Meine Damen und Herren! Es ist wahrlich kein Ruhmesblatt für die Entwicklung seit 1945, daß man das Verhältnis des Staates zu den Widerstandskämpfern und den Opfern des Faschismus einer sachlichen kritischen Überprüfung unterziehen muß. Dabei handelt es sich doch um Hunderttausende von Deutschen, die getreu ihrer Verpflichtung gegenüber Volk und Vaterland in der härtesten und dunkelsten Periode unserer Geschichte beispielgebend ihre Pflicht als Deutsche taten. Es sind die Deutschen, die in der Erkenntnis der riesenhaften Gefahr des Nationalsozialismus und in dem Bewußtsein, daß der Faschismus zum Kriege führt, ihr Alles einsetzten, Freiheit und Gesundheit opferten und den Tod nicht scheuten, als es galt, unser Volk vor dem Untergang in Barbarei und Krieg zu bewahren. Zehntausende ließen im Widerstand gegen diese' Gefahr ihr Leben. Millionen — Sozialdemokraten, Kommunisten, Geistliche, Gewerkschaftler und Juden — wurden vergast, umgebracht und ein Opfer der Hölle des faschistischen Terrors. Wäre es nicht selbstverständlich, wäre es nicht eine politische und moralische Pflicht gewesen, den Widerstandskämpfern und Opfern des Nationalsozialismus nicht nur in weitestem Umfang eine materielle Wiedergutmachung zukommen zu lassen, sondern — und ich glaube, das ist das Entscheidende — im Bewußtsein der großen Verpflichtung, die sich aus dem Kampf und dem Tod der Widerstandskämpfer ergibt, gerade ihnen die Neugestaltung des deutschen Aufbaues zu übertragen? Denn das ist ja gerade der Sinn und das Vermächtnis der gewaltigen Opfer des Widerstandskampfes, zu verhindern, daß eine Wiederholung der Vergangenheit möglich gemacht wird.
Es kann wohl nicht bestritten werden, daß an der Lösung dieser gewaltigen, dieser Friedensaufgabe die Widerstandskämpfer in den Ländern des Ostens einen hervorragenden Anteil haben.
Auch in der Deutschen Demokratischen Republik stehen die Widerstandskämpfer an hervorragender Stelle in Staat, Wirtschaft, Sozial- und Kulturleben und tun alles, um den Kräften der Vergangenheit jedwede Möglichkeit des Wiedererstarkens zu nehmen.
Auch in den westlichen Ländern, meine Damen und Herren, stehen zum Teil die Widerstandskämpfer, die Mitglieder der Résistance, die Partisanen, die Opfer der hitlerischen Barbarei an verantwortlicher Stelle.
Anders bei uns in Westdeutschland! Gewiß war war man kurze Zeit nach dem Zusammenbruch noch bereit, Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus in verantwortliche Funktionen einzusetzen, war man oftmals nur mit allzuviel Worten bereit, den Anspruch auf Wiedergutmachung anzuerkennen. Aber das änderte sich sehr schnell. In dem Maße, wie mit Hilfe der Besatzungsmächte die Verantwortlichen der Hitlerzeit wieder ihre Positionen einnahmen, die alten Wirtschaftsführer die Wirtschaft wieder beherrschten und mit dem Hinsteuern auf einen neuen Krieg die Kriegsverbrecher entlassen, ihnen ihr Eigentum wieder zurückgegeben und Hitler-Generale für die Kommandostellen deutscher Söldnerdivisionen vorgesehen wurden, in demselben Maße vergaß man nicht nur die Widerstandskämpfer und Verfolgten, sondern diffamierte sie, entrechtete sie und führte den Kampf gegen sie.
Wer den Krieg vorbereitet, muß den Faschismus und seine Terrorbanden organisieren und züchten und muß diejenigen bekämpfen, die entschlossen sind, mit unserem Volk. diesen verhängnisvollen
Weg zu verhindern.
Von diesem Gesichtspunkt muß auch an die jetzt zur Behandlung stehenden Anträge herangegangen werden. Der Ausschußantrag verlangt von der Bundesregierung die Vorlage eines Rahmengesetzes für die Wiedergutmachung und stellt hierzu Richtlinien auf. Abgesehen von einigen Fragen, in denen ich grundsätzliche Bedenken vorzubringen habe und auf die in den späteren Verhandlungen noch einzugehen sein wird, könnte man mit den meisten Punkten dieser Richtlinien einverstanden sein. Aber hier werfe ich eine grundsätzliche Frage auf, die in weitesten Kreisen der Widerstandskämpfer und Verfolgten diskutiert wird: Kann man von der Bundesregierung und von der Mehrheit des Bundestages erwarten, daß sie ein den Forderungen der Widerstandskämpfer und Verfolgten entsprechendes Wiedergutmachungsgesetz verabschieden? Kann man das von einem Bankier Pferdmenges erwarten, der die SS finanzieren half, von einem Dr. Lehr, der Hitler bei seinem Empfang im Düsseldorfer Industrieklub die Tür öffnete, und kann man das von einem Finanzminister Schäffer erwarten, der alle nur erreichbaren Milliarden zur Finanzierung der Aufrüstung verwendet und für die Opfer des Krieges kein Geld zur Verfügung hat? Meine Meinung deckt sich mit der der Verfolgten und Widerstandskämpfer, die die Auffassung vertreten, daß dieser Bundestag und diese Bundesregierung ein solches Wiedergutmachungsgesetz zu verabschieden gar nicht bereit sind.
Gewiß — das möchte ich hinsichtlich des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion sagen
— besteht eine Reihe von Unterschieden in den verschiedenen Ländergesetzen. Diese werden zu einem großen Teil, obgleich sie alle unzulänglich sind, in der Praxis noch verschlechtert.
Ich möchte nur ganz kurz auf die Verhältnisse und die Durchführung dieses Gesetzes in Hessen hinweisen, wo eine ganze Anzahl von Feststellungsbescheiden noch nicht ergangen ist, wo die Haftentschädigung nur tropfenweise ausgezahlt wird und wo man der Durchführung des Gesetzes von seiten der sogenannten Beauftragten zur Wahrung der Landesinteressen die größten Schwierigkeiten bereitet. Wenn ich dieses Beispiel anführe, so wirft sich trotzdem die Frage auf, ob die Schaffung eines Bundes-Wiedergutmachungsgesetzes im Interesse der Widerstandskämpfer und Verfolgten liegt. Nach der Einschätzung, die ich bereits gegeben habe, muß man doch annehmen, daß, wenn überhaupt ein Wiedergutmachungsgesetz zustande kommt, dies nach dem Willen der Regierungskoalition doch sicherlich nur auf der Ebene des schlechtesten Landesgesetzes erfolgen wird. Ich spreche dabei noch nicht einmal von dem Zeitpunkt, an dem es verabschiedet wird, und auch nicht davon, daß Finanzminister Schäffer die für eine wirkliche Wiedergutmachung erforderlichen Geldmittel nicht zur Verfügung stellen wird.
Wenn ich also gegen eine bundesgesetzliche Regelung meine schwerwiegenden Bedenken habe, so werden diese auch nicht durch den Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion aus der Welt geschafft. Ich weiß nicht, ob alle Mitglieder diesen Gesetzentwurf gelesen und durchgearbeitet haben. Ich möchte sie bitten, das noch zu tun; denn dieser Gesetzentwurf löst nicht nur von der rechtlichen Seite her sehr erhebliche Einwände aus. Er stößt auch auf schwerste Bedenken grundsätzlicher Art.
Ich möchte nur zwei Fragen berühren. Es wird zwar in der Einleitung von einem „Gesetz zur Anerkennung des deutschen Widerstandes und zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" gesprochen. Aber ich möchte die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion darauf hinweisen, daß die Formulierung der Anerkennung des deutschen Widerstandes
nichts anderes als eine Deklamation sein kann; denn im § 4, der die Frage des Ausschlusses vom Anspruch auf Wiedergutmachung behandelt, heißt es in Ziffer 2, daß auch derjenige ausgeschlossen ist, „der in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Handlung, die auch auf Grund des nach dem 23. Mai 1949 geltenden Rechtes zu bestrafen gewesen wäre, Unrecht erlitt oder der einer Wiedergutmachung unwürdig ist wegen seiner vor der Verfolgung für solche Handlungen verwirkten Vorstrafen".
Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie damit alle Widerstandskämpfer von der Wiedergutmachung ausschließen?
Denn die auch nach dem 23. Mai 1949 geltenden Gesetze wie z. B. die gegen angeblichen Landfriedensbruch, Aufruhr, Hoch- und Landesverrat usw. waren auch während der Nazizeit gültig. Wer also aktiv handelnd, also als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus auftrat und auf Grund der genannten Gesetze verurteilt wurde,