Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als im Jahre 1945 der Lärm der Waffen verstummte, waren Trümmerhaufen nicht nur in unsern Städten und Dörfern, sondern auch auf weiten Gebieten des Rechts vorhanden. Es haben sich — es war gut, daß der Herr Kollege Arndt das eben hervorgehoben hat — damals bereits mutige Männer gefunden, die an die Aufgabe herangingen, auch diese Trümmerhaufen beiseite zu schaffen und dem Recht und der Gerechtigkeit, die so lange Not gelitten hatten, wieder eine Gasse zu schlagen. Unsere Bemühungen auf diesem Gebiete waren zunächst leider nicht von Erfolg. Wir haben gehört, daß selbst die Besatzung damals so uneinsichtig gewesen ist, daß sie unseren deutschen Regierungen eine Bearbeitung von entsprechenden Gesetzentwürfen j ahrelang verboten hat und schließlich, als ausgearbeitete Gesetzentwürfe vorgelegt wurden, diese nicht genehmigt, sondern geglaubt hat, die Angelegenheit der Rückerstattung besser regeln zu können.
Man darf auch nicht vergessen, daß in den ersten Jahren nach dem Kriege eine Entschädigung insofern auf ganz besondere Schwierigkeiten stieß, als ja die Möglichkeiten, materiell zu helfen, durch die große Notlage, in der sich unser Vaterland befand, einfach gehemmt waren, ja, die Möglichkeit, zú helfen, überhaupt nicht gegeben war, weil die materiellen Dinge zu einer Wiedergutmachung fehlten. So ist es wohl zu erklären, daß auch die Ländergesetze zur Regelung der Entschädigung erst im Jahre 1949 erlassen werden konnten, als es durch eine Ordnung des Geldwesens wieder möglich war, den Geschädigten endlich etwas zu geben, womit sie auch etwas anfangen und wirklich eine Existenz wiederaufbauen konnten. Wir sind, das verkenne ich nicht, noch erheblich im Rückstand. Deshalb drängt es uns, das Problem der Entschädigung vorab zu regeln. Ich habe in den Ausschußverhandlungen stets betont, daß es
nicht angängig ist — das ist auch in meinem Bericht zutage getreten —, jetzt schon wieder für die Schäden, die durch die Rückerstattung entstanden sind, Entschädigung zu gewähren, ehe diejenigen, die durch den Nationalsozialismus selbst geschädigt worden sind, seine Opfer, entschädigt worden sind. Beide Anliegen, das verkenne ich nicht, sind dringend; aber in der Rangordnung scheint mir doch die Entschädigung an erster Stelle zu stehen.
Die heutige Beratung steht insofern unter einem glücklichen Stern, als gerade gestern — worauf Herr Kollege Arndt schon hingewiesen hat — sich in Luxemburg ein Ereignis abgespielt hat, von dem wir alle mit tiefster Befriedigung und innerster Anteilnahme Kenntnis genommen haben. Die Bundesregierung hat den Wechsel, den der Herr Bundeskanzler im Herbst letzten Jahres von dieser Stelle aus ausgestellt hat, eingelöst. Es wurden damals gerade im Ausland Pressestimmen laut, daß es mit platonischen Erklärungen nicht genug sei, sondern daß erst die Tatsachen beweisen würden, ob hinter diesen Erklärungen, die von dieser Stelle aus abgegeben würden, auch etwas stecke. Ich glaube — und das beweist j a auch das Echo, das dieser Vorgang im Ausland gefunden hat —, man muß in jeder Hinsicht anerkennen, daß die Regierung das Menschenmögliche getan hat, um eine Befriedung auf diesem Gebiet der Entschädigung Israels herbeizuführen.
— Es darf dabei auch nicht übersehen werden, daß gleichzeitig ein Abkommen unterzeichnet worden ist, das hier stark einschlägig ist und das Mittel im Gesamtbetrag von 500 Millionen DM an die Weltverbände der Juden bereitstellt zur materiellen Entschädigung derjenigen, die in Not sind. Wir freuen uns außerordentlich darüber und danken unseren Unterhändlern in Den Haag, daß es gelungen ist, auf diesem Gebiet zu einer Einigung zu kommen, und daß wir damit unseren guten Willen und die Bereitschaft, das Äußerste zu tun, unter Beweis gestellt haben.
Ich sagte vorhin schon in meinem Bericht, ich hätte es begrüßt, wenn uns auch auf anderen Gebieten die gleiche Möglichkeit gegeben worden wäre, zu beweisen, daß es uns auch mit der Rückerstattung ernst gewesen wäre. Herr Kollege Arndt, Sie haben eben bemerkt, daß die Bundesregierung trotz des auch von Ihnen anerkannten guten Ergebnisses insofern gefehlt habe, als sie den Auswärtigen Ausschuß nicht unterrichtet habe. Ich habe mich inzwischen dahin unterrichten lassen, daß Herr Professor Böhm, der Leiter der Delegation, im Auswärtigen Ausschuß einen ganzen Tag lang zur Verfügung gestanden und über alle schwebenden Fragen Auskunft gegeben hat, ebenso wie er ja auch bei uns im Rechtsauschuß gewesen ist und auch uns auf alle Fragen, die wir in dieser Richtung an ihn- gestellt haben, Auskunft gegeben hat, so daß also die Möglichkeit einer Unterrichtung des Bundestages durchaus gegeben war.
— Das paraphierte Abkommen ist, soweit ich unterrichtet bin, erst während der Parlamentsferien fertiggestellt worden und konnte infolgedessen, wenn uns an einer beschleunigten Verabschiedung der Vereinbarung lag, nicht nochmals dem Parlament vorher vorgelegt werden. Jedenfalls konnten
die Wünsche des Parlaments vorgebracht und in
den Verhandlungen berücksichtigt werden.
Sie begründen nun die Vorlage dieses Gesetzes damit, daß Sie sagen, es sei eine beschleunigte, ja eine sofortige Wiedergutmachung notwendig. Herr Kollege Arndt, ich darf Sie daran erinnern, daß gerade in dieser Hinsicht die 'Sachverständigen anderer Ansicht gewesen sind und betont haben, es sei die Befürchtung begründet, daß, wenn jetzt ein Bundesgesetz zur Regelung der Entschädigung erlassen würde, die Ausführung der Ländergesetze ins Stocken käme und daß es dann vielleicht anderthalb bis zwei Jahre dauern würde, bis das Bundesgesetz tatsächlich ausgeführt werden könne. Die Konferenz der Wiedergutmachungsbehörden hat wiederholt betont, sie lege größten Wert darauf, daß die Ländergesetze weiter in Funktion blieben und die Arbeiten der Länderentschädigungsbehörden nicht durch die Schaffung eines Bundesentschädigungsgesetzes ins Stocken kämen. Aus diesem Grunde sind sich meine Freunde und ich dahingehend schlüssig geworden, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen, der nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Ländergesetze grundsätzlich in Kraft bleiben sollen und daß ein Bundesergänzungs- und -rahmengesetz geschaffen wird, welches die in den Ländergesetzen enthaltenen Lücken schließt.
Was nun die vorliegende Gesetzesvorlage im einzelnen angeht, so bin 'ich glücklich feststellen zu können, daß Ihre Forderungen in dem Gesetz weitgehend mit den Vorschlägen, die in der Drucksache Nr. 3583 enthalten sind, übereinstimmen. Auch von dieser Stelle aus möchte ich 'betonen und -damit Ihren Anruf aufgreifen: es sollte gewisse Angelegenheiten geben, in denen trotz aller noch so tiefgehenden politischen Meinungsverschiedenheiten die Möglichkeit besteht, zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen. Von dieser Stelle aus ist vor wenigen Tagen betont worden, daß es in der Frage Gesamtdeutschland keine Meinungsverschiedenheiten geben und daß diese Frage nicht zum Gegenstand von Parteigezänk und Parteianträgen gemacht werden sollte. Das gleiche gilt nach meiner Meinung — so habe ich es auch im Ausschuß stets betont — für die Frage der Entschädigung und das große Gebiet der Wiedergutmachung insgesamt. Ich war glücklich, Herr Kollege Greve, daß es gelungen ist, durch eingehende Beratung im Ausschuß in dieser Hinsicht zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen. Wenn 'damit der Sache gedient wäre, dann hätte sich meine Arbeit, die ich in dieser Hinsicht geleistet habe, sehr wohl gelohnt. Ich wäre glücklich, wenn sie dazu beitragen würde, denjenigen, die Opfer der Verfolgung geworden sind, alsbald eine Entschädigung zu gewähren.
Wir stimmen auch dem Antrag und seiner Begründung insofern zu, als darin festgestellt wird, daß sich diejenigen, die aus Überzeugung oder um des Glaubens und Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben, ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes erworben haben. Ich habe bereits in meinem Bericht zum Ausdruck gebracht, auf welchen Kreis sich das bezieht und wer darauf keinen Anspruch erheben kann. Ich will es aber nochmals hervorheben: nach meiner Meinung kann diesen Anspruch nur derjenige erheben, der aus idealer Gesinnung und im Interesse des 'deutschen Volkes gehandelt 'hat, aber nicht derjenige, der —
wie es eben bereits einmal von Herrn Kollegen Ewers betont worden ist — dem System der Gewalt Widerstand geleistet hat, um ein anderes System der 'Gewalt an die Stelle zu setzen, ein Gedanke, der ja auch im § 4 des SPD-Entwurfs an- klingt. Wir sind der Meinung, daß zwar letzten Endes über diese Vorgänge die Geschichte ein Urteil sprechen wird — da stimme ich Ihnen, Herr Kollege Ewers, zu —; aber wir sind berufen und verpflichtet, 'denjenigen, die aus idealer 'Gesinnung heraus und im Interesse des 'deutschen Volkes Leben und Freiheit riskiert haben, hier die Anerkennung auszusprechen. Das soll mit der Annahme des vorliegenden Antrags geschehen. Diese Leute, die Männer vom 20. Juli, haben sich wirklich ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes erworben, zum mindesten 'insofern, wenn sie auch mit ihrem Unternehmen selbst gescheitert sind, als sie uns im Ausland wieder glaubwürdig gemacht haben,
wenn wir betonen, daß wir alles getan haben, daß wir das Letzte getan haben, um der Gewaltherrschaft Widerstand zu leisten.
In § 1 des Gesetzentwurfes der SPD heißt es nun, daß dieses Verhalten rechtmäßig gewesen sei. Ich habe bereits im Ausschuß betont, daß wir Bedenken tragen, eine 'derartige Feststellung in einem Gesetz vorzunehmen. Die Feststellung der Rechtmäßigkeit ist Sache der Gerichte und nicht Sache eines Parlaments. Wir können, wie wir es tun, dem Widerstand die Anerkennung aussprechen; aber wir sollten uns enthalten, uns 'hier Aufgaben zuzumuten, die dem Parlament als solchem nicht zufallen, die nicht zu seiner Zuständigkeit gehören. Man hat — ich habe das damals auch betont — doch noch in Erinnerung, daß sich etwas Ähnliches auf einem andern Gebiet in fürchterlicher Weise 1934 ereignet hat, wo man auch Vorgänge gesetzmäßig schlechthin für Rechtens erklärt hat, die das gröbste Unrecht waren. Deshalb sollten wir in derartigen Formulierungen sehr vorsichtig sein. Ich melde jedenfalls unsere Bedenken in dieser Richtung an. Aus diesem 'Grunde, Herr Kollege Ewers, ergibt sich auch für uns nach den Ausführungen, die sich vorher gemacht habe, daß wir nicht in der Lage sind, Ihrem Änderungsantrag zuzustimmen.
Auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs zur Anerkennung des deutschen Widerstandes und zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts einzugehen, halte ich nicht mehr für notwendig, nachdem ich festgestellt habe, daß dieser Gesetzentwurf die Forderungen, die der Rechtsausschuß in seinen Empfehlungen für den neuen Gesetzentwurf aufgestellt hat, weitgehend berücksichtigt. Ich habe nur zu § 7 Abs. 2 zu betonen, daß es uns zu weitgehend erscheint und von uns abgelehnt wird, daß als Ehegatte des Verfolgten auch eine Person angesehen wird, die mit dem Verfolgten in eheähnlicher Gemeinschaft lebte. Wir haben ein Gesetz geschaffen, um derartige Verhältnisse nachträglich zu legalisieren. Es könnte allenfalls' in Frage kommen, daß demjenigen, der damals wegen der Verfolgung nicht in der Lage war, vor den Standesbeamten zu treten, eine Entschädigung zugesprochen würde, so wie wir dies Unrecht auch an den noch Lebenden durch die Schaffung eines besonderen Gesetzes gutgemacht haben. Aber über diese Einzelheiten wird man später im Ausschuß sprechen können.
Was nun die Rückerstattung angeht, so gebe auch ich hier nochmals dem Bedauern Ausdruck, daß es
uns nicht möglich war, diese Materie in eigener Zuständigkeit zu regeln. Ich glaube, die Verfolgten hätten sich dabei nicht schlechter gestanden, und es wäre wohl eine Regelung herausgekommen, die nicht neues Unrecht geschaffen hätte, wie es jetzt leider der Fall ist. Das wissen wir alle, die wir mit diesen Dingen in der Praxis befaßt sind. Vor allen Dingen sollte man auch erkennen, daß viele Richter bei der Anwendung dieses Gesetzes in Gewissensnot kommen. Selbst das höchste Gericht der französischen Zone, das Obergericht in Rastatt, hat dieser Gewissensnot Ausdruck gegeben, als es kraft Gesetzes gezwungen war, die Umstellung 10 : 1 auszusprechen, und in einer Eingabe an den französischen Hohen Kommissar gebeten, eine Änderung des Rückerstattungsgesetzes in der französischen Zone herbeizuführen und dem Richter anheimzugeben, hier eine Regelung nach Recht und Billigkeit zu treffen. Wir haben das noch nicht erreichen können. Ich glaube aber, daß wir im Interesse der Befriedung, im Interesse dessen, daß wir das erneute Aufkommen einer antisemitischen Strömung verhindern wollen, alles tun sollten, um hier einen gerechten und billigen Ausgleich herbeizuführen, daß wir uns also auch weiterhin bemühen sollten, eine Änderung der Vereinbarung herbeizuführen im Sinne — das betone ich nachdrücklich — einer gerechten und billigen Lösung. Wir glauben aber, daß es im Augenblick nicht möglich ist, mehr zu tun, als es Ihnen im Vorschlag des Ausschusses vorgeschlagen wird. Auch das erfordert erneut von der Bundesrepublik erhebliche Mittel. Wir müssen uns bei dem, was wir tun, immer im Rahmen des Möglichen halten. Rechtsstaat ist eine kostspielige Sache, habe ich schon mehrfach betont; aber es geht ja nun nicht an, die
Forderungen so zu überspannen, daß wir nicht in der Lage sind, sie zu erfüllen. Was wir hier vorgeschlagen haben, glauben wir verantworten zu können. Wenn das geschieht, werden die gröbsten Härten und Unbilligkeiten beseitigt werden können. Wir dürfen aber, wie ich betone, dabei nicht stehenbleiben, wir müssen weiter alles tun, um auch auf diesem Gebiet Recht und Gerechtigkeit wieder zum Durchbruch zu verhelfen.