Rede von
Karl
Gengler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich darf feststellen, daß ich pflichtgemäß einem Auftrag des Ausschusses nachzukommen habe und eine sachliche Darstellung an sich erforderlich ist.
Ich darf anführen: Herr Hedler war ursprünglich
durch Urteil einer nach Neumünster detachier ten Strafkammer des Landgerichts in
Kiel freigesprochen worden. Auf Revision der
Staatsanwaltschaft hatte das Oberlandesgericht
in Schleswig dieses Urteil aufgehoben und
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Durch Urteil der Ersten
Großen Strafkammer des Landgerichts in Kiel vom
20. 7. 1951 ist Hedler alsdann wegen öffentlicher
Beleidigung in Tateinheit mit öffentlicher Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und mit
öffentlicher entwürdigender übler Nachrede nach
der Verordnung des Reichspräsidenten vom 8. 12.
1931 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Die Verurteilung ist erfolgt, weil das Gericht als erwiesen angesehen hat, daß sich Hedler durch seine Äußerungen in der Westenseer und Einfelder Rede 1. der öffentlichen Beleidigung und der öffentlichen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zum Nachteil der Widerstandskämpfer des 20. 7. 1944 schuldig gemacht hat; 2. wegen öffentlicher Beleidigung der Juden dadurch vergangen hat, daß er äußerte: „Wir können Deutschland alleine aufbauen. Dazu brauchen wir die Juden nicht."
3. Der öffentlichen entwürdigenden üblen Nachrede zum Nachteil des Landesvorsitzenden der SPD
in Bayern und Fraktionsvorsitzenden der SPD im bayerischen Landtag, Waldemar von Knoeringen, dadurch schuldig gemacht hat, daß er von ihm als „Major in englischen Diensten" sprach.
Weitere tatsächliche Feststellungen hat das Gericht nicht getroffen. Alle übrigen gegen Hedler erhobenen Vorwürfe haben somit nicht zur Verurteilung geführt. Dieses Urteil des Landgerichts in Kiel ist durch Urteil des Fünften Berliner Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 8. 5. 1952 bestätigt worden.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich anläßlich dieses Falles erstmals mit der Frage der Erteilung der Genehmigung zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gegen einen Bundestagsabgeordneten befaßt. Der Ausschuß hat 'sich hierbei auf den Standpunkt gestellt, daß die Grundsätze des Bundestags, wonach die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens bei Beleidigungen politischen Charakters nur erteilt werden soll, wenn es sich um Verleumdungen oder schwere Fälle von Beleidigungen handelt, bei denen der Ehrenschutz auf andere Weise nicht hinreichend sichergestellt werden kann, bei Anträgen auf Aufhebung der Immunität zur Strafvollstreckung jedenfalls dann nicht der Entscheidung zugrunde gelegt werden können, wenn es sich um eine verhältnismäßig schwere Strafe handelt. Darüber hinaus sollte im Fall Hedler dem Interesse der Rechtspflege gegenüber dem Interesse des Parlaments an der Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit der Vorzug gegeben werden. Der Ausschuß schlägt daher vor, die Genehmigung zur Strafvollstreckung gegen den Abgeordneten Hedler zu erteilen.
Unabhängig hiervon wird sich der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität mit der Frage des Diätenbezugs für Abgeordnete, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, befassen und gegebenenfalls dem Bundestage hierüber Vorschläge vorlegen.
Der Abgeordnete Hedler hat sich durch ein Schreiben vom 10. 7. 1952, das an die Abgeordneten verteilt worden ist, zur Freigabe der Strafvollstreckung geäußert und dabei mitgeteilt, daß er Anfang Juli 1952 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wegen Verletzung des Grundgesetzes erhoben hat. Eine Stellungnahme zu dieser Verfassungsbeschwerde steht dem Hohen Hause nicht zu. Es muß dem Bundesverfassungsgericht überlassen bleiben, gegebenenfalls eine Aussetzung der Strafvollstreckung anzuordnen, falls es der Ansicht ist, daß der Abgeordnete Hedler in seinen Grundrechten verletzt ist.