Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst im Auftrag meiner Fraktion folgenden Antrag an das Haus zu stellen:
Der Bundestag wolle beschließen,
Die Bundesregierung wird beauftragt, dem Ausschuß für Verfassungsschutz über die Vorgänge, die der Drucksache Nr. 3745 zugrunde liegen, laufend zu berichten.
Sodann ein Wort zu der hier, wie ich glaube, von denen, die diese Angelegenheit nicht so ernst ansehen wie eine ganze Anzahl anderer der Debatteredner, recht unglücklich aufgezogenen Meinung, als ob hier zu trennen wäre zwischen dem BDJ und einer in seinem Organismus entstandenen und tätig gewordenen sogenannten technischen Organisation. Herr Bundesinnenminister, ich weiß nicht, ob Ihr Zeitungsarchiv Sie mit der schleswig-holsteinischen Volkszeitung vom 13. Oktober versehen hat, in der ein Brief der Bundesführung des Bundes Deutscher Jugend, geschrieben unter dem 9. April, in Faksimile abgedruckt ist. Der Brief ist vom Vorsitzenden des BDJ unterschrieben und an den Landesgruppenführer in Kiel, Schleswig-Holstein, Herrn Wilhelm, gerichtet:
Hans-Walter ist übrigens mit Wirkung von
Ostern mit einer besonderen Aufgabe von uns
betraut worden. Herbert übernimmt sein Amt
als Landesführer. Dies zu Deiner vertraulichen
Information.
Die ganze Debatte, die heute gepflogen worden ist, ist für diejenigen schief gelaufen, die uns vergessen machen wollen, was sie zum großen Teil in der Vergangenheit selber miterlebt haben.
Darüber, wie diese Dinge ineinandergreifen, halte ich mich ein Wort zu sagen für verpflichtet, der ich wie so mancher andere und auch der Herr Bundesinnenminister — wenn auch an anderer Stelle, in anderer Aufgabe und vielleicht auch in anderem Verhalten — das alles miterlebt habe.
Es liegt eine Parallelität der Dinge und der Behandlung sowohl im Parlament wie in der Öffentlichkeit wie von den höchsten Stellen der Regierung zu diesem Dokument, zu diesen Vorfällen und zu diesen Dingen, die das hessische Ministerium aufgedeckt hat, und zu einer ähnlichen, viel bedeutsameren, für Deutschland aber auch viel verheerenderen Angelegenheit offen zutage. Das ist die Parallelität mit der Behandlung der sogenannten Boxheimer Dokumente. Für diejenigen, die es nötig haben, sich noch einmal in die Lektüre dieser Boxheimer Dokumente zurückzuversetzen, um überhaupt zu wissen, war darin steht, mag P genügen, daß ich diese als Befehl — auch in Hessen fabriziert — herausgegebenen Mordpläne nur in den ersten drei Sätzen dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit in Erinnerung rufe:
Jeder Anordnung der SA-Landeswehr, gleich, von welchem Dienstgrad erteilt, ist sofort Folge zu leisten. Widerstand wird grundsätzlich mit dem Tode bestraft. Jede Schußwaffe ist binnen 24 Stunden an die Landeswehr der SA abzuliefern. Wer nach dieser Frist im Besitz einer Schußwaffe ist, wird als Feind der SA-Landeswehren ohne Verfahren auf der Stelle erschossen. Jeder im Dienst öffentlicher Behörden oder öffentlicher Verkehrsanstalten stehende Beamte, Angestellte und Arbeiter hat sofort seinen Dienst wieder aufzunehmen. Widerstand und Sabotage werden mit dem Tode bestraft. An die Stelle der obersten Staatsbehörden tritt die Führung der SA.
Und wie ist das, nachdem es durch den preußischen Innenminister Severing nach Mitteilungen und Feststellungen des hessischen Innenministers Leuschner am 26. November 1931 veröffentlicht worden ist, von denen behandelt worden, die es
betraf? Der „Völkische Beobachter": „Unerhörte
Lügenhetze!" „Erwiesenermaßen gemeine Fälschermethode!" Und jetzt die BDJ-Führung: „Die Erklärung des hessischen Innenministers ist unwahr,
zumindest" — vorsichtigerweise! . – „maßlos übertrieben. Ich, der Bundesvorsitzende, Herr Lüth;
werde mir überlegen, gegen den hessischen Ministerpräsidenten Klage zu erheben." Damals
Goebbels im „Angriff" vom 26. November:
„Gemeine Fälschung! Plumpes Wahlmanöver gegen
die hessische NSDAP!" Und heute? Herr Bundesinnenminister, was haben S i e gesagt — und
das ist bis jetzt von Ihnen nicht widerrufen und
hat in allen mir erreichbaren Zeitungen deutlich
und klar gestanden —? : „Ich will meine Meinung",
so haben Sie gesagt, „darüber nicht sagen, warum
der hessische Ministerpräsident Zinn in diesem
Augenblick diese Veröffentlichung gemacht hat."
Die Ihnen nahestehenden Zeitungen haben das ausgesprochen, was Sie gemeint haben, und ich will es — widerlegen Sie mich! — Ihnen in den Mund legen. Sie hätten den Mut haben sollen, hier vor dem Parlament das auch zu sagen. Sie haben gemeint: das ist alles von langer Hand vorbereitet und ist im Schoß der Schreibtische der hessischen sozialdemokratischen Regierung aufgehoben und nun erst gekommen als Wahlbombe für den Wahlkampf für den neuen Bundestag, der hier dem Parlament und dem deutschen Volke bevorsteht. Da haben Sie die Analogie zu Goebbels von damals! Damals ist dann in drei Tagen unter dem Druck der Beweisführung des hessischen Innenministers Leuschner und der kategorischen Durchführung der Veröffentlichung dieser Dinge durch den preußischen Innenminister Severing nachgewiesen worden: Es waren nicht sieben, wie bei Hitlers Parteigründung, sondern es waren nur sechs, also einer weniger, aber sechs hohe, verantwortliche „Führer" der NSDAP, darunter auch der eigentliche Schöpfer, Herr Dr. Best, die dieses Dokument mit allen Einzelheiten beschlossen und mit ihrer Parteileitung besprochen hatten. Prompt ist der Hauptmann Göring — Hauptmann war er damals noch — zum Innenminister Groener gegangen und hat erklärt, das könne nur eine private Arbeit sein, wenn sie nicht, wie vorher behauptet, rein marxistische Sudelei und Erfindung wäre. Also rückhaltlose Anerkennung dieses Tatbestandes.
Hier ist die Analogie zu dem heutigen gleichartigen Problem; das sollte sich jeder Parlamentarier und jeder politisch verantwortliche Mensch wohl überlegen! Hier liegen die Analogien in der Behandlung der Sache durch die Schuldigen und durch die, die nicht sehen wollen oder nicht zu sehen vermögen, daß Schuldige hier im Spiele sind.
„Es kann sich nur um eine Privatarbeit handeln", so ist gesagt worden; und dann gab Herr Best selbst zu: Ich bin der Verfasser, aber ich habe mit niemandem gesprochen und niemandem das vorgelegt, das war nur so mal eine Idee, die — und hier wieder die Analogie zu unserem Fall — dann nur zum Zuge kommen soll, wenn die kommunistische Revolution die verfassungsmäßige Regierung aus der Macht gesetzt hat.
Spüren Sie, wie in der Weltgeschichte, wenn die
gleichen Dinge zu gleichen Ergebnissen zu treiben
sich anschicken, auch die Erscheinungen in den Behandlungsmethoden sich außerordentlich gleichen?
Meine Damen und Herren, hier ist mit großem Nachdruck von Herrn Dr. Schröder gesagt worden: Wie kann man auch nur präsumptiv einen Verdacht gegen irgendeinen Anwalt und gegen unseren höchsten Anwalt haben? Wir haben den Verdacht nicht ausgesprochen. Wir haben nur gewollt und hier vertreten — und das haben Sie verschoben, Herr Innenminister —, daß Sie nicht, ehe dieser Anwalt, wie es seine Pflicht war, untersuchte und feststellte, vorzeitig schon das Ergebnis durch Ihre Hamburger Rede festlegten.
Hier will ich Ihnen — es tut mir leid, daß ich es auf Kosten meiner Redezeit tun muß, aber es ist notwendig, das heute zu tun — einmal das Ergebnis der Behandlung dieses gleichlaufenden, analogen Problems der damaligen Zeit durch den Herrn Oberreichsanwalt Dr. Werner im Wortlaut vorlesen:
Erklärung.
— Und das zwei Tage nachdem diese eben mit- geteilten Tatsachen in der Öffentlichkeit bekannt waren! —
Das Vorgehen der Darmstädter Polizei ist nicht auf meine Veranlassung hin geschehen. Wie die Polizeibehörde zur Kenntnis des Verdachts strafbarer Handlungen gelangte, ist mir noch nicht bekannt, wie ich auch über das Ergebnis der bisherigen Ermittlungstätigkeit in Darmstadt amtlich noch nicht unterrichtet bin.
Und nun kommt's:
Ich hatte gestern eine Unterredung mit dem preußischen Innenminister in Berlin, die auf Einladung des Ministers erfolgte und bei der mir das Schriftstück vorgelegt wurde, in dem der Versuch des Hochverrats erblickt wird. Dieses Schriftstück soll von Dr. Best herrühren. Dazu gab ich den Rat, als Beweismittel wenigstens die Schreibmaschine des Dr. Best zu beschlagnahmen,
mit der das Schriftstück hergestellt worden sein soll.
Ich ließ ferner dem preußischen Innenminister raten, seine Absicht, die Presse in großem Ausmaß zu unterrichten, zunächst nicht auszuführen, weil die Untersuchung empfindlich gestört werden könnte, wenn wirklich der Tatbestand des Hochverrats vorläge. Ob das der Fall ist, muß noch geklärt werden.
Die Analogie heute: der Innenminister von Hessen wird vom Bundesverfassungsminister verantwortlich gemacht, daß er diese ungeheuerlichen Dinge, soweit sie ihm bekannt waren, zunächst der Öffentlichkeit bekanntgab und damit auch die Möglichkeit schaffte, sie abzustoppen.
Soweit das Schriftstück Best's als Stütze zur Feststellung des Tatbestandes in Betracht kommt, handelt es sich offenbar um Maßnahmen, die sich gegen eine auf Grund der jetzt geltenden Verfassung im Amte sich befindliche Regierung nicht richten.
Vielmehr ist vorausgesetzt, daß eine solche legale verfassungsmäßige Regierung gestürzt und durch die Herrschaft der „Kommune" ersetzt sei.
Diese ungesetzliche „Kommunalherrschaft" sei dann abgelöst durch die Nationalsozialisten, und erst dann sollen die Maßregeln zur Wiederherstellung von Ordnung, Sicherheit und Ruhe in Kraft gesetzt und durchgeführt werden.
Das ist die Erklärung des Oberreichsanwalts aus der damaligen Zeit in einer durchaus vergleichbaren Situation. Ich bin der Meinung, diese historischen Vorgänge und ihre Folgen sollten — so denkt doch wohl jeder loyale demokratische Staatsbürger von heute — den Staatsanwälten und den Richtern und vor allem und in erster Linie den verantwortlichen Trägern der höchsten Bundesgewalt ein zwingender Ansporn sein, erstens größte Objektivität, aber auch größte Energie bei den Nachprüfungen und Untersuchungen anzuwenden und zweitens — und das richte ich an Sie, Herr Bundesinnenminister — sich die unbedingt erforderliche Zurückhaltung in der Abgabe von Urteilen und Bewertungen vor dem Abschluß der Untersuchung aufzuerlegen. Das haben Sie mit Ihrer Prämisse, die Sie und der Bundeskanzler vertreten haben, in Ihrer Rede in Hamburg nicht befolgt. Wenn Sie, Herr Minister, da gefehlt haben — und das haben Sie —, sollten Sie uns im Parlament nicht Lehren geben, Sie sollten diese Lehren vorher selber beherzigt haben! Daran haben Sie, Herr Verfassungsminister Lehr, in erheblichem Maße einen Mangel aufgewiesen. Das sei Ihnen hier vor dem Parlament bescheinigt.
Wir nehmen die Prämisse an. Wir wollen nichts anderes als objektive, aber auch wirkliche und restlose Untersuchung und ein hartes Zugreifen, wenn es nötig ist.
Wir fragen Sie: Wenn Sie seit einem Jahr gewußt haben, daß der BDJ im bezahlten Dienst einer Besatzungsmacht steht, — —