Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter des Finanzausschusses habe ich gestern einen Überblick über den Finanzvertrag und die finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages gegeben. Heute möchte ich einige, wie mir scheint, unausweichlich notwendige politische Anmerkungen machen. Der gestrige Bericht hat deutlich gezeigt, daß alle wichtigen finanziellen Bestimmungen unausgehandelt sind. Wenn aber allein in den Finanzproblemen zwei Dutzend offener Fragen sind, so zeigt das, daß in dem Finanzvertrag und in den finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages die in den Finanzen nun einmal notwendige Konkretisierung nicht erfolgt ist.
Der Herr Bundeskanzler forderte vorgestern von uns, wir sollten uns nicht mit den Einzelheiten beschäftigen, sondern den Blick auf das Ganze, auf den Geist richten. Und Herr Bausch, ein Mitglied des Haushaltsausschusses, der ja auch eigentlich in Zahlen denken müßte, hat uns vorhin ebenfalls aufgefordert, das zu tun. Nun, ich bin der Meinung, wenn es sich um Zahlungen, Leistungen, Haftungen, Vergütungen handelt, dann muß man die Zahlen kennen; denn Finanzen drücken sich nun mal in Zahlen aus, die man im einzelnen kennen und betrachten muß, um zu den Summen zu kommen.
Herr Bundeskanzler, Sie kennen doch sicher auch das Wort des gescheuten Finanzmannes Max Warburg, der zugleich ein Philosoph war, und der sagte
— das interessiert auch Herrn Minister Schäffer —:
„Gott ist in den Details."
— Der war Bankier. Natürlich ist auch der Teufel in den Details.
Die Teufeleien dieses Vertragswerks lassen sich in den finanziellen Bestimmungen nicht verhüllen. Betrachten wir zunächst einmal das Kardinalthema: die Beitragsbemessung.
Die Beitragsbemessung geschieht auf Grund des NATO-Fragebogens, der in den zuständigen Bonner Ministerien vorliegt, dem Parlament, ja sogar den Fachausschüssen aber vorenthalten wird.
Der Nordatlantikpakt ist zwar von den beteiligten Mächten unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert. Warum nicht, interessiert hier nicht. Die NATO-Grundsätze sind nicht ratifikabel, weil sie gar nicht festgelegt sind, sondern, wie uns vom Vertreter des Herrn Bundesfinanzministers gesagt wurde, aus einem „System von Übungen" bestehen.
Dennoch werden diese Grundsätze, die wir nicht kennen, für die Feststellung der Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrages angewendet. Ich glaube, das ist ein ungesundes Verfahren.
Wie undurchsichtig diese NATO-Grundsätze sind, geht aus der Äußerung des deutschen Finanzdelegierten auf der Pariser Konferenz, des Ministerialrats D r. Via 1 o n hervor, nachzulesen im Bulletin der Bundesregierung vom 29. August „Erst aus den Ergebnissen wird sich auf die Methode der Festsetzung des deutschen Beitrags schließen lassen."
Hat man schon mal so was gehört? In Art. 3 des
Finanzvertrages steht, die Bundesrepublik und die
Mächte werden eine Methode entwickeln, und nun hören wir, daß sich erst aus den Ergebnissen auf die Methode schließen lasse! Das scheint mir sehr bemerkenswert. Herr Kollege Henle sagte vorgestern sehr stolz: Wir sitzen gleichberechtigt an den Ratstischen Europas.
Mir scheint, dies ist ein etwas mageres Produkt der Gleichberechtigung.
Warum aber, möchte ich nun fragen, ist der NATO-Fragebogen geheim? Denn der NATO-Fragebogen enthält doch keine militärischen Dinge, sondern er soll die deutsche Wirtschaftskraft messen, und er soll das, wie ich als Berichterstatter des Finanzausschusses ausgeführt habe, rein auf Grund von produktionsstatistischen Daten tun. Der NATO-Fragebogen nimmt also keine Rücksicht auf die soziale Tragfähigkeit; die Geheimhaltung ist somit unverständlich. Nun bedenken Sie doch einmal, verehrte Kollegen und Kolleginnen aus dem Bundestag: Ein Oberregierungsrat im Finanzministerium, der keine Verantwortung für die Verträge hat, hat Einblick in den NATO-Fragebogen, während den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die die Verantwortung tragen und die ihr Ja oder Nein zu den Finanzfragen nicht zuletzt von der Methode der Feststellung des deutschen Verteidigungsbeitrages abhängig machen müssen, von der Regierung dieser Einblick versagt wird.
Ich glaube, Herr Bundeskanzler, das ist eine Methode, die man als nicht zulässig bezeichnen muß.
Nun ist wiederholt in den Finanzausschußsitzungen — und eben hat es Herr Kollege Bausch wieder sehr ausführlich getan — auf das Prinzip der Einstimmigkeit hingewiesen worden. Die Bundesregierung — und Herr Bausch tat es auch — erblickt in der Tatsache, daß der EVG-Haushalt nur einstimmig, also nicht gegen die Stimme Deutschlands beschlossen werden kann, geradezu eine Schlüsselposition für die Bundesrepublik. Sie glaubt, daß die Möglichkeit eines deutschen Vetos zur Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrags ihr ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht überhaupt einräume.
Die Bedeutung dieses Einstimmigkeitsprinzips wird aber von der Bundesregierung nicht nur überschätzt, sondern — und das scheint mir das Entscheidende zu sein — der Situation nach falsch eingeschätzt. Die Bundesregierung freut sich darüber, daß es ihr gelungen ist, die Höhe des Verteidigungsbeitrags nicht von der Ausgabenseite her zu bestimmen, sondern von der Einnahmenseite. Es wurde uns vom Regierungsvertreter ganz harmlos erklärt: Wenn die Einnahmen nicht ausreichen, werden wir also dem nicht zustimmen, was uns die anderen an finanziellen Lasten aufbürden wollen, dann muß eben das Rüstungsprogramm herabgesetzt werden. Gerade, als ob es sich um einen Geschäftsmann handelte, der sich überlegt, ob er in diesem oder im nächsten oder im übernächsten Jahr irgendwelche Investitionen machen oder nicht machen will!
Abgesehen davon, daß die NATO-Mächte auf der Lissaboner Konferenz faktisch ihre Rüstungen schon stark eingeschränkt haben, bedeutet eine Minderung des Rüstungsprogramms gerade für die Bundesrepublik, die an der exponiertesten Stelle der Front gegen den mutmaßlichen Gegner steht, entweder den Zwang zu verstärkter eigener Rüstung, um der Gefährdung ihrer Sicherheit zu begegnen, oder das Risiko, schwächer dazustehen, als es nach der politischen Konzeption des Vertragswerks tragbar ist. Eine Herabsetzung der Rüstungsprogramme wegen der Kostenfrage gefährdet also gerade die militärische Sicherheit, die uns die Verträge gewährleisten soll. Der Zwang zur Aufrüstungssteigerung über das bisher vorgesehene Maß hinaus gefährdet aber unsere soziale Sicherheit, wie schon das vorgesehene Maß unsere soziale Sicherheit -- wie ich nachher ausführen werde — aufs äußerste gefährdet.
Die außenpolitische Konzeption des Bundeskanzlers adoptiert die Politik der Stärke, zu der die Westmächte sich bekannt haben. Die Ja-Sager zu diesem Vertragswerk bekennen sich ebenfalls zur Politik der Stärke, ohne zu wissen, ob sie die Kraft, die finanzielle Kraft zur Stärke haben. Wer in der Politik der Stärke A sagt, der muß auch B sagen,
und ich fürchte, er wird noch viele weitere Buchstaben des Alphabets bemühen müssen.
Meine Damen und Herren, wir sind doch alle, die wir hier im Saale sitzen, eine Versammlung von Überlebenden einer Weltkatastrophe. Wir haben doch die Politik der Stärke in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bei wirtschaftlicher Schwäche und exponierter geographischer Lage schon zweimal erlebt.
Wir haben die Politik der Stärke von A bis Z — von Adolf bis Zusammenbruch — noch vor wenigen Jahren erlebt.
— Ja, „A" ist wieder da. — Gedenken Sie für die zweite Hälfte des Jahrhunderts, für das Sie sich nun vertraglich binden wollen, bei noch größerer Wirtschaftsschwäche das noch ein drittes Mal zu erleben?
— Doch, Herr Tillmanns, das habe ich schon sehr gut bemerkt.
— Sie werden es auch aus meinen Ausführungen erkennen, daß ich es gemerkt habe.
— Ich habe auch das gemerkt.
— Herr Wuermeling, ich lasse schon merken, was ich sagen will, und bitte, hören Sie mich zu Ende an. Ich sage noch einiges mehr dazu; aber da die Redezeit beschränkt ist,
über die Politik der Stärke jetzt nicht mehr.
Der Herr Bundeskanzler sagte vorgestern, daß die Bundesregierung mit der Einführung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des
Notstandsrechts vorgebeugt hätte. Nun, dazu ist schon Stellung genommen worden, das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich muß aber die Bedeutung der Schiedsgerichtsklausel für die Finanzfragen beleuchten: Als einziger vertragsrechtlicher Ausweg für den Fall eines deutschen Nein auf die Festsetzung der Höhe des Verteidigungsbeitrags besteht für uns der Appell an ein Schiedsgericht, wie es der Generalvertrag in Art. 9 vorsieht. Nach Art. 19 des Finanzvertrags wird aber die von Art. 9 des Generalvertrags vorgesehene Schiedsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten über die Festsetzung des Verteidigungsbeitrags, für die Verteilung der Stationierungskosten und für die Vergütungs- und Entschädigungsfragen als nicht zuständig erklärt.
Für die Determinierungsmethode des ganzen Vertragswerks ist kennzeichnend, daß in Art. 9 des Generalvertrags, der die Ausnahmen von der Schiedsgerichtsbarkeit definiert, jede Verweisung auf Art. 19 des Finanzvertrags mit seinen außerordentlich einschneidenden Ausnahmebestimmungen fehlt.
Sehen Sie, Herr Bausch, das sind Einzelheiten; die muß man wissen und auch vortragen.
— Der Teufel steckt in den Details, da haben Sie ganz recht, Herr Strauß.
— Darum rede ich darüber.
Das bedeutet also, daß fast alle wesentlichen noch zu vereinbarenden und fast alle noch in der Natur der Sache liegenden Differenzpunkte der Zuständigkeit des Schiedsgerichts und somit einer höheren Instanz entzogen sind.
Über die Leistungen für die auf deutschem Boden stationierten Truppen habe ich das finanziell Wesentliche als Berichterstatter des Finanzausschusses sagen können. Auf zwei finanzpolitisch wichtige Gesichtspunkte möchte ich aber noch hinweisen. Der Herr Kollege Kneipp führte in seinem Bericht zu den devisen-, zoll- und steuerrechtlichen Vergünstigungen für die Streitkräfte und ihr Gefolge an, daß diese nach Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers internationalen Gepflogenheiten entsprächen. Vergleichen Sie nun aber mit dieser Behauptung die Feststellung des Art. 12 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikpakts über die Rechtsstellung ihrer Truppen, das uns gestern oder vorgestern als Drucksache zur Drucksache Nr. 3900 endlich vorgelegt worden ist, so werden Sie sehen, daß jede Zoll- oder Steuererleichterung nach diesem Vertrag davon abhängt, daß die Bestimmungen beachtet werden, die die Zoll- oder Steuerbehörden des Aufenthaltsstaates zur Verhinderung von Mißbräuchen für erforderlich halten.
Ich kann das im einzelnen nicht ausführen. Sie haben in der Behandlung der Zoll- und Steuerfragen die Freiheit, die wir nicht haben, da wir vertraglich gebunden sind. Die internationalen Gepflogenheiten des NATO-Abkommens entsprechen den Gepflogenheiten unter gleichberechtigten Staaten. Die vom Herrn Bundesfinanzminister euphemistisch als international bezeichneten Gepflogenheiten sind
die Gepflogenheiten des Besatzungsstatuts, nein, anders, sie sind die Geflogenheiten der Sieger, nur mit dem Unterschied, daß nunmehr die Besatzungstruppen, pardon, die Truppen der Verbündeten auch von der Zahlung der kleinen Verbrauchsteuern befreit sind, also der Leuchtmittelsteuer, der Zündwarensteuer, der Spielkartensteuer. Das Spiel, meine Herren, kann beginnen; nur liegen die Trümpfe alle in der Hand der Partner.
Die steuer- und zollrechtlichen Bestimmungen werden den Besatzungsschmuggel — ich möchte einmal wissen, wie hoch ihn der Herr Bundesfinanzminister schätzt, auf wieviele hundert oder tausend Millionen; vielleicht gibt er uns darüber eine Auskunft — legalisieren. Die Zoll- und Steuervergünstigungen der Besatzungsmächte, die uns einseitig auferlegt waren, werden umgewandelt in zweiseitige Vertragsbindungen. Man könnte also sagen: die Unsitten der Besatzungszeit werden zu den Sitten der neuen europäischen Gemeinschaft, j eden-falls soweit es uns betrifft.
Die zweite Bemerkung. Die Regierungsvertreter erklärten uns das Nachgeben der Bundesregierung bei Verhandlungen über diese umfangreichen deutschen Leistungen damit, daß andere große westeuropäische Staaten sich in freiwilligen Leistungen an amerikanische Truppen — gemeint sind also amerikanische Truppen in England und in Frankreich — geradezu überboten hätten. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit — wie oft in den Ausschußverhandlungen — über die Harmlosigkeit der sonst gescheuten Regierungsvertreter in diesen politischen Dingen wirklich gewundert. Wenn ich nämlich Engländer oder Franzose wäre, dann würde ich das auch machen. Denn die amerikanischen Truppen, die dort stationiert sind, sollen ja England und Frankreich verteidigen, aber nicht auf englischem oder französischem, sondern auf deutschem Boden; das ist der Unterschied!
— Ja, wie diese Verteidigung aussieht, darüber können wir uns j a nochmal unterhalten.
— Ja, das ist richtig. Nur ist es nicht der Kernpunkt meiner Ausführungen, weil ich zu den Finanzfragen zu sprechen habe, von deren Behandlung ich mich auch nicht abdrängen lassen möchte.
— Diese Bemerkung haben Sie falsch verstanden. Nicht daß ich mich aus politischen Gründen nicht abdrängen lassen möchte, sondern ganz einfach deswegen, weil ich die mir zugesagte Redezeit nicht vergeuden und nicht darauf verzichten will, das finanzpolitisch Notwendige noch zu sagen.
Ich will noch ein Wort zu den Besatzungskosten sagen. Das heißt, heute darf man den Ausdruck ja gar nicht mehr gebrauchen; wir sprechen jetzt von Verteidigungskosten. Das klingt nun so, als ob alle diese Ausgaben, die den Sozialstandard unseres Volkes ungeheuer belasten, tatsächlich für die Verteidigung aufgewendet würden. Ich möchte fragen: Sollen denn, wenn diese Verträge angenommen werden, die deutschen Truppen in der EVG schlechter behandelt werden als die auf deutschem
Boden stationierten fremden Truppen? Soll der amerikanische Soldat, der in Bordeaux stationiert ist, unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen leben als der amerikanische Soldat, der in Deutschland stationiert ist? Ich hätte das umgekehrt sagen sollen. Ja, das ist nämlich eine ganz entscheidende Frage, und die amerikanische Armee läßt es sich einfach nicht gefallen, und es würde eine Revolution bei ihr ausbrechen, wenn sie die Gepflogenheiten, die sie als Sieger hier eingeführt hat, nicht beibehalten könnten.
— Das ist eine Tatsache, das ist keine Aufforderung. Wen fordere ich denn auf und zu was? Das ist eine Tatsache, daß die amerikanischen Soldaten auf unserem Boden weit besser gestellt sind durch alle die Vergünstigungen, die ihnen eingeräumt werden.
Ich spreche von den Besatzungskosten, und ich möchte doch einmal fragen, ob das in Zukunft so bleiben soll, ob der englische Korporal, der auf deutschem Boden ist, der ein eigenes Haus mit Zentralheizung — für die ein deutscher Heizer kommt — für sich hat, der eine Hausgehilfin hat usw. — die Dinge könnte ich ja im einzelnen sagen —, soll — frage ich — dieser Luxus weiter so bleiben? Denn daß es sich dabei um einen Besatzungsluxus handelt, der in einer Verteidigungsgemeinschaft keinen Platz mehr hätte, das war es, was ich hier ausdrücken wollte.
— Wenn Sie wollen, will ich Ihnen einmal ein Beispiel sagen, das die Sache auch ganz hübsch erläutert.
— In den Stationierungskosten, Herr Bausch, sind eben Aufwendungen für das, was ich als Besatzungsluxus bezeichnet habe.
— Entschuldigen Sie einmal, sie bezahlen es eben nicht selbst, jedenfalls bisher noch nicht.
— Herr Wuermeling, das ist nicht lächerlich.
— Schön, dann will ich einmal eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister richten.
Das Statistische Bundesamt gibt „Vorläufige Ergebnisse der Güterstatistik der Besatzungskosten"
— VII/11 — heraus, aber es darf sie nur abgeben an vom Herrn Bundesfinanzminister namentlich bezeichnete Empfänger.
Es darf sie nicht abgeben an ein wissenschaftliches Institut, welches die gesamte amtliche Statistik der ganzen Welt sammelt,
und warum? Mutmaßlich wird Herr Minister Schäffer nicht sehr gern sagen, warum sie nicht abgegeben wird. Ich will deshalb die begründete Vermutung aussprechen,
daß sie nicht ausgegeben werden darf an Empfänger, die vom Herrn Bundesfinanzminister nicht namentlich genannt sind, weil der Schleier des Geheimnisses über dem Luxus, der durch diese Statistik offenbar wird, nicht gelüftet werden soll.
Ich möchte nun etwas zur Belastung der öffentlichen Finanzen sagen; denn wenn wir Verpflichtungen eingehen, müssen wir ja wissen, ob wir die Kraft haben, die Verpflichtungen zu tragen. Ich habe in meinem Bericht die Belastungen für die Verteidigungsausgaben mit rund 131/2 Milliarden DM bezeichnet. Herr Bausch hat dazu aufgefordert, bei der Wahrheit zu bleiben. Ich darf zunächst feststellen: Herr Bausch, haben Sie gemeint, daß ich subjektiv unwahr sein wollte?
— Ich darf also feststellen, daß Sie das nicht gemeint haben,
sondern Sie haben gemeint und wohl auch gesagt, daß es sich hier um eine objektive Unrichtigkeit handele.
Nun ist dazu zu sagen: 850 Millionen mal 12 gibt 10 200 Millionen, und die 1060 Millionen, die bisher noch nicht angerechnet sind, deren Anrechnung die Bundesregierung aber wünscht, und die 1070 Millionen für allerhand Kriegsfolgelasten, Besatzungsverdrängte usf. wurden eben bisher noch nicht angerechnet; infolgedessen muß ich sie zu diesen Ausgaben zuziehen, aber ich kann sie nicht abziehen. Ihre Rechnung kann also insoweit nur besagen: „Hundert Mark haben und nicht haben, macht zweihundert Mark"!
Ja, so weit gehen wir im kleinen Einmaleins einig, daß wir uns darüber klar sind, daß zwei mal zwei vier ist!
Zu diesen Belastungen wissen wir ferner, daß wir aus dem Überleitungsvertrag — das hat das Bundesfinanzministerium uns ja schriftlich gegeben
— mit einer Belastung von 20'/2 Milliarden Mark zu rechnen haben. Wir wissen ferner, daß wir die deutschen Auslandsvermögen, die privaten Auslandsvermögen, die mit 15 bis 20 Milliarden Mark beziffert werden müssen, preisgegeben haben, daß wir aber die fast ebenso — —
— Nein, ich halte Ihnen das nicht vor!
— Nein! Dann müssen Sie besser zuhören! Ich habe mich klar ausgedrückt.
Die von den Alliierten und auch von den neutralen Staaten nach dem Kriege erfolgten Beschlagnahmungen des privaten deutschen Auslandsvermögens — damit haben Sie nichts zu tun; selbstverständlich nicht!, das habe ich auch nicht behauptet! — werden nunmehr in diesem Überleitungsvertrag anerkannt. Das können Sie nicht bestreiten, und das habe ich eben mit „preisgegeben" ausgedrückt.
Und die privaten Auslandsschulden, die wir haben
— Also, Sie erkennen es nicht an, sondern Sie nehmen es hin.
Es ist uns auch so gesagt worden, daß die Regierung dieses leider hingenommen habe. Aber glauben Sie denn, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich wäre so töricht und so taktlos und so unwahr, Ihnen zu unterstellen, als ob Sie deutsche Auslandsvermögen freiwillig preisgegeben hätten? Das tut doch keiner von uns. Darüber wollen wir uns doch einig sein.
— Nein, darüber gibt es keine Mißverständnisse. Wir sind uns doch auch darüber klar.
Also wir wissen, daß wir weiterhin sehr große Belastungen haben, die alle nicht Ihnen zur Last zu legen sind, sondern die nur objektiv auf uns zukommen. Das ist es.
Die Belastungen aus den Wiedergutmachungsverträgen, die privaten Restitutionen und alle diese Dinge — ich will den Katalog im einzelnen gar nicht aufzählen. Es kommt mir nur darauf an, Ihnen darzulegen, daß außer den sogenannten Verteidigungsausgaben noch ungeheuere aus der Liquidation des Dritten Reiches herrührende finanzielle Belastungen da sind, daß weitere auf uns zukommen und uns damit in unserer Wirtschaftskraft entscheidend schwächen.
Wir wissen nicht, was die Zoll- und die steuerlichen und devisenrechtlichen Vergünstigungen sowie die Sach- und Werkleistungen an die Besatzungsmächte uns kosten werden. Wir haben Berechnungen und Schätzungen darüber gewünscht, aber wir haben keine erhalten. Diese Vergünstigungen hat die Bundesregierung eingeräumt; ja, sie hat es hinnehmen müssen, weil sie den Vertrag geschlossen hat, ohne sich über das zahlenmäßige Ergebnis auch nur ein ungefähres Bild zu verschaffen.
Und da meine ich, der schon mehrfach hier zitierte Geschäftsmann muß, wenn er sich in einer prekären Situation befindet, ja doch erst einmal Bilanz machen, er muß einmal aufschreiben, was er hat und was er nicht hat; und das, meine ich, hätte die Bundesregierung tun müssen.
Wir wissen ferner, daß die Opfer zweier Weltkriege noch nicht genügend versorgt sind. Wir wissen, daß die Notstandsgebiete gekräftigt werden müssen, daß die Heimatvertriebenen weiter seßhaft gemacht werden müssen. Wir wissen, daß die Besatzungsverdrängten endlich entschädigt werden müssen. Das alles, meine Damen und Herren, sind vordringliche Aufgaben, deren nicht rechtzeitige Lösung das gesamte Sozialgefüge der Bundesrepublik erschüttern wird.
Da möchte ich fragen: Wie ist es überhaupt möglich, daß die Regierung eines halben Deutschland, eines provisorischen Staates, dessen soziale Spannungen immer stärker werden,
eben weil diese Fragen nicht gelöst sind, solche Belastungen, von denen wir wissen müssen, daß sie nicht getragen werden können, auf sich nehmen will. Daß das Dritte Reich durch seine „Politik der Stärke" die Leistungsfähigkeit von Generationen vorweggenommen hat, das wissen wir. Aber wir dürfen nicht dasselbe tun.
Der Herr Bundesfinanzminister hat oft genug versichert, daß er Finanzierung durch Geldschöpfung nicht will, auch nicht braucht. Er behauptet sogar, daß er keine neuen Steuerquellen erschließen will, und er behauptet sogar, daß er im nächsten Jahre die Besatzungskosten noch senken wolle. Auch Herr Bausch hat vorhin versichert, daß sie um monatlich 134 Millionen DM gesenkt würden. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, lieber Herr Bausch: Ihr Wort in NATOs Ohr!
Ich fürchte, daß die Folge eine Schwächung der Finanzkraft der Länder sein wird. Denn der Herr Bundesfinanzminister will ja den Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer wieder erhöhen, obwohl dieser Anteil honorigerweise schon gar nicht mehr als Anteil bezeichnet werden kann.
Und was wird die Folge sein? Die Gemeinden werden es auszubaden haben!
Die Gemeinden, die wichtigen Zellen des Staates, werden weiterhin in ihren wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben so geschwächt werden, daß dies in der Folge auch eine Schwächung der Bundesrepublik bedeuten wird.
Mir ist die Auffassung von Herrn Minister Schäffer über den neuen Bundesetat bekannt. Aber ich teile diese Auffassung nicht und bitte, den MSA-Bericht für 1953/54 zu vergleichen. Die Auffassung der Bundesregierung über die Zuwachsrate unseres
Sozialprodukts ist auch eine Illusion. Wenn die Bundesregierung unterstellt, daß diese Zuwachsrate größer sein wird als die zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Finanzen für den sogenannten Verteidigungsbeitrag, nun, so wird sie bald, davon bin ich überzeugt, alle die enttäuschen müssen, die ihr heute vertrauensvoll folgen.
Ich will noch etwas sagen, was ich als Fortsetzung der Ausführungen über wichtige Einzelheiten, glaube ich, nicht unterdrücken kann. Die Verträge sind — und das zeigt jedem, daß der Geist der Verträge nicht in Ordnung ist — unklar, unkonkret, verklausuliert, schwammartig abgefaßt.
Sie sind überhaupt nur durch Interpretation erschließbar. Und das weist auf die Geschichte der Entstehung der Verträge hin, über die auch Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer vorgestern etwas gesagt hat. Man merkt dem Finanzvertrag ganz deutlich an, daß er der Bundesregierung zunächst oktroyiert werden sollte, beiläufig mit einer Summe von 13 Milliarden DM. Die Tatsache, daß die Bundesregierung erst durch einen diplomatischen Notenwechsel erreichte, daß die Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrages wenigstens grundsätzlich nach dem NATO-Verfahren erfolgt, das monatelange Ringen in den Verhandlungen mit den Besatzungsmächten mag die Form des Vertragswerkes erklären; die Unklarheiten sind aber nur ein Symptom der übereilten Fixierung und vorschnellen Terminierung eines Vertrages, der gleichsam im Stadium der Vorverhandlungen stekkengeblieben ist.
Man hat den Eindruck, als ob der Zeitdruck so stark gewesen wäre — man muß ja bedenken: Es wurde über die Einzelbestimmungen noch verhandelt, als die Verträge schon paraphiert waren —,
daß eines Tages gesagt wurde: So, nun ist Schluß!, und daher sind diese vielen Klauseln hineingekommen, diese Dutzende von Bestimmungen: das und das und das soll in späteren Vereinbarungen geregelt werden.
Die Freude, daß bei diesem Vertragswerk zum erstenmal unsere deutsche Sprache als gleichberechtigte Vertragssprache anerkannt wurde, wird leider dadurch getrübt, daß die Formulierungen nicht so ausgehandelt warden sind, daß in jeder Textfassung das gleiche verstanden wird, daß sich also die Bestimmungen in den verschiedenen Sprachtexten decken. Die Verträge werden von der angloamerikanischen Amtssprache beherrscht. Der französische Text ist eine nachträgliche und, wie zugegeben, sehr übereilte Übersetzung. Da die alliierten Mächte aber bei allen künftigen Verhandlungen — und diese Verhandlungen müssen sehr zahlreich sein — von den Formulierungen ihr es Vertragstextes ausgehen werden, wird sich bald als Verhängnis erweisen, daß die Verträge nicht zu Ende verhandelt worden sind. Wie einschneidend solche sprachlichen Differenzen sein können, brauche ich Ihnen gar nicht darzulegen; ich habe es gestern an einem Beispiel bewiesen.
Dr. Pünder sagte in seinem Bericht, es seien viele Unschönheiten und Unklarheiten da, aber das Vertragswerk sei, im großen gesehen, doch wohl das Höchstmaß dessen, was im Augenblick zu erreichen gewesen sei. Ich meine, das Besatzungsregime ist bereits unter dem Besatzungsstatut gemildert worden, und zwar so, wie es in der Natur der Entwicklung lag. Diese Tendenz zur Abschwächung der Härten des Besatzungsdruckes ist jedoch durch das Vertragswerk abgestoppt worden, das den momentanen Stand des deutsch-alliierten Verhältnisses vom Frühjahr 1952 für den Rest dieses Jahrhunderts fixiert hat. Im übrigen glaube ich, wenn der Herr Bundeskanzler nicht nach jeder, fast jeder Konferenz und jeder Besprechung zur Presse gesagt hätte: Ich bin sehr zufrieden, es war ein großer Erfolg, dann hätten seine Unterhändler wahrscheinlich mehr heraushandeln können,
als es bei seinem System der Fall gewesen ist.
In den Verträgen — das möchte ich zum Schluß nochmals ausdrücklich feststellen — handeln die Mächte faktisch noch als Besatzungsmächte unter nur scheinbarer Parität. Es ist also nicht in echter Partnerschaft verhandelt worden, sondern von uns aus nach dem Prinzip des Abhandelns, des Herunterhandelns schlechter Bedingungen zu etwas milderen Bedingungen, und zwar unter diskriminierenden Umständen. Aus Besatzungsfesseln sind, wie es ein amerikanischer Schriftsteller in der „Saturday Evening Post" ausgeführt hat, Bündnisfesseln geworden.
Nun soll die EVG eine neue, auf Nichtdiskriminierung aufgebaute Gemeinschaft sein, in der es keine Sieger und keine Besatzungsmächte mehr geben könne. Tatsächlich ist jedoch die Bundesrepublik infolge ihrer vertraglichen Bindung durch den Generalvertrag und ihre Nichtzugehörigkeit zur NATO faktisch in der Lage eines diskriminierten Staates der EVG, und das ist eine Tatsache, die man nicht übersehen kann.
Ich sagte vorhin schon, die Verträge waren paraphiert, als über wesentliche Dinge noch gehandelt wurde, und infolgedessen merkt man insbesondere in den Finanzparagraphen die mangelnde Konkretisierung. Das Signum dieser Verträge ist der Zwang zur Revision. Der Zwang zur Revision, der Zwang zu neuen Verhandlungen ist ein essentielles Vertragselement, nicht ein akzidenelles, wie in anderen Verträgen, und das, scheint mir, ist ein Novum.
Der Herr Bundeskanzler sagte vorgestern, wir sollten doch nicht von ,;Revision", sondern von „dynamischer Entwicklung" sprechen. Nun, das ist ja gerade das Bedauerliche, daß die dynamische Entwicklung, die in vollem Fluß war, durch die Vertragschließung in einem heute schon antiquierten Stadium für dieses Jahrhundert vertraglich künstlich festgelegt worden ist.
Warum, frage ich, schließt man Verträge für Jahrzehnte, wenn man weiß, daß sie in dieser Form nicht einmal Jahre halten können?
Der Herr Bundeskanzler beschwor den Bundestag vorgestern, jeder Neinsager der ersten Lesung sei verpflichtet, sein Nein zu überprüfen. Ich stimme dem zu. Ich entgegne jedoch, daß auch jeder Jasager der ersten Lesung, nachdem er das Vertragswerk im einzelnen kennengelernt hat, dieselbe Pflicht hat, nämlich sein Ja zu überprüfen.
Auch wer die außenpolitische Konzeption des Kanzlers bejaht — ich kann sie nicht bejahen; ich habe
mich, um diese Frage zu prüfen, sehr genau mit
den Verträgen befaßt —, muß vor den Finanzproblemen, die drohend auf uns zukommen, in Schreck
erstarren. Die Verträge gewähren uns nur ganz
unkonkrete Rechte und ganz vage Aussichten, sie
legen uns untragbare und sehr konkrete Verpflichtungen auf. Wer kann angesichts solcher Tatsachen
ein fundamentales Ja zu diesen Verträgen sagen?!