produktion nicht nur nach dem Gebiet der Bundesrepublik, sondern auch ins Ausland gesteigert worden ist. Aber, Herr Bundesminister, Ihnen ist genau so wie allen anderen Fachleuten bekannt, daß das bei Weitem noch nicht genug ist und daß die Berliner Industrie bei weitem nicht ausgelastet worden ist. Wir könnten auch zu einer Senkung der Preise durch eine Steigerung der Produktion kommen und könnten dadurch in Berlin den Wettbewerb noch viel besser durchführen. Für uns steht doch fest, daß wir geradezu schreckliche Verhältnisse auch weiterhin dadurch haben, daß die 250 000 Arbeitslosen, die wir haben, langfristig arbeitslose Menschen sind, Menschen sind, die zum Teil seit der Währungsreform nicht eine einzige Mark verdienen konnten, nicht eine einzige Stunde im Betrieb waren.
Da erwächst doch eben die Verpflichtung für uns alle, noch weit mehr zu tun, noch dafür zu sorgen, daß auch die Arbeiter in größerem Maße in die Betriebe kommen. Es ist Ihnen bekannt — wir sind uns, glaube ich, darin durchaus einig —, daß
nicht nur für das Ausland, sondern in erster Linie für die Industrie des Bundesgebiets die Verpflichtung erwächst, in stärkerem Maße nach Berlin Aufträge zu geben. Ich kann mich wegen der Kürze der Zeit nicht ausführlicher damit beschäftigen. Ich möchte nur noch einmal den dringenden Wunsch an Sie richten, daß doch von seiten Ihres Ministeriums noch weit mehr getan wird, als das bisher der Fall ist.
Ich möchte zu der Verlegung von Bundesbehörden wenige Worte sagen. Herr Minister, ich glaube Ihnen, daß Sie nichts davon wissen, daß beispielsweise die „Physikalisch-Technische Reichsanstalt" verlagert werden soll. Man macht das heute auch nicht mehr in der Form, daß man die Anstalt von Berlin abzieht, sondern aus dem bisherigen Hauptsitz Berlin wird eben dadurch ein Nebensitz, daß man in diesem Falle in Braunschweig eine Nebenstelle errichtet, die dann praktisch alle neuen Stel-. len und alle neuen Aufgaben an sich heranzieht und dadurch zur Verkümmerung der Berliner Stelle führt.
Das ist genau so, wie es schon beispielsweise beim Patentamt war. Ich darf Sie. daran erinnern, daß damals gerade das Blatt der CDU, „Der Tag", darauf hingewiesen hat: „daß dieser Probefall Patentamt wahrscheinlich ein Beweis für den guten Willen sein könnte; die Zurückverlegung des Patentamtes wird der Prüfstein für den ehrlichen Willen sein, Berlin nicht im Stich zu lassen." Dann kommen all die Gründe, die ich leider nicht mehr ausführen kann. Wir legen Wert darauf, daß in stärkerem Maße als bisher wirklich Bundesbehörden nach Berlin kommen. Ich bin erschüttert über die Zahl, die der Kollege Friedensburg bekanntgab: 1031 Beschäftigte jetzt bei den Behörden, die nach Berlin gelegt worden sind, wenn ich Sie richtig verstanden habe. 15 000 Menschen hatten allein einmal durch das Patentamt in Berlin Arbeit und Brot.
Im Februar flohen von 100 Menschen 48 in die Bundesrepublik, heute nur noch 9, die anderen gehen über Berlin. Ich muß Ihnen eine Äußerung einer amtlichen Stelle sagen:
Wir stehen daher
— heißt es —
in der Unterbringung auch für die in Berlin verbleibenden Flüchtlinge in den meisten Lagern auf der Stufe der Jahre 1945/46, als sich der riesige Flüchtlingsstrom aus den Ostgebieten über Berlin ergoß.
Das möchte ich gerade dem Herrn Bundeskanzler sagen, der neulich sagte, daß auf diesem Gebiet alles getan worden sei, was die Bundesregierung überhaupt habe tun können. Es muß festgestellt werden, daß nicht ein unerheblicher Teil der Flüchtlinge immer noch biblisch untergebracht ist. Bei aller Bescheidenheit, die vielleicht bei einigen Regierungsstellen herrscht: wenn wir zu Weihnachten nach 1952 Jahren wiederum von der Weihnachtsgeschichte hören, — ich glaube, wir sind doch so weit fortgeschritten, daß nach 1952 Jahren die Flüchtlinge nicht mehr auf Heu und Stroh liegen sollten!