Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, sich wieder hinzusetzen. Es ist nicht gerade das Übliche, daß so viele stehen. Denn ich möchte etwa ebenso lange sprechen, wie Herr Ritzel gesprochen hat, und möchte bitten, erstens diese Angelegenheit nicht wegen der Tatsache, daß morgen der 20. Juli ist, irgendwie ins Pathetische zu erheben
und zweitens bei allen juristischen Betrachtungen den Charakter der Zeit in Rechnung zu stellen. Die Dinge, die wir hier heute behandeln wollen, liegen drei Jahre und mehr zurück.
Das ist nicht ganz unwichtig; denn warum das Verfahren so verschleppt ist, das ist vielleicht, ohne die politischen Hintergründe zu kennen, kaum zu erklären; denn so schwierig war die Sache ja nicht.
Deshalb lassen Sie mich möglichst in Ruhe und — möglichst mit tolerantem Gehör — hier einige Worte sagen.
Der 20. Juli. Ob Herr Hedler ausgerechnet die Widerstandskämpfer dieses Datums überhaupt genannt hat, steht dahin. Er hat im ganzen von Saboteuren gesprochen und darin den 20. Juli möglicherweise eingeschlossen.
Ich möchte aber nur eines betonen. Die 20.-JuliLeute sind außer dem mir persönlich gut bekannten Herrn D r. Leber, -den ich tief beklage; im wesentlichen Personen d-es militärischen Adels gewesen,
und das sind unsere Freunde, und w i r sind auch auf Herrn Hedler politisch böse, weil er nicht ganz klar eine Sonderung zwischen Schweinehunden und Widerstandskämpfern aus Idealismus vorgenommen hat. Darüber sind wir uns alle im Hause einig. Lassen Sie uns hier doch nicht so reden und so tun, als ob der 20. Juli eine SPD-Angelegenheit gewesen wäre.
Das vorweg. Also, wenn er jemanden beleidigt hat, dann sind es ebenso gut unsere Freunde gewesen, wie etwa Herr Goerdeler, der ja kein SPD-Mann gewesen ist,
dessen Nachkommen ebenso beleidigt sind wie irgendein Freund der SPD.
Was das Verfahren selbst anlangt: Wir haben hier keine Urteile zu kritisieren; aber wenn es sich um Tatsachenfeststellung handelt, -die ja immer nur dem menschlichen Irrtum unterworfene Richter treffen können, dann wollen wir doch nicht ganz vergessen, -daß die erste Strafkammer sich anscheinend geirrt haben muß, denn sie hat ja Herrn Hedler aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Der zweite Richter hat etwas anderes festgestellt.
— Von Dummheit ist gar nicht die Rede. Urteile zu lesen bin ich vermutlich fähiger als mancher andere, der noch nicht so alt ist wie ich;
denn dafür habe ich ja mein Leben lang gelebt.
Und nun die Grundsätze! Meine sehr geehrten Damen und Herren, wollen Sie mal eines vorweg bedenken: Die Aufhebung der Immunität zur Durchführung eines Strafverfahrens bedeutet, wenn es sich nicht gerade um Untersuchungshaft handelt, -daß der Abgeordnete einen Tag oder mehrere Tage von seinen Geschäften in Bonn ferngehalten wird.
Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, hier von neun Monaten, bedeutet, daß Sie das Haus um eines seiner Mitglieder dezimieren.
— Dazu braucht es gar keiner Schreierei.
Wenn wir schon das Palladium dieses Hauses hüten wollen, müssen wir uns darüber klar sein, daß bei einer Strafvollstreckung die Interessen des Hauses ganz anders berührt sind als lediglich bei einer Strafverfolgung.
Und nun, welche Grundsätze? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie davon abweichen wollen, daß alle diejenigen Delikte, in denen ein Abgeordneter besonders Gelegenheit hat, zu brillieren — nämlich durch Worte begangene strafbare Handlungen im politischen Kampf —, durch das Palladium der Immunität geschützt sind, wenn Sie nicht an dem Verhalten der Linken dieses Hauses erkennen, wie sehr dieses ganze Verfahren von politischen Leidenschaften getragen ist, wenn Sie nicht wahrnehmen, daß hier politischer Druck und Gegendruck eine Rolle spielen, daß wir in solchen Fällen aber eben die Immunität grundsätzlich nicht aufheben wollten, dann müssen Sie mit Blindheit geschlagen sein. Dieser Fall ist ein politischer Fall, und ich sage Ihnen ganz offen, vom ersten Tag der Behandlung in diesem Hause an bis über ach so bedauerliche Vorgänge, sowohl hier im Saale wie draußen am Eingang, ist es ein Fall, der dem Bundestag weiß Gott nicht zur Ehre gereicht! Das ist tief bedauerlich, denn an sich gibt es hier im Hause keinen — selbst, glaube ich, heute Herr Hedler nicht mehr —, der seine Erklärungen in den damaligen Versammlungen billigt. Wir könnten darüber vollkommen einmütig zu einem Beschluß kommen. Aber die politischen Konsequenzen, die Sie hier ziehen, die politischen Rachegelüste, denen Sie frönen, — das hat mit objektiver Sachbehandlung aber auch gar nichts mehr zu tun.
Ich halte die Herren der SPD nicht für beeinflußbar; das ist genau so wie bei der großen Vorlage, die wir in den letzten Tagen zu behandeln hatten, nur umgekehrt. Aber ich glaube, daß ich den Freunden der CDU, die bisher noch zweifelten, gewisse Herzschläge berühren könnte. Denn die Dinge sind doch hier so, daß die politische Leidenschaft - — einige winken schon ab, schön; aber andere mögen nachdenklich sein.
Wir sind jedenfalls der Ansicht, daß Sie, wenn Sie hier in diesem Saal überall der politischen Leidenschaft folgen, schon damit gegen den heiligsten Grundsatz der Immunität, nämlich, die Ehre dieses Hauses vor Angriffen politischer Kräfte zu schützen, verstoßen.
Ich möchte im Gegensatz zum Vorschlag des Ausschusses beantragen, die Immunität nicht aufzuheben und den Antrag abzulehnen.