Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung wird eine umfassende Neuordnung des anwaltschaftlichen Berufsrechts versucht. Die Bundesrechtsanwalts) ordnung wird die erste Kodifikation für einen freischaffenden Beruf sein, die der Bundesgesetzgeber schafft. Sie wird deshalb über die unmittelbare Bedeutung hinaus, die ihr für mehr als 14 000 deutsche Anwälte zukommt, von Einfluß auf die Gestaltung der Ordnungen sein, die in absehbarer Zeit für andere freie Berufe geschaffen werden müssen.
Es war für die deutsche Anwaltschaft immer ein Stolz, daß sie seit dem 1. Oktober 1879, dem Tage des Inkrafttretens der Rechtsanwaltsordnung von 1878, eine einheitliche Verfassung hatte. Nach dieser Rechtsanwaltsordnung hat die Anwaltschaft 50 Jahre gelebt und ist in ihrer Geltung zu einem einheitlichen, freien — ich glaube, man kann auch sagen — hochwertigen Berufsstand geworden, der im Dienste des Rechts und der Rechtspflege Großes geleistet hat.
Dieser Freiheit des Anwaltstandes hat der Nationalsozialismus ein Ende gesetzt. Er hat die Zulassung zur Anwaltschaft in das freie Ermessen der Bürokratie gestellt und so die Handhabe geschaffen, politisch nicht genehme Bewerber vom Anwaltsberuf auszuschließen. Die innere Organisation der Anwaltschaft ist autoritär gestaltet worden.
Nach 1945 gab es eine sehr mannigfache Rechtsentwicklung in den einzelnen Ländern. Es ist immerhin eine erhebliche Zersplitterung, besonders in der Regelung des Zulassungsverfahrens, auch in der Organisation der Anwaltschaft, eingetreten. Es ist ein dringendes Gebot, die Rechtsungleichheit, die ja nicht nur zur Rechtsunsicherheit geführt hat, sondern nach meiner Meinung auch das einheitliche Standesbewußtsein beeinträchtigt und die Einheit der Anwaltschaft verletzt, zu beseitigen und die
Rechtsgleichheit wiederherzustellen. Dabei ist es nach meiner Meinung nicht möglich, ohne weiteres an die Rechtsgrundsätze der Rechtsanwaltsordnung von 1878 wieder anzuknüpfen. Man kann die wesentlichen Grundsätze dieser Rechtsanwaltsordnung wohl übernehmen, man muß aber die inzwischen eingetretenen verfassungsrechtlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen berücksichtigen und viele Mängel und Lücken, die sich herausgestellt haben, beseitigen.
Ich will mich darauf beschränken, die Grundsätze des Entwurfs der Bundesrechtsanwaltsordnung herauszustellen. Der Entwurf beruht vor allem erstens auf dem Grundsatz der freien Advokatur. Das heißt, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hängt nicht von irgendeiner Ermessensentscheidung, sei es einer amtlichen Stelle, sei es der Rechtsanwaltskammer, ab. Das Prinzip der freien Advokatur entspricht der Anwendung des Grundrechtes der freien Berufswahl auf dem Gebiete des Anwaltsrechts, das keine andere Schranke kennt als die, daß jemand eine Gefährdung der Rechtspflege und der Rechtsuchenden bedeuten würde und deswegen nicht als Anwalt zugelassen werden kann. Der Grundsatz der freien Advokatur erfordert die Abkehr von irgendeinem Ausleseprinzip, wie es in der Zeit von 1933 bis 1945 geherrscht hat, bedeutet aber auch die Aufgabe jedes numerus clausus und jeder Beschränkung in der Zulassung zur Anwaltschaft aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Das ist ein heikles Problem. Wegen der Überfüllung und der Schwierigkeiten des Anwaltstandes ist immer wieder die Forderung erhoben worden, dem freien Zutritt zur Anwaltschaft zu beseitigen. Mein Entwurf hat sich zur freien Advokatur bekannt, nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen den numerus clausus bestehen würden, nicht nur wegen der großen Härten, die mit einer Drosselung des Zugangs zum Anwaltstand verbunden wären, sondern auch deswegen, weil ich eine zunftmäßige Abschließung des Anwaltstandes für diesen Stand für nachteilig und mit dem Wesen des freien Anwalts für unvereinbar halten würde. Der Anwalt soll der Hüter der rechtlichen Freiheit sein und muß bezüglich der Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs das Prinzip der Freiheit anerkennen.
Mit dem Grundsatz der freien Advokatur hängt zweitens der Grundsatz der Freizügigkeit der Rechtsanwaltschaft eng zusammen. Sie war in dem alten Entwurf von 1878 noch nicht vorgesehen. Es bestanden erhebliche Schwierigkeiten, vor allem Unterschiede im Ausbildungs- und Prüfungswesen der Länder. Nunmehr soll es nicht mehr möglich sein, daß ein deutsches Land einem Bewerber um die Anwaltschaft die Zulassung deswegen versagt, weil dieser Bewerber in einem anderen Lande geboren ist und in einem anderen Lande seine Prüfung abgelegt hat.
Dritter Grundsatz: Der Entwurf hält an dem Prinzip der Lokalisierung der Rechtsanwaltschaft fest, wonach jeder Rechtsanwalt bei einem bestimmten Gericht zugelassen sein und am Sitze dieses Gerichts seinen Wohnsitz und seine Kanzlei haben muß. Diese Frage ist umstritten. Ich meine aber, daß das Erfordernis der Lokalisierung eng mit dem Prinzip des Kollegialgerichts zusammenhängt und daß eine erhebliche Gefährdung des Standes eintreten würde, wenn man darauf verzichtete, besonders die Gefahr, daß die Anwaltschaft sich in den Großstädten zusammenballt, daß
sich große Anwaltsbüros bilden, die die Mehrzahl der Prozesse an sich ziehen.
Der Entwurf hat, um jede Starrheit zu vermeiden und um Härten, die sich bei der heutigen Wohnungsnot immer noch ergeben können, die Möglichkeit von Ausnahmen von der Residenzpflicht vorgesehen. Auch der Wechsel der Zulassung bei einem Gericht, insbesondere über die Ländergrenzen hinaus, wird erleichtert. Wir haben insbesondere eine Bestallung des Anwalts eingeführt; das ist die Zulassung zur Anwaltschaft an sich, zu der noch die Zulassung bei einem bestimmten Gericht treten muß.
Mit der Frage der Zulassung hängt das Problem des Anwärterdienstes zusammen. Der Entwurf schlägt einen Anwärterdienst von einem Jahre vor, und zwar nicht aus dem Grunde, um den Bewerber von dem Stand abzuschrecken, sondern um ihm die spezifische Vorbereitung für den Anwaltsberuf zu geben, der einer der gefährlichsten Berufe ist. Aber auch hier soll, um Härten beseitigen zu können, die Möglichkeit der Abkürzung des Anwärterdienstes oder sogar eines Erlasses gegeben werden.
Nun komme ich zu dem heiklen Punkt des Entwurfs, der mir — das weiß ich — die Kritik mancher Herren des Hauses eintragen wird; das ist die Frage der Selbstverwaltung der Anwaltschaft. Die Rechtsanwälte sind wie früher in Rechtsanwaltskammern zusammengeschlossen, die in den Ländern gebildet werden. Diese Rechtsanwaltskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und unterstehen als solche einer Staatsaufsicht durch die Landesjustizverwaltungen, aber mit starker Einschränkung. Der Entwurf gibt diese Aufsicht den Landesjustizverwaltungen nur insoweit, als die Organe der Kammern Gesetz und Satzung beachten müssen, also insbesondere dahin, daß die Rechtsanwaltskammern die ihnen durch das Gesetz übertragenen Aufgaben erfüllen. Darüber hinaus verwalten sich weit über die Rechtsanwaltsordnung von 1878 hinaus die Rechtsanwaltskammern selbst. Sie nehmen die ihnen als Organen der Rechtspflege eingeräumten Rechte selbständig wahr. Ich nehme für mich in Anspruch, daß mein Entwurf die Selbständigkeit der Anwaltskammern und damit das Selbstverwaltungsrecht der Anwaltschaft verstärkt hat. Zu den wichtigsten Aufgaben der Rechtsanwaltschaft gehört die Handhabung der Aufsicht in der Ehrengerichtsbarkeit, welcher die einzelnen Rechtsanwälte unterliegen.
Nun kommen die neuralgischen Punkte. Ich möchte ein Wort vorausschicken, um den rechten Ton zu finden. Ich habe hier eine etwas bange Vorstellung, daß sich im Rechtsausschuß eine Gemeinschaft der Rechtsanwälte bildet, die dann in mir den Feind, den Vertreter der staatlichen Interessen sieht, der sich anmaßt, in Rechte der Anwaltschaft einzugreifen. Deshalb möchte ich ein Bekenntnis ablegen. Ich war fast 25 Jahre Anwalt, und ich glaube, es gibt viele Augenblicke in der politischen Tätigkeit, in der ich heiße Sehnsucht danach habe, bald wieder einmal Anwalt des Rechts sein zu können. Ich habe gar keinen Anlaß, irgendwelche Rechte der Anwaltschaft zu kürzen. Die neuralgischen Punkte sind die Fragen, wie die Zulassung des Anwalts und seine Bestallung als Anwalt geordnet wird, welche Rechte der Staat hat und welche Rechte insoweit die Rechtsanwaltskammer hat und wie der Ausschluß des Anwalts aus der Anwaltschaft geordnet wird, wem das Recht auf Ausschließung des Anwalts zusteht. Die
Rechtsanwaltskammer wird nach meinem Entwurf bei der Zulassung von Bewerbern zur Rechtsanwaltschaft gutachtlich gehört; aber die Entscheidung liegt beim Staat. Ich bin der Meinung, daß Sie an dieser Konsequenz nicht vorbeikommen können. Die Frage, ob jemand einem Stand angehört, ob er zugelassen wird oder ob er aus diesem Stand, dem Anwaltstand, der ja besonders qualifiziert ist, ausgeschlossen wird, ist nicht eine Sache der Selbstverwaltung und kann es nicht sein, sondern ist eine Sache des Staates. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zieht ja nach unserer Ordnung erst die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer nach sich. Die Mitgliedschaft bei der Rechtsanwaltskammer ist eine Folge der nach meinem Willen vom Staate erklärten Zulassung; umgekehrt das französische Prinzip, nach dem die Aufnahme in die Gemeinschaft der Anwälte, in das „barreau", erst die Möglichkeit des Auftretens vor Gericht,, also der anwaltschaftlichen Berufstätigkeit, bietet. Ich bin also der Meinung, der Staat muß sich diese entscheidende Funktion auf dem Gebiete des Anwaltsrechts vorbehalten; andernfalls würden die Organisationen des Anwaltstandes den Charakter einer selbständigen Verwaltung außerhalb des Staatsgefüges erhalten, sie wären keine Selbstverwaltungskörper mehr. Alles, was die Anwaltschaft und was die Anwälte berührt — ihr inneres Leben —, ist Sache der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltskammern. Aber die Voraussetzungen der Zulassung und die Voraussetzungen der Ausschließung müssen vom Staate entschieden werden. Die einzelnen Gründe habe ich in meiner schriftlichen Begründung dargelegt. Gestatten Sie mir, daß ich darauf verweise. Die Folge davon ist also, daß die Landesjustizverwaltung über die Bestallung des Anwalts entscheidet und daß die Rechtsanwaltskammer lediglich gutachtlich gehört wird.
Zu einer anderen Frage: Wer kann ausschließen? Das kann nicht im Rahmen der Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwaltskammer geschehen, sondern muß durch ein ordentliches Gericht erfolgen. Wir haben dafür Senate der Oberlandesgerichte und im Beschwerdeverfahren Senate des Bundesgerichtshofs vorgesehen, zu denen jeweils zwei Anwälte als gleichberechtigte Richter beigezogen werden.
Ich will mich auf diese wesentlichen Punkte beschränken; wir werden im Ausschuß die Fragen intensiv behandeln müssen.
Mein Wunsch ist es, dieses bedeutsame Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu Ende zu bringen. Ich glaube, für meinen Entwurf mit Recht in Anspruch nehmen zu können, daß er die äußeren Voraussetzungen dafür schafft, daß die Rechtsanwälte die große Aufgabe erfüllen können, die unabhängigen Berater und Vertreter des Volkes in allen Rechtsangelegenheiten zu sein, dem einzelnen, dem Staatsbürger zu seinem Recht zu verhelfen und darüber hinaus dem Recht zu dienen.