Rede von
Anton
Sabel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Frau Kollegin Meyer-Laule machen. Sie hat sich mit dem Problem der Besatzungsverdrängten beschäftigt, ein Problem, mit dem wir zweifellos alle, die wir hier in diesem Hause sind, schon sehr viel zu tun hatten. Ich halte es für falsch, es hier so hinzustellen, als hätten sich nicht alle bereits sehr viel Sorge um diese Dinge gemacht.
Ich darf doch daran erinnern, daß wir in diesem Hause dieses Problem wiederholt behandelt und dazu auch mehrfach Anträge gestellt haben. Ich glaube, es sitzt niemand hier, der nicht in seinem Wahlkreis mit diesen Problemen beschäftigt worden ist und nicht erfolgreich versucht hat, zu helfen, wo zu helfen ist, und niemand, dem es in vielen Fällen jedoch leider nicht gelungen ist, zu erreichen, was er wollte. So ist doch die Situation.
Wir wollen klar und deutlich sehen, daß wir zur Zeit ohne die Verträge einen völlig rechtlosen Zustand haben, daß wir aber mit den Verträgen immerhin zu größeren Einwirkungsmöglichkeiten kommen. Wir können die Hoffnung haben, daß wir damit dem Problem näherkommen.
Ich möchte noch eines sagen. Niemand von uns denkt daran, daß wir uns nicht ernstlich bemühen müßten, durch Steigerung der eigenen Leistung innerhalb unseres Haushalts dieser Not, dieser Sorge besonders zu begegnen. Ich halte es also für notwendig, hier einmal klar und deutlich aufzuzeigen, daß es sich um ein Anliegen handelt, das uns alle angeht und um das wir uns alle bekümmern müssen.
Nun zu einigen anderen Fragen. In der Präambel zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft heißt es an einer Stelle:
Sie
— die Vertragschließenden —
sind entschlossen, ... die Entwicklung ihrer Wehrkraft zu sichern, ohne den sozialen Fortschritt zu beeinträchtigen.
Es ist verständlich, daß bei der Prüfung des Vertrags auch Erörterungen darüber angestellt wurden, inwieweit die in der Präambel zum Vertrag
festgelegte Absicht durchsetzbar ist. Ohne die
materiellen Auswirkungen des Verteidigungsbeitrags bagatellisieren zu wollen, glaube ich, daß
wir nach eingehender Überprüfung feststellen können: das Versprechen in der Präambel ist kein
leeres Versprechen, sondern hat eine reale Fundierung. Der Lebensstandard der westdeutschen Bevölkerung wird auf Grund der Beteiligung Deutschlands an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht sinken. Es ist anzunehmen, daß für
eine weitere Verbesserung der Lebensverhältnisse
in der Zukunft noch genügend Spielraum verbleibt.
Der Herr Professor Gülich hat heute morgen angezweifelt, daß es möglich sei, zu der angenommenen Ausweitung des Sozialprodukts zu kommen, die es dann ermögliche, für die bessere Gestaltung der Lebensverhältnisse mehr zu tun. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich die Opposition bisher in all ihren Prognosen zur Wirtschaftspolitik geirrt hat. Die Tatsache, daß wir hier recht behalten haben, darf uns die Hoffnung geben, daß wir auch in Zukunft zu einer stärkeren Ausweitung des Sozialprodukts kommen und damit die Moglichkeit gegeben ist, neben der Erfüllung der Aufgaben in der Verteidigungsgemeinschaft_ der anderen Aufgabe, den Lebensstandard weiter zu erhöhen, nachzukommen.
Herr Dr. Schöne hat in seinen Ausführungen gesagt, die Notsituation großer Kreise unseres Volkes verbiete es, die materiellen Mittel für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft aufzuwenden, die nötig sind. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es klug ist, in dieser Lage die Fragen in dieser Form aufzureißen. Unser Bemühen war bisher immer darauf abgestellt, im Rahmen des Möglichen für die Fortentwicklung der Sozialpolitik zu arbeiten und uns um die Sorgen derjenigen zu kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Ich möchte sagen: trotz der Verträge werden wir unser Bemühen fortsetzen, und wir werden hier Erfolg haben. Ich möchte weiterhin sagen: aber durch die Verträge verhindern wir es, daß unser ganzes deutsches Volk in eine unerträgliche Notsituation kommt.
Es ist zu den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt etwas gesagt worden. Ich glaube, es ist doch unverkennbar, daß der Arbeitsmarkt durch den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht ungünstig, sondern günstig beeinflußt wird. Ich darf daran erinnern, daß Garantien dahingehend gegeben sind, daß die deutschen materiellen Aufwendungen für diese Verteidigungsgemeinschaft innerhalb der Bundesrepublik verbraucht werden. Somit wird dieser Verteidigungs-
Beitrag eben der westdeutschen Wirtschaft mit zugute kommen. Er wird zusätzliche Aufträge bringen. Es ist heute hier mit Recht gesagt worden: wir müssen uns dann in diesem Rahmen auch darum kümmern, daß eine rechte Streuung der Arbeitsmöglichkeiten erfolgt.
Es ist auf die Situation in den Grenzbezirken hingewiesen worden. Selbstverständlich muß man sich um diese Dinge kümmern. Ich stimme Herrn Dr. Kreyssig zu, wenn er sagt, daß man hier eine besondere Aufgabe hat und daß hier dafür Sorge getragen werden muß, daß zusätzliche Aufträge gerade in diesen Gebieten untergebracht werden.
Ich glaube, wir können sagen: Die Beteiligung der Bundesrepublik an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bringt für die beschäftigten Arbeitnehmer eine Minderung des Risikos, arbeitslos zu werden, und für die arbeitslosen Arbeitnehmer eine bessere Chance, wieder in Arbeit zu kommen.
Wir müssen uns die Frage vorlegen: Sind die Opfer, die im Zusammenhang mit der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ganz allgemein vom deutschen Volk und damit auch vom deutschen Arbeitnehmer verlangt werden, tragbar? Ich glaube, es wäre abwegig, die Notwendigkeit eines Opfers zu verneinen. Dieses Opfer, das gebracht werden muß, ist dem einzelnen zumutbar, insbesondere dann, wenn man sich über die Folgerungen einer Nichtbeteiligung Deutschlands an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft klar ist. Diese Nichtbeteiligung würde praktisch einer Absonderung von der westlichen Welt gleichkommen. Wir wissen aber, daß wir zur westlichen Welt stehen müssen. Zur westlichen Welt gehören die Länder, in denen auch der Arbeitnehmer an der Gestaltung seines Geschickes beteiligt ist.
Auf der andern Seite sind die totalitären Kräfte, welche dem Arbeitnehmer nur eine moderne Sklaverei bringen können.
Nur im Zusammenspiel mit der westlichen Welt können wir unsere wirtschaftlichen Kräfte auswerten und damit unseren Menschen eine Erwerbs-und Existenzmöglichkeit bieten.
Fragen wir: Hat der deutsche Arbeitnehmer etwas zu verteidigen? Die Frage wird oft gestellt, und sie muß beantwortet werden. Um diese Frage beantworten zu können, muß man, glaube ich, die Situation des Arbeitnehmers im Westen der Situation des Arbeitnehmers in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten der Sowjetunion gegenüberstellen. Die deutsche Arbeitnehmerschaft und darüber hinaus auch die Arbeitnehmer in der westlichen Welt konnten ihre Situation in den letzten Jahren wesentlich verbessern. Das gilt für die Lohnentwicklung, es gilt für die arbeitsrechtliche Situation, es gilt für die gesamten Schutzbestimmungen einschließlich der Sozialversicherung. Demgegenüber ist die Situation im Osten für die Arbeitnehmer wesentlich ungünstiger. Die Ansprüche an die physische Arbeitskraft des Menschen sind wesentlich höher. Die arbeitsrechtliche Situation ist mit der Situation bei uns nicht zu vergleichen. Wir haben uns hier auch manchmal über das Ausmaß der Rechte gestritten. Wir sollten uns aber darüber im klaren sein, daß man drüben die Rechte, die uns selbstverständlich scheinen, eben leider nicht hat. Ich denke beispielsweise an das Mitbestimmungsrecht. Dasselbe gilt für die gesamte arbeitsrechtliche Situation und auch für die Situation in der Sozialversicherung.
Ich glaube, in der Beurteilung der Situation sind wir uns in Deutschland weithin einig, auch mit der Opposition einig. Es ist nicht so, als könnte diese Situation geleugnet werden. Es scheint aber notwendig, daß auch in der Opposition die Bedenken überwunden werden — jawohl, die Bedenken sind auch an anderen Stellen —, weil die Erhaltung der Freiheit unseres Erachtens ein Opfer erfordert. Glaubt denn irgend jemand, daß es möglich sei, eine Politik ohne Risiko zu betreiben? Politik ohne Risiko hat es nie gegeben und wird es nie geben.
Es ist auch nicht so, als ständen wir allein mit unserer Auffassung. Darf ich daran erinnern, daß maßgebliche Gewerkschaftsführer und maßgebliche Gewerkschaftsorganisationen in Deutschland und in der übrigen westlichen Welt, daß maßgebliche Sozialisten in anderen Ländern ihre positive Einstellung zu der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft oft bekundet haben. Ich darf an den britischen Gewerkschaftskongreß in diesem Jahr erinnern, wo man zum Ausdruck gebracht hat, daß man bereit ist, im Interesse der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft berechtigte Forderungen und Wünsche sozialpolitischer Art zurückzustellen. Ich darf an Erklärungen erinnern, die von maßgeblichen Leuten des Internationalen Gewerkschaftsbundes zur gleichen Frage abgegeben wurden. Ich glaube, die deutsche Arbeitnehmerschaft hat Anlaß, in gleicher Weise positiv zu der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu stehen.
Lassen Sie mich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur auf einige solcher Äußerungen eingehen, die uns zeigen, daß weithin Verständnis für das Problem vorhanden ist, daß dieses Verständnis nicht geleugnet werden kann. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Landesbezirk Berlin, Herr Scharnowski, hat in einem Interview, das er der „Welt der Arbeit" gegeben hat, einmal gesagt, es gehe beim deutschen Verteidigungsbeitrag eigentlich nur darum, daß der einzelne auszuwählen hätte, welche Uniform er anzuziehen habe, die autoritäre oder die demokratische. Er sagte dabei weiterhin:
Unser Herz sagt j a zum Verteidigungsbeitrag; aber es muß sichergestellt werden, daß die soziale Gerechtigkeit keine Phrase bleibt.
Und Georg Reuter, einer der Vorsitzenden des
Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagte in einem
Artikel um Neujahr des vergangenen Jahres:
Wir, die wir die Leidenszeiten einer Diktatur hinter uns haben, sind für jede Hilfe demokratischer Kräfte dankbar, weil wir keine Lust verspüren, einen Rückfall in die Unfreiheit hinzunehmen. Wem die Freiheit lieb ist, der wird zu Opfern bereit sein. Wir werden unseren Beitrag zur Verteidigung der Völker leisten. Die freie und demokratische Welt soll wissen, daß wir zugleich verständigungs-, aber auch verteidigungsbereit sind.
Wir haben dieser Erklärung nichts hinzuzufügen.
Und Hans vom Hoff sagte auf einer Kundgebung
im Januar in Oberhausen: „Trotzdem könne man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß im Osten in stärkerem Maße aufgerüstet werde und daß der Westen zu Abwehrmaßnahmen greifen müsse. Man könne es dem deutschen Volk nicht zumuten, seinerseits mit Abwehrmaßnahmen zu warten, bis etwa durch eine Aggression vollendete Tatsachen geschaffen seien".
Ich darf daran erinnern, daß noch Mitte November die französische sozialistische Gewerkschaftsorganisation „Force Ouvrière" auf ihrem Bundeskongreß ebenfalls zu diesem Problem Stellung genommen hat. Ich entnehme diese Stellungnahme der „Welt der Arbeit" vom 28. November dieses Jahres. Dort heißt es:
Die Gewerkschaften dürfen sich ihrer Aufgabe im Kampf um die Erhaltung der von fremden Machteinflüssen bedrohten Freiheit nicht entziehen und müssen der Verteidigungsbereitschaft der freien Völker zustimmen.
Und weiterhin wurde auf diesem Kongreß betont: Die europäische Vereinigung wird in wirtschaftlicher und politischer Beziehung als notwendig bezeichnet, da sie allein imstande ist, dem arbeitenden Menschen eine Grundlage zur Besserung seiner Lebensverhältnisse zu schaffen und den Frieden zu erhalten.
Ich darf daran erinnern, daß auch die beiden großen amerikanischen Gewerkschaftsorganisationen, sowohl die CIO als auch die AFL, deutlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht haben, daß eben diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft notwendig ist.
Im vergangenen Mai hat man in Frankfurt auf einem Kongreß des Internationalen Komitees der Sozialistischen Bewegung für ein vereintes Europa zur gleichen Frage Stellung genommen. Ich darf daran erinnern, daß der franzosische sozialistische Abgeordnete Jaquet dort gesagt hat:
Alle Demokratien sind heute in gleichem Maße und auf die gleiche Art von der imperialistischen Politik Sowjetrußlands bedroht. Sie müssen also in ihrer Gesamtheit durch eine immer enger werdende Einigung trachten, ihre Existenz und ihre Unabhangigkeit zu verteidigen.
Und derselbe Abgeordnete sagte:
Die Demokratien haben die Pflicht, die Aufrüstung, welche durch die aggressive Politik der totalitären Macht unvermeidlich geworden ist, zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Urteile dürfen und können von uns nicht übersehen werden, und ich meine, wir haben Schlußfolgerungen aus diesen Urteilen zu ziehen.
Lassen Sie mich noch weniges sagen zu einigen Bemerkungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schone zum Art. 44 des Truppenvertrages bezüglich der Einstellung von Arbeitskräften. Herr Kollege Schöne, es ist in diesem Vertrag keine Bestimmung enthalten, aus der die Schlußfolgerung gezogen werden kann, daß die Möglichkeit besteht, deutsche Arbeitskräfte
dienstzuverpflichten. Ziffer 1 des angezogenen Artikels besagt lediglich, daß die deutschen Verwaltungsstellen, d. h. die deutschen Arbeitsämter, für
die Beschaffung notwendiger Arbeitskräfte in Anspruch genommen werden. Meine Damen und
Herren, daran sind wir ja interessiert, daß diese Beschaffung über die zuständigen Verwaltungen erfolgt. In Ziffer 2 ist gesagt, daß diese Arbeitnehmer nur zu Diensten nichtsoldatischer Art herangezogen werden können, und in anderen Bestimmungen ist auf die Geltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen hingewiesen worden. Von den Ausnahmen ist schon gesprochen worden, und ich kann es mir versagen, darauf noch hinzuweisen.
Nun noch als letztes eine kurze Bemerkung zu dem Problem der bei den alliierten Streitkräften beschäftigten Arbeitnehmer. Ich glaube, hierzu muß folgendes klar und deutlich aufgezeigt werden. Die arbeitsrechtliche Lage der deutschen Arbeitskräfte bei den alliierten Streitkräften wird wesentlich gebessert. Bisher lag die Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer bei der Besatzung im wesentlichen in der Hand der Besatzungsdienststellen. Nach der Ratifizierung der Verträge ist sichergestellt, daß für alle bei den alliierten Dienststellen beschäftigten deutschen Arbeitnehmer grundsätzlich das deutsche Arbeitsrecht gilt. In Art. 44 des Truppenvertrages sind wenige Ausnahmen enthalten, die daraus resultieren, daß nun eben Besatzungstruppen bzw. überhaupt Truppen zum Teil eine andere Regelung notwendig machen, als sie im übrigen in arbeitsrechtlicher Hinsicht gegeben ist. Im übrigen muß ich sagen: zum Teil beruhen auch diese Ausnahmen darauf, daß es den verhandelnden Vertretern der Bundesregierung nicht möglich war, eben den deutschen Standpunkt vollständig durchzusetzen. Es ist sichergestellt, daß die Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in deutschen Händen liegt. Es ist sichergestellt, daß die deutschen Arbeitnehmer gegen mißbräuchlichen Einsatz geschützt sind.
Damit komme ich zum Schluß. Ich glaube, vom
Standpunkt des Arbeitnehmers aus betrachtet kann
man sagen: Die deutsche Arbeitnehmerschaft hat
aus all dem Vorgetragenen Anlaß, positiv zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu stehen. Niemand von uns allen wird das ganze Problem leichthin behandeln. Auch wir tun das nicht. Aber ich
sagte schon einmal: es geht nicht alles nach
unserem Kopf, und eine Politik ohne Risiko gibt
es nicht. Letztlich wird sich aber aus dem Grad der
Opferbereitschaft des einzelnen erkennen und ermessen lassen, wie hoch er seine Freiheit schätzt.