Rede von
Kurt
Neubauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Drucksachen Nrn. 3833 und 3834 bringt die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses erneut die Frage Berlins auf die Tagesordnung. Sowohl der Berliner Senat als auch das Berliner Abgeordnetenhaus und insbesondere die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses haben sich lange darum bemüht, für die Auftragslenkung nach Berlin einen gewissen Rahmen zu schaffen. Nach langen Diskussionen hat sich die Bundesregierung am 21. Oktober 1952 entschlossen, eine Dienststelle einzurichten, die diese Aufgabe zu übernehmen hat.
Es interessiert die sozialdemokratische Fraktion und die Berliner Öffentlichkeit, welche Vorstellungen die Bundesregierung bei der Schaffung dieser Auftragsstelle hatte, vor allen Dingen welche Vollmachten dem Leiter dieser Auftragsstelle in die Hand gegeben werden, um seiner Aufgabe der Auftragslenkung nach Berlin gerecht werden zu können. Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses würde wünschen, daß der Leiter dieser Auftragsstelle diesem Hause oder der Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen Bericht darüber erstattet, welchen Erfolg seine Arbeit gehabt hat und inwieweit die Verstärkung der Auftragslenkung nach Berlin durch seine Dienststelle möglich gemacht wird.
Wir möchten den Leiter dieser Auftragsstelle auch darauf hinweisen, daß es sicher zu seinen Aufgaben gehören würde, einmal zu überprüfen, inwieweit westdeutsche Wirtschaftskreise Beschlüsse dieses Hauses, die zugunsten Berlins gefaßt worden sind, sabotieren und hintergehen. Uns ist bekannt, daß die von diesem Hause beschlossene Umsatzsteuervergünstigung für Berlin, die von der
Berliner Wirtschaft außerordentlich begrüßt worden ist, von einer ganzen Reihe von Firmen des Bundesgebiets dadurch umgangen oder daß zum mindesten der Versuch gemacht wird, sie zu umgehen, daß Kampfrabatte gewährt werden, die in der gleichen Höhe liegen wie diese Umsatzsteuervergünstigungen für Berlin.
Wir sind der Auffassung, daß es auch zu den Aufgaben dieser Stelle gehören müßte, diese Machenschaften zu untersuchen und die westdeutschen Unternehmer, die sich dazu bereitfinden, darauf hinzuweisen, daß die Unterstützung für Berlin keine Frage des Geschäfts oder des Profits, sondern ausschließlich eine politische zu sein hat.
Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der Fraktion der SPD, den ich gleichzeitig begründe, möchte ich mich ebenfalls auf wenige wesentliche Bemerkungen beschränken.
Punkt 1 ist beinahe identisch mit der Großen Anfrage der Sozialdemokratischen Partei, und wir hoffen, dazu von der Regierung heute eine befriedigende Antwort zu bekommen.
Ein besonderes Problem, durch das Berlin belastet ist, ist die. Frage der Flüchtlinge. Zwar sind in den letzten Wochen einige Entscheidungen gefallen, die auf diesem Gebiet eine gewisse Entlastung für Berlin mitbringen. Die sozialdemokratische Fraktion ist allerdings der Auffassung, daß das noch keineswegs ausreichend ist. Dem Hause ist bekannt, daß sich heute 90 und mehr Prozent aller Flüchtlinge auf Berlin konzentrieren. Diese Tatsache stellt dadurch eine schwere, ja schwerste Belastung des Berliner Arbeitsmarktes und der Berliner Wirtschaft dar, daß ein erheblicher Teil dieser nach Berlin kommenden Flüchtlinge auch in Berlin Berlin bleibt. Die sozialdemokratische Fraktion hat die Vorstellung, es müsse möglich sein, die nach Berlin kommenden Flüchtlinge in weitestmöglichem Umfange in das Bundesgebiet weiterzuleiten. Die Herabsetzung der Quote von 20 auf 10 % für die in Berlin verbleibenden Flüchtlinge bedeutet praktisch nur, daß Berlin heute so viele Flüchtlinge behalten muß wie auch vor einem Jahr; denn die Zahl der nach Berlin kommenden Flüchtlinge hat sich seit dieser Zeit verdoppelt, ja, sie geht sogar darüber hinaus.
Die sozialdemokratische Fraktion ist weiterhin der Auffassung, daß sich der Bund bereit erklären muß, größere Mittel als bisher sowohl für die Unterhaltung als auch für den Bau von Lagerunterkünften zur Verfügung zu stellen. Wir möchten darauf hinweisen, daß es möglich sein muß, für die nach Berlin kommenden und in Berlin befindlichen Flüchtlinge nach stattgefundener Berufserhebung eine bevorzugte überbezirkliche Arbeitsvermittlung zu gestalten und aufzubauen.
Aus diesen wenigen Punkten, die wir heute und an dieser Stelle nur anschneiden möchten, mögen Sie ersehen, wie ernst dieses Problem für Berlin ist. Wir bitten sowohl die Regierung als auch alle Fraktionen dieses Hauses, für Berlin in diesem Falle das notwendige Verständnis aufzubringen und dementsprechende Beschlüsse zu fassen.
Ein weiteres wesentliches Problem, das zur Entlastung der Berliner Sorgen beitragen könnte, ist die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin. Wenn ich recht unterrichtet bin, hat sich dieses Haus schon unzählige Male mit der Frage der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin beschäftigt. Es besteht, zumindest für die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses, kein Zweifel darüber, daß diese Aufgabe der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin bisher in einem unzureichenden Maße durchgeführt worden ist. Ich darf in diesem Zusammenhang mit freundlicher Genehmigung des Präsidenten die wesentlichen Sätze eines Kabinettsbeschlusses vom 28. Februar 1950 noch einmal in dié Erinnerung sowohl der Bundesregierung als auch der Fraktionen dieses Hauses zurückrufen. Es heißt in dem damaligen Kabinettsbeschluß — wie gesagt vom 28. Februar 1950 —:
Die Bundesregierung stellt fest, daß die in der Regierungserklärung vom 21. Oktober 1949 angekündigten und inzwischen wirksam gewordenen Maßnahmen für Groß-Berlin zu einer Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft führten. Um die Stellung Berlins noch mehr zu stärken, sind nicht nur Vertretungen weiterer Bundesministerien, sondern auch die alsbaldige Errichtung maßgebender Bundesbehörden in Berlin ohne Rücksicht auf zeitbedingte Erschwernisse des Verkehrs vorgesehen. Dadurch sollen ebenso. eine engere Verbindung mit dem Bundesgebiet gewährleistet wie auch die in Berlin brachliegenden Dienstleistungskräfte genutzt werden.
Dieser Beschluß des Kabinetts vom 28. Februar 1950 ist zweifellos gut. Wir meinen nur sagen zu müssen, daß seine Durchführung zu wünschen übrig läßt. Ich darf das Hohe Haus daran erinnern, daß immer dann, wenn das Haus damit befaßt war, eine Behörde nach Berlin zu legen, wir immer wieder Argumente hörten, daß die „zeitbedingten Erschwernisse" die Verlegung dieser Behörde nach Berlin verhinderten. Sowohl im Hause als auch in den Ausschüssen ist dieses Argument immer wieder aufgetaucht.
Unsere Bitte an die Regierung ist, entsprechend diesem Kabinettsbeschluß vom 28. Februar 1950 mit etwas größerer Begeisterung und stärkerer Intensität sowohl in den Ausschüssen als auch in diesem Hause die Abgeordneten davon 'zu überzeugen, daß zeitbedingte Erschwernisse bei der Situation Berlins auch in Kauf genommen werden müssen. Denn es besteht kein Zweifel darüber, daß, wenn der Bundeskanzler das erreichen will, was er auf dem CDU-Parteitag in Berlin gesagt hat, nämlich Berlin eine echte Unterstützung zukommen zu lassen, um es aus der Umklammerung zu befreien, mehr getan werden muß auf diesem Gebiete, als es bisher der Fall ist.
Die sozialdemokratische Fraktion weist heute und in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es beispielsweise in absehbarer Zeit eine Diskussion darum geben wird, wohin die Redaktion des Langwellensenders, der geschaffen werden soll, zu legen sein wird. Ich darf schon heute im Namen der sozialdemokratischen Fraktion anmelden, daß nach unserer Auffassung die Redaktion dieses Langwellensenders aus verschiedenen Gründen ihren Sitz in Berlin haben muß. Es ist jetzt müßig, die lange Reihe der Bundesbehörden aufzuzählen, die eigentlich schon heute in Berlin sein könnten und sein müßten. Wir geben uns der Hoffnung hin, daß die heutige Debatte der Regierung einen erneuten Anstoß gegeben hat, sich ihres Kabinettsbeschlusses zu erinnern und auf diesem Gebiet intensiver zu arbeiten.
Meine Damen und Herren! Es geht aber nicht nur darum, dafür zu sorgen, Bundesbehörden nach Berlin zu bekommen, sondern wir haben die Befürchtung, daß es in nächster Zeit darauf ankommen wird, schon in Berlin befindliche ehemalige Reichsbehörden davor zu bewahren, aus Berlin abgezogen zu werden.
Wir haben beispielsweise die Nachricht von der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, einer der großen und berühmten Reichsanstalten, die immer in Berlin waren und die einen großen Ruf genossen haben, daß sie in der nächsten Zeit in der Gefahr schwebt, entweder zu der bereits in Braunschweig neu aufgezogenen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt ganz abgezogen zu werden oder aber zu einer völlig nebensächlichen und untergeordneten Nebenstelle herabgewürdigt zu werden. Wir vermögen nicht einzusehen, warum die Tradition der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, um nur dieses eine Beispiel herauszugreifen, auch unter diesen Umständen in Berlin nicht fortgesetzt werden kann, um damit einigen hundert Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Mitarbeitern in Berlin Arbeit zu verschaffen.
Eine weitere Bemerkung muß an dieser Stelle gemacht werden. Die wenigen Bundesbehörden, die heute nach Berlin gekommen sind und die vielleicht in nächster Zeit nach Berlin kommen, haben eine gewisse Übung darin erkennen lassen, den größeren Teil des Personals aus dem Bundesgebiet mitzubringen. Das ist wohl nicht der Sinn der Verlegung der Bundesbehörden nach Berlin. Die Vorstellung der Berliner dabei ist die, daß die in Berlin vorhandenen Arbeitskräfte der ehemaligen Reichsbehörden, die sowohl fachlich als auch in sonstiger Beziehung geeignet wären, diese Arbeiten zu übernehmen, eingesetzt werden können und daß nicht die nach Berlin kommenden Bundesbehörden nun auch noch ihr Personal aus der Bundesrepublik nach Berlin mitbringen.
Meine Damen und Herren, diese wenigen Bemerkungen, auf die ich mich heute beschränken möchte — wir werden Gelegenheit haben, bei der Behandlung der einzelnen Punkte die Dinge zu konkretisieren —, möchte ich mit der zusammenfassenden Forderung abschließen, die hoffentlich auf die Gegenliebe aller Fraktionen dieses Hauses stößt — ich möchte beinahe sagen, ich bin sogar davon überzeugt, daß sie auf die Gegenliebe aller Fraktionen dieses Hauses stoßen muß —, daß wir gemeinsam der Regierung aufgeben, entsprechend ihrem Kabinettsbeschluß von 1950 sich sehr viel mehr um diese für Berlin lebenswichtigen Dinge zu kümmern. Denn Berlin entscheidend helfen, heißt, der Berliner Arbeitslosigkeit durch Lenkung von Aufträgen und Verlegung von Bundesbehörden in diese Stadt zu Leibe zu gehen. Die Berliner Bevölkerung selbst wartet darauf, daß nicht nur an bestimmten Stellen und zu bestimmten Zeiten feierliche Beschlüsse gefaßt werden. Sie hat das Recht, zu verlangen, daß diese Beschlüsse so schnell als möglich durch die intensive Arbeit dieses Hauses auch realisiert und zu Tatsachen gemacht werden.
Ich darf im Namen der sozialdemokratischen Fraktion darum bitten, die Große Anfrage präzise und klar zu beantworten und den Antrag der Sozialdemokratischen Partei dem Berlin-Ausschuß
zu überweisen, aber mit der Maßgabe, so schnell als möglich in Form von Gesetzesvorlagen vor allem die Berlin-Hilfe Wirklichkeit werden zu lassen.