Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine .Herren!
— Ach, tun Sie das lieber nicht. Ich war nämlich sehr still eben. Ich habe kein Wort gesagt,
sondern ich habe ständig das mitgeschrieben, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat.
Herr Kollege Ollenhauer hat auf die Zurufe, er solle nunmehr sein Ziel nennen, damit geschlossen, er wolle eine Aufnahme in ein kollektives Weltsicherheitssystem. Das ist nichts Neues. Dieses kollektive Weltsicherheitssystem besteht. Es ist die Gesellschaft der Nationen, die UNO. In Artikel 3 des Deutschland-Vertrags steht, daß wir die Hilfe der anderen haben, um in dieses Weltsicherheitssystem aufgenommen zu werden.
Wir brauchen die Hilfe der anderen, weil das Veto eines einzigen genügt, und das Veto Sowjetrußlands ist uns todsicher. Also wenn Herr Kollege Ollenhauer nichts weiter wünscht, ja, meine Damen und Herren, dann kann er zustimmen.
Ich sehe dann kein Hindernis mehr, warum er ablehnen sollte.
Aber ich gebe ja den Herren, und insbesondere Herrn Ollenhauer, eines zu: Es ist sehr schwer, eine schwache Sache gut zu verteidigen.
Er hat aber, nach meiner Meinung etwas unnötigerweise, zunächst sehr scharfe Angriffe gegen mich gerichtet, und auf diese Angriffe, die in ähnlicher Weise gestern und vorgestern die Herren Wehner und Dr. Arndt gegen mich erhoben haben, muß ich doch antworten.
Herr Wehner hat es mir sehr übelgenommen, daß ich vorgestern sagte, man solle in Berlin die Flüchtlinge aus der Ostzone über die dortigen Verhältnisse befragen. Er war sehr böse darüber, und er hat damit geschlossen --- seine Freunde haben ihm da sehr gern zugestimmt —, ich solle lieber etwas für die Flüchtlinge tun. Nun, verehrter Herr Wehner, als ich zuletzt in Berlin war und in einem Lager die Not und das Elend der Flüchtlinge gesehen habe, da habe ich sofort angeordnet, daß alles geschieht, was möglich ist.
Ich möchte dem Herrn Kollegen Wehner, der ja des öfteren nach Berlin kommt, noch einen anderen Rat geben. Ich rate ihm, unerkannt dort hinzugehen und die Ostflüchtlinge zu fragen, was sie über die Politik der Sozialdemokratischen Partei denken.
Dann wird er nämlich ein vernichtendes Urteil hören, auch von den Leuten, die noch in der Ostzone sind. Ich habe Leute gesprochen, die mir gesagt haben: „Mein Vater war Sozialdemokrat, mein Großvater war Sozialdemokrat, aber ich verstehe die Sozialdemokratie nicht mehr und will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Nun komme ich zu Herrn Dr. Arndt. Seine gestrigen Ausführungen, die ich leider nicht gehört habe, weil ich in einer dringenden Verhandlung war, müssen doch sehr böse — so will ich mich einmal ausdrücken — gewesen sein, böse im strengen Sinne des Wortes. Er hat, wie mir gesagt worden ist, behauptet daß die Ausführungen, die ich vorgestern gemacht habe, von Haß gegen Herrn Dr. Schumacher erfüllt gewesen seien. Es hat mich sehr berührt, als mir das gesagt worden ist. Ich möchte Ihnen, meine verehrten Herren, sehr nachdrücklich sagen, ich habe schon bei Lebzeiten des Herrn Dr. Schumacher niemals Haß gegen ihn gefühlt, geschweige denn jetzt nach seinem Tode. Aber man wird doch von einem Mann, der von der Sozialdemokratie auch jetzt noch so geschätzt wird — vergleichen Sie das Buch, das neulich die Sozialdemokratische Partei herausgegeben hat — etwas zitieren können. Oder zeugt das von Haß, wenn ich etwas zitiere, was Herr Dr. Schumacher gesagt hat?
Ich möchte feststellen, daß mein Zitat bis zum letzten Buchstaben absolut richtig war.
Ich komme nun zu Herrn Kollegen Ollenhauer. Herr Kollege Ollenhauer hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich nicht richtig über die Vorstandssitzung der SPD in Godesberg im Dezember 1948 zitiert hätte. Was habe ich heute morgen gesagt? Lesen Sie bitte im Stenogramm nach! Ich habe gesagt, damals habe die Sozialdemokratie eine andere Haltung eingenommen als jetzt. Ich wiederhole das; das hat sie auch getan. Welches ist heute die Haltung der Sozialdemokratie zum Wehrbeitrag? Sie sagt: Diese Bundesrepublik ist kein echter Staat, infolgedessen ist das Grundgesetz keine echte Verfassung, infolgedessen hat die Bundesrepublik Deutschland insbesondere nicht das Recht, sich zu verteidigen, sie hat nicht das Recht der Wehrhoheit, das sonst jeder Staat besitzt. Ich stelle fest, daß auf der Vorstandssitzung in Godesberg dieser Standpunkt nicht vertreten wurde.
Da wir nun einmal beim Zitieren sind, möchte ich aus einer Zeitung von damals etwas zitieren, was der Herr Kollege Schmid und der Herr Kollege Ollenhauer gesagt haben. Es heißt in dieser Zeitung: — —
—Das ist die „Frankfurter Allgemeine" Nr. 236 vom Montag, dem 13. Dezember des Jahres 1948.
Die vom Parteivorstand dazu getroffenen Feststellungen hat Professor Carlo Schmid in dem Satz zusammengefaßt: Alle Gespräche über Remilitarisierung haben keinen Zweck, wenn sie den nationalstaatlichen Armeegedanken zum Ziele haben, sondern nur dann, wenn sie einer bewaffneten Exekutive eines internationalen Systems kollektiver Sicherheit gelten.
— Ja, aber dann stimmen Sie gleich richtig!
Der damalige stellvertretende Vorsitzende Herr Erich Ollenhauer hat erklärt:
Wenn irgend jemand darangeht, Deutschland mit militärischen Aufgaben zu beschäftigen, so stellen wir fest: der Aufbau irgendeiner militärischen Organisation wird von der Sozialdemokratie nicht geduldet werden, wenn sie sich auf die alten militaristischen Kreise stützt.
Nun gut, sie wird sich nicht darauf stützen. Also stimmen Sie zu!
Nun komme ich zu einer Äußerung des Herrn Kollegen Ollenhauer, die mich — das bestreite ich nicht — außerordentlich verletzt hat, sehr verletzt hat. Auf der andern Seite hat es mich aber gefreut, daß er den Bundeskanzler einmal als Repräsentanten des ganzen Volkes angesprochen hat.
Solche Worte habe ich von ihm bisher nicht gehört.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, ich hätte durch meine vorgestrige Rede einen sehr tiefen Graben durch das deutsche Volk gezogen und die Demokratie gefährdet. Nun möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, zunächst — verzeihen Sie, ich darf es wohl mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun — vorlesen, was ich vorgestern gesagt habe. Ich habe zum Schluß meiner Ausführungen erklärt: „Wir alle" — Sie eingeschlossen! — „erstreben die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Wir wissen, daß wir allein auf uns gestellt dies Ziel nicht erreichen. Wir sehen ja doch, daß Sowjetrußland nicht will. Es hat doch die UNO-Kommission nicht mal einer Antwort gewürdigt, ...." — dann kommen die betreffenden Noten, und danach habe ich folgendermaßen fortgefahren: „schon das allein" — die Übernahme einer solchen vertraglichen Verpflichtung durch die Drei Mächte — „verpflichtet uns gegenüber den Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang, den Verträgen zuzustimmen". Welch ungeheurer Fortschritt ist das gegenüber der politischen Lage etwa im Jahre 1947! „Man kann es überhaupt nicht verantworten, eine solche vertraglich festgelegte Bereitschaft der Drei Mächte auszuschlagen. Wir müssen nun endlich einmal aus der Vergangenheit lernen. Seit 1870 hat sich Deutschland immer wieder bemüht, Freunde und Bundesgenossen zu finden, weil erkannt wurde, daß Deutschland trotz seiner damaligen Stärke ohne starke Freunde nicht bestehen könne. Es hat sie ... nicht gefunden, fast immer ... durch eigene Schuld, durch Blindheit gegenüber dem, was ihm von anderen angeboten wurde ... durch ein zu großes Vertrauen auf sich selbst. Heute ist die Lage Deutschlands gefährdeter als je in seiner langen Geschichte. Es ist geteilt, zerrissen, es ist entwaffnet und wehrlos, benachbart einem Koloß, der es versklaven und verschlingen möchte.
Diese Gefahr besteht, und sie wird immer größer, wenn der Zustand bleibt, wie er jetzt ist. Vor der Geschichte und vor dem deutschen Volke frage ich: Kann in dieser Lage ein Deutscher es verantworten, die hilfreiche und rettende Hand, die der Westen uns entgegenstreckt, zurückzustoßen?"
Das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits
des Eisernen Vorhangs muß wissen, worum es
sich handelt. Es handelt sich ... um seine Freiheit, sein Leben, die Zukunft seiner Kinder und
Kindeskinder. Das ganze deutsche Volk rufe
ich auf, sich der Bedeutung dieser Entscheidung bewußt zu sein und bewußt zu bleiben.
Es ist die Schicksalsfrage ganz Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit!
Meine Damen und Herren, wenn darin von Ihrer Seite eine Beleidigung empfunden wird, wenn darin ein tiefer Graben gefunden wird, den ich durch Deutschland ziehe, dann muß mir verboten werden, meine Ansicht mit den Worten zu äußern, zu denen ich mich verpflichtet glaube.
Aber nun zwingen mich zu meinem großen Bedauern diese Angriffe, die Herr Ollenhauer gegen mich gerichtet hat, doch noch einmal, etwas zu zitieren, was Herr Kollege Dr. Schumacher gesagt hat.
Das ist veröffentlicht in dem Wochenblatt „Time" vom 9. Juni 1952.
Der Deutsche, der diesen Vertrag annimmt, hört auf, ein Deutscher zu sein.
Er hat fortgefahren, einem Engländer gegenüber erklärt:
Ich werde die Unterzeichnung der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft bekämpfen. Wenn
sie unterzeichnet ist, werde ich die Ratifikation
bekämpfen. Wenn sie ratifiziert ist, werde ich
gegen sie angehen, noch während die Soldaten
mobilisiert werden. Wenn ich dann zum Bundeskanzler gewählt würde, würde ich mich von
dem Vertrage so bald wie möglich lossagen.
Meine Damen und Herren, diese Worte sind von der Sozialdemokratischen Partei niemals in irgendeiner Weise bedauert oder abgeschwächt worden.
Wenn hier jetzt noch die Zwischenrufe kommen „Sehr richtig!", „Ausgezeichnet!", „Man könnte es gar nicht besser sagen!", dann sage ich Ihnen: Wer so denkt und wer das sagt, der gräbt nicht nur einen Graben in das deutsche Volk, weil er einem, und zwar dem größeren Teil aberkennt noch ein Deutscher zu sein; der tut noch etwas ganz anderes: er gibt dem Mißtrauen gegen die Deutschen in der ganzen Welt immer wieder neue Nahrung zum Schaden des deutschen Volkes.
Ist es etwa nicht beleidigend für viele von uns, mich eingeschlossen, wenn Herr Ollenhauer eben erklärt hat, wir ständen mit dem Rücken gegen Elbe und Berlin?
Das ist eine Beleidigung, meine Damen und Herren. Ich kann hier sagen: Ich glaube, wir, die Regierungskoalition und die Bundesregierung, haben für Berlin mehr getan als die Sozialdemokraten mit all ihrem Gerede!
Sehen Sie, gerade in diesem Vertrage
— ich habe es Ihnen ja eben vorgelesen — verpflichten sich doch die drei Großmächte — indem sie sich von Sowjetrußland lossagen — dazu, mit uns zusammen die Vereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen. Ich sage Ihnen, das allein — ich habe das auch vorgestern gesagt — ist ein solcher Erfolg unserer Politik, daß schon dieser Erfolg allein unsere ganze Arbeit und Mühe rechtfertigt.
Ich wiederhole auch nochmals und sage das mit allem Nachdruck, meine Damen und Herren: Wer die rettende und hilfreiche Hand all dieser Mächte, die uns helfen wollen, die Wiedervereinigung herbeizuführen, zurückstößt, der verfehlt sich in erster Linie gegen den deutschen Osten und gegen Berlin.
Nun komme ich zu einem sehr ernsten
und sehr folgenschweren Kapitel. Herr Kollege
011enhauer hat in seiner Rede, die — Sie alle haben
gesehen, er hatte ein sehr ausführliches Manuskript — doch überlegt war, eine ganze Reihe von
Behauptungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft aufgestellt, die in vertraulichen Besprechungen
in Gegenwart des Herrn Ollenhauer klargestellt waren.
Der Kollege Ollenhauer weiß ganz genau, daß wir einfach nicht in der Lage sind, hier in der Öffentlichkeit diese Dinge zu wiederholen.
Ich betone nochmals: ich bedaure sehr, daß Herr Kollege Ollenhauer sich dazu hat hinreißen lassen; aber solche Erfahrungen verhüten eine gemeinsame Außenpolitik zwischen Opposition und Regierung.
Aber eines, meine Damen und Herren, — —
— Nun, Herr Schoettle, ich weiß nicht, ob Sie da-
bei gewesen sind, ich habe eben das wiederholt —
Meine Damen und Herren, — —
Nun, Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt,
daß das deutsche Truppenkontingent
als schlecht bewaffnete Nachhut
dastehen werde, und er hat dann hinzugesetzt: Jeder weiß, daß wir doch gar nicht dazu in der Lage sind, die 40 Milliarden, die zur Ausrüstung notwendig sind, aufzubringen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blank hat mir eben erklärt, Herr Kollege Ollenhauer wisse durch die Unterrichtung, die er erhalten hat, genau, daß die Vereinigten Staaten sich verpflichtet haben, uns die neuesten und besten Waffen in diesem Heere zu stellen.
— Meine Damen und Herren : Regen Sie sich nicht so auf! Ihr Dienst weiß das ja alles schon lange!
Ich greife nun eine Anzahl der wichtigsten Punkte aus der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer heraus. Er hat gesagt, das Besatzungsstatut werde sich von selbst auflösen. Er hat weiter gesagt, man könne Deutschland nicht verweigern, was man Italien gebe. Er hat ferner gesagt, Außenminister Eden habe bei der Beratung über den Deutschland-Vertrag in London erklärt, die Zeit des Besatzungsstatuts sei vorbei. —
Zunächst möchte ich doch darauf hinweisen, daß Italien lange nicht in dem Rufe stand und steht, in dem leider Gottes Deutschland gestanden hat.
Meine Damen und Herren! Am letzten Sonntag ist in Belsen das Monument durch den Bundespräsidenten eingeweiht worden
zur Erinnerung an die dort gestorbenen Opfer.
Ich will Ihnen sagen, so schmerzlich es mir ist, das sagen zu müssen: Dort in Belsen sind verhungert und an Seuchen gestorben 250 000 Juden und 50 000 Russen.
Und glauben Sie, meine Damen und Herren, das ist in der Welt nicht vergessen.