Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede beginnen auch auf die Gefahr hin, die verschiedenen Gruppen, die hier miteinander sprechen, in ihrer Unterhaltung zu stören.
Ein Artikel des EVG-Vertrages ist an diesen zwei Tagen überhaupt noch nicht besprochen worden. Das ist der Art. 38, derjenige Artikel, der bestimmt, daß nunmehr und in welcher Form ein Europa aufgebaut werden kann, und zwar auf der Grundlage der Verteidigungsunion und der Montan-Union. Wenn Herr Kollege Ollenhauer vorhin erklärt hat, es werde jetzt in Paris versucht, neben der supranationalen Behörde der MontanUnion und neben der anderen supranationalen Be-
hörde der Verteidigungsgemeinschaft noch eine dritte aufzubauen, dann irrt er. Der Irrtum ist allerdings verzeihlich; denn es ist allein die deutsche Sozialdemokratie, die es im Gegensatz zu den Parteien aller anderen Länder versäumt hat, absichtlich versäumt hat, ihrerseits Vertreter in diese ad-hocVersammlung und ihre Kommissionen zu schicken. So kann natürlich Herr Ollenhauer nicht richtig unterrichtet sein.
Wenn weiter Herr Kollege Schoettle zu Beginn der gestrigen Sitzung davon gesprochen hat, daß es sich hier um eine private Veranstaltung handle, so darf ich ihn darauf hinweisen, daß es sich bei dieser angeblich privaten Veranstaltung um eine Veranstaltung handelt, der von allen Seiten die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird, nämlich dadurch, daß alle Länder und alle Parteien der betreffenden Länder doch immerhin nicht gerade die unbekanntesten Personen dorthin schicken, selbst England. England ist sogar in jeder der Unterkommissionen durch je drei Delegierte — und nicht die schlechtesten ihrer jeweiligen Parteien — vertreten, woraus sich ergibt, welches Interesse auch England diesem kommenden Europa entgegenbringt.
Aber in einem hat Herr Kollege Schoettle recht. Es gab auch eine private Veranstaltung, die im vergangenen Jahre diesen Verhandlungen voranging, ausgegangen von dem Mouvement Européen, der seinerseits nach sehr eingehenden Verhandlungen schon den Entwurf einer solchen Verfassung gefertigt hat, ähnlich wie auch in Herrenchiemsee schon vor Beginn des Parlamentarischen Rates ein Entwurf ausgearbeitet worden war, der als Grundlage dienen konnte. Aus diesen privaten Verhandlungen möchte ich Ihnen zu Beginn folgendes erzählen. Wir verhandelten damals darüber, ob ein künftiges Europa, ob die künftigen Vereinigten Staaten von Europa einen Verfassungsgerichtshof haben sollten und welche Rechte er haben sollte. Da wurden nun die Erfahrungen ausgetauscht, die die verschiedenen Länder mit solchen Gerichtshöfen gemacht hatten. Man spielte auch auf das deutsche Bundesverfassungsgericht an. Ein Amerikaner, Professor der Harvard-Universität, sagte, man solle doch auch einmal beachten, daß es in Amerika bereits seit mehr als 170 Jahren einen höchsten Gerichtshof zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten gebe und daß dieser es verstanden habe, im Wege seiner eigenen Rechtsprechung sich selbst die Grenzen zu ziehen, wo die Justiz aufhöre und wo die Politik beginne, und daß er sich streng auf die Justiz und die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten beschränkt habe. Diese Bemerkung erscheint mir so wissenswert, daß ich sie hier mitteilen wollte.
Tritt man nun an die Frage heran, unter welchen Voraussetzungen die einzelnen europäischen Staaten in diese europäische Gemeinschaft hineingehen sollen, so ist die Grundlage die, daß sie im Anschluß an den Aufruf, den Churchill im Sommer 1950 an die europäischen Völker erlassen hat, zunächst als Verteidigungsgemeinschaft aufgebaut wird. Dieser Aufruf hat damals weite Kreise gezogen. Wir haben uns nun die Frage zu stellen: Sind alle Völker, die in Frage kommen, ist auch unser deutsches Volk bereit und entschlossen, alles zur Verteidigung seiner Freiheit, seines Bestandes und zur Verteidigung seiner Frauen und Kinder zu tun? Jetzt treten in unserm Volk die Neutralisten auf. Wir haben Frau Wessel gehört; wir haben von der neuen Partei gehört, die die Neutralität auf ihre Fahne geschrieben hat, ein Unterfangen, das so weltfremd ist, wie man es sich nur vorstellen kann. Wir liegen in Deutschland vermöge unserer geographischen Lage an der gefährlichsten, aber auch an der politisch entscheidendsten Stelle von Europa.
Es ist unmöglich, aus der großen Ebene, die sich von Asien über Rußland, über Polen und Norddeutschland, über Benelux nach Nordfrankreich erstreckt und über die Jahrhunderte hindurch alle Völker Asiens gezogen sind, die gekommen waren, um Europa zu überwältigen, aus dieser Ebene da, wo Deutschland liegt, mit dem Lineal einen gedachten Abschnitt herauszuschneiden und nun zu sagen: Dieser Abschnitt ist neutral. Wer eine derartige unbewaffnete Neutralität haben will, muß sein Volk ins Wolkenkuckucksheim führen. Da geht das vielleicht; aber hier auf der Erde kann man Panzerangriffe nicht mit Papiersalven abwehren.
Wenn die Herrschaften das nicht glauben, will ich ihnen ein praktisches Beispiel aus unserer jüngeren deutschen Geschichte erzählen. Es war im Jahre 1806. Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich drohte. Damals lag mitten zwischen diesen beiden Staaten das kleine Kurhessen, meine Heimat. Frankreich, unter Napoleon I. damals die große Macht des Westens, und Preußen, das damals bis Warschau reichte und dessen Militär noch von der Gloriole Friedrichs des Großen umstrahlt war, die große Macht des Ostens, dazwischen eingekeilt das kleine Kurhessen. Seine Kurfürstlichen Gnaden beschlossen, neutral zu bleiben. Um die Neutralität recht sinnfällig darzulegen, wurde an der Südgrenze des Landes Hessen ein Schild aufgestellt. Auf diesem Schild stand: „Neutrales Land". Damit der französische General Mortier, der diese Straße kam, es auch richtig begriff, wurde auf französisch noch hinzugefügt: „Pays neutre". Was geschah? Ich brauche es nicht lange zu erzählen. Das Schild blieb stehen, aber Kurhessen nicht.
Also Schluß mit den Neutralisten.
Nun zur SPD. Die Frage ist zu stellen: Sind die Herren entschlossen — das ist die Grundlage —, alles zu tun, war zur Verteidigung unseres Vaterlandes, zur Verteidigung seines Bestandes, seiner Freiheit, zur Verteidigung unserer Frauen und Kinder erforderlich ist? Ja oder nein? Ich möchte es als sicher ohne weiteres unterstellen; denn ich fühle mich mit den Herren, mit denen ich insbesondere im Parlamentarischen Rat zusammen war, gewissermaßen noch kameradschaftlich verbunden, auch in dem Sinne, daß wir gewillt sind, den Staat, den wir geschaffen haben, dessen Mängel wir alle kennen, der uns aber ans Herz gewachsen ist, zu schützen.
Aber wie lauten denn nun die Äußerungen der SPD in der deutschen Öffentlichkeit dazu? Die deutsche und auch die europäische Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, zu wissen, woran sie bei der zweitgrößten deutschen Partei ist. Schauen wir zurück in das Jahr 1950! Damals tauchte erstmals die Frage eines Verteidigungsbeitrags auf. Da wurde als Devise der SPD ausgegeben: Erst müssen angelsächsische Divisionen in genügender Zahl in Deutschland stehen, dann muß die Gleichberechtigung gegeben werden, und drittens darf die erste Schlacht nur zwischen Weichsel und Njemen stattfinden. Die Regierungsparteien sagten: Gleich-
berechtigung — einverstanden, einverstanden damit, daß die angelsächsischen Divisionen nach Deutschland kommen. Aber von der Schlacht zwischen Weichsel und Njemen sprachen wir nicht; denn wir wollten ja keinen Angriff haben, wir wollten nur den Frieden sichern und die Verteidigung aufbauen.
Es hörte sich also so an, als wenn man ungefähr einig wäre bis auf diese Schlacht zwischen Weichsel und Njemen, daß die SPD vielleicht sagte: Wenn — wenn — dann j a, und daß wir sagten: Ja — wenn — wenn. Man hätte also eine gemeinschaftliche Politik darauf aufbauen können. Es geschah aber nicht; denn nun ging die Affäre weiter. Jetzt nahten die Landtagswahlen im November 1950 in Hessen, Bayern und Württemberg-Baden. Darauf fand eine Konferenz in Darmstadt im Hause des Herrn Niemöller statt. Es war Herr Schumacher da, Herr Ollenhauer war da, Herr Arndt war da. Die Tatsache dieser großen Konferenz wurde in der Presse weidlich diskutiert; dann wurde eine Type gemacht, und auch diese Photographie aller Beteiligten wurde in der Presse veröffentlicht, so daß also alle Welt glauben mußte: Jetzt ist die SPD auf dem Ohne-mich-Standpunkt des Herrn Niemöller angekommen. Wenige Tage darauf hielt ein prominenter sozialdemokratischer Führer in Süddeutschland eine Rede, in der es hieß: Wir werden ein Wehrgesetz machen, dem gegenüber es keine Dienstverweigerung mehr gibt. Das war etwa um den 20./ 22. November 1950 herum.
Dann haben wir am 25. oder 26. November 1950 in Straßburg im Europarat eine Debatte gehabt, die ich nicht vergessen werde. Sie war packend und aufschlußreich. Es handelte sich um die Frage der Verteidigung Europas durch alle europäischen Völker. Die Frage war damals von Churchill angeschnitten, vertieft von dem französischen Außenminister Schuman, der am gleichen Morgen in Straßburg erklärt hatte: Auch ich bin bereit, die französische Armee auf die wir so stolz sind, in der europäischen Armee aufgehen zu lassen; auch wir sind der Meinung, daß künftig in dieser europäischen Armee keine Diskrimination stattfinden soll. — Wer sagte nein? Die deutsche SPD, sonst niemand. Da trat der türkische Vertreter Kapani auf und sagte: Wir Türken haben mit Rußland eine längere Grenze als ihr Deutschen, aber wir machen unsere Mitwirkung an der Verteidigung Europas nicht davon abhängig, daß erst soundso viele angelsächsische Divisionen bei uns stehen. Dann kam der griechische Vertreter und sagte: Wir haben im Jahre 1947 den sogenannten Bürgerkrieg, von Bulgarien ausgelöst, gehabt, in Wirklichkeit ein sowjetischer Angriff; wir sind dankbar für die Hilfe der Weststaaten, die sie uns gewährt haben; wir haben den Bürgerkrieg niedergeschlagen; wenn aber Europa uns ruft, wir sind bereit. Darauf kam ein dänischer Vertreter, meine Herren von der SPD, Herr Jacobsen, Sozialist, und beschwor Sie, bei der Verteidigung mitzumachen. Er wies darauf hin, daß die Verteidigung Dänemarks ja in der Luft hängen würde, wenn nicht im Süden Dänemarks die Deutschen bei der Verteidigung Europas mitwirkten. Dann kam Herr Rollin, Völkerrechtslehrer und Senator des Königreichs Belgien, Sozialist. Wir hatten in dieser Debatte auch von der Ohne-michParole in Deutschland gesprochen, hatten gesprochen von den Landtagswahlen in den süddeutschen Ländern. Da sagte dann Herr Rollin zu den Deutschen gewandt — er sprach seine eigenen Parteigenossen nicht unmittelbar an, sondern die Deut- sehen allgemein —: Bitte, meine verehrten deutschen Kollegen, gehen Sie erst wieder nach Hause, bringen Sie ihre Landtagswahlgeschichte in Ordnung, dann kommen Sie her und überlegen Sie sich die Geschichte nochmal; vielleicht nehmen Sie dann Vernunft an! Gerichtet an die Adresse der deutschen SPD! Dann hat ein Engländer — zwar nicht in einer offiziellen Rede, sondern privat, aber allen Leuten vernehmlich — erklärt: Ja, meine Herren von der deutschen SPD, verlangen Sie vielleicht auch noch die Garantie, daß der künftige Oberbefehlshaber der europäischen Armee keine Schlacht verliert?
Sehen Sie, das alles haben wir uns sagen lassen müssen, und ich habe mich als deutscher Landsmann für meine deutschen Landsleute von der SPD ein bißchen geschämt. Sie standen da wie die begossenen Pudel.
Ich glaube, sie wären gewillt gewesen, auch ja zu sagen; aber alle Telefongespräche brachten keine Änderung herbei. Nur die englische Labour-Partei war so klug, kein Wort zu reden und sich nur der Abstimmung zu enthalten; sie ging unter im andern. Der Erfolg war: Die SPD allein gegen Europa!
Nun frage ich: was ist die wahre und echte Meinung der SPD? Will sie die Verteidigung grundsätzlich bejahen oder verneinen? Auch heute habe ich wieder genau aufgepaßt, als Herr 011enhauer grundsätzlich sprach. Da habe ich mir folgende Sätze darüber notiert. Zunächst erklärte er: „Eine solche Verteidigung gibt's nicht gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes!" Das klingt nach Nein. Dann wurde der SPD-Beschluß vom Dezember 1948 zitiert mit dem Satz: „Die Wehrhoheit steht dem Bund nicht zu." Das klingt nach Nein. Auf der anderen Seite wurde gesagt: „Die Verteidigung der Freiheit und Demokratie ist unbestritten." Aber wie, das wurde nicht gesagt. Dann kam wieder die Bemerkung: „Wir verstehen vollkommen die Bedrohung aus dem Osten und die Bedrückung der Satellitenstaaten." Aber die Konsequenz: Wollen wir uns verteidigen? — nicht gesagt! Dann war davon die Rede, daß er uns warnen müsse, uns eine zu große Schuhnummer anzuschaffen. Das klang nun wieder nach Nein! Wird ein Mensch daraus klug?
Ich habe eine Bitte an die SPD. Sollten Sie mal wieder nach Darmstadt zu Herrn Niemöller kommen, dann bitte ich, Herrn Niemöller — nicht in seiner Eigenschaft als Politiker, da können Sie nichts Gescheites lernen;
aber in seiner Eigenschaft als Geistlichen — zu fragen, und dann lassen Sie sich von ihm mal einen Vortrag halten über das Bibelwort: „Eure Rede aber sei: wenn Ja, dann Ja, und wenn Nein, dann Nein! Und alles, was darum herum ist, das ist vom Übel!"
Um wieder zu Europa zurückzukommen: Die Versammlung, die die europäische Verfassung ausarbeiten sollte, mußte einen Präsidenten haben. Zur Wahl standen unser Kollege Brentano und Herr Spaak. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, auch Herrn Spaak gegenüber meine dankbare und ausgezeichnete Hochachtung
für alles, was er in den europäischen Angelegenheiten zuwege gebracht hat, hier auszusprechen.
Ich mache auf folgendes aufmerksam. Ich bin überzeugt, daß die Herren der SPD damals, als sie Herrn Spaak den Vorzug vor Herrn Brentano gaben, nicht etwa irgendeinen Unterschied in den menschlichen oder auch in den präsidentiellen Qualitäten der beiden Herren haben machen wollen. Vorhin hat sich Herr Ollenhauer dringend verbeten, ihm immer parteitaktische Motive zu unterschieben.
Das tue ich auch nicht. Ich stelle also fest, daß die SPD Herrn Spaak nicht deshalb gewählt hat, weil er Sozialist ist. Dann ergibt sich nur die eine Konsequenz daraus, daß sie ihn deshalb gewählt hat, weil er der Prototyp und Vorkämpfer des Europagedankens ist.
Im gleichen Augenblick lehnt es die SPD aber ab, auch nur einen einzigen Abgeordneten in diese Versammlung zu senden, welche die europäische Verfassung unter dem Vorsitz des Herrn Spaak beschließen soll. „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!"
Wir háben hier lang und breit schon über die Frage debattiert: Wie kommt es eigentlich, daß die SPD die Wehrhoheit der deutschen Bundesrepublik verneint? Ich will nicht darauf eingehen, was an Auslegungsmöglichkeiten aus den Paragraphen des Grundgesetzes oder aus den Archiven des I Parlamentarischen Rates herauszuholen ist. Ich bin selbst Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen und brauche deshalb weder von Herrn Arndt noch von anderen, die nicht drin waren, zu erfahren, was wir gedacht haben;
das weiß ich ganz genau. Aber auf der anderen Seite wird hier der Generalvertrag, der Bonner Vertrag mit der Begründung abgelehnt, die Bundesregierung habe es versäumt, genügend Souveränitätsrechte herauszuholen; wir hätten noch nicht genug Souveränität. Im gleichen Augenblick läuft dann dieselbe SPD zum Bundesverfassungsgericht und will sich bescheinigen lassen, daß wir keine Wehrhoheit hätten. „Erkläret mir, Graf Oerindur, auch diesen Zwiespalt der Natur"!
Nun eine andere Frage. Es sind Zweifel geäußert worden, ob, wenn wir den Verteidigungsvertrag annähmen, auch die anderen Länder ihn annehmen würden, ob überhaupt die anderen Länder bereit wären, mit uns eine europäische Gemeinschaft im weitesten Sinne zu schaffen. Ich komme aus Paris und stehe mit einigen unserer Kollegen in den Verhandlungen. An Hand gerade dieser Erfahrungen möchte ich zwei Länder ansprechen: England und Frankreich. England hat im Conseil de l'Europe bei der Septembertagung durch Herrn Eden Erklärungen abgeben lassen, die sehr verheißungsvoll klangen. Es hat aber auch einen Mißklang gegeben. Ein Labour-Abgeordneter, Herr
Healey, hat erklärt, von jeher sei es die Politik Englands gewesen, sich den Kontinent nicht einigen zu lassen, damit das Gleichgewicht der Kräfte bestehen bleibe. Ich möchte annehmen, daß dieser Herr nicht das Examen für den künftigen englischen Außenminister hat ablegen wollen. Was ich aber feststellen kann, ist, daß jetzt in Paris, wie ich vorhin schon sagte, in den Verhandlungen auch der kleinsten Unterkommissionen alle drei englischen Parteien nicht durch die schlechtesten Leute vertreten sind und sie sich sehr intensiv um das bemühen, was vor sich geht. Ich bin überzeugt, wenn die sechs Staaten dieses Europa geschaffen haben werden, dann ist England der erste, der kommt, wenn es gesehen hat, daß es geht.
Und Frankreich! Sie kennen alle die Bedenken, Besorgnisse und Widerstände, die sich in Frankreich zeigen. Neulich hieß es in einer französischen Zeitung, wir hätten in Deutschland vielleicht nicht die richtige Vorstellung von den Schwierigkeiten, Sorgen und Bedenken, die man in Frankreich habe. Wir haben sie durchaus. Wir verstehen, daß in Indochina enorme Schwierigkeiten bestehen, daß jedes Jahr Krieg in Indochina etwa 6 Milliarden DM Kosten verursacht, daß eine Jahresklasse an Offizieren, umgerechnet auf sämtliche Wehrmachtangehörigen der französischen Armee, jährlich dort fällt. Wir verstehen es deshalb, daß sich Frankreich die Frage vorlegt: Kann ich neben diesen Lasten auch noch das leisten, was der Verteidigungsbeitrag von uns Franzosen für das Mutterland fordert? Es steht uns nicht an, in dieser Frage irgendwie Stellung zu nehmen. Aber wir wollen nur zu verstehen geben, daß wir diese Schwierigkeiten sehen. Schließlich steht das Mutterland Europa und Mutterland Frankreich wahrscheinlich näher als eine ferner gelegene Kolonie, wie denn überhaupt die Frage der Lösung des Verhältnisses zwischen Europa und Asien derartig in Gang gekommen ist, daß hier noch Entwicklungen bevorstehen, die vielleicht auch andere Lösungen nahelegen.
Das zweite Bedenken ist die Frage, daß sie sich etwas scheuen, die Traditionen ihrer Armee abzulegen, in einer neuen Armee gewissermaßen aufzugehen. Ich habe dafür menschliches Verständnis. Aber gegenüber diesen Ressentiments stehen die Notwendigkeiten. Schließlich ist noch die ewige Frage der Sicherheit Frankreichs zu erörtern. Ich habe schon einmal in Straßburg gesagt, daß die Montan-Union auch für Frankreich, von Frankreich aus gesehen, eine Sicherheit dafür bietet, daß irgendeine Rüstung, die von Frankreich unbemerkt vor sich gehen könnte, infolge der MontanUnion unmöglich ist; umgekehrt natürlich auch.
Auf der anderen Seite, hinsichtlich der Frage der Wehrmacht, kann man sagen, daß, wenn die europäische Macht als Ganzes besteht, die deutsche und die französische dann in einer einheitlichen Armee und unter einem einheitlichen Ober- befehl vereinigt sind, es völlig unmöglich ist, daß der eine Teil über den anderen herfällt, auch wenn Frankreich heute glaubt, noch besondere Garantien dafür fordern zu müssen. Die Dinge lassen sich also dadurch einfach regeln. Ja, sie werden ihren Schrecken in dem Augenblick besonders verlieren, in dem ein einheitliches Europa als feste staatliche Organisation dasteht. Diese festgefügte Organisation wird dann mit einer einheitlichen
Außenpolitik und einer einheitlichen Finanzpolitik dastehen; denn schließlich muß ein bewaffneter Arm Europas auch von einem Kopf Europa dirigiert -werden. Ein bewaffneter Arm muß auch irgendwie gerüstet und das Ganze muß bezahlt werden. Daraus folgt also logisch eine gewisse Gemeinsamkeit der Außenpolitik und eine Gemeinsamkeit der Finanzen. Aus dieser absoluten Verflechtung ergibt sich dann, daß künftig auch durch eine solche Organisation Frieden zwischen den beiden Nationen herrscht, die sich Jahrhunderte hindurch immer nur und immer wieder bekriegt haben, mit dem einzigen Ziel, daß Hekatomben von Opfern auf Opfern gehäuft wurden und immer nur die Grenze mal 60 oder 80 km weiter östlich oder westlich verlegt wurde. Das wollen wir durch diesen Vertrag verhindern.
Aber dann tritt wieder der Versucher an unsere beiden Völker heran, an uns Deutsche und an die Franzosen, und zwar in zweifacher Gestalt. Die sowjetische Agitation sucht zu erreichen, daß wir nicht zum Entschluß kommen und Frankreich auch nicht; denn Rußland braucht Zeit. Rußland hat vor den Westmächten den Vorsprung, daß es auf dem Wege der alten Waffengattungen nicht abgerüstet hat. Es ist im Rückstand mit der Atomwaffe. Umgekehrt ist es im Westen. Der Westen hat abgerüstet, verschrottet. Er muß diese alten klassischen Waffen, Luftwaffe, Seemacht, Wehr- und Landmacht, wieder aufbauen, hat aber dafür in der Atombombe einen Vorsprung. Rußland braucht deshalb zweierlei. Es muß Zeit finden, in der es seine Atombombenfabrikation vervollständigt und ergänzt. Auf der anderen Seite muß es die Westmächte hindern, in derselben Zeit hinsichtlich der
I) anderen Waffen, Landmacht, Luftmacht und Seemacht, vorwärtszukommen. Zu dem Zweck werden hier die Parolen von gesamtdeutschen Wahlen, wird das ganze Drum und Dran, was dazugehört, uns gewissermaßen als Köder hingeworfen, damit wir eine Weile dran anbeißen und damit wir uns davon ablocken lassen, uns zur gemeinsamen Verteidigung zusammenzuschließen.
Wir haben heute gehört, daß Vierer-Konferenzen vorgeschlagen worden sind. Es ist eine Gefahr, wenn wir uns ohne genügende materielle Grundlage darauf einlassen. Die Gefahr besteht aber auch darin, daß dann das eintritt, was der verstorbene Kollege Schumacher einmal so schön mit dem Gleichnis von den deutschen Hirtenknaben, die ausziehen, das sowjetische Lämmlein zu hüten, bezeichnet hat. Es besteht die Gefahr, daß mit diesen Ideen — es gibt solche Propheten in Deutschland — die Zeit vertrödelt wird.
Umgekehrt geht man in Frankreich hin und sagt: Um Gottes willen, geht mit den Deutschen nicht zusammen, die haben inzwischen schon solchen Zuwachs an wirtschaftlicher Macht bekommen, daß die euch erdrücken werden. Warum? Damit auch in Frankreich die gemeinsame europäische Verteidigung nicht vorwärtsgeht.
Das sind -die Gedankengänge des Versuchers. Dadurch müssen wir einen Strich machen. Deshalb ist es notwendig, heute hier unser Ja auszusprechen.
Wo liegt jetzt eigentlich nur die Antithese in Ihrer Politik, meine Herren von der SPD? Sie haben gegenüber einer klaren und präzisen Konzeption nicht den geringsten klaren Gegenvorschlag, sondern haben nur oppositionelle Ressentiments.
Wenn ich die französische Situation betrachte, muß ich sagen, ich verstehe durchaus die Ressentiments der Franzosen, sehe aber auch dort gegenüber einer klaren Konzeption, wie sie dem Haupt des Herrn Schuman entsprungen ist, keine Antithese, keine andere Alternative, sondern auch da nur Ressentiments. Ich respektiere sie; aber nach beiden Seiten gilt der Satz, den einmal Goethe in Hermann und Dorothea gesagt hat: „Wehe dem Manne, der in schwankenden Zeiten schwankend gesinnt ist. Er mehrt nur das Übel und breitet es weiter und weiter. Doch wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich."