Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder, der zuerst in der Zeitung von den hier besprochenen Dingen gelesen und der zugleich die Erinnerungsbilder an vergangene Geschehnisse und einstige bösartige Anfänge mit schrecklichen Folgen hat, hat aufgehorcht. Er hat mit einer gewissen Bestürzung all diese Vorgänge zur Kenntnis genommen, die da behauptet worden sind. Ich glaube nun allerdings nicht, daß man diese Vorkommnisse allein damit erledigt, daß man eine Fülle von Behauptungen aufstellt und sich darüber entrüstet. Sondern, wenn wirklich Gefahr im Verzug sein sollte, kann man ihr am eindrucksvollsten entgegentreten, indem man wirklich sachlich und gründlich in die Tatbestände hineingeht. Ich glaube, daß man der Sache — nämlich der Anprangerung und Ausmerzung von Erscheinungen, die bekämpfenswert und verwerflich sind — nicht damit am besten dient, daß man da aufbauscht und übertreibt, wo die Übertreibung offenbar durch die Beweise nicht oder noch nicht gerechtfertigt erscheint und echte Wertungen noch nicht gegeben sind.
Ich muß sagen, Herr Kollege Menzel: die Werturteile, die Sie gegeben haben, stehen in einem gewissen Mißverhältnis zu den Argumenten und Beweismitteln, die hier von Ihrer Seite vorgetragen worden sind.
— Darauf komme ich noch. — Sie haben z. B. von dem „größten Skandal seit 1945" gesprochen. Sie haben damit angefangen, dem Herrn Innenminister vorzuwerfen, daß er nicht schon längst den Bundestag unterrichtet hätte, während wir j a nun schließlich erwarten und verlangen können, daß, wenn schon ein Minister vor den Bundestag tritt, er so eingehend unterrichtet ist, daß er uns hier auch eine wirklich substantiierte Darstellung geben kann.
— Herr Menzel, ich weiß nicht, ob Sie die Vorgänge der Vergangenheit so genau im Gedächtnis haben und so unmittelbar erlebt haben.
Sie haben da auf die Ereignisse von 1933 hingewiesen und von den bürgerlichen Blättern erzählt,
die hätten damals mit einer gewissen Genugtuung
festgestellt oder sich zugewandt
der Inhaftierung von Sozialdemokraten.
Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern können, wie, nachdem die sozialdemokratische Presse in der Stufenfolge der Vernichtung der deutschen Presse zuerst unterdrückt war, immer wieder mit den Mitteln der Verschleierung, die überhaupt möglich waren, Hinweise zugunsten der Sozialdemokratischen Partei und sozialdemokratischer Vertreter in der bürgerlichen Presse immer noch durchsickern zu lassen versucht worden ist.
Also alle Ihre Ansichten treffen nicht zu, wie ich Sie auch darauf aufmerksam machen muß, daß die von Ihnen erwähnten Auslassungen des Herrn von Rohr nicht auf das Konto der FDP gehen; er ist lediglich Hospitant der FDP-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, aber nicht Mitglied der Partei.
Das sind vielleicht kleine Äußerlichkeiten. Sie zeigen aber, wie man sich davor hüten muß, die Darstellung mit einem riesigen Feuerwerk auszustatten, um von dein eigentlichen Sachverhalt und von dem gerechten Maß der Wertung oder Verdammung abzulenken.
Das Entscheidende ist, meine Damen und Herren, daß man eine bewaffnete Geheimorganisation errichtet hat und daß sie errichtet worden ist zunächst einmal von amerikanischen Dienststellen. Das ist nicht zu bestreiten; das steht fest. Dieser sogenannte Technische Dienst ist etwas, was wir mit aller Entschiedenheit und mit aller Deutlichkeit ablehnen. Die gleiche Haltung ist sowohl in den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers wie in den Ausführungen der beiden Bundesminister, die anschließend gesprochen haben, zum Ausdruck gekommen.
In dieser Hinsicht also ist resolute Klarheit.
Hier haben wir eine der üblen Folgen der Tatsache, daß wir uns immer noch im Zustand des Besatzungsverhältnisses befinden. Wenn wir solche Experimente und solche Torheiten von dilettantischen Wichtigtuern - etwas anderes ist es nämlich nicht gewesen —
verhindern wollen, dann ist zunächst einmal eine Politik notwendig, die uns aus den Bindungen unserer Abhängigkeit befreit. Die Bundesregierung hat diese Bindungen nicht erfunden; sondern wir haben sie als trauriges Erbe einer traurigen Vergangenheit am Anfang unseres Wirkens zunächst
einmal übernehmen müssen.
Weiterhin ist zu den Dingen natürlich sagen: Das, was da gemacht worden ist, ist deswegen von einer so vollendeten Torheit, weil man meint, man könnte mit demokratischen oder antikommunistischen Lippenbekenntnissen überhaupt eine Auswahl von Leuten bekommen, die man für die vorgestellten Zwecke nötig hat. Ich möchte hinzufügen: Bei der Unterwühlung mit Geheimorganisationen, die vom Osten hier bei uns hineingetrieben werden,
wird man sich auch der Gegenmittel bedienen müssen, um solchen gefährlichen Verseuchungen oder Gefährdungen unseres öffentlichen Lebens entgegenzuwirken.
Anders geht die Sicherung des Rechtsstaates doch beim besten Willen nicht.
Übrigens: wenn gerade Sie von der äußersten Linken sich so gegen diese Vorgänge aussprechen, — j a, wer hat denn all diese Dinge angereizt? Wer hat denn den Zustand des Kalten Krieges in der Welt herbeigeführt, daß wir nicht zur Ruhe kommen, daß all diese Wühlereien hin und her immer noch weitergehen und unser Leben so ungeheuer erschweren, ja so unerträglich machen? Das sind doch die Provokateure — die Provokateure, die die freie Welt immer wieder mit ihren tyrannischen Machtbestrebungen zu überfahren und zu überrennen versuchen!
Und das stößt dann auf die Gefühlswelt aufgeregter Seelen, die so ihre Mischung von Geltungsdrang, Abenteuerlust, Karl-May-Reminiszenzen usw. in solchen komischen Formationen abreagieren.
— Jawohl, das haben wir gehabt,
und deswegen wehre ich mich auch gegen ihre Wiederholung. Aber ich muß den politischen Rahmen kennzeichnen, aus dem solche Mißbildungen hervorgegangen sind. Ich muß mich gegen den Versuch wenden, die Bundesregierung für Institutionen und Abscheulichkeiten verantwortlich zu machen, die von ihr nicht veranlaßt worden sind, sondern denen sie von dem Augenblick an entgegenwirkt, seit dem sie die Dinge einigermaßen eindeutig erfassen kann.
Die Erfindung dieser Dinge ist doch nicht eine Angelegenheit des Bundeskabinetts, sondern der Verhältnisse, unter denen wir hier unsere Politik mühsam aus dem immer noch anfälligen Zustand der verwirrenden Gebundenheit hinaus entwickeln. Vielleicht wären wir weiter mit diesen Dingen, wenn wir die außenpolitische Linie des Bundeskabinetts mit einer etwas größeren Intensität und
einer wirksameren Geschlossenheit des deutschen Parlaments verfolgt und vertreten hätten.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, zu bagatellisieren. Ich sehe die Tragweite dieser Gebilde; aber ich muß, wenn ich sie bekämpfen will, den politischen Hintergrund, die atmosphärischen Bedingungen, unter denen so etwas entstehen konnte, zugleich erkennen. Zum zweiten muß ich von der Tatsache ausgehen, daß man, wenn man mit diesen Untergrundwucherungen zu tun hat, sie auch mit den Mitteln bekämpfen muß, die nun einmal allein die Möglichkeit geben, ihnen entgegenzutreten. Man kann Maulwürfe nicht mit Schwalben bekämpfen oder ihre Ausbreitung verhindern.
Aber der Bundesregierung möchte ich nun doch noch eine Bitte unterbreiten. Es ist eine solche Menge von Verdächtigungen ausgesprochen worden, es ist so viel Mißtrauen gesät worden, und es ist so viel an Anschuldigungen gesagt worden, daß eine sehr sorgfältige und entscheidende Untersuchung meinen Freunden und mir unbedingt erforderlich erscheint.
Diese streng durchzuführende Untersuchung darf vor keiner Person und vor keiner Stelle haltmachen.
Wenn sich irgendwie herausstellen sollte, daß
dummer Übereifer hier Zusammenhänge verursacht hat, die bis in die Bundesregierung oder
in irgendeine öffentliche Verwaltung hineinreichen, dann muß mit der Schroffheit, die in solchen Fällen notwendig ist, auch durchgegriffen werden.
Dabei bitte ich, sich nicht allein auf die strafrechtlichen Ermittlungen des Staatsanwalts zu beschränken. Hier geht es nicht allein um eine strafrechtliche Frage; hier geht es um etwas wie die politische Moral. Hier geht es darum, ob wir alle diese wichtigtuerischen Bündeleien und heimlichen Schmutzereien weiter wuchern lassen sollen oder ob wir ihnen den Garaus machen.
Es gibt notwendige Einrichtungen, die zur Staatssicherheit unerläßlich sind. Man muß Unterwühlung — ich habe es schon einmal gesagt — mit Mitteln bekämpfen, die wirksam sind. Aber dabei sollen diese Maßnahmen ausschließlich in der Hand der zuständigen Organe des Staates bleiben.
Nun noch etwas zu den sogenannten Proskriptionslisten. Ich weiß nicht, ob da, sagen wir einmal, das Mißtrauen verleitet, etwas mehr erkennen zu wollen, als in den Dingen steckt. Jedenfalls wissen wir nun, daß es sich zunächst einmal um ein Aktenstück mit einem teilweise offenbar sehr komischen Inhalt handelt. Ich habe mir bisher unter den Proskriptionslisten etwas anderes vorgestellt als das, was heute hier zutage getreten ist. Ich will das. nicht gering schätzen. Im übrigen ist das auch eine Sache, die den Stil unseres politischen Zusammenlebens angeht. Meine Damen und Herren, dieses Anlegen von Schnüffellisten, von Schnüffelmaterial ist allmählich üblich geworden.
— Ich brauche das nicht nur zur Regierungsbank zu sagen, sondern, Herr Mellies, es soll auch politische Parteien geben, .
die sich über ihre politischen Gegner Dossiers anlegen, um damit im gegebenen Augenblick bestimmte, für sie vielleicht unangenehme Theaterstücke inszenieren zu können.
Also, wie gesagt, ich mag diese ganzen Dinge nicht. Ich bin nun einmal nicht für eine Schwarzweißmalerei, die immer nur das Licht auf der einen Seite und das Dunkle und das Unzulängliche auf der anderen Seite sucht.
Sehr ernst scheint mir zu sein, was der Herr hessische Ministerpräsident ausgeführt und angedeutet hat über offenbare Versuche einzelner amerikanischer Organe zur Verdunklung der Ermittlungen. Das ist etwas, was äußerst betroffen macht. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, daß solche Vorkommnisse geeignet sind, ein Mißtrauen zu säen, das politische Schwierigkeiten verursacht, die schwer überwindlich sind. Ich möchte den amerikanischen Politikern und den verantwortlichen Stellen der amerikanischen Vertretung in Bonn und Umgebung das mit allem Ernst zu bedenken geben. Was hier geschieht oder geschehen ist, bringt diejenigen, die an die Freundschaft und die Solidarität der freien Welt glauben, in die Gefahr, gegenüber der Öffentlichkeit geradezu zweifelhafte Erscheinungen zu werden.
Hier ist eine sehr entschiedene und ernste Umkehr notwendig. Diese Kriegspielereien, verständlich geworden durch die Situation — ich habe das eben ausgeführt —, diese Spielereien mit Geheimbünden, mit illegalen Formationen mögen den einzelnen, die sie betreiben, interessant vorkommen. Sie haben praktisch politisch, ja nicht einmal militärisch den geringsten Wert. Sie sind lediglich geeignet, die politische Atmosphäre zu vergiften. Daran sollte man denken; und ich möchte deswegen der Erwartung Ausdruck geben, daß es gelingt, dies ganze Geschwür im entschiedenen und entschlossenen Zusammenwirken der Bundesregierung mit den Dienststellen der Besatzungsmächte, die hier in Frage kommen, so auszuheilen, daß wir bald vor einer bereinigten und gesicherten Atmosphäre des demokratischen Lebens stehen.