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ID0123201300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 10605 232. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 Geschäftliche Mitteilungen 10606C, 10616D, 10665D Erweiterung der Tagesordnung 10606D Kleine Anfrage Nr. 293 der Fraktion der SPD betr. Bezüge von Aufsichtsräten (Nrn. 3683, 3720 der Drucksachen) . . . 10606D Achter Bericht des Bundesministers für Arbeit über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (Nr. 3721 der Drucksachen) 10606D Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3679 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von den Abg. Dr. Etzel (Bamberg), Dr. Horlacher u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3702 der Drucksachen) . . 10606D Ewers (DP), Antragsteller . 10607A, 10625D Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller 10609C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10610B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10616D Frau Meyer-Laule (SPD) 10618C Wagner (SPD) 10619D, 10625D Dr. Schneider (FDP) 10622A Fisch (KPD) 10623C Dr. Meitinger (FU) 10624D Abstimmungen über Anträge auf Ausschußüberweisung 10628B Zweite und dritte Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU betr. den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr (Nr. 3714 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) (Nr. 3722 der Drucksachen) 10606D, 10628C Scharnberg (CDU), Berichterstatter 10628D Beschlußfassung 10628D Termin der nächsten Fragestunde 10629A, 10665D Erste Beratung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung (Nr. 3650 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Einführung der Rechtsanwaltsordnung (Nr. 3667 der Drucksachen) 10629A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10629A, 10630D, 10634D Wagner (SPD) 10631A Dr. Schneider (FDP) 10632B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10633A Ausschußüberweisung 10636A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf des ehem. Wehrmacht-Pferdelazaretts in Nürnberg, Wallensteinstr. 117, an den Bayerischen Rundfunk, München (Nr. 3690 der Druck sachen) 10636A Ausschußüberweisung 10636B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Winterbeihilfe (Nr. 3672 der Drucksachen) 10636B Frau Korspeter (SPD), Antragstellerin 10636B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10637A, 10640A Willenberg (FU) 10638B Arndgen (CDU) 10638C Kohl (Stuttgart) (KPD) 10638D Freidhof (SDP) 10639C Ausschußüberweisungen 10640C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungbaugesetzes (Nr. 3676 der Druck sachen) 10640C Jacobi (SPD), Antragsteller 10640D, 10648D Neumayer, Bundesminister für Wohnungsbau 10642B Parzinger (FU) 10643D Paul (Düsseldorf) (KPD) 10644D Lücke (CDU) 10645C Wirths (FDP) 10647D Kalbfell (SPD) 10649D Ausschußüberweisungen 10650D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Devisenkontrolle (Nrn. 3684, 2180 der Druck sachen) 10650D Dr. Serres (CDU), Berichterstatter 10651A Beschlußfassung 10651D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betr. die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern (Nr. 3283 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 3685 der Drucksachen) 10652A Lange (SPD), Berichterstatter . . 10652A Abstimmungen 10652B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (24. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Paßgebühren (Nrn. 3635, 3185 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Abg. Morgenthaler, Leonhard u. Gen. betr. Paßgebühren (Nr. 3695 der Drucksachen; Anderungsantrag Umdruck Nr. 661 [neu]) 10652C Feldmann (CDU): als Berichterstatter 10652C als Abgeordneter 10655C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10653D, 10655B Morgenthaler (CDU), Antragsteller 10654A Jacobi (SPD) 10654C Abstimmungen 10656A Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Ausübung der Krankenpflege (Nr. 3687 der Drucksachen) 10656A Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10656A Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10657C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10658C Frau Dr. Hubert (SPD) 10659A Frau Dr. Mulert (FDP) 10660B Frau Strohbach (KPD) 10661A Frau Arnold (FU) 10661C Beschlußfassung 10662A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms (Nr. 3691 der Drucksachen) . . 10662B Frau Dietz (CDU), Antragstellerin . 106623 Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10662D Frau Dr. Ilk (FDP) 10663C Frau Nadig (SPD) 10663D Frau Thiele (KPD) 10664C Ausschußüberweisung 10665C Nächste Sitzung 10665D Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Friedrich Wilhelm Wagner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler hat heute eine ganz große Rede gehalten. Er hat heute eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie gedruckt an das ganze deutsche Volk hinausginge.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Er hat eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie, etwas ergänzt, als Flugschrift zur Aufklärung der Nichtaufgeklärten verwendet werden möge, und sofern in diesem Hause noch Nichtaufgeklärte sitzen, möchte ich wünschen, daß auch diese Nichtaufgeklärten, soweit sie willig sind, Tatsachen und der Wahrheit ihre Ohren zu öffnen, aufgeklärt worden sind.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Wagner)

    Herr Dr. Dehler hat mir meine Aufgabe für heute außerordentlich erleichtert, und ich danke ihm. Der Amerikaner würde sagen: he stole the show — er stahl die Schau. Das war die Rede, die niemand in der heutigen Debatte erreichen und übertreffen kann.
    Ich bedaure, daß diese beiden Anträge nun schon wiedergekommen sind und an einem Grundsatz der Verfassung, an einem Grundsatz des Grundgesetzes rütteln. Ich halte es auch für durchaus unerfreulich, daß der gleiche Antrag in einem Zeitablauf von zwei Jahren zum zweitenmal kommt, obwohl sich am Tatbestand nichts geändert hat und obwohl nicht damit zu rechnen ist, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes geändert wird. Ich bedaure das, weil wir uns nicht dauernd mit dem gleichen Thema befassen können, das jenesmal ausführlich und gründlich erörtert worden ist. Der einzige Gewinn dieser Anträge ist die Rede, die wir heute aus dem Munde des Herrn Bundesjustizministers gehört haben.

    (Zuruf rechts: Aha!)

    Aber das haben Sie j a nicht erwartet, und das haben Sie auch nicht gewollt. Wenn diese Rede trotzdem kam, so sind Sie, glaube ich, darüber sehr wenig erfreut; denn ich habe den Eindruck, Sie wollen nun einmal diesen Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Todesstrafe abgeschafft sein soll, wieder beseitigen, koste es, was es wolle, und seien die Argumente, wie sie auch immer sein mögen.
    Meine Herren und Damen, in der 50. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 10. Februar 1949 hat nach meinem Antrag, der nun Art. 102 des Grundgesetzes geworden ist, ein Abgeordneter das Wort ergriffen und das ausgeführt, was ich Ihnen — es ist sehr kurz — mit gütiger Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf. Er sagte:
    Ich bin dem Herrn Kollegen Wagner sehr dankbar, daß er den Antrag jetzt hier gestellt hat. Ich darf daran erinnern, daß ich in der zweiten Lesung den Antrag gleichfalls gestellt hatte, und darf mich auf meine damalige Begründung ausdrücklich beziehen. Ich brauche die Ausführungen von Herrn Wagner nicht noch weiter zu unterstützen; denn sie sprechen für sich selbst. Vom weltanschaulichen Gesichtspunkt aus ist es insbesondere nach den Erlebnissen der letzten Jahre, nicht nur der Zeit bis 1945, sondern auch der Zeit seit 1945, eine unbedingte Notwendigkeit, daß wir uns gegen die Todesstrafe aussprechen. Ich bin auch der Auffassung, daß wir diese Frage in dem Grundgesetz zu regeln haben. Es ist eine Frage, die nicht dem normalen Gesetzgeber überlassen werden sollte. Die Frage ist so wichtig, daß sie in einem Grundgesetz Verankerung finden muß. Deswegen unterstütze ich den Antrag und werde dafür stimmen.
    Und wer war das? Dieser Mann, der so sprach, war das Mitglied des Parlamentarischen Rats Dr. Seebohm,

    (Abg. Frau Kalinke: Der steht auch heute noch auf dem Standpunkt!)

    der Vertreter der Deutschen Partei.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der CDU: Das ist keine parteipolitische Frage!)

    Und jene Deutsche Partei ist heute die Antragstellerin, die diese Debatte zusammen mit der Bayernpartei ausgelöst hat.
    Meine Damen und Herren, da muß man sich nun fragen: Warum haben dann die Herren nach 1945 einen weltanschaulichen Standpunkt — wie sie ihn nennen — eingenommen, von dem sie heute, in ihrer Mehrheit zum mindesten, nichts mehr wissen wollen? War es denn vielleicht j enes-mal die Sorge um die Köpfe gewisser Männer, um die sie bangten,

    (Zustimmung bei der SPD)

    und ist für sie in ihrer Vorstellung vielleicht diese Gefahr überwunden

    (Abg. Kunze: Schade!)

    und ihre Weltanschauung plötzlich geändert?

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD)

    Oder ist es vielleicht — manche munkeln und vermuten so etwas —

    (Abg. Kunze: Schade!)

    der Hinblick auf ein neu zu schaffendes Militärstrafgesetzbuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in dem die Todesstrafe enthalten sein soll?

    (Zurufe von der SPD: Sehr gut!)

    Ist nicht der Hinweis des Herrn Kollegen Ewers auf den Landesverrat, den man noch in die Todesstrafe einbeziehen müsse, schon wieder die Erinnerung an die Erschießungskommandos, die man schon wieder in der Zukunft sieht?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier eröffnen sich gewisse Perspektiven. Wenn Sie die vor das deutsche Volk stellen, werden Sie eine Antwort erhalten, die Sie enttäuscht.
    Lassen Sie mich ganz kurz, da meine Zeit es mir nicht erlaubt, es näher zu tun, und da Herr Dr. Dehler im großen und ganzen das viel besser getan hat, fragen, wie aus der ehrlichen Empörung heraus, die die Menschen draußen und wir alle empfinden, wenn Morde begangen sind, die Reaktion des einfachen Menschen ist. Er hört von einer scheußlichen Tat, und diese Tat wird in der Zeitung ganz groß aufgemacht, und dann sagt er: „Das ist doch eine Schweinerei; der Kerl gehört aufgehängt." Das ist eine ganz natürliche Reaktion, geboren aus der ganzen Vergangenheit, mit der wir belastet sind. Das ist natürlich. Dann kommen die Befürworter der Todesstrafe und schreien: „Seht ihr hier diesen Mord, — und die Todesstrafe ist abgeschafft!" Als ob zwischen der Abschaffung der Todesstrafe und dem Mord ein Kausalzusammenhang bestünde,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    als ob die Abschaffung der Todesstrafe diese Morde geradezu erzeugt habe. Ich habe es erlebt, daß ich nachts in meiner Wohnung, nachdem eine solche Tat passiert ist, angerufen worden bin. Mich, den man für den Art. 102 für verantwortlich hält, hat man dann auch für diesen Mord moralisch verantwortlich gemacht. Eine solche Sinnesverwirrung ist schrecklich. Ein Abgeordneter, der die Dinge mit klarem Kopf betrachten muß, sollte zu einer solchen Schlußfolgerung keinen Beitrag leisten. Aber auch eine saubere und anständige Presse sollte sich etwas beherrschen, ehe sie derartige Dinge so aufmacht. Insbesondere aber sollten sich die Richter enthalten, Propaganda gegen das Grundgesetz zu machen,

    (Beifall bei der SPD und beim Zentrum)



    (Wagner)

    indem sie dem Angeklagten geradezu die Frage vorlegen: „Hätten Sie die Tat auch begangen, wenn die Todesstrafe nicht abgeschafft wäre?" Solche Richter gehören hinausgeworfen, weil sie von Jurisprudenz nichts verstehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Solche Richter können keine Strafrichter sein, weil
    sie auch von Kriminalpsychologie keine Ahnung
    haben, und solche Richter gehören nicht vom Staat
    bezahlt, weil sie gegen das Grundgesetz arbeiten.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich frage die Anhänger der Todesstrafe eines: hat es denn zu der Zeit, als die von Ihnen so geliebte Todesstrafe noch Gesetz war, etwa in Deutschland keine Morde gegeben?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da haben Sie nichts davon gehört. Ist nicht unter dem Regime der Todesstrafe in einer Weise gemordet worden, daß es, als es während der Nazizeit zur Spitze kam, geradezu schrecklich war? Da haben Sie kein Propagandamaterial gegen die Todesstrafe gefunden.

    (Zuruf des Abg. Ewers.)

    Jetzt wollen Sie, wenn wiederum Morde vorkommen, dafür verantwortlich machen, daß die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht mehr gegeben sei und daß durch den Wegfall dieser abschreckenden Wirkung die Tat geboren und ermöglicht wird.
    Der Herr Justizminister hat diese Dinge widerlegt. Der Herr Kollege Ewers hat mir geradezu ein Argument dagegen gegeben: jener angeklagte Mörder bittet seinen Richter um die Todesstrafe. Für ihn ist das ja eine Erlösung, für ihn ist das ) keine Abschreckung, sondern etwas, das er dem lebenslänglichen Zuchthaus vorzieht. Wenn schon die Behauptung, daß der Wegfall der Todesstrafe die Mordfälle vermehrt habe, nachgewiesenermaßen falsch ist, dann ist auch die Berechtigung der Antragsteller, jetzt nach zweieinhalb Jahren das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, nicht mehr gegeben. Sie hätten sich nicht durch große Zeitungsüberschriften beeinflussen lassen dürfen, sondern sie hätten es in der gleichen gewissenhaften Weise wie unser Bundesjustizminister machen müssen, der die Dinge nachgeprüft hat und ihnen den Beweis geliefert hat, daß ihre Behauptung unrichtig ist und daß sie sich benehmen wie die draußen, die keine Aufklärung besitzen.
    Schließlich noch ein Gedanke, der Gedanke der Vergeltung. Wenn Sie diesem Gedanken Rechnung tragen wollen, dürfen Sie es nicht nur auf dem Gebiet des Mordes und des Menschenraubs tun, wie es nunmehr ein Teil der Antragsteller wünscht. Warum die Vergeltung in dieser Weise nur in dem einen Fall? Wenn Sie schon ein System, das unserem Strafrechtssystem fremd ist, wieder einführen wollen, warum dann nicht die Körperstrafe? Warum wollen Sie denn nicht die Prügelstrafe überhaupt einführen? Ist nicht in weiten Kreisen unseres Volkes auch Stimmung dafür zu machen, daß es sagen würde: dieser miserable Kerl hat jenes Sexualverbrechen an diesem kleinen Mädchen begangen, zur Vergeltung: jeden Tag über den Bock und zwanzig Peitschenhiebe! Das ist die gleiche Empörung, die gleiche Reaktion, der gleiche Vergeltungsgedanke, wie er die Anhänger der Todesstrafe beherrscht. Trotzdem machen Sie diesen Schritt nicht! Vor dem schrecken Sie zurück, weil er doch einer zu weiten Vergangenheit angehört.
    Sie wollen nur den Schritt in den Zustand zurück machen, den wir hatten, ehe die Todesstrafe abgeschafft war. Wenn Sie die Dinge systematisch durchdenken, müssen sie erkennen — ich will da nicht wiederholen, was der Justizminister über das Wesensfremde der Todesstrafe in unserem ganzen Strafrechtssystem gesagt hat —, daß Sie zu einem Strafrecht kämen, das sich vom mittelalterlichen gar nicht unterscheiden würde. Sie kämen mit diesem brutalen Strafrecht der Todesstrafe und der Körperstrafe in eine Verbrechensepoche hinein, wie sie nur die Vergangenheit gekannt hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Staat hat mit gutem Beispiel und erzieherisch voranzugehen, wenn ihm das Volk in seiner Masse folgen soll, nicht umgekehrt. Der Staat ist auch ein Erzieher, wenn er sich selbst der Gewaltmittel entäußert, die ihm für meine Begriffe gar nicht zustehen.
    Ich will die rechtsphilosophischen und weltanschaulichen Gedankengänge gar nicht vertiefen, will auch nicht wiederholen, was ich schon gesagt habe, sondern möchte nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Täuschen Sie sich nicht! Sie streichen mit dem Art. 102, der besagt: die Todesstrafe ist abgeschafft, nicht nur einen Satz, Sie streichen einen Grundsatz, und zwar einen Grundsatz, der geradezu einen Baustein in unserem Grundgesetz bildet, denn angefangen vom Art. 1. der erklärt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist, über Art. 2 Abs. 2, daß jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, bis zum Art. 102, der die notwendige Ergänzung ist, zieht sich dieser Grundsatz, der dem Sinne nach heißt: das Leben ist heilig. Vergessen Sie nicht, daß Sie diesen Grundsatz der Heiligkeit des Lebens verletzen und damit das Tor für alle Möglichkeiten öffnen.
    Die Antragsteller des zweiten Antrags wollen, daß der Satz 1 dahin modifiziert wird, daß die Todesstrafe für Mord und Menschenraub gelte. Diese Antragsteller sind durch den Herrn Ewers bereits überboten, und sie sehen, wohin das führt. Er sagt: das genügt mir nicht, Todesstrafe allein für Mord und Menschenraub; es gibt noch ganz andere Delikte. Wenn Sie einmal das Tor zu den barbarischen Strafen aufgestoßen haben, gibt es keine Grenze mehr, dann hängt das von momentanen Stimmungen gesetzgebender Körperschaften ab, dann werden Sie im Prinzip' zu dem gleichen System kommen, das im Nazireich herrschte, und werden alle Dinge, die empörend sind, mit der Todesstrafe bedrohen, werden auch die Todesstrafe verhängen und damit einen Weg begehen, der verhängnisvoll ist.
    Meine Damen und Herren, und wenn wir das einzige Volk in Europa oder selbst in der Welt wären, das die Todesstrafe abgeschafft hat, würden wir sagen: wir bleiben bei diesem Grundsatz und kämpfen weiter für ihn. Warum sollte nicht einmal das deutsche Volk auf diesem humanitären Gebiet der Schrittmacher sein und alle Völker führen, warum sollten wir nicht die sein, die den ersten großen, bedeutenden Schritt täten, der von der Barbarei zur Humanität führt?! Deshalb, meine Damen und Herren, beantragen wir nicht etwa eine Überweisung an den Ausschuß, sondern wir beantragen, daß über beide Anträge zur Tagesordnung übergegangen wird, um zu zeigen, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Bestimmung der Heiligkeit des Lebens keine Sache ist, die ,man heute so und morgen so regelt, son-


    (Wagner)

    dern daß das deutsche Volk und das deutsche Parlament sich bewußt sind, daß eine Verfassung nicht geschaffen wird, um jeden Tag umgemodelt zu werden, wenn nicht das Parlament selbst das Ansehen beim Volke verlieren will.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

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    Rede von Dr. Ludwig Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute hier eine Aufgabe, die wirklich nicht leicht zu bewältigen ist. Denn ich muß hier etwas tun, was man in einer so entscheidenden Frage, wie sie heute hier zur Debatte steht, schlechterdings sehr schwierig tun kann. Ich muß nämlich das Pro und Contra der Meinungen hier vortragen, die sich in meiner Fraktion bezüglich dieser Frage ergeben haben.

    (Abg. Rische: Reden Sie nach Ihrem Gewissen!)

    Der Herr Justizminister hat in seinen Ausführungen schon dargelegt, daß die Frage, ob man die Todesstrafe wieder einführen will oder ob man den Art. 102 des Grundgesetzes beibehalten will, nicht eigentlich eine echte politische Frage ist, sondern eine Frage, die in der Weltanschauung des einzelnen und, wenn Sie wollen, auch in seiner religiösen Verantwortlichkeit und Anschauung begründet liegt und eine Frage ist, die jeder einzelne von uns schließlich vor seinem eigenen Gewissen verantworten muß.

    (Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)

    Aus diesen Besonderheiten des Problems heraus sind meine Freunde nicht einhellig. Die einen meinen, man solle den Art. 102 beibehalten — ein Standpunkt, den ja mein Herr Vorredner eben geradezu mit ungeheurer Leidenschaftlichkeit verteidigt hat —, und die anderen meinen: nein, man muß diesen Art. 102 streichen, weil gerade aus unserem Volke heraus von draußen das gefordert wird und weil die Ereignisse der letzten Zeit auch gebieterisch zeigen, daß hier etwas geschehen müsse.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst bin ein Anhänger der Wiedereinführung der Todesstrafe; aber ich möchte am Schluß dessen, was ich zu sagen habe — ich muß ja sehr kürzen, ich habe nur 12 Minuten Zeit —, einiges zur möglichen Modifizierung der Vollstreckung sagen. Es wird hier gesagt: das Grundgesetz hat in seinem Art. 2 die Heiligkeit des Lebens ausdrücklich festgestellt. Kein Zweifel! Und es wird daraus nur mit Bezug auf den Mörder gefolgert: weil das Grundgesetz die Heiligkeit des Lebens festgestellt hat, deshalb hat weder ein Mensch noch der Staat als Ordnungsfunktion oder als Inhaber der höchsten Gewalt das Recht, ein Leben zerstören zu lassen, auch nicht durch Richterspruch. — Ja, sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren — Herr Kollege Dr. Weber ließ es schon anklingen —: ein Teil meiner politischen Freunde stellt die andere Frage: ist es denn nicht notwendig zu fragen und fordert denn unser Volk nicht geradezu gebieterisch, auch zu fragen: „Was waren denn die Leben wert, die der andere ruchlos vernichtet hat?"

    (Sehr richtig! rechts.)

    Denn das ist doch die gleiche Frage, die hier aufzuwerfen ist. Und wenn der Herr Justizminister vorhin gesagt hat — ich kann mich ja leider Gottes, weil ich hier zwei Standpunkte zu vertreten
    habe und das objektiv tun muß, nicht so mit ihm auseinandersetzen, wie ich das möchte —: „Jeder Täter, der den Entschluß zum Morde faßt, ist schon nicht mehr zurechnungsfähig",

    (Abg. Wagner: Das hat er nicht gesagt!)

    so lehne ich das in dieser generellen Formulierung grundsätzlich ab.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Wagner: Das hat er auch gar nicht gesagt!)

    — So ähnlich hat er es formuliert.

    (Widerspruch links.)

    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht zu leidenschaftlich werden. Also ein Teil meiner Freunde meint: Weil auch das andere Leben heilig war, das dort vernichtet wurde, und weil auch dort ungeheures Leid über Familien kam durch ruchlose Taten — neulich in Frankfurt wurden wieder um einiger schnöder Hundertmarkscheine willen zwei unschuldige Menschenleben einfach ausgelöscht und vernichtet! —, deshalb muß der Mörder die Sühne auf sich nehmen, die das erfordert, nämlich die letzte Sühne. Er muß, weil er selbst Blut vergossen hat, mit seinem eigenen Blut bezahlen. Das ist ein Standpunkt, der auch in der Bibel steht, allerdings im Alten Testament.
    Ich bin noch nicht einmal so sehr der Meinung, daß die Abschreckungstheorie als wesentlich ins Feld geführt werden könnte, obwohl ich mit dem Herrn Kollegen Ewers sagen möchte: die ganzen Statistiken lassen sich, wenn man will, auch irgendwie anders deuten. Mit Statistiken kann ich alles machen, je nach der Zielrichtung, in der ich sie einsetzen will.
    Für den Teil meiner Freunde, die die Wiedereinführung der Todesstrafe bejahen, möchte ich abschließend folgendes sagen. Sie glauben einfach, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe aus dem Volk heraus gefordert wird. Damit komme ich an einen heiklen Punkt. Ich habe in den letzten Wochen draußen in meinem Wahlkreis — ich bin direkt gewählter Abgeordneter — samstags und sonntags gesprochen, nicht über die vorliegenden Anträge, sondern über andere Dinge. Bezeichnenderweise — was mir noch nie begegnet ist, auch damals vor zweieinhalb Jahren nicht, als wir über dieses Problem hier diskutierten — kam jedesmal in der Diskussion die Frage auf mich zu: Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Todesstrafe? Ich habe mich bemüht, den Leuten klarzumachen, welch schwieriges, welch verantwortungsvolles Problem hier zur Debatte steht, wie eingehend man es prüfen und beraten muß, ehe man sich entscheidet. Ich wurde zum Schluß beinahe nicht mehr angehört. Vielmehr machte sich eine Ungeduld bemerkbar, und mindestens 80 bis 90 % der dort Anwesenden forderten kategorisch von mir als dem dort gewählten Abgeordneten, daß ich mich für die Wiedereinführung der Todesstrafe einsetze.

    (Abg. Frau Wolff: Aber bei Ohlendorf haben Sie damals protestiert!)

    — Ich berichte ja nur, Frau Kollegin. — Die Frage, die wir hier zu entscheiden haben, ist die, ob ich als Abgeordneter den Standpunkt vertrete, den der Herr Justizminister hier als selbstverständlich hingestellt hat, daß ich, wenn einmal der Wahlakt vollzogen ist, wenn einmal das Vertrauen der Wählermassen mich hierhergebracht hat, an gar nichts mehr gebunden bin, sondern nur noch meinem eigenen Gewissen verantwortlich bin. Diesen Standpunkt kann ich in dieser generellen Weise


    (Dr. Schneider)

    nicht teilen. Was sind wir denn eigentlich hier in Bonn, wir Abgeordneten alle miteinander?

    (Sehr gut! rechts.)

    Wir sind doch wohl dazu da, das Wohl unserer Menschen, derer, die uns hierhergeschickt haben, zu gestalten. Ich betrachte das als einen Auftrag und halte mich in gewisser Beziehung an diesen Auftrag gebunden.

    (Abg. Frau Wolff: Aber bei der Verurteilung der Kriegsverbrecher haben Sie sich gegen die Todesstrafe gestellt!)

    Ich habe den Wählern ja seinerzeit, als ich zum Wahlkampf antrat, erzählt: ich habe die und die Weltanschauung, ich vertrete die und die Auffassung. Weil ich den Wählern das erzählt habe, haben Sie mich gewählt. Das ist für mich eine Bindung, wenn sie wollen: eine sittliche Bindung.
    Nun möchte ich den Standpunkt meiner anderen Freunde aus der Fraktion ebenso ernst darlegen. Sie lehnen es ab, den Art. 102 des Grundgesetzes zu streichen, weil sie das im wesentlichen aus ihrem Gewissen, aus ihrer christlichen Verantwortung nicht glauben verantworten zu können, weil sie sich an den Satz halten: ,,Du sollst nicht töten", und weil sie den für so verpflichtend erachten, daß auch der Staat nicht das Recht habe, wie das ja schon vorher hier ausgeführt worden ist, in ein Leben vernichtend einzugreifen.
    Sie sagen auch weiter — und dieser Gesichtspunkt muß bei der Debatte, die wir demnächst im Rechtsausschuß haben werden, ganz besonders beachtet werden —: ein Todesurteil ist seiner Natur nach irreparabel. Das ist ja nicht zu bestreiten; das ist ja ganz selbstverständlich. Wenn das Leben einmal vernichtet ist, dann ist es nicht mehr da,

    (Abg. Frau Wolff: Also!)

    und die Sicherungen des Wiederaufnahmeverfahrens, das wir sonst immer haben, haben keine Wirkung mehr. Deshalb sagen sie auch: Wir können die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Sie sagen auch mit dem Herrn Justizminister: es hat ja gar keinen Zweck; was nützt die Wiedereinführung der Todesstrafe. wenn. wie sie mit dem Herrn Justizminister glauben und wie auch viele Kolleginnen und Kollegen hier glauben, die Statistik exakt und nicht widerlegbar nachweise, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe an der Zahl der Fälle absolut nichts zu ändern vermöge. Mit anderen Worten: sie verneinen die Wirkung der Abschreckung.

    (Zurufe von der SPD: Jawohl!)

    Das sind die Gründe, die meine anderen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion bewegen, diesen Anträgen nicht zuzustimmen.
    Ich selbst möchte noch eins dazu sagen. Gerade diese Erörterungen, die man manchmal hört, daß man vielleicht einen Unterschied in der Art der Beweisführung in einem Mordprozeß machen und darauf abstellen müßte, ob ein direkter Beweis oder nur ein Indizienbeweis vorläge und. je nachdem, wie es sei. man niemals bei Vorliegen nur eines Indizienbeweises zu einem Todesurteil kommen könnte. diese Theorien lehne ich ah, weil sie nicht rechtssystematisch sind. weil sie auch nicht eigentlich passen. Wir würden dann in einem wesentlichen Punkt. Herr Kollege Wagner, nämlich in einer wesentlichen Art der Beweisführung. dem Indizienbeweis eine ganz besondere Ausnahmestellung gehen. Man könnte darüber im Rechtsausschuß ernsthaft debattieren. Es gibt Für und Wider. Aber ich persönlich habe mir mit einigen
    Freunden zusammen Gedanken darüber gemacht. Ich persönlich würde vielmehr, wenn wir, was ja lange noch nicht sicher steht, da hier noch eine verfassungändernde Mehrheit vorhanden sein muß, überhaupt auf derartige Einzelheiten eingehen wollen, die Lösung vorziehen, den § 13 des Strafgesetzbuches zu ändern und vielleicht einen Abs. 2 anzufügen — das ist meine These —, wonach die Todesstrafe immer nur dann vollzogen werden darf, wenn der Inhaber der Gnadengewalt das Urteil bestätigt hat; und wenn er es nicht bestätigen sollte,

    (Abg. Wagner: Das haben wir ja früher auch gehabt!)

    dann könnte sie in lebenslanges Zuchthaus umgewandelt werden. Das wäre eine gewisse Sicherung für die Fälle, in denen sich hinsichtlich der Art der Beweisführung, die zu diesem Urteil geführt hat, vielleicht Zweifel ergeben, ob sich nicht doch, da alles menschliche Erkenntnisvermögen nun einmal unvollständig und unvollkommen ist, vielleicht eine Lücke eingeschlichen haben könnte, was dann auf diesem Umweg später repariert werden könnte.
    Das ist das, was ich im Namen meiner Fraktion zu dem heute anstehenden Problem sagen wollte. Wir werden also für die Überweisung an den Rechtsausschuß stimmen, d. h. diejenigen, die den Anträgen zustimmen. Wie sich die anderen Damen und Herren entscheiden werden, weiß ich nicht; das werden wir dann sehen.

    (Beifall bei der FDP.)