Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des sozialdemokratischen Antrags, die Zuschüsse zu den Renten in Höhe von 15 DM für Versicherte, 12 DM für Witwen und 6 DM für Waisen zu gewähren, hatte der Herr Bundesfinanzminister in der Sitzung am 20. Oktober darauf hingewiesen, daß die Invalidenrenten seit 1938 stärker erhöht worden seien, als es der Steigerung des Lebenshaltungskostenindex entspricht. Abgesehen davon, daß dabei vom Herrn Bundesfinanzminister die Renten der Angestelltenversicherung und der Knappschaftsversicherung nicht berücksichtigt wurden — der Herr Bundesfinanzminister hat nur die Invalidenversicherung erwähnt, Herr Kollege And-gen —, hat es der Herr Bundesfinanzminister bei seinem Vergleich unterlassen, darauf hinzuweisen, daß die Erhöhung der Renten nicht auf einen gesteigerten Anteil an Staatszuschüssen, sondern im wesentlichen auf eine Erhöhung der Beiträge zurückzuführen ist. Die Staatszuschüsse zu den Renten sind mit gegenwärtig rund 30 % nicht höher, sondern ' niedriger als vor dem Kriege, während die Beiträge zur Rentenversicherung von 5,6% des Arbeitseinkommens auf 10 % erhöht, d. h. also praktisch fast verdoppelt wurden. Die Erhöhung der durchschnittlichen Renten ist also im wesentlichen nicht zu Lasten der öffentlichen Finanzen, sondern auf Kosten der Beitragszahler erfolgt.
Deshalb war es nach Ansicht meiner Fraktion unangebracht, daß der Herr Bundesfinanzminister bei dem Antrag auf Erhöhung der Renten eine Koppelung zum Etat herbeizuführen suchte und appellierte, an die Sicherung der Währung und der Finanzen des Staates zu denken.
Die Ausschußmitglieder der Regierungsparteien haben nun beschlossen, Erhöhungen der Grundbeträge von 5 DM für Versichertenrenten, 4 DM für Witwenrenten und 2 DM für Waisenrenten vorzunehmen, wobei die Unfallrenten überhaupt nicht erhöht werden sollen. Die Sozialdemokratische Partei ist der Auffassung, daß die von der Mehrheit vorgeschlagene Rentenerhöhung völlig unzureichend ist und in keiner Weise den Lebensbedürfnissen der Alten und Arbeitsunfähigen entspricht. Die Alten, die Witwen und die Waisen, die auf die Leistungen der Sozialversicherung angewiesen sind, haben keine Möglichkeit, ihre Lebensinteressen durch Maßnahmen des wirtschaftlichen Kampfes durchzusetzen oder durch große Protestaktionen das Ohr der Öffentlichkeit zu gewinnen. Das legt diesem Hause die besondere Verpflichtung auf, gerade die Lebensbedürfnisse der Rentner zu berücksichtigen.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß Erhöhungen von 5 DM, 4 DM und 2 DM monatlich dieser sozialen Verantwortung nicht entsprechen.
Bei den Ausschußberatungen hat die sozialdemokratische Fraktion keineswegs stur an dem ursprünglichen Antrag, die Renten um 15 DM, 12 DM und 6 DM zu erhöhen, festgehalten. Die sozialdemokratische Fraktion hatte bei den Ausschußberatungen vielmehr versucht, durch ein Zurückgehen auf Sätze von 10 DM für Versichertenrenten, 8 DM für Witwenrenten und 4 DM für Waisenrenten die Zustimmung auch der Regierungsparteien zu gewinnen. Die Regierungsparteien haben bei den Ausschußberatungen auch diese reduzierten Sätze abgelehnt, so daß es in dieser sozialpolitisch bedeutsamen Frage zu °keiner gemeinsamen Auffassung gekommen ist.
— Nun, Frau Kollegin Kalinke, Sie können nachher vortragen, wieweit nach Ihrer Meinung eine gemeinsame Auffassung erreicht ist. Wir werden darauf antworten.
Nun werden Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, mit dem Einwand kommen, den wir aus allen sozialpolitischen Diskussionen in diesem Hause bereits kennen, daß eine Erhöhung der Renten um 10, 8 und 4 DM finanzpolitisch untragbar sei. Das ist nach Auffassung meiner Fraktion eine etwas zu einfache Lösung angesichts der sozialpolitischen Verpflichtungen, die wir gegenüber den Rentnern zu erfüllen haben. Der Bundestag hat bei den Zuwendungen für Beamte und bei den Zuwendungen für Kriegsbeschädigte trotz aller Schwierigkeiten schließlich einen gemeinsamen Weg gefunden, der auch finanzwirtschaftlich tragbar ist. Auch für die Rentner, deren wirtschaftliche Lage am allerschwierigsten ist, sollte nach Ansicht meiner Fraktion jetzt noch alles versucht werden, um einen befriedigenden Weg zu finden.
Eine Erhöhung um 5, 4 und 2 DM stellt aber nach Auffassung meiner Fraktion keine befriedigende Lösung dar.
Der Antrag der Regierungsparteien bedeutet eine Erhöhung der Rentenausgaben um 280 Millionen DM jährlich, der Antrag meiner Fraktion bedeutet eine Erhöhung der, Rentenausgaben um 560 Millionen DM jährlich. Wir haben uns das sehr genau überlegt und durchkalkuliert. Es ergibt sich also zwischen dem Antrag der Regierungsparteien und dem der sozialdemokratischen Fraktion eine Differenz von 280 Millionen DM jährlich für weit über 5 Millionen Rentner. Die letzte angegebene Zahl der Rentner beziffert sich auf 5 800 000. Meine Fraktion ist ungeachtet aller Schwierigkeiten, die auch gestern in der Beratung des Haushaltsausschusses zum Ausdruck kamen, der Auffassung, daß es möglich ist, die benötigten Mittel ohne Gefährdung der öffentlichen Finanzen oder gar der Währung, wie es manchmal etwas dramatisch dargestellt wird, aufzubringen, wenn dies natürlich auch — darüber sind wir uns sehr wohl im klaren — finanzpolitisch sehr schwierige Fragen aufwirft.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, kommen Sie uns nicht damit, daß es
gestern bei den Beratungen, die während des Plenums im Haushaltsausschuß stattgefunden haben, nicht möglich war, eine Lösung zu finden. Eine solche Lösung läßt sich nicht innerhalb einer halben Stunde oder einer Stunde gewissermaßen aus dem Ärmel schütteln. Aber wir dürfen darauf verweisen, daß die Fragen der Rentenerhöhung, ausgehend von den Anträgen im Oktober, der Regierung bereits seit diesem Zeitpunkt bekannt sind und es eine Aufgabe der Regierung gewesen wäre, seit der ersten Beratung dieser Fragen hier im Plenum nach Möglichkeiten zur Deckung zu suchen und uns genauere Kalkulationen vorzulegen. Wir hatten gestern im Haushaltsausschuß die Situation, daß uns noch nicht einmal über die Auswirkungen der Erhöhungen entsprechend den Anträgen auf Erhöhung um 5, 4 und 2 DM eine schriftliche Kalkulationsunterlage vorgelegt wurde. Gestern wurde im Haushaltsausschuß dargelegt, daß sich das Bundeskabinett erst am Freitag mit der finanzwirtschaftlichen Fundierung dieser Anträge im einzelnen beschäftigen,
erneut beschäftigen würde. Wir sind aber der Ansicht, daß es bei einer Frage, die auf der Tagesordnung dieses Hauses steht und die sozialpolitisch von höchster Bedeutung ist, unbedingt notwendig gewesen wäre, vorher die finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge zu klären.
Für die Beratungen
im Rahmen des Bundeskabinetts über die Bereitstellung der Mittel zur Erhöhung im Sinne des Antrags meiner Fraktion darf ich der Regierung einige bescheidene Hinweise geben.
Erstens. In der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Deckung der Rentenzulagen hat die Bundesregierung am 9. Juni dieses Jahres wörtlich erklärt:
Die Gesamtentlastung des Bundes gegenüber dem ursprünglichen Voranschlag beträgt demnach 300 Millionen jährlich.
Nach Ansicht meiner Fraktion war die tatsächliche Ersparung sogar noch höher.
Zweitens. Nach dem dem Bundesrat in diesen Tagen zugeleiteten Entwurf eines Gesetzes über die Deckung der Rentenzulagen in den Jahren 1953, 1954 und 1955, über den zu gegebener Zeit hier noch ausführlich zu sprechen sein wird, beabsichtigt die Bundesregierung, den Rentenversicherungsträgern jährlich 555 Millionen Barmittel durch Schuldbuchforderungen des Bundes zu entziehen.
Meine Damen und Herren, ich sage damit nicht, daß etwa nun die Deckung dieser erhöhten Aufwendungen ganz oder zum Teil zu Lasten der Rentenversicherungsträger gehen soll. Aber ich führe die Entwürfe der Bundesregierung, nur als Beispiel dafür an, daß die Bundesregierung in bezug auf die Beschaffung von Mitteln besondere Wege vorschlägt. Deshalb sind wir der Ansicht, daß bei einer sozialpolitisch so bedeutsamen Frage wie der Erhöhung der Renten um 10, 8 und 4 DM monatlich die Bundesregierung die gleiche Initiative entfalten sollte.
Und noch ein Drittes. Die Regierung hat in ihren Haushaltsvoranschlag für das laufende Jahr — und damit, Herr Kollege Arndgen, komme ich zu einer Frage, die wir bereits einmal diskutiert haben —
einen Betrag von 175 Millionen DM für Fremdrenten eingesetzt und nach unseren Informationen für das neue Haushaltsjahr einen Betrag von 397 Millionen DM. Niemand verkennt, daß es dringend notwendig ist, dieses Gesetz baldmöglichst zu verabschieden. Aber nach Auffassung meiner Fraktion ist es ein etwas merkwürdiges Verfahren, bereits im Haushaltsvoranschlag mit Gesetzentwürfen zu one-rieren die dem Hohen Hause überhaupt noch nicht vorgelegen haben. Der Herr Bundesfinanzminister wünscht immer — ob mit Recht oder mit Unrecht, sei dahingestellt —, es solle kein Gesetz eingebracht werden ohne entsprechenden Deckungsvorschlag. Nun, dann ist es noch merkwürdig, daß Deckungsbeträge in den Etat eingesetzt werden, ohne daß überhaupt ein Gesetzentwurf vorliegt.
— Sehr genau angesehen, Herr Kollege Arndgen!
— Das ist um so wichtiger, meine Damen und Herren, als es gerade bei diesem Gesetz, das nun hoffentlich bald vorgelegt wird, von der Formulierung im einzelnen abhängen wird, welche Aufwendungen entstehen. Es ist aber völlig unmöglich, mit Beträgen von 175 Millionen oder 397 Millionen DM für ein ganzes Jahr zu operieren, ohne daß der Text dieses Gesetzes feststeht, denn, wie gesagt, von der Formulierung des einzelnen Paragraphen hängen die wirtschaftlichen Auswirkungen ab.
Im übrigen, Herr Kollege Arndgen, zu Ihrer Bemerkung, die Sie schon einmal gemacht haben und die Sie wahrscheinlich gleich wieder bringen werden, im Voranschlag seien 160 Millionen DM abgesetzt worden im Hinblick auf das Fremdrentengesetz. Das haben Sie bei der Haushaltsdebatte erwähnt.
— Dazu darf ich Ihnen einmal das betreffende Kapitel des Haushaltsvoranschlages vorlesen. Da heißt es nämlich:
Es wird erwartet, daß die bei den Kap. I a, I b, I c veranschlagten allgemeinen Haushaltsausgaben voraussichtlich nicht voll in Anspruch genommen werden.
Da steht nichts davon drin, daß das Fremdrentengesetz nicht durchgeführt werden wird. Das Fremdrentengesetz steht in Kap. I c, während hier auf Ersparnisse in den Kap. I a, I b und I c Bezug genommen wird.
— Jawohl, das ist gerade das, was weitergeschlagen ist, auf Seite 37! Schauen Sie sich den Haushaltsvorschlag unter XI an!
Die sozialdemokratische Fraktion verkennt in keiner Weise die finanzwirtschaftliche Schwierigkeit der Materie. Wir sind aber der Auffassung, daß mit allem Ernst wirtschaftliche Möglichkeiten gesucht werden sollten, die gewährleisten, daß den Rentnern eine Erhöhung gewährt wird, die der tatsächlichen Entwicklung der Lebenshaltungskosten entspricht.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß hierzu alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müßten. Nach unserer Meinung entspricht die von der Mehrheit des Ausschusses vorgeschlagene Erhöhung der Renten um 5, 4 und 2 Mark weder den sozialen Bedürfnissen der Rentner noch den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Bundes.
Wir stellen deshalb den Antrag, in Ziffer 1 fol- gende Erhöhungen vorzunehmen: Erhöhungen für Versichertenrenten 10 DM, Erhöhungen für Witwenrenten 8 DM, Erhöhungen für Waisenrenten 4 DM.