Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister D r. Lehr hat sich heute einer für ihn sicherlich sehr unangenehmen Aufgabe unterziehen müssen. Sie bestand darin, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu verwischen, daß es ihm persönlich lieber gewesen wäre, wenn man das alles hätte totschweigen und in irgendeiner Form gentlemanlike hätte regeln können, ohne daß die Öffentlichkeit davon überhaupt in Kenntnis gesetzt worden wäre.
Das mag aus zwei Gründen für ihn von Belang gewesen sein. Ich glaube, der eine Grund ist sehr deutlich in den Ausführungen durchgeklungen, die er zu unserer ersten Frage gemacht hat. Er hat dort zunächst einmal sehr präzise herausgearbeitet,
wie und auf welche Weise er auf dem offiziellen Dienstweg über die Vorgänge in Hessen informiert worden ist, und zwar auf dem Dienstweg über das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich glaube, indem er hinzufügte, daß er in seiner Dienststelle bereits vor einem Jahr Informationen über die Tätigkeit im Bereich von Zonengrenzgebieten usw. und in diesem Zusammenhang über die Zusammenarbeit zwischen den Besatzungsmächten und Deutschen für die Vorbereitung von Abwehraktionen gehabt habe, hat er sicherlich auch so etwas wie eine Abschirmung betrieben, um auf diese Weise sich selbst salvieren zu können.
Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, wir müssen in jedem Fall darauf bestehen, daß die Untersuchungen und Durchleuchtungen in dieser ganzen Angelegenheit nicht nur betrieben werden, um die Dinge etwa zu verniedlichen und damit darzutun, es sei alles gar nicht so schlimm gewesen. Ich glaube, unsere und Ihre Aufgabe sollte sein, das Zutrauen auch derjenigen im deutschen Volke, die Ihnen vielleicht politisch nicht nahestehen, in ihrer Bereitwilligkeit, dieser Demokratie eine 'Grundlage 'zu geben, nicht 'zu sehr zu strapazieren.
Auf der andern Seite glaube ich, daß hier noch ein anderer Grund für Sie vorlag. Die Art und Weise, wie man sich auf seiten der Bundesregierung in dem Moment diskret verhält, in dem nur angedeutet wird, daß im Hintergrund Dienststellen der Besatzungsmacht eine Rolle spielen, — das ist nichts, was wir von einer selbstbewußten Bundesregierung erwarten möchten.
Wir glauben, daß auch die seinerzeitigen Vorfälle
um Herrn Kemritz doch in der Zwischenzeit dargetan haben, daß dann, wenn eine energische Vorstellung gemacht wird, auch die amerikanischen Behörden nicht allzusehr geneigt sind, das nun ohne weiteres im Sande verlaufen zu lassen.
Bei der Behandlung dieser Fragen haben Sie dann am Schluß hier wirklich noch etwas vollzogen, wovon ich eigentlich nicht annahm, daß ein Mann Ihrer Erfahrung sich das gestatten würde. Die Ausführungen, die Sie nachher über den angeblichen Fememord und all die Dinge gemacht haben, waren doch praktisch genommen eine Art Verlängerung, um 'auf diese Art und Weise durch mehr Material 'das Wesentliche nicht richtig erkennen zu lassen.
Ich glaube, wir müssen wirklich eines sagen: Wenn es irgendwo die Feststellung gibt, daß eine militärische oder andere Geheimorganisation in Erscheinung getreten ist, dann muß sich doch von selbst jeder, der die Wirkungen der konspirativen Arbeit in der Vergangenheit gesehen hat und der weiß, was es heute in den Ostgebieten z. B. auf diesem Gebiet gibt, was praktiziert wird und was von dort her auch herüberkommt, in jedem Falle selbst dann, wenn es zunächst rein militärische Dinge zu betreffen scheint, fragen, ob hier nicht auch die Grundlage für eine geheime innenpolitische Tätigkeit gegeben ist oder ob eine solche daraus erwächst.
Insofern mache ich dem Herrn Oberbundesanwalt, der allerdings in diesem Falle Ihnen nicht untersteht, den Vorwurf, 'daß er gerade diese Dinge auf die leichte Schulter genommen hat.
Aus den Informmationen, die uns Herr Ministerpräsident Zinn hier eben gegeben hat, ging doch ohne weiteres hervor, daß zumindest Anhaltspunkte für Verdacht in dieser Richtung gegeben waren, und wir haben es als sehr peinlich empfunden, daß gewisse zeitliche Kombinationen überhaupt möglich und denkbar waren, die es ermöglichten, daß die zunächst Angeschuldigten und Verhafteten zwischenzeitlich auch ein wenig Freiheit bekamen.
Darüber hinaus muß ich eins sagen. Wenn wir die einzelnen Stadien der Entwicklung und auch der Aufdeckung dieser Dinge verfolgen, dann können wir dabei auch mit der Abschwächung, die Herr Dr. Lehr hier vorzunehmen versucht hat, in keinem Falle einig gehen. Sehen Sie, wenn dann auch der Bundesjustizminister sagt: Wie kommen denn die Leute schließlich dazu, sich selbst zu präsentieren, wenn sie kein schlechtes Gewissen haben?', — ja, haben Sie noch nie etwas von Gaunerfrechheit und von dem Wort „Frechheit siegt" gehört?
Ist es dabei nicht vielleicht so gewesen — und darauf bitten wir bei den Untersuchungen besonders zu achten —, daß es irgendwo bei ihnen — ich meine jetzt bei den Beschuldigten und Beteiligten — den Glauben geben konnte, es würden ihnen womöglich doch irgendwo goldene Brücken gebaut?
Meine Damen und Herren, diese Verdachte machen die politische Arbeit unmöglich, und sie wollen wir beseitigen, und deswegen war das so unbefriedigend, was Sie, Herr Bundesinnenminister, uns heute hier zu der 'sachlichen Seite zu sagen hatten.
Das ist ein sehr seltsames Verhalten der auf Bundesebene zuständigen Organe.
Soll das bedeuten, daß man der Annahme sein darf, es habe irgendwo jemanden gegeben, der die Rolle des berühmten Zauberlehrlings noch einmal durchexerzieren wollte, jenes Zauberlehrlings, der eben die Geister, die er rief, nachher nicht mehr bannen konnte?
Wenn, in diesen Tagen die Erinnerungen des Herrn von Papen in der Presse und im Rundfunk eine Rolle spielen, dann möchte ich dazu eins sagen. Die Art und Weise, wie diese vermeintlich mit großer Intelligenz begabten Herrschaften 1932 und 1933 das Tor aufgestoßen haben für das Unheil,
das ist etwas, was uns so unruhig macht.
Ich glaube, daß man hier durchaus sagen kann: es gibt Auffassungen von Demokratie, die sich nicht mit Manipulationen zur Gewinnung von Gegenkräften vereinbaren lassen. Auf diesem Gebiet, meine ich, sollte also in jedem Fall darüber Einstimmigkeit herrschen, daß es keinen Versuch zum Totschweigen oder Abschwächen geben darf, und ich glaube, daß wir alle in dieser Beziehung dem Herrn hessischen Ministerpräsidenten zu Dank verpflichtet sind.
Die Tatsache, daß militärische amerikanische Stellen sich hier unmittelbar mit deutschen
Kräften vereint haben, sollte uns wirklich Grund zur Beunruhigung sein. Ich selbst erinnere mich zu genau der Situation in der Zeit vor und während der Befreiung, und ich weiß — ich verweise Sie dabei auf die Veröffentlichung von Hans Werner Richter „Die Geschlagenen" z. B. —, wie unter den Augen der amerikanischen Militärs die Lager-Gestapo in Nordamerika es fertiggebracht hat, antinationalsozialistische Deutsche physisch auszulöschen.
Wir wissen, daß auch das geschehen ist, ohne daß die politischen Behörden in Amerika davon Kenntnis hatten.
Wir wollen doch auf diese Dinge achten, und wir wollen deswegen sagen: hier in Deutschland sollten wir nicht versuchen, demokratische Kraft dadurch zu gewinnen, daß wir künstlich' etwas pflanzen und daß wir einer Vereinigung, die nach ihren eigenen Angaben zur Zeit 18 000 Mitglieder zählt — wie es der BDJ ist —, allein für eine Veranstaltung rund 20 000 DM zur Verfügung stellen.
Herr Bundesinnenminister, wir werden auf diese Dinge noch zu sprechen kommen, wenn wir Sie fragen: Was ist denn aus Ihren Fonds für andere wirklich wertvolle Jugendarbeit — und zwar aus diesem Fonds — zur Verfügung gestellt worden?
Ich möchte auch haben, daß das als eine Aufforderung betrachtet wird, hier in dieser Beziehung mehr zu tun.
Wenn man die Grundlagen nicht zerstören will, auf denen in Deutschland die Demokratie überhaupt nur gedeihen kann, dann muß man beachten, daß nicht mit Polizeiaktionen, aber auch nicht mit Propagandaaktionen der deutschen Jugend die Möglichkeit eröffnet werden kann, wirklich zu erkennen, um was es geht. Was wollen wir erreichen? Junge Kräfte sollen in Deutschland nicht als Instrument fremden Willens, sondern aus eigener Entschlußfreiheit und als selbstbewußte Staatsbürger mit anpacken, um unser öffentliches Leben zu gestalten.
Und nun wird gesagt: das ist etwas, was wir alle anstreben, und in dieser Weise sind nun auch von uns die entsprechenden Anstrengungen gemacht worden. Wenn ich aber von jungen Kräften spreche, dann meine ich nicht die 35- bis 50jährigen Oberstleutnante und Obersten und andere Offiziere, die in diesen Partisanenlehrgängen ausgebildet worden sind.
Die kann man nicht mehr mit dem Hinweis auf Karl May abtun, sondern hier gibt es wirklich ernste Hintergründe, und auf diese Altersstufen möchte ich noch einmal hingewiesen haben.
Ich meine, daß der junge Teil unserer Bevölkerung wirklich nicht den Eindruck bekommen darf, die in Bonn oder auch die in Wiesbaden und die Regierung, und was es sonst sein mag, das sind eigentlich nur Fassadenleute; im Hintergrund gibt es andere Kräfte, und es ist viel besser, sich nicht zu exponieren und sich in keiner Weise zu beteiligen.
Wenn dieses Gefühl Platz greift, dann haben wir jene Atmosphäre erreicht, in der die Tüchtigen in keinem Fall mehr nach vorne drängen im öffentlichen Leben, und damit haben Sie der Demokratie in Deutschland den Boden entzogen.
Ich weiß, daß hier die Frage nicht gestellt werden kann: Wer hat denn das gewollt? Aber wir wollen uns doch über eins dabei verständigen: wir dürfen keine zwielichtigen Organisationen und zwielichtige Vorgänge dulden. Wir müssen auf jede Art und Weise dazu beitragen, daß die Bereitschaft zur freimütigen Diskussion und zur Auseinandersetzung auch in der Öffentlichkeit nicht dadurch getrübt wird, daß mari immer in irgendeiner Weise mit Interventionen rechnen muß, die unkontrollierbar sind.
In dieser Richtung glaube ich die sogenannten Proskriptionslisten werten zu müssen. Glauben Sie nicht, daß diejenigen, die vielleicht auf diesen Listen stehen, sich nun besonders viel daraus machen. Ich glaube, ein großer Teil von ihnen hat andere Dinge durchgestanden als das, was man hier als unmittelbare Gefahr ansieht. Aber die Vorauswirkung des Terrors, die hier von diesen Listen ausgeht,
ist das Entscheidende und ist auch das, was man dabei in Rechnung stellen muß. Es gibt bereits zu viele Stellen hier in Westdeutschland, die unkontrollierbar sind, die aus unkontrollierbaren Fonds gespeist werden.
Dabei müssen wir aber eines bedenken. Wir können auf diese Weise mit der Organisation derartiger Kräfte auf keinen Fall einen Beitrag zur Überwindung des Totalitarismus erbringen. Das muß Ihnen ein für allemal vor Augen stehen.
Es bleibt dabei immer noch die Frage offen: welche Verbindung zum Osten mögen derartige Organisationen haben? Es ist sogar möglich, daß sie in Wirklichkeit vom Osten beeinflußt und gesteuert werden, ohne daß diejenigen Kontaktpersonen hier im Westen, die sie zu betreuen glauben, auch nur eine Ahnung haben, wie das hinter ihrem Rücken weitergeht.
Ich glaube, daß es deswegen durchaus denkbar und notwendig ist, daß man sich nicht auf die Loyalitätserklärungen einzelner führender Personen verläßt, die jetzt versuchen, diese Geschichte abzuschirmen.
Aber ich habe noch eine politische Bemerkung zu machen. Wir haben vor einiger Zeit einen wirklich einmütigen Appell des Bundestages an die Weltöffentlichkeit erlebt, in dem wir die Aufmerksamkeit auf die verhafteten Jugendlichen in der Ostzone richteten. Wir haben dabei den allergrößten Wert darauf gelegt, für uns selbst die Plattform zu haben, von der aus wir die Ansprüche stellen können und von der aus wir bitten und fordern können, daß die deutsche Jugend im Osten nicht in dieser Weise mißbraucht und geknechtet wird. Ich glaube, daß die Existenz von derartigen Organisationen, wie sie aufgedeckt worden sind, im Osten denjenigen, die dort die Unterdrücker sind, in der Propaganda die Scheingründe
und die Scheinberechtigung gibt, in irgendeiner Weise daraus Kapital zu schlagen.
Das ist der Schaden, der unmittelbar angerichtet wird. Aus diesem Grunde müssen wir darauf drängen, daß in offener Aussprache und in eingehender Untersuchung wirklich klargestellt wird, um was es ging und wer dabei auch die Kräfte waren, die im Hintergrund standen und vielleicht noch stehen.
Die Tatsache, daß hier die Dienststellen der amerikanischen Armee geglaubt haben, junge Deutsche als Instrument benutzen zu sollen, muß uns außerordentlich nachdenklich stimmen. In keinem Fall dürfen wir jedoch daraus den Schluß ziehen, damit seien Nachprüfungen in dieser Richtung wenig wert. Auf diesem Gebiet darf es auch nicht die geringste Unsicherheit geben.
Unsere Interpellation sollte Veranlassung sein, sowohl den Tatbestand in seiner Gesamtheit als auch das Verhalten der Bundesdienststellen in den verschiedenen Phasen eingehend zu erforschen. Nur wenn wir das tun, erfüllen wir unsere Pflicht als gewählte Vertreter der Bevölkerung, jener Bevölkerung, die schon zu sehr von allen möglichen Ängsten geplagt ist, als daß man Landsknechtsnaturen und verantwortungslosen Militärs gestatten könnte, mit ihrem Schicksal zu spielen.