Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinem Schlußwort habe ich mich fast ausschließlich mit dem langen Vor-
trag des Herrn Bundesjustizministers auseinanderzusetzen. Wegen der Zeit und weil ich bei weitem nicht etwa die Länge seiner Rede wiederholen möchte, darf ich auf die übrigen Reden mit einer ganz kurzen Bemerkung zurückkommen.
Ich habe den Herren Kollegen Dr. Weber und Dr. Schneider für ihre Ausführungen zu danken, die der heutigen Sachlage im Bundestag in jeder Weise gerecht geworden sind.
Was Frau M e y e r- L a u l e anlangt, so ist mir ihr Mitleids- und Versöhnungsglaube menschlich außerordentlich sympathisch; ich wollte aber, daß ihre Partei, wenn es sich um die Beurteilung von Verdiensten oder Nichtverdiensten solcher Personen, die früher der NSDAP angehörten und längst entlastet sind, handelt, diesem Versöhnungs- und Mitleidsgedanken ebenfalls ein wenig Rechnung trüge.
Jedenfalls scheint mir dies eine durchaus einschlägige Bemerkung zu dem Mitleidsethos,
das sie hier verbreitet hat, zu sein.
Was die Berufung des Bundestags anlangt, so bin ich mit ihr darüber einig, daß dieser nicht mehr über die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen kann und beschließen wird, daß wohl aber die Möglichkeit bestünde und es durchaus denkbar wäre, wenn die Grundsatzmeinung durch alle Fraktionen, auch durch die SPD-Fraktion hindurch verschieden lauten sollte, daß man sich auf Grund einer sachlichen Vorarbeit aus praktischen Gründen für die Aufhebung des Art. 102 entschlösse, um dem Gesetzgeber den Weg freizugeben.
Was die Ausführungen des Herrn Kollegen Wagner anlangt, so weiß ich nicht, ob er dem Herrn Justizminister Dr. Dehler damit einen großen Dienst erwiesen hat, daß er gefordert hat, daß seine Rede zur höheren Ehre der SPD in 100 000 Exemplaren verbreitet würde. Ich erinnere mich des sehr unerfreulichen Ausspruchs seines Fraktionskollegen Dr. Arndt, daß es jedesmal eine Katastrophe sei, wenn Herr Dr. Dehler hier auftrete.
Ich halte diesen Ausdruck für vollkommen falsch. Aber es ist sonderbar, daß diese „Katastrophe" heute in 100 000 Exemplaren verbreitet werden soll.
Eine von beiden Ansichten muß ja wohl berichtigt werden!
Nun aber zu Herrn Dr. Dehlers Ausführungen! Sie hatten zwei Teile. Im ersten Teil sprach er als Bundesjustizminister zu dem Problem, das uns heute beschäftigt, und brachte eine Fülle von Material, zum Teil sehr hörenswertem, zum Teil — da es in Zahlen bestand — gar nicht auffaßbaren Charakters bei. Der zweite Teil aber war eine Rede, die der Politiker und Evolutionist Dehler hielt in dem Bestreben, hier mit weiß Gott welchen Argumenten alles und jedes ins Feld zu führen,
das nach seiner Meinung gegen die Todesstrafe spricht.
-- Das ist mir gar nicht unangenehm, sondern ich bin überzeugt, daß im Hause viele schwankende Gemüter durch diese kasuistischen und von des Gedankens Blässe angekränkelten Ausführungen in ihrer Entscheidung gegen die Todesstrafe wankend geworden sind.
— Ich bin durchaus nicht unbelehrbar, beruhigen Sie sich.
Nun noch ein Wort zu der Rede von Herrn Wagner ehe ich auf die sachlichen Ausführungen von Dr. Dehler selber eingehe. Er hat hier erklärt, daß Herr Dr. Seebohm, als er im Parlamentarischen Rat für die Abschaffung der Todesstrafe eingetreten sei, dies für irgendwelche politischen Zwecke getan habe und daß er seinen Sinn gewandelt habe. Ich möchte betonen: Herr Dr. Seebohm hat seinen Sinn ebensowenig gewandelt wie mein Parteifreund Dr. von Merkatz, der am 27. März 1950 hier im Hause sehr starke Argumente gegen die Todesstrafe angeführt hat und heute genau so wie damals zu diesen Argumenten steht. Denn wir haben keinen Fraktionszwang, meine Herren von der SPD!
Es ist vielmehr so, daß unsere Partei in ihren politischen Programmsätzen
— ich bitte, mich ausreden zu lassen — zur Todesstrafe keine Stellung bezogen hat, daß aber aus unseren Mitgliederkreisen im Laufe der letzten zwei Jahre der empörte Laut wach geworden ist: wie ist es möglich, daß solche Dinge in Deutschland geschehen können, ohne dem Gesichtspunkt unseres nun einmal seit 1870 überkommenen Strafrechts Rechnung zu tragen?
Nun zu Herrn Dr. Dehler in seinen Einzeldarlegungen! Er hat erklärt, daß ich mich im Rechtshistorischen insofern geirrt habe, als einige Parlamente — u. a. habe ich Uruguay verstanden
— in ihrer Verfassung die Todesstrafe abgeschafft hätten. Ich habe demgegenüber ausgeführt, daß das fast ausnahmslos in allen abendländischen Kulturstaaten der Fall sei. Ich weiß, daß es in Österreich in der Verfassung steht. Was die Schweiz anlangt, so hat sie die Todesstrafe nur abgeschafft für die Urteile, die der höchste Gerichtshof in allgemeinen Schweizer Sachen spricht, also Landesverrat, Hochverrat. Dagegen haben die Kantone durchaus verschiedenes Recht., die einen so, die andern so, wie Herr Dr. Dehler selber hier ausgeführt hat.
Dann kommt das zweite. Ihm ist ein wahrhaft entzückender Lapsus passiert, um den ich ihn geradezu lieben könnte; ich hoffe, er hat ihn im Stenogramm nicht verbessert. Er hat von der „parlamentarischen Aristokratie" gesprochen, ein Wort, das mir sehr sympathisch in den Ohren klingt. Er meinte allerdings „parlamentarische Demokratie". Er hat von der Vertreterschaft gesprochen und hat erklärt, daß er es verächtlich fände, wenn sich hier Abgeordnete auf das Niveau ihrer Wähler herabbegäben.
- Das hat er hier wörtlich erklärt.
— Jawohl, er hat wörtlich gesagt, das Niveau des Abgeordneten habe höher zu sein als das seiner Wähler. Er hat uns zum Vorwurf gemacht, daß wir die Höhe des Niveaus nicht hielten. Ich muß diesen Vorwurf zunächst für meine Person mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Wenn ich hier für die Todesstrafe mit sehr nachdenklichen und sehr skeptischen Worten, wie Sie gehört haben werden, eintrete, so muß ich mir auf das entschiedenste persönlich verbitten, daß ich damit der Straße das Wort rede.
Aber noch eins. Wenn Sie der Meinung sind, daß wir Abgeordneten hier auf Grund eigener Kenntnisse und eigener Verständnisse unsere Entscheidungen treffen sollen, so bitte ich Sie doch, bei Ihren sozialpolitischen Versorgungsstaatanträgen auch einmal daran zu denken und nicht immer j a zu sagen, wenn die Straße das fordert. Ich glaube, das gilt wohl für alle Dinge, nicht nur für die Todesstrafe.
Dann hat er die Talion, das Vergeltungsrecht, behandelt. — Das mögen Sie nicht sehr gerne hören, das weiß ich.
— Dann bitte ich Sie, mich anzuhören. Hören Sie gut zu, wenn Sie es gerne hören wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Talion ist die Theorie der Vergeltung des Gleichen mit Gleichem! Es ist richtig, wir haben Strafen, die sind nicht in dem Sinne Talion, sondern sie fügen ein anderes Übel zu, weil wir in der Regel mit gleichen Übeln gar nicht strafen können. Für jeden, der überhaupt nachdenkt, kommt doch die Todesstrafe nur noch gegen den in Betracht, der Menschenleben vernichtet oder mit Menschenleben gespielt hat. Ich gebe zu, daß dieser Punkt Bezirke berührt, die über dem Verstande liegen, Bezirke der Metaphysik und Religion, in denen aber nach meiner Meinung die Talion vollständige Gewalt haben könnte.
— Machen Sie doch meine Sprache nicht nach! Ich finde das etwas kindisch. Die Dinge sind ernst genug. Ich meine, eine solche flache Bemerkung, daß man den Mörder deshalb nicht hinrichten dürfe, weil man ja auch nicht den Dieb dadurch bestraft, daß man ihn wiederbestiehlt, ist überhaupt kein Argument, das unter ernsten Menschen in Betracht zu ziehen ist. Es handelt sich doch bei der Todesstrafe um Verbrecher, die man im juristischen Sprachgebrauch .,Kapitalverbrecher"
nennt, um Hauptvergehen also, wie es sich in diesem Wort ausdrückt.
Dann hat er zu meinem Schrecken und Entsetzen die „Umwelt" angeführt, die berühmte defaitistische Strafrechtstheorie, nach der, weiß Gott, der Ermordete schuld sein soll, weil der Mörder als Kind seiner Umwelt gar nichts dafür könne. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns hier im ganzen Hause nicht auf den Standpunkt der Willensfreiheit im Strafrecht, auf
den Standpunkt des Indeterminismus stellen, wenn wir nicht unabhängig von irgendwelchen philosophischen Erkenntnistheorien sind, dann dürfen wir niemand bestrafen. Ein solches Argument gegen die Todesstrafe ist ein Argument gegen jedes Strafrecht.
Wer sich nicht auf die Kantsche praktische Vernunft beschränkt, sondern in den Höhen der Metaphysik nach der Willensfreiheit forscht, der muß es aufgeben, Justizminister zu sein und überhaupt von Strafe zu reden.
Nun zur Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Todesstrafe; das wäre also die Praxis des Justizrechts.
— Ich habe Sie nicht verstanden, und so 'brauche ich Gott sei Dank auf Ihre Torheit nicht einzugehen.
— Ach, das ist ja wieder Herr Dr. Greve. Natürlich, vielen Dank, Herr Dr. Greve; ich kenne es ja nicht anders von Ihnen.
Zur Notwendigkeit und Nützlichkeit der Todesstrafe: Herr Dr. Dehler hat uns hier mit einer Fülle von statistischen Zahlen überfallen, die jeder in der einschlägigen Literatur nachlesen kann. Ich habe sie nachgelesen und bin durch sie nicht zu überzeugen. Auch dazu noch einmal ein Wort. Die Statistik kann immer nur feststellen, was unter bestimmten gegebenen Umständen geschehen ist. Was geschehen wäre, wenn andere Umstände vorgelegen hätten, darüber schweigt die Statistik sich völlig aus.
Der Vergleich mit den Kantonen aus der Schweiz oder einsamen Berggegenden gewisser Staaten Amerikas mit anderen Staatsgebilden, wie z. B. New York, wo sicher die Todesstrafe noch gilt, hat so viele Hinkefüße, daß es so viele Prothesen gar nicht gibt, diesen Vergleich zum Stehen zu bringen. Alle diese Vergleiche sind nur Sand in den Augen der klaren Einsicht. Diese Dinge überzeugen niemanden. Was in Betracht kommt, ist allein, daß man die praktischen Fälle der Morde, seien es Massenmorde, Einzelmorde, Lustmorde oder Raubmorde, untersucht. Und da sage ich Ihnen: Ich kann die Staatsanwälte nicht zählen, die mitteilen, daß ihnen die Täter selbst gestanden haben, sie hätten ihre Tat nicht begangen, wenn die Todesstrafe bestanden hätte.
Ich kann Ihnen weiter sagen: Der Ausspruch des Mörders in Lübeck, der selbst die Todesstrafe forderte, sei kein Beweis für die Wirksamkeit der Abschreckung gewesen — ist natürlich vollkommen sinnlos. Wenn er n a c h der Tat als Mörder seinen Tod fordert, dann ist das ein Zeichen dafür, daß er noch einen guten Kern in sich hat und von der Vergeltungstheorie, die er nicht kennt, offenbar ergriffen ist. Was er aber als Nichtmörder vor der Tat getan hätte, wenn er selbst nach der Tat die Vergeltung fordert, das ist zwar düster, das wissen wir nicht. Ich behaupte aber, diese Forderung nach der Tat ist ein Zeichen dafür, daß er sich niemals in die Lage hätte hineinziehen lassen,
zu morden, um dann seinen eigenen Tod zu fordern. Dann konnte er sich bequemer vorher selbst entleiben und brauchte nicht erst zu morden.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, all die Argumente, die Herr Dr. Dehler angeführt hat, können nichts Überzeugendes haben. Nur das, was die juristische Praxis benötigt, das kann er beisteuern, und darüber sollte im Ausschuß gesprochen werden.
Nun ein kurzes Wort zum Schluß. Wir haben vom fünften Gebot, wir haben von der Würde des Menschenlebens und von Art. 2 des Grundgesetzes gesprochen, der mit einigen gesetzgeberischen Worten das Leben gewährleistet. Wenn der Gesetzgeber nach dieser Bestimmung unser Leben, die wir keine Mörder sind, gewährleisten will, so hat er das Recht und die Pflicht, es so einzurichten, daß wir den denkbar größten Schutz vor der Zerstörung unseres Lebens erhalten. Wie nun einmal die Dinge auf der peinlich nüchternen Erde liegen, muß das Gesetz also den Mörder als Täter so stellen, daß alle denkbaren Hemmungen in ihm hervorgerufen werden. Ich fordere daher im Sinne des Art. 2 des Grundgesetzes die Abschaffung des Art. 102 des Grundgesetzes und meine, daß man darüber, ob das geschehen soll und kann, zwar sehr wohl verschiedener Ansicht sein kann, es aber, weiß Gott, jetzt, im Herbst 1952, an der Zeit ist, diese Dinge mit kaltem, nüchternem Verstand, wenn auch mit warmen Herzen zu prüfen.