Rede von
Dr.
Richard
Hammer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die geistreiche Konstruktion, aus dem Art. 104 unseres Grundgesetzes zwei verschiedene Begriffe — Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung — herauszudestillieren, verlangt ein Kompliment an die Herren Juristen. Aber, meine Damen und Herren, ich darf Sie doch darauf aufmerksam machen, daß man nun, um den Trennungsstrich zwischen Freiheitsentziehung und
Freiheitsbeschränkung zu finden, nicht mehr von dem Verhalten der betroffenen Person ausgegangen ist, sondern von den Formen der Freiheitsentziehung. Dabei ist zweifellos eine Gruppe von Menschen zu kurz gekommen, und das sind die Kranken.
Meine Damen und Herren! Es ist uns bekannt, daß sich die deutsche Presse in dem Auftrage, den die Presse zu erfüllen hat, in den letzten Jahren mit den deutschen Irrenanstalten befaßt hat, und zwar der größte Teil der Presse durchaus seriös, aber ein anderer Teil der Presse auch absolut unseriös. Jedenfalls ist in der breiten Masse der deutschen Bevölkerung ein Mißverständnis entstanden. Man hält dort Krankenhäuser, die sich mit der Pflege, Bewahrung und Heilung seelisch Kranker befassen, für etwas Ähnliches wie Konzentrationslager; man vergleicht sie mit Buchenwald, mit Sowjetlagern oder mit Ludwigsburg und hat völlig vergessen, daß auch diese Anstalten nichts anderes sind als bereitgestellte Einrichtungen zur Heilung von Kranken. Aus diesem Gesichtspunkt heraus ist man wohl bei der Beurteilung dieser Dinge zu argwöhnisch geworden und sucht nach Gefahren, wo Gefahren sicher nicht in dem Maße vorhanden sind, wie sie in der öffentlichen Meinung im Augenblick vermutet werden.
Wenn das Gesetz so wird, wie der Gesetzentwurf vor Ihnen liegt, dann könnte es doch eintreten, daß ein seelisch Kranker in einer Depression, in der in jedem Augenblick der Selbstmordversuch droht, längst den Gashahn aufgedreht hat, bevor der Richter in einem Verfahren dafür gesorgt hat, daß der Kranke in die Obhut von Schwestern und Wärtern kommt, die dazu bestellt sind, sein Leben zu bewahren. Wenn nach diesem Gesetzentwurf das
1) Umdrehen des Schlüssels in einer Infektionsabteilung eine Freiheitsentziehung darstellt, dann wird der Diphtherie-Bazillenträger vorzeitig das Haus verlassen und andere an den Rand des Grabes oder gar ins Grab bringen.
Es ist also notwendig, dieser Problematik nach dem Vorschlage meiner sehr verehrten Kollegin Steinbiß auch noch einmal in dem Ausschuß für das Gesundheitswesen nachzugehen. Darf ich auch noch darauf aufmerksam machen, daß die von Frau Steinbiß erwähnte Gebührenpflicht des Verfahrens noch andere unerwünschte Konsequenzen haben könnte. Diese Verfahren über Freiheitsentziehung würden j a zu dem alltäglichen Leben unserer Infektions- und unserer psychiatrischen Abteilungen gehören. Dann käme auf einmal für den betroffenen Familienvater oder den Kranken zu der normalen wirtschaftlichen Belastung durch die Krankheit, die er nicht mehr zu tragen gewöhnt ist, noch die Belastung mit diesen Verfahrenskosten. Es entstünde auch der Streit, ob der Versicherungsträger unter Umständen der Verpflichtete ist, der den Schaden wiedergutzumachen hat.
Unter diesen Umständen empfehle ich Ihnen, bei der Beratung des Gesetzes auch den Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens zu beteiligen.