Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß die Wähler des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten
— Gesamtdeutschen Blocks, wie er sich jetzt nennt
— mit den Ausführungen ihres Bundestagsabgeordneten Herrn K e 11 e r einverstanden sind.
Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß sie darüber begeistert sind, wenn hier ausgerechnet dieselben Hände Beifall klatschen, die ihre Brüder vertrieben, verfolgt und zum Teil ermordet haben.
Es ist aber sinnlos, auf solche Expektorationen einzugehen, wie sie die beiden Vertreter des BHE
heute losgelassen haben. Wir haben andere Sorgen.
Es ist meine Aufgabe, für die beiden großen Vertragswerke, die heute in zweiter Lesung zur Entscheidung vor uns liegen, den Standpunkt meiner Fraktion in zusammenfassender Darstellung der wesentlichen Gesichtspunkte noch einmal zu erläutern. Diese beiden großen Vertragswerke werden von uns, eindeutig und klar gesagt, unter ganz bestimmten politischen Gesichtspunkten gesehen. Diese politischen Gesichtspunkte entsprechen dem Standpunkt des gesunden Menschenverstandes, ) nämlich jetzt das zu tun, was notwendig ist, und das zu tun, was möglich ist.
Wir kümmern uns dabei weder um unsere privaten Wünsche noch richten wir uns, wie es leider gegenüber diesen Verträgen gerade in diesem Hause geschehen ist, nach parteipolitischen Agitationsbedürfnissen.
Diese Verträge
ergeben sich aus der gegenwärtigen deutschen Lage und ihren Möglichkeiten.
Ob die Sozialdemokratische Partei das sieht oder sehen will, ändert nichts an den gegebenen Tatsachen.
Der Deutschland-Vertrag ist für uns der Schlußstrich unter Kriegs- und Besatzungsverhältnisse. Der Deutschland-Vertrag bedeutet für uns trotz der Vorbehaltsrechte und Einschränkungen — und das ist der wesentliche Unterschied zum gegenwärtig noch gültigen Zustand — die Rückkehr der obersten deutschen Staatsgewalt in deutsche Hände.
Das ist nur zu erreichen durch die Hinnahme der I drei Vorbehaltsrechte und der Vereinbarungen in den Zusatzverträgen.
Die SPD hat sich in ihren Reden, angefangen vom Kollegen Brandt bis zu den heutigen Reden, in den Details bewegt, in denen nach den Aussagen des Kollegen Gülich oder seinem Zitat der Teufel steckt. Sie hat sich ausgiebig mit diesen Details befaßt.
Die SPD greift diese Einzelheiten an. Die SPD hat aber verschwiegen, daß der Abschluß dieser Verträge notwendig ist, um die deutsche Bewegungs-
und Handlungsfreiheit im Interesse der gemeinsamen Ziele, die auch Sie haben, überhaupt erreichen zu können.
In den Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt ist gesagt worden, daß wir verpflichtet werden, die Ausübung des Notstandsrechts der Alliierten z. B. zu erleichtern.
Diese Bestimmung hat doch ausschließlich den Sinn, daß bei der Ausübung des Notstandsrechts die deutsche Regierung und die deutschen Behörden in alle eventuellen Maßnahmen im deutschen Interesse mit eingeschaltet sind.
Sie haben nicht davon gesprochen, Herr Kollege Dr.
Arndt, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen überhaupt z. B. das Notstandsrecht anwendbar ist: wenn deutsche Polizeikräfte nicht ausreichen, wenn das deutsche EVG-Kontingent und die
ganze EVG nicht mehr ausreichen. Sie haben es so
dargestellt, als ob die Alliierten das Notstandsrecht in beliebigem Umfang auslösen könnten.
Gleichzeitig haben Sie aber — und das ist für Ihre Dialektik bezeichnend — dagegen gewettert, daß das deutsche EVG-Kontingent dem Bundeskanzler für diesen Fall zur Verfügung gestellt wird. Sie müssen doch wählen. Entweder sind es deutsche Mittel; dann kommen die ausländischen Mittel überhaupt nicht zum Zuge. Sie können aber nicht gleichzeitig das Notstandsrecht der Alliierten angreifen und den Bundeskanzler tadeln, wenn er versucht, es zu verhindern.
Diese Ihre Darstellung ist ein typisches Beispiel für die kasuistische Logik, die Sie gestern in Ihren Ausführungen mit Ihrer rabulistischen Darstellung angewendet haben.
Sie haben so schön von den amerikanischen Truppen in England gesprochen. Sie wissen ganz genau, daß der Einsatz der amerikanischen Truppen seinerzeit in England unter grundlegend anderen Voraussetzungen stattfand als das Eingreifen der Besatzungsmächte hier bei uns.
Sie haben weiter davon gesprochen — —
— Ja, daß S i e ihren Abzug wünschen, kann ich mir gut vorstellen. Aber da wird Ihnen, auf gut Bayrisch gesagt, das Maul sauber bleiben.
Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, die Westalliierten hätten sich ihre Befugnisse einseitig vorbehalten, und hat dann gefragt: Ja, woraus denn vorbehalten? — Herr Kollege Dr. Arndt, leben Sie denn auf dem Mond?
Sie haben sich das vorbehalten aus der niedlichen Tatsache, daß sie heute noch die oberste Staatsgewalt ausüben und daß das Besatzungsstatut immer noch gilt, das Besatzungsstatut, das Sie durch Ihr Nein in der Politik der SPD jedenfalls zunächst einmal fortsetzen und möglicherweise verewigen würden.
Sie haben in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Dr. Arndt, gestern in einer für Sie typischen Weise dem deutschen Volk Illusionen und Seifenblasen vorgezaubert, weil Sie keine Realitäten zu bieten haben.
Sie haben gestern in Ihrer Darstellung die Dinge letzten Endes auf den Kopf gestellt. Sie haben gesprochen von dem hohen Preis an die Westmächte, den wir zu zahlen hätten. Es ist hier schon einmal gesprochen worden von dem Preis, der an die Sowjetunion zu zahlen wäre. Ich glaube, wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß mit der Politik der SPD der ganze Preis sowohl an die Westmächte wie an die Sowjetunion zugleich gezahlt wird. Deutschland würde nach dieser Politik die ganze Zeche nach Osten und Westen zugleich zahlen. Das ist die praktische Auswirkung der SPD-Politik.
Sie haben in sehr eingehender Darstellung von dem Vorbehalt des Notstandsrechts gesprochen und haben den Herrn Bundeskanzler eines falschen Zitats bezichtigt, als er vorgestern aus dem „Neuen Vorwärts" in der Nummer vom 15. Mai 1951, doch einem maßgebenden Organ Ihrer Partei, zitierte: Sie haben einen anderen Satz als den wirklichen Ausspruch Dr. Schumachers nach dem „Neuen Vorwärts" zitiert!
Ich darf hier feststellen: ich habe den „Neuen Vorwärts" vom 13. April 1951, die Nummer, die gemeint ist, vor mir liegen, und in dieser Nummer heißt der Satz — es ist ein Satz Schumachers — genau so, wie der Kanzler gesagt hat und kein Haar anders!
Es heißt hier wörtlich in den Schumacherschen Erklärungen: „Jede Unterschrift des Kanzlers ist daher für uns null und nichtig und kann das deutsche Volk nicht binden."
Das ist der genaue Wortlaut dieses Satzes. Sie haben aber gestern einen anderen Satz verlesen und den Herrn Bundeskanzler der Fälschung bezichtigt. Es sind aus Ihrem Munde Worte gefallen
wie „Verleumder", „Fälscher" und ähnliche. Das ist der Satz, den der Kanzler aus dem maßgebenden Organ Ihrer Partei zitiert hat!
Im übrigen brauchen Sie sich gar nicht darüber aufzuregen. Im November 1951 hat die „Südpost", das südliche Gegenstück in Deutschland zu Ihrem nördlichen Parteiorgan, aus einer Rede Ihres ehemaligen Parteivorsitzenden über das gleiche Thema folgenden Satz gebracht: „Für den Teil des deutschen Volkes, der meiner Partei nahesteht, ist Adenauer nicht in Paris gewesen." Die Alliierten müßten doch von allen guten Geistern verlassen, mit unfehlbarer Dummheit geschlagen sein, wenn sie daraus nicht schließen würden, daß eine spätere SPD-Politik gegen diese Verträge es jedenfalls ratsam erscheinen lassen wird, noch mehr Rechte zurückzubehalten.
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist für uns mehr als ein übliches Bündnis oder eine Militärallianz. Ich möchte mich hier auch gegen die Auffassung meines Kollegen Rechenberg, wie ich sie vorgestern verstanden habe, wenden, der, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe, sagte, daß das deutsche EVG-Kontingent gewissermaßen eine Gegenleistung für die Vorteile des Deutschland-Vertrages sei. Der EVG-Vertrag, dieser Verteidigungsvertrag, ist für uns eine politische Notwendigkeit, um unserem Volke in einer gefährdeten Lage eine feste Position für die zukünftigen politischen Ziele zu geben.
— Ich nehme das gern zur Kenntnis. —
Der Verteidigungsvertrag ist mindestens ebensosehr eine Leistung der anderen uns gegenüber als
ein deutsches Entgegenkommen ihnen gegenüber.
Denn letzten Endes wird ja von den Müttern und Vätern der anderen Völker, letzten Endes wird ja von den Parlamenten der anderen fünf beteiligten Länder verlangt, daß sie für den einzig denkbaren Fall eines Angriffs die Söhne ihres Landes zuerst zum Schutz unserer Heimat bereitstellen, bis wir für sie in Betracht kommen.
Außerdem ist der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft für uns ein entscheidender Schritt weiter zu dem, was wir als politisches Ziel in dem Begriff der Vereinigten Staaten von Europa anstreben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Arndt hat die Politik der Bundesregierung und der Koalitionsparteien gestern beschuldigt, mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen zu sein. Herr Kollege Arndt, das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf,
ein ungeheuerlicher Vorwurf angesichts der Tatsache, daß Sie um der Herrschaft Ihrer Partei wil-
len Existenz und Zukunft unseres Volkes mit Ihrer ständigen Opposition aufs Spiel setzen.
Seit Ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag — lesen Sie Ihre Antwort auf die damalige Regierungserklärung Adenauers nach — ist es das oberste Ziel der Opposition, den Sturz der Bundesregierung herbeizuführen.
Und diesem Ziel wird die sachliche Politik geopfert!
— Sie sprechen von „demokratischem Recht", — die Grenzen dieses „demokratischen Rechtes" liegen in den Existenzfragen unseres Volkes!
Sie dürfen nicht in einer seltsamen Verwechslung der Begriffe demokratisches Recht mit parteipolitischen Interessen in einen Topf werfen!
Herr Kollege Arndt hat gestern ausgeführt, daß jeder Ansatz eines demokratischen Bewußtseins durch diese Politik im Volke von Grund auf zerstört würde. Wenn ein Ansatz demokratischen Bewußtseins in unserem Volk zerstört wird, dann geschieht es durch die negative Opposition, die Sie dem deutschen Volk seit Jahr und Tag vorexerzieren, und nicht durch unsere positive Politik!
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß sich Kollege Dr. Arndt auch zum Anwalt dieser Politik gemacht hat.
Heute lesen wir in dem sozialdemokratischen Pressedienst, die Verschiebung der dritten Lesung sei eine schwere politische Niederlage.
Ja, machen Sie es uns doch nicht so leicht, darauf
zu antworten, wenn wir Ihnen eines ihrer politischen Mittel aus der Hand geschlagen haben, mit
denen Sie unsere Politik zu torpedieren versuchten!
Wir betrachten jede Verzögerung des Inkrafttretens dieser Verträge als einen sachlichen Nachteil. Wir müssen aber diesen sachlichen Nachteil in Kauf nehmen, um diese Verträge durchzubringen; und wir sind leider gezwungen, Sie mit Ihren eigenen Mitteln dabei zu schlagen.
Herr Kollege Dr. Arndt, wer zum Schluß der Witzbold sein wird — wenn Sie neulich so anspruchsvoll von der Geschichtsschreibung dieser Jahre gesprochen haben —, das überlassen wir ruhig dem Urteil derer, die dann eine gesunde Vernunft haben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Dr. Arndt hat gestern weiterhin davon gesprochen, natürlich werde die SPD sich zu einer ühernarteilichen Außenpolitik entschließen bei Verständigung über die Vorschläge Schumachers. Sie binden also die gemeinsame Außenpolitik letzten Endes an eine mehr oder minder bedingungslose Annahme der Richtlinien Ihrer Partei. Und das stellen Sie sich unter gemeinsamer Außenpolitik vor.
Sie machen aus der gemeinsamen Außenpolitik ein innenpolitisches Geschäft und nichts anderes.
Herr Dr. Arndt hat in diesem Zusammenhang die schönen Worte von ,.nationalpolitisch erforderlich" und ..verfassungsrechtlich geboten" gebraucht. Er hat dazu die Richtlinien Dr. Schumachers zitiert. Gestern hat er sie im wesentlichen wiederholt. Er hat gestern von der notwendigen Zweidrittelmehrheit gesprochen. hat aber einfließen lassen, daß zu der Zweidrittelmehrheit selbstverständlich auch die Neuwahl des Bundestags hinzukomme.
Nur ein neuer Bundestag könne legitimiert sein, diese Entscheidung zu treffen. Da liegt der Hase im Pfeffer! Sie wollen Neuwahlen haben; darauf kommt es Ihnen an.
Nach dem, was an Stimmen aus Ihren Reihen zu uns dringt. sind wir uns sehr wohl klar darüber, daß große Teile Ihrer Partei aus dem Gleis, in das sie gezwängt worden sind, gern wieder rauskommen möchten, wenn sie noch könnten.
Das können Sie nicht mit ein paar billigen Zwischenrufen oder ähnlichen Bemerkungen abtun. Wir wissen genau, daß Sie aus dem Gleis nicht mehr heraus können. Sie können nicht vor Ihre Wähler hintreten und sagen: Wir haben euch drei Jahre auf dem Holzweg geführt. Aber jetzt wählt uns wieder. Wir haben schon einmal versagt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Schluß dieser Replik — damit Sie sich nicht zu früh der Hoffnung hingeben, ich hörte auf — möchte ich noch an das zwielichtige Gruseln erinnern, das Herr Kollege Dr. Arndt immer wieder beschwört, wenn er vor dem Bundestag steht. Neulich sagte er, bei uns hieße es: Kanzler befiehl, wir folgen dir! Dieses Wort kann ich Ihnen gern zurückgeben. Für Sie heißt es heute: Ollenhauer befiehl, Deutschland trägt die Folgen davon!
Herr Kollege Dr. Arndt hat ebenso wie Kollege Ollenhauer öfter ein sachliches Ja zu dem Verteidigungsgedanken ausgesprochen. Aber gestern haben wir die interessante Unterscheidung kennengelernt zwischen der sachlichen Verteidigungslast, die wir tragen sollen, und den anderen Verteidigungsnotwendigkeiten, die wir selbstverständlich nicht tragen sollen. Was heißt denn sachliche Ver-
teidigungslast? Sachliche Verteidigungslast heißt, daß wir mehr oder minder — jedenfalls zu mehr als 50 % — nutzlos Besatzungskosten weiterzahlen mit einem Minimum an Sicherheitseffekten. Das ist Ihre sachliche Verteidigungslast.
Sie müssen zu diesem Gedanken entweder ganz ja oder ganz nein sagen. Wenn Sie ja sagen — wir sind bereit, es zu tun —, müssen Sie auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Wenn Sie nein sagen, müssen Sie ebenfalls die Konsequenzen zu übernehmen bereit sein; nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Wir werden jedenfalls die Entscheidung für uns jetzt treffen, auch wenn Sie nicht oder noch nicht auf der Regierungsbank sitzen.
Die Sozialdemokraten sagen: Ein starker deutscher Wehrbeitrag in einer großen europäischen Armee ist eine Provokation für die Sowjet-Union und gefährdet den Frieden. So haben wir es vor wenigen Tagen aus verschiedenen Federn Ihrer Partei in den Zeitungen gelesen. Gleichzeitig jammern Sie, daß der EVG-Vertrag militärisch nicht wirksam genug sei und die Gefahr einer schwachen Europa-Armee mit sich bringe. Kollege Ollenhauer bedauerte am letzten Sonntag, daß der militärische Teil der Verträge erst ab 1955 wirksam werde. Ja warum denn die ganze Aufregung? Bis dahin haben wir doch Neuwahlen gehabt, Kollege Ollenhauer.
Wenn Sie nächstes Jahr ins Geschäft kommen, sind Sie 1955 mit dabei. Wenn nicht, ist es wiederum umsonst gewesen. •
Sie werden doch nicht sagen, daß Sie vor 1955 einen Krieg führen wollen. Wir auch nicht und natürlich auch nachher nicht.
Die Sozialdemokraten sagen, durch die Verteidigung werden zu große wirtschaftliche und finanzielle Lasten den Völkern auferlegt, deren weltanschauliche und soziale Widerstandskraft gegenüber dem Bolschewismus darunter leide. Gleichzeitig stellten sie fest, daß eine noch viel größere Armee in noch kürzerer Zeit aufgebaut werden müßte, um einen wirksamen Schutz zu garantieren. Das ist ins Politische übersetzt dieselbe Logik, als wenn ich sage: wenn ein Bein zu kurz ist, muß das andere zwangsläufig zu lang sein.
Kollege Gülich hat heute morgen Zweifel an Amerikas Hilfsbereitschaft für die nächsten Jahre ausgesprochen. Nun, ich glaube, wir können hier ruhig nach dem gesunden Menschenverstand in dieser Frage urteilen. Haben sie uns in den Jahren, in denen sie innerlich unsere Gegner waren und wir ihnen nichts bedeutet haben, mit Rohstoffen und Lebensmitteln im Werte von mehr als 10 Milliarden DM geholfen, dann werden wir in Zukunft noch mehr auf ihre Hilfe rechnen können. Dann reden wir heute nicht um 100 Millionen herum, wie es heute morgen geschehen ist.
Im übrigen sind alle sozialen Leistungen umsonst, wenn wir durch eine wankelmütige Politik unsere Freiheit verspielt haben.
Die Sozialdemokraten sagen, im französischen und italienischen Teil der Europa-Armee gebe es zuviele Kommunisten; man wüßte nicht, wohin ihre Panzer schießen werden, wie Kollege Erler neulich in der „Süddeutschen Zeitung" meinte. Als ob es für uns besser wäre, wenn eine französische und italienische Nationalarmee ohne europäische Zusammenfassung und damit ohne deutschen Einfluß weiterhin bestehen bliebe.
Kurzum: die Politik der Sozialdemokratie hat in
ihrer Überspitzung einen Stand erreicht, bei dem
der innere Widerspruch zum Prinzip erhoben wird.
Für sie ist Politik heute weitgehend Sinngebung des Sinnlosen geworden.
— Wenn Sie wieder zur Ruhe gekommen sind, dann darf ich an Sie eine Frage richten.
Wie stellen Sie sich denn eine europäische Verteidigung vor, die auch Deutschland Sicherheit und Frieden gibt? Sie nörgeln in zersetzender Weise an einzelnen Bestimmungen herum.
Ich habe hier einige Auszüge aus der sowjetzonalen Presse vom 3. Dezember. Ich darf vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nach der beliebten Formel fünf Zeilen ungefähr zitieren. Dort heißt es:
Die Notstandsklausel ist ein Freibrief, durch fremdländische Militärdiktatur das deutsche Volk zu knechten.
Die Kommunisten werden schreien: Sehr richtig! Sie haben bis jetzt nur gelacht.
— Sie müssen schneller reagieren mit Ihren Zwischenrufen.
Der Generalvertrag
— heißt es weiter —
soll die Souveränität und Unabhängigkeit an die Westmächte verschachern.
Mit Hilfe des Generalvertrages sollen die letzten Rechte des deutschen Volkes zerschlagen werden.
Der Generalvertrag bedeutet den Verzicht auf nationale Unabhängigkeit, Freiheit und Souveränität.
Herr Kollege Arndt, glauben Sie, daß die sowjetzonale Presse die deutsche Verfassung richtiger oder besser auslegt als Bundesregierung und Regierungsmehrheit? Ein Teil ihrer Argumente entspricht in verzweifelter Ähnlichkeit diesen Zeilen hier.
Wir geben uns keiner Täuschung darüber hin, daß viele psychologische, technische, materielle Schwierigkeiten überwunden werden müssen, um zu einem europäischen Verteidigungsinstrument zu gelangen. Es besteht kein Zweifel, daß es in der Großdeutschen Wehrmacht besser klappte und daß bei der Roten Armee die Dinge einfacher liegen, als es zunächst bei der Europa-Armee der Fall sein wird.
Die Sorge der SPD um die militärische Wirksamkeit des Vertrags wird auch von uns ernst genommen. Aber wir benutzen diese Sorge nicht, um damit gegen diesen Vertrag Propaganda zu machen, mit der Absicht, ihn zu torpedieren, sondern wir suchen nach dem besten Wege, um politische Zwecke und militärische Notwendigkeiten zu vereinigen. Der stärkste Ausdruck der nationalstaatlichen Tradition sind die Nationalarmeen. Darum war nach unseren Grundsätzen auch dort der Hebel anzusetzen und nicht bei der europäischen Einigung über Briefmarken oder Fahrpläne. Es handelt sich aber — und das sei noch einmal festgestellt — nicht so sehr um die zweckmäßigste Form einer raschen militärischen Aufrüstung als darum, mit dem Abschluß dieses Vertrags dem militärischen Objekt und politischen Vakuum Deutschland einen festen politischen Standort zu geben,
um es damit der Unklarheit und Unsicherheit zu entreißen, in der es sich bisher befindet und in der es von seinen ausländischen Gegnern gerne weiter erhalten würde.
Bei dem Abschluß dieses Vertrages hatten wir drei Ziele: erstens Menschenkraft und Hilfsquellen der freien und mächtigen Völker der Welt auch für die deutsche Sicherheit und Wiedervereinigung zu mobilisieren, zweitens einen weiteren planmäßigen Schritt für die Einigung Europas zu vollziehen, drittens Angst und Unsicherheit in unserem Volk und bei den anderen freien Völkern Europas zu beheben und die Grundlagen für einen echten Frieden zu schaffen. Die Feststellung ist nicht übertieben, daß die militärische Bedeutung dieses Vertrages nur eine Funktion seiner politischen Konzeption und seiner politischen Konsequenz ist.
Es ist vielleicht ein erfreuliches Zeichen, daß trotz des andauernden Koreakrieges die Diskussion um die akute Bedrohung der Sicherheit unserer Völker wieder in den Hintergrund getreten ist. Das beweist zwar Licht, daß eine Gefahr nicht mehr la ist, wenn von ihr nicht mehr gesprochen wird; aber das beweist die wachsende Zuversicht und innere Sicherheit der freien Völker, und das beweist ferner, daß trotz aller Rückschläge und Verögerungsmanöver die Zeit genutzt worden ist, um lie Aussichten für einen Angreifer weiter zu verschlechtern. Dieser Eindruck wird durch die beonte sowjetische diplomatische Aktivität und politische Untergrundtätigkeit verstärkt. Zweck dieser ganzen Manöver ist doch heute nur der, die freien Völker der Erde wieder einzuschläfern, sie zum Erlahmen in ihren Bemühungen zu bringen, damit lie andere Seite, nämlich Terror und Zersetzung als Vorbereitung des militärischen Überfalls, wieder angewendet werden kann.
Nach den vielen an die Sowjetunion verlorenen tunden im Kalten Krieg ist damit, daß sich die Nestmächte nun zu einer konstruktiven Politik egenüber den besiegten Völkern entschlossen haben, zum ersten Mal eine große Runde für die freien Völker auf der Welt gewonnen worden.
Teheran, Jalta und Potsdam waren nicht die Konferenzen der Sieger des zweiten Weltkriegs, sondern die ersten Niederlagen der Westmächte gegenüber der Sowjetunion.
Der Abschluß dieser Verträge ist nach unserem Erfolg im Kampf um Berlin die zweite große ent- scheidende Niederlage der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland und Europa.
Es ist nicht unsere Schuld, daß bei dieser zweiten Runde die SPD bis jetzt eine unrühmliche Rolle gespielt hat.
Die Opposition wirft uns vor, daß mit diesem Vertrag der Versuch gemacht wird, eine Politik der Stärke zu betreiben.
Kollege Erler von der SPD hat vor kurzem diese Politik der Stärke als ein Spiel mit dem Kriege bezeichnet. Herr Ollenhauer und seine politischen Freunde wollen nicht sehen, daß man nur durch eine Politik der klaren Lösungen und der Entschlossenheit den Krieg vermeiden kann, wollen nicht sehen, daß das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das die SPD um diese Verträge herum betreibt, Unsicherheit und Verworrenheit der deutschen Lage erzeugen.
Auch hier ist die Beweisführung der SPD schwach und zwiespältig. Einmal greift sie in tiefer Besorgnis um die militärische Stärke der Europa-Armee den Vertrag an, weil er eine schwache Armee schaffe, dann behauptet sie, daß diese Europa-Armee die Kriegsgefahr erhöhe. Eines dürfen wir klar und eindeutig feststellen. Kein vernünftiger Mensch denkt daran, mit einem deutschen Verteidigungsbeitrag ultimativ militärischen Druck zu erzeugen, um die deutsche Einheit wiederherzustellen oder andere Fragen zu lösen.
Hier werden unserer Politik — zum Teil bewußt und mit Absicht und mit schädlichen Folgen — falsche Motive unterstellt. Wir sind ferne von jeder Kraftmeierei.
Säbelrasseln gehört nicht in die Sammlung unserer politischen Mittel. Die Kraftmeierei wird von der SPD verbrochen mit ihrer Politik der falschen Einschätzung der deutschen Position und mit ihrer verhängnisvollen Propaganda, daß die anderen auf uns angewiesen seien und die Bundesregierung sich zu billig verkauft habe.
Leider haben damit die Sozialdemokraten den Boden der Tatsachen verlassen
und sich in den Bereich der politischen Astrologie begeben.
Wir brauchen aber keine Politik nach Horoskop in unserer schwierigen deutschen Lage. Wir brauchen eine Politik der Klarheit.
Herr Kollege Erler, wegen Ihres Vorwurfs, das
sei Spiel mit dem Kriege, würde ich Ihnen, wenn
ich Sie nicht jetzt bei den Ausschußverhandlungen
so gut kennengelernt hätte, den Vorwurf machen,
daß Sie daherreden wie ein bußetuender Militarist.
— Ich sage ja: wenn ich Sie nicht kennte!
— Geben Sie doch diese Lehren, Herr Kollege Schoettle, von der Demagogie Ihrer eigenen Fraktion! Spielen Sie doch nicht immer den politischen Lehrer!
Meine Damen und Herren von der SPD, warum machen Sie sich den Ausspruch Ihres Berliner SPD-Oberbürgermeisters in einer Kundgebung vom 7. September 1952 nicht zu eigen? Herr Reuter hat wörtlich erklärt:
Es gibt keinen wichtigeren Satz für eine weit-schauende Politik als den: Macht die Bundesrepublik so stark wie möglich!
Hören Sie folgende Ausführungen des SPD-Oberbürgermeisters Reuter. Er sagt wörtlich: — —
— Im Ministerpräsidentenrang Regierender Bürgermeister! Danke, nehme es zur Kenntnis, die Achse München-Berlin wird darunter keinen Schaden leiden!
Hören Sie folgende Ausführungen des SPD-Mannes Reuter.
— Nein, nicht bis nach Rom, so weit sind wir noch nicht!
Je schneller die neue Entwicklung zur westlichen Völkerfamilie vorangetrieben werden kann, d. h. je mehr die westlichen Völker sich ihrer überlegenen Kraft bewußt werden, dm so eher wird der Block der östlichen Diktatoren gezwungen sein, die Konsequenzen aus seiner Schwäche zu ziehen.
Dann wird der Weg frei sein zu einem in Frieden geeinten Europa.
Das ist nicht die Sprache der SPD im deutschen Bundestag. Das ist die Sprache des Berliner SPD-Bürgermeisters aus der Gefahr seiner Stadt und aus der Praxis der Verantwortung heraus.
Das klingt anders, als wenn die Parteimänner Brandt und Wehner hier über die gleiche Frage sprechen.
Bisher, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie uns auf die Frage, welchen Weg denn Sie gehen würden, die Antwort schuldig geblieben. Sie sind diese Antwort auch dem deutschen Volk schuldig geblieben. Sie haben statt dessen manchmal in der Vergangenheit den Ohne-mich-Standpunkt für Wahlzwecke in zum Teil übertriebener Weise ausgenutzt.
Herr Kollege Gülich, Sie haben heute morgen davon gesprochen, daß die Politik der Stärke — ich erinnere an Reuter — schon einmal von A bis Z, d. h. von Adolf bis Zusammenbruch geführt habe.
Lassen Sie sich sagen, daß Ihre Politik der Schwäche, der politischen und logischen Schwäche, von Arndt — ich meine nicht Ernst Moritz Arndt, sondern Adolf Arndt, Ihren Fraktionskollegen — zu Z, zur Zwangsarbeit in Sibirien, in konsequenter Folge führen wird!
Meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie denn nichts aus den zwölf Jahren des Dritten Reichs gelernt?
Haben Sie vergessen, daß die Politik der Schwäche der Westmächte letzten Endes Hitler zum Krieg verführt hat?
Wissen Sie denn nicht, daß deutsche Generale in der Not ihres Gewissens und im Konflikt mit ihrem Eid das Ausland darauf aufmerksam gemacht haben, daß nur eine Politik der Stärke den Diktator vom Kriege abhalten kann?
Sie haben in die politische Debatte das Zauberwort der Viererkonferenz geworfen und in manchen Spiegelfechtereien den Eindruck erwecken wollen, als ob mit einer Viererkonferenz unter den gegenwärtigen Umständen die unbequemen Entscheidungen — das gebe ich gern zu —, die jetzt zu treffen sind, vermieden oder umgangen werden können.
Sie können höchstens verzögert werden, unter Umständen so lange, bis es zu spät ist.
Sie wissen ganz genau, daß Sie mit diesem schönen Appell nur eine politische Deklamation erhoben haben.
Es handelt sich gar nicht darum, in erster Linie den guten Willen der Westmächte für die Wiedervereinigung Deutschlands jetzt zu prüfen; es handelt sich darum, daß die Sowjets auf die einstimmigen Noten der Westmächte endlich eine befriedigende Antwort geben, die einen Ansatz zu Verhandlungsmöglichkeiten bedeutet. Das ist bisher nicht geschehen.
Ich beziehe mich hier auf den Bericht Ihres
eigenen Kollegen Dr. Bärsch — den Minderheitsbericht des Ausschusses —, in dem es heißt:
Der Appell an das Recht wird die Sowjets nicht berühren. Der Versuch, mit einem Appell an das Recht die Sowjets zur Zustimmung zur Wiedervereinigung zu veranlassen, wäre von vornherein als von einer Illusion ausgehend zu betrachten.
Wir schließen uns diesem Wort an und danken für diese Ehrlichkeit.
Der Abgeordnete Wehner hat in der 222. Sitzung am 10. Juli ausgeführt:
Die Bundesrepublik kann Viermächteverhandlungen nicht erzwingen. Sie hat auch nicht die
Möglichkeit, Inhalt und Verlauf von Viermächteverhandlungen eindeutig zu bestimmen. Kollege Brandt hat gestern oder vorgestern den schönen Satz aufgestellt, in der Politik sei es besser zu wissen als zu glauben.
Nun, meine Damen und Herren von der SPD, können Sie wohl nicht bestreiten, daß Ihre Forderung nach einer Viermächtekonferenz unter den gegenwärtigen Umständen nichts anderes ist als ein politisches Glaubensbekenntnis einer in Verlegenheit befindlichen Partei.
Sind Sie sich denn darüber im klaren, daß Sie mit Ihrer Forderung nach einer erfolgreichen Viermächtekonferenz und mit Ihrem Vorschlag -- das zweite gehört unabdingbar dazu —, so lange eine konkrete politische Bindung mit dem Westen abzulehnen, das Gesetz des Handelns wieder in die Hände der Sowjets zurückgeben, denen es mühsam genug entrissen worden ist?
Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, mit diesem Zeitplan arbeiten Sie den Plänen des Politbüros in die Hand, auch wenn Sie es nicht wollen.
Kollege Carlo Schmid hat am 9. Juli 1952 gesagt:
Sollten die Russen durch ihr Verhalten unmißverständlich zeigen, daß sie die Einheit Deutschlands nicht wollen — es sei denn in der Form einer russischen Provinz —, dann wird eine neue Lage geschaffen sein. Dann wird man
— er sagte nicht: „jetzt konkrete Verträge schließen" —
sich überlegen müssen, was auf Grund der
neuen Lage zu geschehen haben wird.
Herr Ollenhauer hat sich dem am 7. Mai 1952 angeschlossen, als er sagte:
Der gegenwärtige Entwurf des Generalvertrags
-- es war vor der Vorlage in der ersten Lesung, vor der ersten Ausschußberatung! —
wird von der SPD auch dann abgelehnt, wenn Viermächtebesprechungen über Deutschland mit einem Fiasko enden sollten.
Nun haben wir seit dem 27. Mai diesen Vertrag in der Hand und haben ihn beraten. Am 7. Mai haben Sie erklärt, Sie lehnen ihn ab. Im Dezember haben Sie erklärt, Sie haben zu wenig Zeit gehabt, ihn kennenzulernen, um über ihn zu entscheiden. Herr Kollege Ollenhauer hat nach Zeitungsmeldungen außerhalb des Sitzungssaals beim Mailänder Sozialistenkongreß erklärt:
Für die SPD entsteht eine neue Situation, wenn sich die Verhandlungen mit Moskau zugunsten eines in Freiheit vereinigten Deutschlands als ergebnislos herausstellen sollten.
Dann also, Kollege Ollenhauer, wollen Sie zu
überlegen beginnen! Sie dürfen einer Regierungspartei nicht übelnehmen, daß sie in ihrer Verantwortung die Mühe der Überlegung etwas früher auf sich nehmen muß.
Ihre Politik dreht sich mit diesem Zeitpunkt rundherum wie ein Karussell. Viele Runden im Leerlauf sind aber noch lange kein Fortschritt.
Wir wollen Ihnen gar nicht bestreiten, daß die Sowjets jetzt gern nach ihrer eigenen — ich meine der sowjetischen — Tagesordnung mit Deutschland verhandeln würden. Wer gibt Ihnen aber den leisesten Anhaltspunkt dafür, daß diese Gespräche jetzt anders verlaufen würden als die 260 Verhandlungstage über den österreichischen Staatsvertrag, die 350 ergebnislosen Sitzungen beim Waffenstillstand in Korea? Der einzige Anhaltspunkt für Sie ist doch nur Ihre eigene Illusion und Ihre starrköpfige Weigerung, eine gemeinsame Außenpolitik mit der Bundesregierung und uns zu machen.
Bei jeder Gelegenheit, meine Herren von der SPD, betonen Sie die Schwäche und Unzuverlässigkeit Frankreichs, ganz besonders hinsichtlich seiner Einstellung zur deutschen Einheit. Wer gibt Ihnen denn die Garantie, daß eine ViermächteKonferenz hinter verschlossenen Türen über das Schicksal einer wehrlosen Bundesrepublik und eines gespaltenen Volkes, an der Frankreich teilnimmt und Deutschland nicht teilnimmt, für uns besser ist als eine vertragliche Verpflichtung aller Westmächte zur Wiedervereinigung Deutschlands in einem Bündnissystem, in dem man über diese Frage ohne Deutschland nicht mehr diskutieren kann?
— Sie hätten doch Opernsängerin werden sollen, und die Moskauer Oper hätte mit Ihnen pleite gemacht.
Wir haben doch wahrlich genug Erfahrungen mit Konferenzen dieser Art gemacht. Die Sowjets wollen verhandeln, verhandeln und wieder verhandeln; aber sie wollen keine Entscheidungen.
Der Westen hat bei solchen Konferenzen immer noch den Kürzeren gezogen, während die Gegenseite den Rahmen dieser Konferenzen nur für politische Deklamationen benutzt hat. Die erste Unterbrechung in dieser Kette von Mißerfolgen für den Westen war der Friedensvertrag mit Japan, 1 und der mußte ohne die Sowjetunion gemacht werden.
Es ist ein absoluter Aberglaube, es ist ein gefährliches Argument in Ihren Händen, zu erklären und zu glauben, die Sowjets würden nach der Ratifizierung nicht mehr zu Verhandlungen bereit sein. Die- Verhandlungsmöglichkeiten mit der Sowjetunion werden kommen. Welche Vorschläge dann zu machen und welche Änderungen an dem geplanten System dann zu treffen sind, das werden wir uns überlegen, wenn wir die Plattform dafür haben werden.
Der EVG-Vertrag ist — das ist der einstimmige Wille all derer, die zu ihm ja sagen — ein reiner Verteidigungsvertrag. Ein Friede in Freiheit ist das oberste Ziel einer jeden Politik. Wir sagen auch hier — und wir werden es auch in der Verwirklichung des Vertrags sagen — ein Nein zu jedem Präventivkrieg.
Aber gegenüber anderen Stimmen darf ich hier, wieder auch in genauer Interpretation des Vertragstextes, sagen, daß auch ein Verteidigungskrieg nur mit deutscher Zustimmung ausgelöst werden könnte. „So ist es mit dem Geld", sagte gestern Kollege Arndt, und dann sagte er weiter: „So ist es mit dem Blut! Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann", sagte er wörtlich, „insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im Europäischen Ministerrat."
Meine Damen und Herren! Sie werden jetzt schreien, wenn ich Ihnen sage, daß das schlechthin Blödsinn ist!
In erster Linie entscheidet über die Frage, Krieg oder nicht, Stalin oder sein Nachfolger. Im Ernstfall wird vielleicht nicht viel Zeit zum Überlegen sein. Aber glauben Sie denn, daß bei diesem System oder bei dieser Lage überhaupt jemand anders als wir zuerst angegriffen werden kann? Und glauben Sie, daß ein Deutscher, sei es Außenminister, sei es Verteidigungsminister, ohne einen Beschluß seines Kabinetts, ohne Zustimmung seines Parlaments in dieser Lage seine Stimme abgeben kann?
Das ist doch Spitzfindigkeit, um politische Argumente zu kriegen und das Volk in der übertriebensten Weise irrezuführen.
Wenn uns dann gestern noch ein Unterschied zwischen NATO und EVG durch Herrn Kollegen Arndt aufgezeigt wurde, als ob die Beteiligung bei NATO allein das Vorteilhaftere wäre, dann ist das eine genaue Verkehrung der wirklichen Tatsachen. Der Atlantik-Vertrag zwingt auch im Angriffsfall keinen anderen Staat zu militärischen Maßnahmen. Er zwingt ihn nur zur Beratung. Das Ausmaß der Maßnahmen bleibt dem betreffenden Staat überlassen. Im EVG-Vertrag wird der Sicherheits-Automatismus von selbst für sämtliche Streitkräfte ausgelöst, und hier stehen zuerst Divisionen anderer Nationen für Deutschland ein, bevor wir für sie einzustehen hätten.
Ob Deutschland als Nichtmitglied des Atlantikpakts benachteiligt ist oder nicht, ob größere Gefahren oder ein größeres Risiko sich ergeben, welche Vorteile sich aus einem Beitritt zum Atlantikpakt ergeben sollten, das bedarf noch einer genauen politischen Überlegung, einer genauen Klärung. Aber so gering würde ich den deutschen Einfluß nicht einschätzen, daß ich sagen würde: „Island, das Mitglied im Atlantikpakt ist, hat einen entscheidenden Einfluß; Deutschland hat keinen Einfluß, weil es die formelle Mitgliedschaft nicht besitzt." Ob und wann wir Mitglied werden, ist noch nicht entschieden. Aber eines ist klar: daß in sämtlichen Hauptquartieren, in sämtlichen Stäben der AtlantikpaktOrganisation Deutschland mit sämtlichen europäischen Atlantikpakt-Ländern gleichberechtigt, d. h. paritätisch nach seinem Beitrag, vertreten ist.
Ebenfalls hat Herr Kollege Arndt eine falsche Tatsache vorgetragen, wenn er sagte, Deutschland könne nicht mitbestimmen, nach welchen Grundsätzen der Atlantikpakt-Oberbefehlshaber den Oberbefehl ausübe. Das ist sachlich falsch. Im Ar-. tikel 123 des EVG-Vertrags ist klar und eindeutig festgelegt, daß ein einstimmiger Beschluß des Ministerrats dafür erforderlich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn dann Herr Kollege Brandt noch erklärt hat, in Frankreich, in Belgien, in England, in Amerika sei Widerstand gegen diese Verträge vorhanden — ja, fragen Sie doch, welche Kreise diesen Widerstand ausüben. Das ist ein Herr de Gaulle, der erklärt hat: „Bonn hat zu viel erreicht, hat Gleichberechtigung ohne Gegenleistung erreicht! Bonn hat große Vorteile hereingeholt." Bonn habe in diesen Verträgen in sieben Jahren eine unglaubliche Wandlung der Dinge hervorgerufen; Frankreich habe seine Selbstaufgabe damit unterschrieben. — Das sind die Kräfte gegen die Verträge. Ich beneide Sie nicht, wenn Sie eines Tages als Regierungspartei mit diesen Kräften einen Deutschland-Vertrag schließen wollen!
— Meine Damen und Herren, Sie sind auch sonst in der Anwendung der Redezeit bei großen Fraktionen nicht so kleinlich!
Meine Damen und Herren, wir haben uns gestern die Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt über die verfassungsrechtliche Situation und die anderen damit zusammenhängenden Fragen angehört. Einen Teil der notwendigen Antworten können wir aus Zeitgründen nicht mehr geben. Ich glaube aber, wir dürfen ohne Übertreibung feststellen, daß das Recht der Notwehr einem Volke durch keine Auslegung der Verfassung genommen werden kann. Zeitweise mag uns die Ausübung der Notwehr durch die Alliierten untersagt worden sein. Sie stellen Ihren SPD-Verfassungsgesetzgebern im Parlamentarischen Rat ein schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie heute behaupten, daß damals diese Frage bewußt und freiwillig weggelassen worden sei. Es gibt keinen Staat, der die Pflicht verleugnen könnte, für seinen Bestand, für die Freiheit und das Leben seiner Bürger die Vorsorge zu treffen.
Diese Pflicht nimmt ihm kein Verfassungsgericht
heute ab. Auch die Verteidigung ist ein Instrument
der Demokratie. Das Vertragswerk versagt uns
nicht die Wehrhoheit, wie gestern behauptet worden ist. Es gibt hier keinen Unterschied zwischen sachlicher Verteidigungslast und den persönlichen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Nehmen Sie doch alles in allem zusammen! Der EVG-Vertrag war ohne Zweifel für Sie im Ausschuß — das möchte ich den sozialdemokratischen Kollegen gern ausstellen — ein Gegenstand ernster Prüfung, um die Entscheidungen für Sie vorbereiten zu können; es wäre unehrlich und unfair, das hier nicht zu sagen. Im politischen Kampfe in Deutschland ist der EVG-Vertrag für Sie nur ein Mittel in ihrem Instrumentarium zum Sturz der Regierung. Der Zweck für Sie ist in diesem Falle nicht, die bessere Lösung zu finden; der Zweck ist für Sie, ihre politischen Wünsche durchzusetzen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Mit der Politik, die Sie wollen, kommen wir auf keinen grünen Zweig, aber vielleicht — zu einer roten Regierung.