Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Fast mag es scheinen, daß nach dem Verlauf der Auseinandersetzungen und nach dem streitbaren Männergespräch Ton und Sprache einer Frau sich nicht recht einzufügen vermögen in diese Debatte. Aber es muß für uns Frauen in diesem Hause eigentlich tröstlich sein, daß wir gestern und auch heute in den Diskussionen immer wieder das Durchringen zu diesem Ja zu den Verträgen spüren durften. Aber ich meine, daß wir neben den Gründen des Dafür in den Gesamtrahmen auch einspannen möchten all die besorgten Auseinandersetzungen derjenigen, die ihr Nein in den Berichten formuliert und begründet haben. Ich bin nicht der Meinung wie Herr Freudenberg; im Gegenteil, ich glaube, wir sollten dankbar sein, daß diese Stimmen laut geworden sind. Denn, meine Herren und Damen, Gott bewahre uns vor den gefährlichen Einstimmigkeiten!
Man muß dem deutschen Volke die leidenschaftliche Auseinandersetzung dieser Tage als ein Plus anrechnen bei der Ratifizierung! Es ist doch so, meine Herren und Damen, daß sich in diesem Hause alle Kräfte gestellt haben, die um Deutschland und um Europa ringen.
Wenn wir von den Regierungsparteien unser Ja begründet haben, dann glauben Sie uns, daß wir es nicht aus dem Herzen gesagt haben, sondern aus dem kühl wägenden Verstand; und wir Frauen möchten hinzufügen: gegen unser Herz.
Ich halte es auch nicht für ein Unglück, daß sich gerade die Bundesrepublik bei der Ratifizierung der Verträge nicht unziemlich beeile. Wir fühlen uns weit entfernt von jenem einst zum geflügelten Wort gewordenen „lauten und freudigen Ja" des Locarnovertrages.
Wenn ich als Frau in der Debatte das Wort nehme, so möchte ich mich in dieser Stunde in diesem Hause neben den Wagenden zum Sprecher all der Zagenden hier und da draußen machen. Denn auch sie müssen in dieser Debatte heute gehört werden.
Der Herr Präsident hat in diesem Hohen Hause bei der ersten Aussprache zur Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages gesagt, daß wir uns selbst keinen guten Dienst tun, wenn wir zu leicht über den Begriff des Gefühls hinweggehen.
Wir müssen wissen, daß es im menschlichen Bereich nicht möglich ist, bestimmte Dinge so auseinanderzuteilen, daß man sagen kann: hier ist das Gefühl, ûnd hier ist die ratio ...
Diese gefühlsmäßigen Erwägungen — so sagt er weiter —
verbinden sich bei vielen Menschen im deutschen Volke mit sehr erwägenswerten sachlichen Argumenten Ich glaube, daß die Argumente und die Gefühle, die bei einer Un-
Deutscher Bundestag — 242. Sitznng. Bonn, Freitng den 5. Dezember 1952 11,41Q
zahl von Frauen in unserem Volke wirksam sind, hierbei ein entscheidendes Gewicht haben.
Dafür möchten wir Frauen dem Herrn Präsidenten danken, und deshalb, meine Herren und Damen, möchten wir wissen, welche Besorgnisse die Frauen zu Zagenden machen.
Es handelt sich hier gar nicht um die Herausstellung bestimmter Artikel zu den Verträgen, sondern es handelt sich hier um die Beweggründe, die den Frauen vorgetragen werden in den kommunistisch getarnten Organisationen und von den grundsätzlichen Nein-Sagern zu diesen Verträgen. Es ist doch so menschlich verständlich, und es ist ganz einfach nichts anderes als der Wunsch des Friedlichen, wenn wir Frauen immer wieder den Gedanken der Neutralität vortragen. Gewisse Vorteile und gewisse scheinbare Erfolge des Neutralitätsgedankens verleiteten die Menschen immer, zu glauben, sie seien am Ziel; und die Enttäuschung war nachher um so bitterer.
In diesen Tagen ist noch eine neue Partei gegründet worden, die als wesentlichen Programmpunkt
diesen Gedanken gewählt hat.
Wenn wir die erste Diskussion des Hohen Hauses zu diesem Thema mit den Feststellungen des Berichtes vergleichen, dann haben wir auch für unser Haus einen Beweis der echten Diskussionsentwicklung, weil der Wandel in den Auffassungen deutlich wird, wenn der Berichterstatter Brandt von der SPD formuliert, die Minderheit mache sich nicht die Zielsetzung einer Neutralisierung Deutschlands zu eigen.
Aus der Tatsache, daß ein kleines Land wie die Schweiz zu den Beispielen erfolgreicher Neutralität gehört, ziehen wir Frauen leicht den verhängnisvollen Schluß, daß die Neutralität für uns Frauen, für die Mütter, für unsere Söhne so sehnlich zu wünschen wäre. Aber es wird so leicht vergessen, daß die Neutralität der Schweiz gar nicht durch Verträge garantiert wird, sondern daß der Träger des schweizerischen Neutralitätsgedankens der vollverantwortliche freie Bürger in Uniform ist, daß das „Sichwehren" als eine selbstverständliche Haltung zum freien Bürger und zum freien Volk gehört.
Er braucht keine großen, pathetischen Worte dafür, sondern betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit.
Wenn wir die Einstellung der Schweiz und des Schweizers kennen, dann wissen wir, daß das Soldatsein nicht das Ziel seines Lebens ist, sondern nur die „Notform" seiner bürgerlichen Existenz. Es mag die Frauen und die Mütter ansprechen, wenn wir hören, daß der schweizerische Soldat seine Uniform, seine Waffe samt seiner Munition zu Hause aufbewahrt. Ich meine, das ist ein ungeheurer Vertrauensbeweis; er ist möglich, weil eben jeder Soldat eine politische Verantwortung trägt. Diese Verantwortung ist die Krönung des schweizerischen Wehrgedankens!
Es ist interessant, in diesem Zusammenhang auf ein Wort Liebknechts hinzuweisen, das er 1891 prägte:
„In der Schweiz ist jeder Schullehrer in jedem Dorfe mit den militärischen Übungen vertraut. Er lehrt seine Schüler exerzieren und turnen. Ein solches System wollen wir haben,"
sagt Liebknecht. „Ein Volk, das für seine Rechte
bereit ist sich einzusetzen, ist unüberwindlich."
— Ach, meine Herren und Damen, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende sagen:
Wir spüren es doch, wie sinnlos ein waffenloses Deutschland ist! Mit seinen ungeschützten Grenzen kann es doch nicht existieren in einer Welt, in der Gewalt vor Recht geht.
— Warten Sie bitte; ich bin ja erst am Anfang meiner Ausführungen! — Wir können doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten, ob die anderen das Wagnis unserer Verteidigung übernehmen! Wir müssen an diesem Wagnis selber teilnehmen, ob Deutschland es will oder nicht, ob wir es glauben oder bezweifeln. Wir müssen danach streben, wie es heute in diesem Hause schon gesagt worden ist, ganz einfach um unserer Selbsterhaltung willen.
Meine Herren und Damen, Geographie zwingt dem Geschehen ihr eigenes Gesetz auf, es ist doch geradezu absurd, was gestern Frau Wessel gesagt hat: „Nur ein aus dem militärischen Aufmarsch der USA und Rußlands herausbleibendes Deutschland dient dem Weltfrieden"; und deshalb müßte eine Außenpolitik geführt werden, die Deutschland aus dem Objektverhältnis der beiden Weltmächte herausholt. — Ach, Frau Wessel, es ist leider keine „gefährliche Illusion", sondern es ist für uns alle eine schmerzliche Tatsache, daß das im Potsdamer Abkommen an Rußland übergebene Faustpfand: Mitteldeutschland mit seinen 20 Millionen Deutschen — und wir glauben doch, daß Faustpfand im völkerrechtlichen Sinne ein sehr klarer Begriff ist — von Rußland in verbrecherischer Weise zu einem Satellitenstaat gemacht worden ist.
Aber wir sind ja gar nicht vor die Alternative gestellt: neutral oder nicht neutral.
Ich komme jetzt erst zu Ihnen, meine Damen und Herren von der kommunistischen Gruppe. Also jetzt machen Sie Ihre Zwischenrufe deutlicher, damit ich sie verstehe. Ich kann sie nicht verstehen.
— Es geht gar nicht darum, ob neutral oder nicht neutral, sondern es geht in diesem Augenblick ausschließlich um die Entscheidung: Ost oder West.
— Meine liebe Frau Kollegin, wenn Sie schreien wollen, gehen Sie zu den Frauen da daußen. Wir sprechen miteinander.
— Sie haben ja nachher das Wort und auch das Mikrophon!
Carlo Schmid schreibt in den Heften der Außenpolitik: Wir haben uns entschieden für die humanitären Werte, die heute leider nur im Westen eine Heimat haben.
— Ich finde es gut, daß die Hörer draußen wissen, wie unruhig die kommunistische Gruppe bei diesen Ausführungen wird. Das ist bezeichnend!
Geistig haben wir uns ja lange schon dem Westen integriert. Ich glaube, verehrte Kollegin zur Linken, eher wird Rußland einen Antichrist gebären als humanitäre Werte, und wenn man sich noch so sehr mit abendländischen Wortmasken verkleidet.
Sehen Sie, meine Herren und Damen, das verzweifelte Bemühen Sowjetrußlands und der Mitglieder der KPD dieses Hauses, die Annahme der Verträge zu verhindern, ist eigentlich der beste Beweis für ihren Wert.
Jahrelang hat Sowjetrußland immer das Heft des Handelns in der Hand gehabt. Die Sowjetunion inszenierte die Aufstände in Griechenland; s i e sperrte die Berliner Zufahrtswege, und die anderen mußten ein Luftbrücke bauen; s i e startete den Krieg in Korea, und die Vereinten Nationen mußten auf die Schlachtfelder.
wahrheit! — Das ist ja eine Lüge!)
Immer taten die Sowjets den ersten Schritt, und das erstemal fühlen sie sich jetzt in die Defensive gedrängt.
Wir haben den Beweis dafür in der Änderung der Außenpolitik Stalins und in der ungeheuren Propaganda, die der Osten unternimmt. Wer ist immun gegen diese raffinierte Propaganda aus dem Osten? Wir sehen ja, wohin diese Propaganda führt. Die verhetzten Frauen, die draußen gewartet haben, mußten „Frieden" schreien und die „Einheit Deutschlands" ausrufen.
Mit dem verführerischen Ruf „Nie wieder Krieg!"
und „Einheit Deutschlands" werden ja leider — und das ist die Gefahr — die Ahnungslosen, die Gutgläubigen, die da draußen angesprochen. Wenn diese Leute rufen „Kämpft für eine glückliche Zukunft unserer Kinder", das ist genau so gefährlich und so aufreizend verführerisch, wie die Parole „Nie wieder Krieg!"
Tausende von Briefen haben wir in diesen Tagen bekommen mit Unterschriften, die vom Osten aktiviert wurden, und ich muß Ihnen sagen, als Frauen müssen wir uns schämen,
zu welch schäbigen Tricks die agitatorischen Blender des Ostens greifen, um die Unterschriften zu Friedensproklamationen von unseren gutgläubigen Frauen zu bekommen. Wer unterschreibt nicht eine Liste, auf der steht: „Wir sind für den Frieden"? Jede harmlose Frau tut es! Jede Mutter ist für den Frieden! Wenn die Frauen und Mütter in der Ostzone dann diese langen Listen und Unterschriften lesen, dann verzagen und verzweifeln sie, weil sie annehmen müssen, daß man auch bei uns dieser östlichen Zauberformel verfallen ist. Wie sehr muß es diese Frauen dort im Osten beängstigen, wenn sie hören, daß wir uns damit begnügen, in den kommunistisch getarnten Friedenskundgebungen das beruhigende Gefühl zu haben „Wir sind uns einig in dem Wunsch nach dies e m Frieden!"
Ich will in diesem Zusammenhang über die „Notgemeinschaft für den Frieden" nicht sprechen; wegen ihrer Bedeutungslosigkeit brauche ich das nicht mehr zu tun. Das Geschäft wird heute von den zahlreichen „demokratischen" Frauenverbänden aus dem Osten besorgt, die diese Friedensschlacht für jene Leute schlagen und ihnen tonnenweise diesen Frieden östlicher Prägung ans Herz legen. In diesem Zusammenhang stelle ich nur eine Frage, und es ist eigentlich schon die Antwort auf die vielen Mahnungen an unser -Gewissen, die Antwort auf all die Bitten, noch einmal unser Ja zu den Verträgen zu prüfen. Es soll die Antwort sein an alle die Ängstlichen, an alle die Besorgten, an die Irregeleiteten und an die friedlich Denkenden,
an die Frauen und Mütter. Was veranlaßt uns dazu, ein Ja zu sagen, uns Frauen, die wir doch gefühlsmäßig für den Frieden und gegen eine Wiederbewaffnung sein müßten? Ich will Ihnen die Antwort ganz schlicht und ganz einfach sagen: eben, weil wir für den Frieden sind.
Wir benutzen nicht das große Pathos wilder Proteste. Aber eins, meine Herren und Damen, haben wir uns bewahrt, das klare Unterscheidungsvermögen! Wir haben registriert! Wir haben registriert, daß die kommunistische Sowjetunion in 16 Jahren 11 Nichtangriffspakte und Neutralitätsabkommen gebrochen hat, daß sie von 1935 bis 1950 15 Bündnisverträge verletzt hat, Bündnisse und Pakte, die ausschließlich dem Frieden dienen sollten.
— Das rote Licht leuchtet auf.
— Ich stelle Ihnen das Material zur Verfügung!
Wir haben auch all die Noten und Antworten registriert, die der Osten uns geschickt hat. Aber warum sagen denn die Warner in den Briefen, die uns von den Gutgläubigen draußen geschrieben werden und in denen sie uns in letzter Minute mit ihren Argumenten bestechen wollen, nicht auch, daß die Volkspolizisten der Sowjetzone, über 400 000 Mann stark, von russischen Offizieren kontrolliert und mit russischen Waffen ausgestattet sind?
Mütterliche Frauen muß es bis ans Herz packen, daß Walter Ulbricht gesagt hat — und da können Sie nicht widersprechen —: Friedenskämpfer müssen Scharfschützen sein!
Und begreifen Sie, was es heißt, wenn in den Zeitungen der Ostzone steht: „Nieder mit den pfäffisch-sentimentalen Träumereien von einem Frieden um jeden Preis! Wir erheben das Banner des Bürgerkriegs!"?
— Die Zeitungen sind in unserer Bundestagsbibliothek nachzulesen.
Meine Herren und Damen! Lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Herr Fisch, passen Sie auf! Eine einzige furchtbare Anklage gegen das, was man Verpflichtung zur Menschlichkeit nennt, ist die Tatsache, die von dieser Tribüne schon einmal in die Welt geklagt wurde: 1950 wurden 4300 Jugendliche von Gerichten der sowjetischen Besatzungszone aus politischen Gründen verurteilt,
von den Zahlen der Jugendlichen ganz zu schweigen, die durch russische Militärtribunale zu durchschnittlich 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden. Und was ist geschehen, als wir hier für diese Jugendlichen eine Amnestie verlangten? Was hat der Abgeordnete Fisch in diesem Hause gesagt? Meine Damen und Herren, das kann man j a nicht ableugnen; wir alle haben es gehört: das seien Märchen, von Spionen und Agenten organisiert. Und was ist auf die Forderung dieses Hauses hin geschehen? Mütter und Frauen, gebt acht: Nichts! Gar nichts!
Das ist das erschütternde Zeichen — — (Weitere Zurufe von der KPD und Gegenrufe von der Mitte. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Rische: Sie wissen genau, daß es eine Amnestie gab! — Abg. Lücke:
Denken Sie an Linse!)
Das ist ein erschütterndes Zeichen der Diabolik, mit der das kommunistische Regime Gläubigkeit und Freiheit mißbraucht. Hier hätten sie Gelegenheit gehabt, einen Beweis für ihre vielfachen deklamatorischen Friedensangebote zu erbringen.
Aber es ist schon so, meine Herren und Damen: sie nennen deutsche Jungen und Mädel „Freie Deutsche Jugend" und wissen, daß das Blauhemd die bolschewistische Zwangsjacke ist.
Sie verkünden Freiheit und meinen Versklavung. Sie malen Friedenstauben und meinen für das ganze deutsche Volk Hammer und Sichel. Sie reden von der Einheit des deutschen Vaterlandes und meinen bolschewistische Gleichschaltung! Spüren wir nicht, meine sehr verehrten Herren und Damen — auch aus den Anrufen heute —, daß in diesem Bolschewismus etwas Endgültiges, etwas unheimlich Letztgründiges liegt? Niemals werden wir Frauen und Mütter Deutschlands zu einem solchen System ja sagen.
Es genügt nicht, in der Welt „Frieden" zu schreien, sondern zum Frieden
gehören immer zwei,
und das Böse ist eine Realität in der Welt.
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen.
Wir haben an den Zwischenrufen gespürt, daß es hohe Zeit ist,
zu den Verträgen ja zu sagen und unseren Beitrag zum Frieden zu leisten. Aber wir müssen bereit sein, auch für diese Arbeit am Frieden Opfer zu bringen. Schamlos aber war es, daß man in diesem Hause sagen konnte, das russische Volk wolle unter Senkung seiner ohnehin schon niedrigen Lebenshaltung seine vollen Kräfte in den Dienst der Aufrüstung stellen!
Ich möchte ein Wort für alle deutschen Frauen und Mütter sagen, die in der Vergangenheit tausendmal ihr Höchstmaß an Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit unter Beweis gestellt haben und es in dieser Stunde im Osten noch tuen: Frieden ist mühselige Arbeit, ist Kompromiß zwischen tausend Unzulänglichkeiten. Unzulänglichkeiten haben diese Verträge, und doch werden wir ja sagen. Frauen und Mütter: wir sagen kein freudiges Ja zu den Verträgen;
es ist das stille, nicht das schreiende Ja, es ist das zögernde, das schwer abgerungene J a, ganz einfach, damit endlich Friede werde für Deutschland und für Europa. Das ist der Sinn der Verträge und das ist der Sinn unseres Ja.