Rede von
Dr.
Viktoria
Steinbiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn wir den Antrag von der Deutschen Partei lesen, fragen wir uns vielleicht: Warum sollen wir ein Gesetz machen? Zur sachlichen Begründung hierzu möchte ich folgendes sagen. Die Verordnung zur Ordnung in der Krankenpflege vom Jahre 1938 ist so mit nationalsozialistischem Gedankengut durchsetzt, daß wir sie heute nicht mehr gebrauchen können. Mit ihrer Ablehnung jedoch kommen wir auf die Reichsgewerbeordnung zurück, da in der Präambel der Verordnung von 1938 der Satz fehlt, daß mit diesem Gesetz grundsätzlich die Heilberufe aus der Reichsgewerbeordnung herausgenommen sind, die Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen jedoch nach Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes erloschen ist. Es bleibt also nur übrig, ein Gesetz zu machen.
Was erwarten wir von dem Gesetz? Oder vielleicht fragen wir besser: Was erhoffen wir von diesem Gesetz? Das Gesetz soll, wie vorgetragen worden ist, eine neue Ordnung der Krankenpflege aufstellen. Sofort sehen wir wohl in unseren Gedanken die Krankenschwestern im Krankenhaus von Tür zu Tür huschen, um den Kranken Linderung zu bringen. Vielleicht ist hier der Ort, einmal allen Schwestern in den Krankenhäusern, nicht in meinem Namen, auch nicht nur im Namen meiner politischen Freunde, sondern im Namen des ganzen Bundestags unseren herzlichen Dank zu sagen für ihre unermüdliche Hilfe und Barmherzigkeit, für den Einsatz ihrer ganzen Kraft und für ihre volle Hingabe.
Das Gesetz soll zuerst die Ausbildungszeit, die Arbeitszeit und das Entgelt der Schwestern in den Krankenhäusern regeln. Alle befragten Organisationen haben fast Bleichlautende Bedingungen aufgestellt, die an sich erfüllbar erscheinen. Wir hören z. B. von einer 60-Stunden-Woche. Wenn wir wissen, daß bei der Röntgenassistentin erklärt worden ist. sie dürfe aus Gesundheitsgründen nicht länger als 42 Stunden in der Woche arbeiten, und von der kommunalen Behörde sofort die entsprechenden Kräfte neu eingestellt wurden, dann erscheint es wohl begreiflich, daß wir für die Schwestern auf die 60-Stunden-Woche drängen müssen. Natürlich ist es unmöglich. in den Krankenhäusern mit dem 8-Stundentag auszukommen: denn Angst, Schmerzen und Tod lassen sich nicht auf eine Zeit festlegen. Es wird dann auch über die Freizeit zu sprechen sein. Auch die räumliche Unterbringung für die Schwestern muß geregelt werden.
Bei der Entlohnung ist einmal zu berücksichtigen, daß viele Väter ihre Kinder aus geldlichen Rücksichten von diesem Beruf fernhalten. So habe
ich es erlebt, daß einmal 20 junge Mädchen für diesen Beruf willig waren und sich fest entschlossen hatten. Dann haben aber 18 Väter die Zustimmung ihrer Kinder zurückgezogen, weil sie nicht damit einverstanden waren, daß diese jungen Mädchen nicht gleich Geld verdienten. Nach zweimaliger Geldentwertung ist es auch verständlich, wenn eine Schwester sich darüber bedrückt fühlt, daß sie nicht imstande ist, in Not geratene Angehörige zu unterhalten.
Aber wir fragen uns: Sind es wirklich diese Gründe allein, die den Schwesternmangel hervorgerufen haben? Die strengen Regeln der verschiedenen konfessionellen Schwesternverbände mit den Formen und Ordnungen, die sich durchaus bewährt haben, sind nach Ansicht der Berufsberaterinnen und der Oberinnen kein so starkes Hindernis zum Eintritt, wie oftmals gesagt wird, zumal sich diese Verbände den durch die neue Zeit gegebenen Fragen keineswegs verschließen. Sie geben einsamen Frauen unserer Kriegsgeneration wiederum Halt und Heimatgefühl in einer fest-gefügten Gemeinschaft und wecken das Bewußtsein des eigenen Wertes in der verantwortlichen Mitarbeit im Kreise Gleichberechtigter. Dazu kommt, was gar nicht hoch genug anzuschlagen ist, die Aussicht auf selbständige und leitende Stellungen im vorgerückten Alter in Häusern, Stationen, speziellen Abteilungen und ähnlichem, mit stets gedecktem Tisch und nie drohender Erwerbslosigkeit und mit gesicherter Altersversorgung.
Doch die Erfahrungen in anderen gut zahlenden Ländern zeigen, daß die wirtschaftlichen Gründe keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Sehen wir nach England, nach Amerika oder sogar nach Schweden — dem Mustersozialland mit seinen raffiniert schönen und zweckmäßigen Krankenhausneubauten und seiner monatlichen Vergütung mit 350 bis 500 Kronen —, so finden wir, daß in allen diesen Ländern ganze Stockwerke, ja ganze Krankenhäuser unbenutzt dastehen, nur weil es an Pflegerinnen gebricht. Es hilft auch wenig, wenn man sagt, hier fehlt es nicht an Schülerinnen, sondern an vollausgebildeten Schwestern. Diese Länder haben keinen Frauenüberschuß, und so heiraten hier die Frauen, bevor sie in den vollen Schwesternberuf eintreten. Doch das trifft den Kern der Sache nicht. Frau Kalinke hat schon erwähnt, daß alle diese Länder nach deutschen Schwestern rufen.
Nein, neben den wichtigen und unbedingt zu lösenden materiellen Gründen sind es andere. Hier kann uns das zu erstellende Gesetz doch noch etwas helfen. Mehr als 90 % aller jungen Mädchen verlassen mit 14 Jahren die Schule und wenden sich irgendeinem Beruf zu. Wenn das junge Mädchen das 18. Lebensjahr erreicht hat und sich dann zum Schwesternberuf melden könnte, ist es meist schon fest in seinem Beruf verankert oder möchte die materiellen Vorteile nicht mehr missen. Es gehört dann schon eine innere Berufung dazu, den entsagungsvollen Beruf einer Schwester noch auf sich zu nehmen; was allerdings gar nicht so selten der Fall ist. Die Regierung sollte prüfen, ob hier nicht durch Mittel der öffentlichen Hand — ich denke an den Bundesjugendplan — junge Mädchen in Häusern nahe dem Krankenhaus — aber nicht in diesem, sonst würden die jungen Menschen weltfremd werden — untergebracht und mit hauswirtschaftlichen, mit gärtnerischen und sonstigen Arbeiten beschäftigt werden können — neben theoretischem Unterricht —, die zum Krankenhaus gehören und die heute vielfach von Krankenschwestern verlangt werden. Das kostet natürlich einiges Geld, aber es sollte uns ,die Sache wert sein, zudem diese Ausbildung die jungen Menschen gut für die Ehe vorbereitet und auch sonst eine gute Grundlage für ihr zukünftiges Leben bildet, wenn sie am Schluß der Ausbildung den Schwesternberuf doch nicht ergreifen möchten.
Die letzten Ursachen für den Mangel an Schwestern, an Pflegerinnen, liegen tiefer. Sie sind ein Zeichen der Kultur- und Menschenkrise, in der wir stehen, die zu beheben Menschenkraft allein nicht ausreicht. Eins aber können und wollen wir: wir können ein gutes Gesetz schaffen, das viele Steine des Anstoßes beseitigt. So bitte ich das Hohe Haus. dem Antrag zuzustimmen.