Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Lauf der heutigen Debatte ist zu verschiedenen Zeiten der Gesichtspunktaufgetaucht, daß der Verfassungsstreit doch eigentlich zu einem früheren Zeitpunkt hätte entschieden werden können. Ich möchte Ihnen sagen, daß das weiß Gott nicht an uns gelegen hat. Wenn Sie sich, seitdem diese Frage offen in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland steht, dazu bereitgefunden hätten, sie gemeinsam mit uns von den dazu befugten Organen entscheiden zu lassen, dann brauchten Sie das jetzt nicht als einen Vorwand für die Verzögerung der immerhin auch politischen Entscheidung zu nehmen. Das wäre möglich gewesen.
Herr Dr. Ehlers hat eine erfreuliche Mahnung an alle Seiten des Hauses gerichtet, bei der Diskussion über dieses Vertragswerk mit großen Worten vorsichtig zu sein. Ich möchte unterstellen, daß diese Mahnung auch an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers gerichtet gewesen ist,
der immerhin zweimal nicht nur bei seiner ersten Rede, sondern auch bei der Wiederholung, die wir heute bekommen haben, an den Schluß seiner wirkungsvollen Ausführungen eine Reihe von sehr großen Worten gesetzt hat.
Aber ich möchte Herrn Dr. Ehlers selbst daran erinnern, daß sein schönes Zitat Bismarcks vom Zipfel ides Mantels Gottes in der Weltgeschichte sich wahrscheinlich für beide Standpunkte verwenden läßt und sicher nicht nur für den einen.
Er kann davon überzeugt sein, daß uns die Sorge um das eigene Volk und um seine Sicherheit genau so bewegt wie ihn.
Das möchte ich hier an dieser Stelle aussprechen.
Aber nun etwas anderes, was auch aus seinen Ausführungen durchklang und womit man sich befassen muß: Wir befinden uns nicht in einer KoreaSituation.
Ich finde, daß es den politischen Realitäten nicht gerecht wird, wenn wir mit diesem, angesichts der Anwesenheit amerikanischer und britischer Besatzungstruppen in Deutschland durch nichts gerechtfertigten Vergleich die Angstpsychose in unserem Volk verbreiten, die nie ein guter Ratgeber gewesen ist.
Der Bundeskanzler hat früher selbst einmal ausgesprochen — und für diesen Ausspruch sollten
wir ihm dankbar sein —, daß eine unmittelbar drohende russische Aggression nicht vor der Tür steht.
Die Angst ist eine der Waffen der Kommunisten im Kalten Krieg,
und wir sollten endlich an die Stelle der Angst die ruhige Diskussion und das Gefühl der Zuversicht und der Sicherheit auch in unserem Teil der freien Welt verbreiten, weil wir damit am wirksamsten den Kommunisten diese Waffe aus der Hand schlagen.
Nun zu einigen Aussprüchen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Erwiderung auf die Ausführungen des Abgeordneten Ollenhauer. Der Abgeordnete Ollenhauer hat ein Zitat aus 'der Ratifizierungsdebatte des englischen Unterhauses hier dem Hohen Hause vorgetragen. Ich meine, das ist sein gutes Recht. Er hat keine einzige Behauptung aufgestellt, die in irgendeiner vertraulichen Besprechung widerlegt warden ist. Ich habe vor mir die Drucksache Nr. 3900 mit den Berichten der Ausschüsse. Das, worauf sich der Kollege Ollenhauer gestützt hat, findet sich in den Feststellungen des EVG-Ausschusses,
die offenbar dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt sind.
Ich will den Teil über die Außenhilfe in Ihre Erinnerung bringen. Der EVG-Ausschuß hat festgestellt, daß sich aus den ihm gegebenen Erklärungen nicht ergeben hat, wie hoch ziffernmäßig die Verpflichtung der USA gegenüber den NATO-Ländern ist. Welchen bestimmten Wert und zahlenmäßigen Umfang das zu liefernde leichte und schwere Material hat, konnte nicht festgestellt werden. Der EVG-Ausschuß hat darüber hinaus in seinen Bericht aufnehmen müssen, daß die Verpflichtung der USA nicht die Form eines im Besitz der Bundesrepublik befindlichen unterzeichneten Dokuments zu haben scheint, sondern nur auf protokollarisch festgehaltene mündliche Erklärungen der amerikanischen Beobachter bei den Pariser Verhandlungen zurückzuführen ist.
Hier wird jetzt dem Abgeordneten Ollenhauer der Vorwurf, der im Munde des Bundeskanzlers gar nicht so ungewöhnlich ist,
gemacht, er habe wieder einmal eine Art Vertrauensbruch begangen.
Herr Bundeskanzler, das ist nicht wahr.
Der Bundeskanzler hat hier an dieser Stelle erklärt, der Abgeordnete Blank habe ihm mitgeteilt, daß dem Abgeordneten Ollenhauer die Unterlagen zur Verfügung gestellt worden seien — so ähnlich hat er sich ausgedrückt —, daß seine Befürchtungen wegen des Materials unbegründet sind. Herr Abgeordneter Blank hat keinerlei ausreichende, verbriefte Erklärungen beibringen können, zu keiner Stunde, weder dem Abgeordneten Ollenhauer noch dem EVG-Ausschuß noch sonst jemandem in der Welt,
aus denen sich klar ergibt, wie hoch die amerikanische Verpflichtung ist und in welchem Umfange wirklich und wahrhaftig mit dem schweren oder auch leichten Material für die Aufstellung von deutschen Divisionen ernsthaft zu rechnen ist.
Es ist gut, daß unser Volk diese Zusammenhänge kennt. Denn ein großer Teil dieses Vertrages ist ja gerade auf Sand gebaut. Sie erwecken die Illusion der Sicherheit, und Sie schaffen keine Sicherheit. Sie verlassen sich darauf, daß nach den Abmachungen dieses EVG-Vertrages — die finanziellen Konsequenzen sind Ihnen auch durch den Bericht in diesen Tagen vorgetragen worden — Ihnen durch die amerikanische Außenhilfe all das zufließt, was zur Aufstellung der vorgesehenen zwälf deutschen und einer Reihe von anderen Divisionen erforderlich ist; und diese Hoffnung ist trügerisch, nachdem wir wissen, daß der neue amerikanische Präsident die Außenhilfe auch an die europäischen Staaten nicht erhöhen, nicht einmal im vollen bisherigen Umfange weiter zu leisten entschlossen ist. Das hat er nämlich seinem Volke versichert.
Ich meine also, daß wir in diesem Punkte nicht mit Vorwürfen arbeiten sollen, die hart ans Ehrenrührige grenzen.
Der Bundeskanzler täte besser, sich mit den sachlichen Argumenten auseinanderzusetzen,
statt diese Argumentation zu wählen.
Hier hinein gehört das Zitat des Kollegen Schmid, der sich einmal für ein internationales System der kollektiven Sicherheit ausgesprochen habe. Das halten wir in vollem Umfange aufrecht, weil das uns in diesen Verträgen angebotene System unserem Volke weder Sicherheit bringt noch im echten Sinne kollektiv ist.
Denn zur kollektiven Sicherheit gehört unverzichtbar hinzu die Gleichberechtigung. Ich darf hier aus einer Publikation, die Ihnen auch zugänglich ist, aus dem Bericht des Exikutivkomitees der American Federation of Labor, einer amerikanischen Millionenorganisation, vorlesen, was sie vom Zusammenhang dieser Verträge mit der kollektiven Sicherheit hält. Sie sagt in diesem Bericht wörtlich:
Eine formelle Ratifizierung unvernünftiger
und ungerechter vertraglicher Abmachungen
trägt nicht zur .Einheit und kollektiven Sicherheit des demokratischen Europa bei.
Ich meine, der Satz ist sehr deutlich und dürfte Ihnen zu denken geben und mindestens einmal klarmachen, daß es kein Bruch in der sozialdemokratischen Haltung ist, wenn wir nach wie vor für ein internationales System kollektiver Sicherheit eintreten, aber dieses System aus den Gründen, die ich Ihnen darlegte, ablehnen.
Der Bundeskanzler hat das übrigens selbst bestätigt mit seinem Eingeständnis am heutigen Tage. daß das jetzige Vertragssystem mit Partnerschaft ja nichts zu tun hat. Gleichberechtigung muß die
Ausgangsbasis für ein Bündnis sein. Denn was uns hier vorliegt, ist doch mehr als die Liquidierung des vergangenen Krieges. Das ist gleichzeitig ein echtes militärisches Bündnis. Das ist etwas, was mit den Friedensschlüssen der vergangenen Jahrzehnte nicht verglichen werden kann. Und in ein solches Bündnis können sich die Partner nur hineinbegeben auf der Basis der Gleichberechtigung. Solange die Vorbehaltsrechte, solange eine Reihe anderer Bestimmungen des Generalvertrags auf der Bundesrepublik lasten, solange ist die Bundesrepublik der einzige nicht souveräne Partner in dieser Organisation.
Solange handelt es sich also nicht um ein echtes System kollektiver Sicherheit.
Ich darf einen Mann hier zitieren, der sicher etwas davon versteht. Es ist der frühere britische Deutschlandminister Hynd. Er hat in derselben Unterhausdebatte, von der schon die Rede war, gesagt:
Es ist keine Grundlage der Gleichberechtigung, wenn ein Vertragsteilnehmer eine Armee hat, deren Kommando in den Händen einer Organisation liegt, der er nicht als Mitglied angehören darf.
Das französische Parlament hat in einer Resolution beschlossen, daß es den Deutschen nicht gestattet werden wird, Mitglied der NATO zu werden.
Es ist keine Grundlage der Gleichberechtigung, wenn es eine besondere Vorschrift für den Notstand gibt, unter dem die deutsche Regierungsgewalt suspendiert werden kann.
Nun noch einige Worte zu dieser berühmten Notstandsklausel, über die hier schon viel gesprochen worden ist. Mir geht es hier um den erhobenen Vorwurf, ein Zitat des verstorbenen Dr. Kurt Schumacher sei die Veranlassung dafür gewesen, daß die Notstandsklausel und das Statioringsrecht der Besatzungstruppen als Vorbehaltsrecht, aus dem sich auch die Notstandsklausel ergebe, den Weg in diesen Vertrag gefunden habe. Bei Kurt Schumacher und der deutschen Sozialdemokratie hat es nie Zweifel an der Verbundenheit eines freien Deutschlands mit der Welt der demokratischen Freiheiten gegeben. Es gibt aber einen anderen Mann, der einmal Zweifel in einen möglichen politischen Kurs Deutschlands gesetzt hat, als er ausgesprochen hat: „Mit wem das wiedererstarkte Deutschland zusammengehen wird, hängt ganz davon ab, wie das übrige Westeuropa Deutschland behandelt".
Der Redner hieß Konrad Adenauer und ist heute deutscher Bundeskanzler.
Ein solcher Satz kann mehr zur Notstandsklausel beigetragen haben, um sich gegen alle Eventualitäten zu sichern, als Sie vielleicht heute wahrhaben wollen.
Hierzu passen die anderen Sätze von der dynamischen Entwicklung mit dem stillen Hintergedanken, der ja auch manchmal hier bei anderen Leuten zum Vorschein kam, daß mit 12 Divisionen die Weltgeschichte doch schon ein bißchen anders aussehe, und weiter der sehr interessante Satz, daß die Westmächte doch Narren wären, wenn sie Besatzungsrechte aufgäben, bevor sie sicher seien, daß wir mit ihnen zusammengingen. Das rundet das Bild und gibt ungefähr den Wind an, durch den die Notstandsklausel in die Verträge hineingeweht worden ist.
Zur Notstandsklausel gehört aber noch etwas. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede ausgeführt: „Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben". Art. 9 Abs. 3 des Vertrages sagt:
Streitigkeiten, welche die Bestimmungen der Absätze 1 bis 7 des_Artikels 5 berühren, unterliegen nicht der Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts oder eines anderen Gerichts.
Das ist gerade die Notstandsklausel. Wir können nicht einmal den Haager Gerichtshof anrufen.
— Natürlich, von diesem Schiedsvertrag ist die Notstandsklausel, Herr von Brentano, ausgeschlossen.
— Nein, nein, darüber gibt es keinerlei vertragliche Abmachungen. Darüber gibt es einige sehr abenteuerliche Auslegungskunststücke des Herrn Kollegen von Merkatz; das ist alles. Aber es gibt keine Vertragsbestimmung. Der Vertrag enthält klar und eindeutig den Satz, daß die Bestimmun- gen der Notstandsklausel von der Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts ausgeschlossen sind.
— Das ist das berühmte Kunststück des Herrn von Merkatz, das ich eben bereits vorgeführt habe. Darüber entscheidet letzten Endes doch diejenige Macht, die die Auslegung der Notstandsklausel in der Hand hat. Der Vertragstext ist so eindeutig, daß wir hier nicht auf weitere Auslegungskunststücke einzugehen brauchen.
— Nein! Nicht, weil es mir nicht paßt, sondern weil das auch von der Auffassung der anderen Vertragspartner abhängig ist und weil die ganz klar hineingeschrieben haben, daß sie das Schiedsgericht mit der Notstandsklausel in keinerlei Zusammenhang bringen wollen. Das ist die Sache.
— Nun, ich verstehe, meine Damen und Herren, die Diskussion der Einzelheiten der Verträge war und ist Ihnen einigermaßen peinlich.
— Ich kann es Ihnen trotz der vorgerückten Stunde nicht ersparen, — —
— Aber selbstverständlich!
— Lesen Sie es doch bitte durch! Natürlich habe ich Art. 5 gelesen. — Ah, jetzt weiß ich, was Sie meinen, Kollege von Brentano! Sie meinen die Anrufung des Atlantikrates?
— Das ist eine großartige Sache! Es ist gut, daß Sie mich darauf gebracht haben. — Wenn die Drei Mächte in Deutschland den Notstand erklärt und auf Grund des Notstands irgendwelche Maßnahmen verhängt haben, dann kann die Bundesregierung sich nach Ablauf gewisser Fristen beschweren,
und zwar bei wem? Sie kann sich beschweren beim Atlantikrat, und das ist nun besonders interessant. Stellen Sie sich bitte vor, vor dem Gericht des Atlantikrats geht der Vorhang auf, und am Richtertisch sitzen die drei Beklagten, die in Deutschland den Notstand erklärt haben!
Das sind die Rechtsmittel!
— Das steht leider im Vertrag drin, Kollege Pelster!
— Ja, aber Beschlüsse des Atlantikrats müssen nach der Satzung einstimmig gefaßt werden.
— Aber nicht mit uns! Der Beschwerde der Deutschen kann nicht gegen die Stimmen derer entsprochen werden, die in Deutschland den Notstand erklärt haben. Das ist der Sachverhalt.
Aber wir wollen einige andere Punkte, die Ihnen sicherlich nicht weniger unangenehm sind, erörtern.
Die Bundesrepublik hat sich selbst als strategisch gefährdetes Gebiet erklärt und hat als einziger Staat auf die Anrufung des Gerichtshofes wegen bestimmter Dinge der Rüstungsproduktion verzichtet. Die Pulverlinie bedeutet in gewissem Umfange eine einseitige Diskriminierung der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik ist mehr als die übrigen EVG-Partner von fremder Rüstungsproduktion abhängig. Das Verbot der Produktion von Militärflugzeugen bedeutet praktisch, weil es ökonomisch nicht anders geht, auch den Verzicht auf die Produktion von Zivilflugzeugen. Viele Verpflichtungen zum Beitritt zu sogar noch nicht ratifizierten Abkommen und zum Erlaß von Gesetzen sind einseitig der Bundesrepublik auferlegt worden. Das ist ein klarer Ausfluß des Besatzungsdenkens. Oder rufen wir uns heute Herrn Professor Erhard in Erinnerung! Vielleicht war es ihm sogar sehr recht, daß man auf dem Wege über die Verträge bestimmte Regierungsvorlagen heilig spricht und sie auf diese Weise einer späteren parlamentarischen Diskussion entzieht.
Der Truppenvertrag gewährt nicht den NATO- Status und ist geboren aus dem Mißtrauen der Besatzungsmächte, nicht aus dem Geist der Partnerschaft. Sie alle haben jene Drucksache in Händen, an Hand- der Sie vergleichen können, wie verschieden die Atlantikpaktmächte unter sich ihren Truppenvertrag abgeschlossen haben im Vergleich zu dem Truppenvertrag, der uns auferlegt wird. Es gibt Vorrechte für die Versorgung der Besatzungstruppen, die sie woanders nicht haben. Die Zollkontrollen werden an den entscheidenden Grenzübergangspunkten durch ihre eigenen Bediensteten und lediglich unter Mitwirkung der Deutschen durchgeführt. Es gibt kein Ausweisungs-, Haussuchungs- und Festnahmerecht, wie es sonst den nationalen Behörden in anderen Ländern des NATO-Systems zusteht. In Strafsachen liegt die Gerichtsbarkeit im Truppenvertrag bei den Streitkräften, in der NATO beim Empfangsstaat. Das ganze Strafgesetzbuch des Anhangs A ist überall sonst mit seinen Sicherheitsvorschriften den nationalen Parlamenten überlassen; nur diesem Bundestag ist das Recht zum selbständigen Erlassen derartiger Gesetze entzogen. Er muß dieses Gesetzbuch schlucken und darf es später im Schutz nicht vermindern.
Die Regulierung von Besatzungsschäden sieht ganz anders aus. Nach dem NATO-Abkommen gibt es einen Schiedsrichter aus den Staatsangehörigen des Aufenthaltslandes. Der Entsendestaat zahlt drei Viertel und in gewissen Fällen alles der Schäden. Ich will nur am Rande bemerken, daß die Unsicherheit auf dem Gebiet der Dienstgruppen nicht beseitigt ist. Mit der Auflösung allein ist es nicht getan. Die Männer der Dienstgruppen warten bis zum heutigen Tage darauf, daß die Autorität der Bundesregierung ihnen endlich einen anständigen Tarifvertrag verschafft.
Nun komme ich zu dem Kernstück des ganzen Vertragswerkes, und zwar zu den Beziehungen zur Nordatlantik-Organisation. Auch auf die Gefahr, wiederum Ihren stürmischen Widerspruch hervorzurufen, muß ich einmal den Vertrag zitieren, Art. 18 § 1 Abs. 2:
Sobald die Europäischen Verteidigungsstreitkräfte verwendungsbereit sind, stehen sie . . . dem Oberbefehlshaber der NordatlantikpaktOrganisation zur Verfügung.
§ 2:
Im Krieg hat der zuständige Oberbefehlshaber der Nordatlantikpakt-Organisation gegenüber den bezeichneten Streitkräften die volle Gewalt und Verantwortung, die sich aus seiner Stellung als Oberbefehlshaber ergibt.
Auch diese beiden Bestimmungen sind so klar, daß hieran nicht gedeutelt werden kann.
Das Aufsichtsrecht des Oberbefehlshabers der NATO geht auch in Friedenszeiten sehr weit. Er gibt die Empfehlungen über die Dislozierung, d. h. über die Truppenverteilung in den Ländern der Organisation. Von diesen Empfehlungen kann die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nur mit einstimmiger Zustimmung des Ministerrats abweichen, praktisch überhaupt nicht. Das bedeutet, daß sich die gesamte Organisation im wesentlichen nach dem Oberbefehlshaber der Atlantikorganisation in Krieg und Frieden zu richten hat. Es besteht — aus den Zwischenrufen des Kollegen Bausch darf ich das schließen — offenbar mehr
Vertrauen zur Atlantikorganisation als zu den anderen Vertragspartnern. Da frage ich mich, warum Sie dann mit denen den Vertrag abgeschlossen haben.
Verträge, die auf Mißtrauen der Partner gegeneinander aufgebaut sind, sind nicht die geeignete Verteidigungsgrundlage.
Der NATO-Rat kann wichtige Entscheidungen auch ohne gemeinsame Sitzungen, auf die Sie so stolz sind, fassen, d. h. auch ohne die Bundesrepublik, z. B. die Bestellung des Oberbefehlshabers, Weisungen an den Oberbefehlshaber, den Schlüssel für die Verteilung der Finanzlast.
Das Mitwirken in den Stäben der Atlantikorganisation, das hier so gepriesen wurde, hat einen großen Haken. Bei den Vorschlägen, die die EVG macht, dürfen die Deutschen nicht diskriminiert werden. Aber wie unser Regierungsvertreter selbst gesagt hat, müssen alle, auch die deutschen Vertreter, erst das Agrément, die Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit von der Atlantikorganisation erhalten, und dafür gibt es keine vertragliche Sicherung.
Zur Außenhilfe ist vielleicht noch zu erwähnen, daß sie allein vom Kommissariat verwaltet und verteilt wird, daß der Geber bestimmte Auflagen und Bedingungen machen kann und daß der englische Außenminister Eden die Verträge bestimmt so gut kennt wie wir, daß er aber darüber hinaus die internen Absprachen der Vertragspartner untereinander kennt. Daraus erklärt sich sein Ausspruch im britischen Parlament, der einen merkwürdigen Beigeschmack hat, indem er nämlich meinte, die demokratischen Staaten müßten vor den Deutschen ausgerüstet und bewaffnet werden, womit er zu erkennen gab, daß der englische Außenminister Eden jedenfalls bis zum heutigen Tage die Bundesrepublik noch nicht für einen demokratischen Staat hält.
Nun einige Worte zur strategischen Konzeption. Die Grundfrage, die unser Volk bewegt, ist: Schaffen ihm diese Verträge echte Sicherheit, oder wird die Bundesrepublik zum Schlachtfeld? Die Angelsachsen können es sich leisten, die ersten Schlachten zu verlieren, wenn sie zum Schluß den Krieg doch gewinnen. Deutschlands Schicksal in der Gegenwart hängt für den Fall eines Konflikts davon ab, daß es nicht das Schicksal der verbrannten Erde und noch dazu zweimal erleidet.
Das deutsche Volk ist nicht daran interessiert, Opfer allein für die Sicherheit anderer zu bringen, sondern nur dann, wenn es weiß, daß effektiv Deutschland damit das Höchstmaß an erreichbarer Sicherheit gewinnt.
Wir können nicht davon ausgehen, daß wir den anderen Partnern gegenüber eine Art moralische Verpflichtung haben, Soldaten gewissermaßen als eine Art Wiedergutmachung für die Sünden des Dritten Reichs zu stellen.
Die Mitwirkung deutscher Verbände an der gemeinsamen Verteidigungsmacht ist militärisch sinnlos, solange die Deutschen nicht genau wie die anderen an der politischen und strategischen Konzeption der gesamten Organisation mitwirken können und solange nicht Taten beweisen, daß Deutschland das Schicksal der verbrannten Erde erspart werden soll. Lesen Sie bitte ein ganz neues Dokument, lesen Sie einmal die militärpolitische Betrachtung der „Saturday Evening Post" vom 29. November; das ist erst ein paar Tage her. Darin heißt es, daß wahrscheinlich nicht einmal der Rhein als Linie zu halten sei, daß man für Europa eine Flankenstrategie ins Auge fassen müsse, daß es in Deutschland darauf ankomme, den eventuellen russischen Vormasch möglichst zu verlangsamen, und zwar mit einem Höchstmaß an sehr detailliert angebenenen Zerstörungen, Einsatz von Untergrundpartisanen und all den Dingen, mit denen wir uns in diesem Hause schon einmal befaßt haben.
Dann heißt es sehr gemütvoll darin, daß man den Russen ja auch erklären könnte: Wenn ihr, die Russen, die Grenze überschreitet, dann wird eure Armee eben durch die Wasserstoffbombe zerstört, auch wenn die Zivilbevölkerung dieses Gebiets dabei leider mit stirbt. Das sieht etwas anders aus als die uns heute hier angekündigte Offensive nach Osten.
Eine echte Mitwirkung an der Erarbeitung der
strategischen Konzeption hat die Bundesrepublik
nicht. Deutschland ist nicht NATO-Mitglied. Das
Verlangen auf gemeinsame Sitzungen, das sich in
dem Protokoll über die Beziehungen zwischen EVG
und NATO findet, bindet die Atlantikorganisation
überhaupt nicht, weil die NATO-Staaten dieses
Protokoll nicht unterzeichnet haben. Das ist ledig-
lich ein Vertrag unter den EVG-Staaten und bindet
nur diese. Feste Zusagen der Atlantikorganisation,
daß auch sie mit solchen gemeinsamen Sitzungen
einverstanden ist, liegen uns jedenfalls nicht vor.
— Nein, das sind nicht dieselben. Die Atlantikorganisation, das wissen Sie doch, ist wesentlich umfangreicher als die EVG.
— Unsere drei Partner, die den Notstand erklären können, die sind auch in der NATO und hinreichend stark genug, um dort nicht überstimmt zu werden, denn es geht dort einstimmig zu, wenn sie den Notstand aufheben wollen.
— Im Atlantikpakt steht es,
daß es nur einstimmige Beschlüsse gibt.
Vor allem ist erforderlich, daß der deutsche Partner vor dem Eingehen derartiger Verpflichtungen die zugrunde liegende Konzeption für den Fall der Verwirklichung der EVG tatsächlich kennt. Die Vertragsbestimmung, mit der wir getröstet werden, daß die Verteidigung eben das gesamte Gebiet der EVG gegen jeden Angriff zu decken habe, reicht nicht aus. Die Verantwortlichen und nur diese — ich gebe zu, daß man militärische Dinge
nicht auf dem Markt erörtern kann —, aber die Verantwortlichen müssen konkret wissen, wozu im einzelnen auch die deutschen Truppen verwendet würden. Die Bundesregierung hat uns gesagt: Das geht nicht, solange wir nicht der Organisation angehören. Diese Vorstellung ist falsch. Bevor man einem Verein beitritt, will man Gewißheit über die Ziele und die dem Verein zur Verfügung stehenden Mittel haben, um zu wissen, ob sich das Opfer auch lohnt.
Die bisherigen Maßnahmen sind keineswegs beruhigend: Die Sprengkammern, die Verlegung des britischen Hauptquartiers ins linksrheinische Gebiet, die Äußerungen eines der künftigen Befehlshaber auch über unsere Soldaten, nämlich des Marschalls Juin, die Erklärungen, die uns im Zusammenhang mit dem NATO-Fragebogen gegeben wurden, daß die Dislozierung der Streitkräfte noch völlig ungeklärt sei, und die Erwähnung in der Erklärung der Bundesregierung, daß Deutschland strategisch gefährdetes Gebiet sei, all das gibt uns nicht das Zutrauen, daß Deutschland mit dieser Organisation auch effektiv geschützt werden kann und geschützt werden wird.
Nun komme ich, da Sie gerade von den Flinten sprechen, einmal zur Heimatverteidigung. Zu den Zahlen der Divisionen und der Kosten, über die wir uns unterhalten haben, kommt noch eine Reihe wollig unbekannter Größen hinzu. Das ist das große Loch im Vertrag. Es handelt sich um wichtige Dinge, z. B. um den Schutz des deutschen Lutiraums, eventuell durch Jäger, Flak und dergleichen.
Es ist nicht bekannt, was die anderen in dieser Organisation haben. Es ist nicht bekannt, was gemeinsam verabredet werden soll. Und es ist weiter nicht bekannt, was Deutschland auf diesem Gebiet selber aufstellen kann oder soll.
Die Wehrpflicht ist im Vertragstext festgelegt. Es ist müßig, sich in Entschließungen darüber zu ergehen und auch Konferenzen abzuhalten, ob vielleicht eine andere Heeresorganisation zweckmäßiger wäre. Wer diesen Vertrag akzeptiert, sagt damit Ja zur allgemeinen Wehrpflicht.
In diesem Zúsammenhang sei noch darauf hingewiesen, daß dieses Prinzip einen weiteren Beitrag zur Spaltung Deutschlands leistet, indem es praktisch keine einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft mehr geben wird, weil die Bundesrepublik natürlich nur die Einwohner ihres Gebietes zur Heerespflicht einziehen könnte, und daß die Schwierigkeiten aus der Wehrüberwachung im Verkehr mit Berlin eine große Anzahl unserer jungen Männer künftig daran hindern werden, mit der alten Reichshauptstadt im bisherigen Umfang zu verkehren. Aber — und das ist nun ein sehr aktuelles Thema, das sehr gern ausgesponnen wird; es klang heute nur in einem einzigen Satz an, als die Rede von der Zuverlässigkeit der künftigen Kader dieser Organisation war — die Personalauswahl hat heute Anfänge genommen, die uns beunruhigen. Ich will das offen sagen. Der Kollege Blank hat einige Erklärungen abgegeben, in denen er von einem Auswahlausschuß gesprochen hat, der sich zusammensetzen soll u. a. aus Vertretern der Kirchen, der Gewerkschaften und der Jugendorganisationen.
Was ich vermisse — und darüber hat er keine Erklärung abgeben können —,
ist, welche Rolle die Bundesregierung in diesen für den Geist ihrer eigenen Organisation, so sie zustande kommt, entscheidenden Fragen eigentlich diesem Hause, nämlich dem deutschen Parlament, einzuräumen gedenkt.
Wird nun die Organisation überhaupt ein taugliches Instrument sein? Die Frage, ob die Integration im Armeekorps überhaupt funktionieren kann, ist vielen Sachverständigen mindestens zweifelhaft. Ich will mich über das Thema der Schwerfälligkeit der sehr unglücklichen, aber vielleicht nicht anders denkbaren Regelung der Sprachenfrage und des sehr komplizierten Apparats der Hilfstruppen beim Armeekorps hier nicht weiter verbreiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß das Ganze dann kein taugliches Instrument ist, wenn, wie ich Ihnen vorhin darlegte, wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, daß die erforderlichen Mittel für eine schlagkräftige Ausstattung dieser Organisation, wie Sie sie vorgesehen haben, weder von der Bundesrepublik noch von den übrigen Vertragspartnern noch auch in ausreichendem Umfang von den Vereinigten Staaten von Amerika aufgebracht werden.
Die Ausstattung der Reserven ist ein offenes Problem. Wer mit der Wehrpflicht rechnet, muß davon
ausgehen, daß wir künftig denselben Zahlenaufwand für die Erstausstattung an Material in den
weiteren acht Jahren aufzubringen haben. Das
macht in dieser Zeit für die EVG eine Last von
144 Milliarden allein für das deutsche Kontingent.
Ich erwähne das nur — nicht, weil wir sagen: man muß allein über Kosten reden, das ist nicht allein die entscheidende Frage —, aber damit Sie wenigstens einmal wissen, um welche Größenordnungen es geht.
Nun kommt eines der entscheidenden Themen, nämlich die Moral der künftigen Truppen. Meinen Sie allen Ernstes, ein Truppenkontingent hat eine große Kampfkraft und ist von Wert für sich und alle anderen Partner, wenn der Wehrbeitrag ohne eine echte breite Zustimmung des deutschen Volkes zustande kommt?
Das ist der Sinn der breiten Mehrheit, und nicht allein der Wortlaut der Verfassung.
Meinen Sie, die Moral der Truppe ist gut, wenn sie weiß, daß sie einem Oberbefehlshaber unterstellt ist, auf dessen Auswahl der eigene Staat gar keinen Einfluß hat? Meinen Sie, die Moral ist gut, wenn die Truppe nicht die Gewißheit hat, daß sie in erster Linie nicht für die Sicherheit der eigenen Heimat kämpft? Wenn die Truppe sich vor die Vorstellung gestellt sieht, daß sie möglicherweise ein sinnloses Opfer mit der Substanz des eigenen Volkes bringt, ohne daß damit unserem Volk das
Schicksal der verbrannten Erde erspart bleibt? Meinen Sie, die Moral ist gut, wenn wir schwere Risse in unserem Sozialgefüge durch diese Organisation zwangsläufig verursachen?
Nur ein kleines Beispiel: Die Pensionen der Berufssoldaten sind von den Drei Weisen als Verteidigungsbeitrag anerkannt, aber die Versorgungslasten der anderen Kriegsopfer nicht. Das ist nicht gerade ein beruhigendes Zeichen für den, der später zu den Fahnen gezogen würde.
Und dann das merkwürdige Zwielicht, das immer
noch über den verurteilten Kriegsgefangenen liegt.
Kollege Strauß hat uns vorgeworfen, wir prüften die Verträge nur zu einem politischen Machtkampf. Ich kann Sie beruhigen, Kollege Strauß. Die Sorge unserer Prüfung
war die um die Lage und Sicherheit unseres Volkes und keine andere.
— Herr von Brentano,
ich glaube, über diesen Punkt wird sich das
deutsche Volk sein eigenes Urteil bilden.
Ich darf noch einiges
zu den Ausführungen von Herrn Professor Hallstein sagen. — Das Wort Agent fehlte gerade noch von einem Mann, der bis 1949 in der Sowjetzone zu den Brückenbauern gehört hat, Kollege Tillmanns.
— Das Wort fehlte aus Ihrem Munde, nachdem die Sozialdemokraten bereits zu einigen Tausenden in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern saßen, als andere Leute noch in Berlin Block-Politik machten.
Da Sie gerade dieses Thema vorhaben, möchte ich einiges zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers über die Haltung der Sozialdemokratie zu Berlin sagen. Der Herr Bundeskanzler hat hier erklärt, er habe durch seine Tat für Berlin allein mehr getan, als die Sozialdemokratische Partei in all ihren Reden.
Wissen Sie nicht, welcher geschichtlichen Entscheidung in den schweren Januartagen 1946 Berlin die Erhaltung seiner Freiheit verdankt?
Wissen Sie nicht, wie die Regierung Berlins in den schweren Zeiten der Luftbrücke beschaffen gewesen ist? Wissen Sie das alles nicht?
Wissen Sie nicht, wie wir Ihnen hier jede Bundesbehörde haben abtrotzen müssen, die nach Berlin verlegt werden sollte?