Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Welche finanziellen Lasten wird der Haushalt der Bundesrepublik nach der Ratifikation der Verträge zu tragen haben? Wie wird sich die finanzpolitische Situation des Bundes nach -dem Inkrafttreten der Verträge gestalten, oder, um noch gemeinverständlicher zu sprechen, was soll das alles, was in den Verträgen niedergelegt ist, kosten?
Mit vollem Recht begegnet diese Frage einem allseitigen Interesse nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern im ganzen Volk, bei allen Staatsbürgern, die sich um das Wohl des Volkes bekümmern und mühen.
Ich will deshalb versuchen, auf diese Frage eine klare Antwort zu geben. Diese Antwort ist, wie ich ausdrücklich sagen möchte, eine Antwort, die der persönlichen Überzeugung eines Abgeordneten entspricht, der nach Art. 38 des Grundgesetzes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen verantwortlich ist. Ich sage das letztere gerade deshalb, weil neuerdings in der deutschen Öffentlichkeit, vor allem in evangelischen Kreisen unseres Volkes, durch Herrn Gustav Heinemann , der jetzt, wie ich vermute, die dreizehnte Partei in der Bundesrepublik gegründet hat,
systematisch die Behauptung verbreitet wird, die
Abgeordneten der Christlich-Demokratischen Union
seien durch Weisungen und durch Fraktionszwang
gebunden und deshalb überhaupt nicht in der Lage,
eine eigene und selbständige Meinung vorzutragen.
Diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit.
In meiner Fraktion gibt es keinen Fraktionszwang,
es hat noch niemals einen Fraktionszwang gegeben, und es wird in Zukunft keinen Fraktionszwang geben.
— Meine Herren, Sie machen sich ja geradezu lächerlich, wenn Sie das Gegenteil behaupten.
Sehen Sie bitte einmal in die Protokolle des Deutschen Bundestags hinein, vor allem in die Protokolle, in denen Ausweise über namentliche Abstimmungen enthalten sind. Sie können bei jeder namentlichen Abstimmung aus den Protokollen ersehen, daß es in dieser Partei keinen Fraktionszwang gibt!
Wenn Herr Heinemann solche Nachrichten verbreitet, dann verbreitet er Märchen, die nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit unseres politischen Lebens zu tun haben.
Gerade der Präsident der Generalsynode der Evangelischen Kirche Deutschlands sollte sich daran erinnern, daß es ein auch für ihn verbindliches göttliches Gebot gibt, das heißt: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten."
— Meine Damen und Herren, wir wollen hier nicht — ich benütze jetzt ein Wort, das von Ihrer Seite benützt worden ist — Lautstärke hören. Wir wollen Argumente hören. Sie haben kein Argument angeführt, das meine Feststellungen entkräftet.
Wenn man eine saubere, redliche und anständige Klärung der Frage der finanziellen Konsequenzen der Verträge will, muß zunächst eine Vorfrage geklärt werden, nämlich diese:
Wie wäre die finanzielle Situation der Bundesrepublik, wenn diese Verträge nicht abgeschlossen würden?
Vor einiger Zeit machte ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hohen Hauses vor einer großen Versammlung von jungen Männern in meiner Anwesenheit etwa folgende Ausführungen: Wenn ich Bundeskanzler wäre,
dann würde ich das gesamte Geld, das in Zukunft für den Aufbau eines deutschen Verteidigungsbeitrags und für die Durchführung der Bonner Verträge ausgegeben werden soll, dafür verwenden, Wohnungen zu bauen,
die Kriegsopferversorgung zu verbessern, die Sozialrentner besser zu versorgen
und alle sozialen Nöte zu beseitigen.
— Es ist mir sehr wertvoll, daß Sie meinem Bericht zustimmen. Ich ersehe daraus, daß Sie offenbar der gleichen Gesinnung sind wie jener sozialdemokratische Kollege, von dem ich spreche. Wenn ich dies Jahre hindurch getan hätte — so fuhr jener Kollege fort —, dann würde ich vor das Volk treten und das Volk, und vor allem die jungen Männer, darüber entscheiden lassen, ob sie wieder Soldat werden wollen und ob überhaupt Geld für die Verteidigung ausgegeben werden soll.
In dieser Tonart wird heute in der Bundesrepublik landauf, landab von Rednern der Sozialdemokratischen Partei gesprochen. In unzähligen Versammlungen von Kriegsopfern wird erklärt, die Bundesrepublik täte besser daran, das Geld, das sie für Verteidigungszwecke ausgeben wolle, für Kriegsopfer zu verwenden, dafür habe sie aber nichts übrig.
Auch Herr Bodensteiner,
der neuernannte Generalsekretär der Gustav-Heinemann-Partei, hat seine Violine auf diesen Ton gestimmt. Er gab vor einigen Tagen Solidaritätserklärungen mit allen in Not befindlichen Menschen ab und stellte ihnen eine Soforthilfe in Aussicht, zu deren Bezahlung die Besatzungskosten verwendet werden sollen.
Nun weiß ja jedermann in Deutschland heute,
daß die sozialdemokratischen Führer wie Dr. Kurt Schumacher, 011enhauer, Carlo Schmid und andere längst ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Leistung eines deutschen Beitrags zur Verteidigung erklärt haben. Jeder denkende Mensch weiß aber auch, daß auch die Sozialdemokratische Partei dann für ihren Verteidigungsbeitrag viel Geld ausgeben müßte. Denn auch sie könnte ihre Soldaten dann nicht mit jener einfachen und billigen Waffe ausstatten, mit der der Hirtenknabe David seinen Kampf gegen den Riesen Goliath geführt hat, nämlich mit Kieselsteinen.
Aber ganz abgesehen davon. Wir haben doch mit der ganz einfachen, aber harten Tatsache zu rechnen, daß bei Nichtabschluß dieser Verträge das Besatzungsstatut in Kraft ,bleibt,
das nach Ziffer 2 den Besatzungsmächten das uneingeschränkte Recht gibt, der Bundesrepublik jede von ihnen für notwendig gehaltene Summe für die Besatzungskosten durch einseitige Anordnung zur Bezahlung aufzuerlegen.
Wenn also diese Verträge nicht abgeschlossen werden, dann haben wir in jedem Fall Besatzungskosten zu bezahlen, die auch in Zukunft mindestens rund 40 °/o der gesamten verfügbaren Mittel der Bundesrepublik in Anspruch nehmen werden,
die aber nach Belieben der Besatzungsmächte auch noch höher bemessen werden könnten. Wer sich gegen diese Verträge entscheidet, der entscheidet sich hiernach für das Besatzungsstatut
und der trifft gleichzeitig eine Entscheidung dafür, daß die Besatzungsmächte auch in Zukunft durch einseitige Anordnung der Bundesrepublik Besatzungskosten in beliebiger Höhe auferlegen können.
Meine Damen und Herren, wer dies verschweigt, der verfälscht die Wahrheit; der vergiftet die politische Atmosphäre unseres Volkes in unheilvollster Weise.
Wer so tut, als ob bei Ablehnung dieser Verträge die in diesen Verträgen vorgesehenen finanziellen Aufwendungen wegfallen würden und beliebig für soziale 'Zwecke verwendet werden könnten, der macht sich einer verantwortungslosen Irreführung dieses Volkes schuldig.
Nicht die Spur eines 'Beweises können Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, dafür erbringen, daß die finanzielle Belastung der Bundesrepublik im Falle des Nichtabschlusses der Verträge geringer sein würde als beim Abschluß.
Meine Damen und Herren! Wir sollten uns doch gemeinsam bemühen, uns das Leben nicht unnötig schwerzumachen, und wir sollten doch gemeinsam darum kämpfen, daß eine Vergiftung der Atmosphäre, wie sie durch solche zwar phantasiereichen, aber völlig irrealen Vorschläge entsteht, vermieden wird.
Wir sollten endlich einmal auch damit aufhören, so zu tun, als ob Bundesregierung und Bundeskanzler daran schuld seien, daß die ganze freie Welt heute angesichts der Bedrohung durch die aggressive totalitäre Macht des Ostens genötigt ist, hohe Ausgaben für Rüstungen auf sich zu nehmen. Es gibt bekanntlich in den freien Ländern Europas, ob es sich nun um England, um Frankreich, um Belgien oder um die sämtlichen skandinavischen Länder handelt, keine einzige sozialistische Regierung, die sich nicht genötigt gesehen hätte, einen beträchtlichen Teil des Finanzvolumens ihres Landes für Verteidigungszwecke zu verwenden.
Und nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, mich der Hauptfrage zuzuwenden, um die es jetzt geht.
Der Berichterstatter für die Minderheit des Haushaltsausschusses, Herr Abgeordneter Schoettle, kommt in seinem Bericht, der in der Drucksache Nr. 3900 abgedruckt ist, etwa zu folgendem Ergebnis:
Die der Bundesrepublik zugemutete Verteidigungslast kann vom Bundeshaushalt nur getragen werden, wenn andere wichtige Aufgaben vernachlässigt und entweder Ausgaben gedrosselt oder die Einnahmen erhöht werden.
Sie kennen alle, meine Damen und Herren, die Schaubilder über den Bundeshaushalt, die das Bundesfinanzministerium in sehr dankenswerter Weise nun schon seit zwei Jahren hat herstellen lassen. Sie haben daraus ersehen können, daß ausgegeben worden sind in diesem Jahr und auch im letzten für Besatzungs- und Stationierungskosten rund 40 % der Gesamteinanhmen, für Sozialleistungen der verschiedensten Art rund 40 % und für alle übrigen Ausgaben rund 20 % der Gesamteinnahmen der Bundesrepublik.
Wenn ich die Feststellung des Herrn Kollegen Schoettle richtig verstanden habe — ich bitte, mich gegebenenfalls zu korrigieren —, so ist er also der Auffassung, daß die Bundesrepublik durch den Abschluß der Verträge gezwungen sein werde, Kosten für Verteidigungszwecke oder Stationierungskosten auf sich zu nehmen, die über 40 % des Gesamtvolumens des Haushalts noch hinausgingen, daß sie also etwa gegen ihren Willen gezwungen sein könnte, gewissermaßen vom Schwergewicht der Verhältnisse getrieben, die Ausgaben für soziale Zwecke zu drosseln oder ihre Bürger mit noch höheren Steuern zu belasten oder Ausgaben zu machen, die etwa die Währung in Mißkredit bringen könnten.
Wir sind sicher ohne Unterschied der Partei der gemeinsamen Auffassung, daß eine solche Entwicklung unter keinen Umständen eintreten darf.
Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, daß Herr Schoettle mit seinen Befürchtungen nicht recht hat.
Ich werde versuchen, Ihnen das nachzuweisen.
Bei den Vorberatungen über den finanzpolitischen Teil der Verträge hat man festgestellt, daß es sich bei den Lasten, die vielleicht auf den Haushalt zukommen können, vor allem um folgende fünf Gruppen von Ausgaben wird handeln können:
1. um die bisherigen Besatzungs- und Stationierungskosten,
2. um die Kosten für die Liquidierung von Krieg und Gewaltherrschaft,
3. um etwaige mittelbare Belastungen, z. B. für Post und Eisenbahn oder für das Einräumen von Sondervorteilen an fremde Mächte,
4. um die sogenannten Besatzungsfolgekosten und
5. um die Aufwendungen Deutschlands für den Globalbeitrag an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
Lassen Sie mich zunächst einige Worte zu den ersten vier Gruppen von Ausgaben sagen.
Besatzungslasten: — Meine Damen und Herren, die sogenannten Besatzungs- oder Stationierungskosten, also der weit überwiegende Teil dessen, was den Haushalt bisher mit rund 40 % seines Gesamtvolumens belastete, wird aller Voraussicht nach spätestens mit Wirkung vom 1. Juli 1953 an wegfallen. Es besteht die wohlbegründete Aussicht, daß Deutschland nach diesem Termin für anerkannte Besatzungs- oder Stationierungskosten keine Zahlungen mehr zu leisten hat. Da solche Kosten aber, falls sie je entstehen würden, in jedem Fall auf den deutschen Globalbeitrag zur EVG voll anzurechnen sind, wird künftighin der deutsche Haushalt mit Besatzungskosten dieser Art mit keiner einzigen Mark mehr belastet sein. Dies ist vielleicht die wichtigste Feststellung, die bei der Beratung über die finanziellen Auswirkungen der Verträge zu treffen ist.
— Darüber werde ich sprechen. Aber vor allem bitte ich Sie dann darum, daß Sie in Ihren Versammlungen auch darüber sprechen werden, daß wir künftig keine Besatzungslasten im Haushalt mehr haben werden.
Das wird nämlich von Ihnen landauf, landab verschwiegen.
Nun die Frage der Kosten für die Liquidation des Krieges. Für die Liquidierung des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden künftig nicht unerhebliche Kosten entstehen. Dabei handelt es sich vor allem um die innere Rückerstattung, um die Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und um die deutschen Auslandsschulden, Fragen, die in dem sogenannten Überleitungsvertrag behandelt werden. Die Entscheidung über die Höhe der erwachsenden Lasten und vor allem über die Verteilung der Lasten auf die künftige Zeit wird aber von dem Inhalt der noch zu erlassenden Bundesgesetze abhängig sein. Auch die Opposition war mit den Vertretern der Regierungskoalition der einmütigen Überzeugung, daß es sich bei dem weitaus größeren Teil dieser Lasten um solche handelt, die aus der Liquidation des Krieges und aus der der Bundesregierung auferlegten moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Krieges entstanden sind, und daß diese Lasten insoweit nicht als Folgen der von der Bundesregierung abgeschlossenen Verträge angesehen werden können.
Diese Lasten können hiernach in einer Untersuchung über die finanziellen Konsequenzen der Verträge außer Betracht bleiben.
Die mittelbaren Lasten: Es ist untersucht worden, ob und inwieweit eine mittelbare Belastung des Haushalts dadurch entstehen könnte, daß die Bundesregierung Verpflichtungen dafür übernommen hat, Eigentum der Bundesrepublik den Schutzmächten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, ferner dadurch, daß den westlichen Streitkräften gewisse Steuer- und Zollvorteile eingeräumt werden und daß schließlich die Bundespost und die Bundesbahn noch bis zum 30. Juni 1953 an die bisher schon mit den Besatzungsmächten ausgehandelten Tarife gebunden sind. Ich bestreite durchaus nicht — ich habe das keinen Augenblick bestritten —, daß man eine solche Rechnung an sich aufmachen könnte. Ich zweifle aber daran, daß es praktisch möglich und politisch sehr sinnvoll wäre, dies zu tun.
Den steuerlichen und finanziellen Nachteilen, die uns erwachsen, müssen auch die unzweifelhaft vorhandenen finanziellen Vorteile gegenübergestellt werden. Denn es kann ja nicht übersehen werden, daß durch die fremden Truppen auch sehr viel Geld in unser Land kommt und daß sich das auf den Umsatz der Wirtschaft und damit auf die Steuereingänge und auch auf den Umsatz der Post und der Eisenbahn in positivem Sinne auswirkt.
Wir müssen also in die Rechnung, wenn sie ehrlich sein soll — wir wollen doch nur ehrliche Rechnungen aufmachen — auch die Vorteile einstellen, die uns erwachsen. Außerdem täten wir gut daran, mitunter manchmal auch noch daran zu denken, daß wir Deutsche durch den Marshall-Plan und andere Hilfen der Vereinigten Staaten in unserer schlimmsten Zeit sehr großzügige finanzielle Unterstützung erfahren haben, die uns nicht in Rechnung gestellt worden ist.
Wir sollten deshalb schon in unserem Interesse auf eine allzu detaillierte Rechnung in diesem Zusammenhang verzichten.
Nun ein Wort zu den sogenannten Besatzungsfolgekosten. Bei dieser vierten Gruppe von Lasten handelt es sich um die sogenannten nicht anerkannten Besatzungskosten oder Besatzungsfolgekosten, die sich nach einer überschlägigen Rechnung insgesamt auf rund 840 Millionen DM jährlich belaufen. Diese Kosten können aber nach Auffassung der Bundesregierung bei der Festsetzung des Globalbeitrags zur Europäischen Verteidi-
gungsgemeinschaft zum Abzug angemeldet werden. Insoweit, als man dabei durchdringen würde, würden Belastungen für den Haushalt per saldo nicht entstehen.
Damit komme ich zu denjenigen Lasten, die künftig wohl den Hauptteil der Belastung des Haushalts ausmachen werden, zu dem Globalbeitrag der Bundesrepublik für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
Wie Sie wissen, ist in Art. 4 des Finanzvertrages festgelegt, daß Deutschland vom Inkrafttreten dieses Vertrages bis zum 30. Juni 1953 einen monatlichen Verteidigungsbeitrag von 850 Millionen DM zu leisten hat, der als deutscher Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bestimmt ist. Der nach dem 1. Juli 1953 zu leistende Beitrag wird voraussichtlich unter Zugrundelegung der Wirtschaftskraft unseres Volkes nach dem sogenannten NATO-Verfahren bestimmt. Nach allen Feststellungen, die über das sogenannte NATO-Verfahren getroffen sind, ist es völlig klar, daß es sich niemals darum handeln kann, daß Deutschland durch einseitige Anordnung zur Leistung eines bestimmten Beitrags verpflichtet werde. Deutschland ist vielmehr von den ersten . Anfängen an an diesem NATO-Verfahren beteiligt. Das Exekutivkomitee der NATO-Organisation gibt nach Verhandlungen mit Deutschland, die zu einem Einvernehmen mit Deutschland geführt haben müssen, eine Empfehlung an die zuständigen Instanzen der EVG, nämlich an den Ministerrat, ab. Der Ministerrat muß einstimmig über die Höhe der den einzelnen Staaten zufallenden Globalbeiträge entscheiden, und diese Entscheidung kann wiederum nicht ohne die Zustimmung Deutschlands getroffen werden. Die Zeit also, meine Damen und Herren, in der Deutschland durch einseitige Anordnungen einer fremden Macht zur Leistung von Zahlungen verpflichtet werden konnte, ist nach Annahme dieser Verträge endgültig und unwiderruflich vorbei.
Nun die zweite wichtige Feststellung: Deutschland ist gegenüber den anderen Staaten der EVG völlig und absolut gleichberechtigt. Der Finanzvertrag bestimmt ausdrücklich, daß dieses Verfahren zu keiner irgendwie gearteten Schlechterstellung der Bundesrepublik gegenüber anderen großen westlichen Staaten führen darf. Schon bei der Festsetzung des Bruttobeitrags hat Deutschland einen Anspruch darauf, daß auf die Tatsache Rücksicht genommen wird, daß die deutsche Wirtschaftskraft durch den Kriegsausgang und seine Folgen mit einer Reihe von schweren Hypotheken vorweg belastet ist, die andere Partner der EVG nicht zu tragen haben. Ich nenne dabei nur das Flüchtlingsproblem, die Zerstörung des deutschen Wohnraums, die größer ist als in allen anderen Staaten, und die Kriegsopferversorgung, durch die Deutschland stärker als jedes andere Land im vorhinein belastet ist. Ferner müssen auch berücksichtigt werden die besonderen Belastungen, die Deutschland durch die Liquidierung des Krieges und der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus erwachsen.
Vor allem aber hat Deutschland einen verbrieften Rechtsanspruch darauf, daß die von ihm bisher schon für die innere und äußere Verteidigung geleisteten und im Haushalt ausgewiesenen Ausgaben von dem Bruttobeitrag abgezogen werden. Daß Deutschland solche Ausgaben in außerordentlicher Höhe leistet, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Daß der größte Teil des Aufwands der Bundesrepublik für Berlin, der sich zur Zeit auf mehr als 2 Milliarden beläuft, ein echter Aufwand für Verteidigung und innere Sicherheit ist, steht absolut fest. Die Bundesrepublik muß unabdingbar darauf bestehen, daß der gesamte direkte Aufwand für Berlin als abzugsfähig anerkannt wird. Das gleiche gilt für einen großen Teil der Ausgaben für den Bundesgrenzschutz, für den Zollgrenzschutz und für die innere Sicherheit, Ausgaben, die sich auf zirka '750 Millionen belaufen. Hierher gehören auch die schon genannten Ausgaben für die Besatzungsfolgekosten. Die Bundesregierung wird sicher den Anspruch Deutschlands auf den Abzug dieser haushaltsmäßig auszuweisenden Sonderleistungen für die äußere und innere Sicherheit vom globalen Beitrag mit allem Nachdruck und auch mit Erfolg verfechten.
Gerade bei der Betrachtung dieses Sektors des Problems ist es sehr, sehr wichtig, daß das deutsche Volk eine klare Vorstellung von der Wirklichkeit bekommt. Ich habe hier den Bericht des' Berichterstatters des Finanz- und Steuerausschusses, des verehrten Herrn Kollegen Professor Gülich von der SPD-Fraktion. Er hat auf Seite 82 des Berichts, Drucksache Nr. 3900 — wenn ich ihn recht verstanden habe; auch hier bitte ich mich zu korrigieren, wenn ich etwas Falsches sage —, eine Rechnung aufgemacht über die Gesamtkosten,' die durch den Abschluß der Verträge entstehen, und er kommt dabei auf 13,5 Milliarden Mark. Aber wenn ich die Rechnung überblicke, finde ich darin 1 060 Millionen für die Berlin-Hilfe und 1 070 Millionen für die innere Sicherheit. Diese beiden Posten mit rund 2 Milliarden hat Herr Professor Gülich d a z u gezählt. Meine Damen und Herren, man darf aber, wenn man eine echte und wahrheitsgetreue Rechnung aufmachen will, diese Beträge nicht dazuzählen, sondern muß sie abziehen. Zählt man sie nämlich dazu, statt sie abzuziehen, dann kommt ein Unterschied von 2 mal 2, also 4 Milliarden heraus!
Ich weiß, daß Herr Professor Gülich das nicht so gemeint hat; er hat von diesem Podium aus selbst gesagt, er sei der Meinung, daß wir darum kämpfen könnten, die Kosten für Berlin abzuziehen. Aber wenn Leute, die nicht unterrichtet sind, diese Ihre Rechnung, Herr Professor Gülich, lesen, dann müssen sie ja zu der Meinung kommen, diese 13,5 Milliarden seien die Kosten, die nach Ihrer Auffassung entstehen würden, wenn man diese Verträge unterschreibt. Dies aber ist eindeutig falsch. Ich habe mich als Berichterstatter des Haushaltsausschusses doch für verpflichtet gehalten, das hier klarzustellen. Wir wollen eine wahrheitsgetreue Unterrichtung unseres Volkes über die finanziellen Konsequenzen der Verträge.
Nun ist von der Opposition eingewendet worden, daß die Abzüge, von denen hier gesprochen wird, schon bei der erstmaligen Festsetzung d Verteidigungsbeitrags auf vorläufig 850 Millionen DM voll berücksichtigt worden seien. Ich bin der Auffasung, daß das nicht den Tatsachen entspricht. Erstens sind die Beträge nicht voll berücksichtigt worden. Zweitens sind bei dem Abschluß dieser Vereinbarungen neue Beträge hinzugekommen. Vor allem aber muß gesagt werden, daß die Verhandlungsposition Deutschlands nach dem Abschluß der Verträge eine unverhältnismäßig viel
bessere sein wird, als sie es bei den früheren Verhandlungen war. Unter diesen Umständen ist die Hoffnung der Bundesregierung, daß es gelingen wird, den Globalbeitrag zur EVG mit Wirkung vorn 1. Juli 1953 an auf einen Betrag festzusetzen, der hinter der Summe von 8.0 Millionen DM monatlich erheblich zurückbleibt, sehr wohl begründet. Wie sicher die Bundesregierung darin ist, daß sich diese Hoffnung verwirklicht, ersehen Sie daraus, daß die Bundesregierung, wie wir vor einigen Tagen aus dem Munde des Bundesfinanzministers gehört haben, in den Bundeshaushalt für 1953 mit Wirkung vom 1. Juli 1953 an als Globalbeitrag nicht die Summe von 850 Millionen DM monatlich, sondern nur die Summe von '716 Millionen DM monatlich eingestellt hat.
Das bedeutet eine Verminderung um monatlich 134 Millionen DM oder um jährlich 1600 Millionen DM.
— Ich würde Sie doch sehr darum bitten, Herr Kollege Schoettle, das nicht so anzusehen. Denn wenn die Bundesregierung mit einer solchen Feststellung vor die Öffentlichkeit tritt, so tritt sie damit zugleich auch vor die Öffentlichkeit der Welt. Es ist ja völlig undenkbar, daß der Bundesfinanzminister eine solche Erklärung vor der Weltöffentlichkeit abgeben könnte, wenn er nicht wirklich gute und fundierte Gründe dafür hätte, daß wir Deutschen einen Rechtsanspruch darauf haben, daß dieser ursprünglich festgesetzte Globalbeitrag keinesfalls herauf-, sondern eher, und zwar beträchtlich, herabgesetzt wird.
In jedem Fall steht für mich fest, daß wir eine gute Chance haben, daß ein sehr beträchtlicher Teil aller übrigen in den genannten vier Kostengruppen figurierenden Belastungen für den Haushalt durch diese Herabsetzung ausgeglichen werden kann. Es ist völlig klar, daß wir heute noch keine endgültige Aussage über den Ausgang der Verhandlungen machen können. Das tue ich ja auch nicht. Aber wir müssen sehen: Hier wird verhandelt! Es wird verhandelt! Und es wird gekämpft! Es ist völlig klar, daß die deutschen Ansprüche auf Berücksichtigung unserer besonderen Lage rechtlich und sachlich voll begründet sind. Klar ist aber auch — und das möchte ich Ihnen von der Opposition sagen —, daß Sie von der Opposition ein Intéresse daran haben müssen, die Bundesregierung bei ihren Bemühungen voll zu unterstützen.
Ihre Befürchtungen, Herr Schoettle, sind nach den von mir hier angeführten Tatsachen unbegründet. Wenn die deutsche Wirtschaft, was wir hoffen, weiterhin im Aufstieg bleibt, so wird der Hundertsatz, mit dem das Haushaltsvolumen insgesamt durch Verteidigungskosten in Anspruch genommen werden wird, nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags nicht höher, sondern eher niedriger als der Hundertsatz der verfügbaren Bundesmittel sein, der bisher für Stationierungs- und Besatzungskosten in Anspruch genommen wurde.
Nun lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu einer Frage sagen, die hier mehrfach erörtert worden ist, zu der Frage der Außenhilfe. Hier von dieser Stelle aus, also in öfentlicher Bundestagssitzung, hat der Herr Bundesfinanzminister am 9. Juli 1952 die folgende Erklärung abgegeben; ich will sie hier wiederholen:
Die Vereinigten Staaten haben die Verpflichtung übernommen, das gesamte schwere Material für die Ausrüstung der deutschen Kontingente in derselben Art, in derselben Güte, in derselben Menge, wie es nach den sogenannten NATO-Verträgen für irgendein Kontingent zu liefern ist, auch dem deutschen Kontingent unentgeltlich zu liefern. Sie haben sich daneben verpflichtet. auch leichtes Material in einem bestimmten Wert und zahlenmäßig genanntem Umfange zu liefern.
Daß diese Erklärung von dem Herrn Bundesfinanzminister hier nicht gewissermaßen so aus dem hohlen Bauch heraus abgegeben ist, das weiß ja jeder vernünftige Mann.
Es sind sehr eindeutige, absolut eindeutige Erklärungen von sehr hoher amerikanischer Stelle gegenüber dem Regierungschef der Bundesrepublik abgegeben worden.
Vertreter der sozialdemokratischen Opposition haben nun bei den Beratungen auf das schärfste bemängelt, daß diese Zusage der Vereinigten Staaten nicht dokumentarisch verbrieft sei. Es müsse deshalb an dem Wert dieser Zusage gezweifelt werden. Bei Nichteinhaltung der Zusage werde das Tempo der Ausrüstung der deutschen Kontingente erheblich verlangsamt, was in jedem Falle unerwünscht und gefährlich sei.
Wir von der Regierungskoalition haben keinen Zweifel daran, daß die Vereinigten Staaten bereit sein werden, uns beim Aufbau unseres Verteidigungsbeitrags wirksam zu helfen. Ich bin aber der Meinung, daß wir mit innerem und sittlichem Recht eine solche Waffenhilfe der Vereinigten Staaten nur erwarten können, wenn wir selbst bereit sind, auch unseren Beitrag dazu zu geben, daß die freie Welt verteidigt werden kann, und wenn wir uns mit der freien Welt in der Bereitschaft zu ihrer Verteidigung gewissermaßen solidarisch verbunden wissen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es an dieser Bereitschaft bei der Opposition leider fehlt, nicht allgemein, aber vielfach. Vor einiger Zeit habe ich in einer sozialdemokratischen Zeitung ein Lied gefunden, das diese bedauerliche Tatsache auf das trefflichste illustriert. Das Lied trägt die Überschrift „Das alte Lied und das neue Lied". Es fängt an „Wer will unter die Soldaten . . ." und es schließt mit folgenden zwei Versen:
Doch der Wähler riecht den Braten,
sehnt nach Frieden sich und Ruh',
wählt nicht mehr die CDU
und auch nicht die FDP
War genug bei den Soldaten,
will nicht noch einmal dazu,
und kommt so auf die Idee:
Ich probier's mit SPD.
„Ich probier's mit SPD"!
Ich frage: Mit welchem inneren Recht können diejenigen, die eine solche Ohne-mich-Propaganda
treiben, von den amerikanischen Müttern verlangen, daß sie ihre Söhne zur Verteidigung Deutschlands und Europas über das große Wasser schicken?
Und mit welchem inneren und sittlichen Recht können Sie von den amerikanischen Steuerzahlern fordern, daß sie ihre guten Dollars für die Ausstattung deutscher Kontingente hergeben? Ich glaube, diese Frage bedarf doch auch von Ihrer Seite einer sehr ernsthaften Überlegung!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Mit diesen Verträgen nimmt Deutschland die Bereinigung einer politischen Vergangenheit vor, die ihren deutlichsten Ausdruck in der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 gefunden hat, und zugleich steckt es seinen Weg in die Zukunft ab. Deutschland hat am 8. Mai 1945 einen vollkommenen Bankrott erlebt. Wenn ein Kaufmann bankrott macht und nach diesem Bankrott wieder einen Weg in die Zukunft sucht, kann er das nur, wenn er einen ganz ehrlichen Versuch macht, seine Vergangenheit zu bereinigen, sich mit seinen Gläubigern zu verständigen, soweit als möglich seine Schulden zu bezahlen und durch unzweideutiges und redliches Verhalten das Vertrauen seiner Geschäftspartner wiederzugewinnen.
Meine Damen und Herren! Dem deutschen Volk bleibt kein anderer Weg! Noch nie in der Weltgeschichte hat ein Volk aus einer Niederlage und einer Katastrophe den Weg in eine bessere Zukunft gefunden, ohne diesen Weg zu gehen und ohne schwere und harte Opfer zu bringen. Wer unserem Volke vortäuscht, für uns Deutsche sei es möglich, einen Weg in eine bessere Zukunft zu finden, ohne eine saubere und redliche Bereinigung unserer Vergangenheit vorzunehmen
und ohne Opfer zu bringen, der führt unser Volk auf einen falschen Weg. Welche verhängnisvollen Folgen es hat, wenn ein Volk solche falschen Wege geht, das haben wir doch wahrhaftig alle miteinander erlebt.
Wir sollten dieses Erlebnis und seine für uns alle so bitteren Lehren nie mehr vergessen. Wir sollten uns deshalb alle in dem Willen vereinigen, solche Fehlentwicklungen zu vermeiden und miteinander — ich sage: miteinander — einen ehrlichen und redlichen Weg in die Zukunft zu suchen.