Rede von
Max
Wönner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es für zweckmäßig und notwendig erachtet, auch zu § 29 Abs. 3 unseren schon in der 'zweiten Lesung eingebrachten Ergänzungsantrag wieder einzubringen. Zwar mag zunächst das gestellte Teilproblem die Sache nicht bedeutsam genug erscheinen lassen; aber es ist nichts, was über die Tatsache hinwegtäuschen könnte, 'daß es im Rahmen der Gesamtfrage doch ein Grundproblem der Entwicklung modernen Betriebsverfassungsrechts berührt — nämlich die Mitwirkung der Gewerkschaften auch bei der Einberufung von Betriebsratssitzungen —, des modernen Betriebsverfassungsrechts, so wie wir es begreifen; dessen Erfordernisse von der Erkenntnis bestimmt sind, daß es gilt, den mechanisierten und entseelten Arbeitsalltag im Betrieb aus der Sphäre der Entpersönlichung dadurch herauszuführen, daß der Persönlichkeitswert auch des arbeitenden Menschen durch Mitverantwortung, d. h. durch Mitbestimmung wieder- und weiterentwickelt werde. Dies ist um so mehr erforderlich, als der Arbeitsraum des arbeitenden Menschen in einem hohen Grade gleichzeitig auch sein Lebensraum ist
Nicht nur die nicht ausreichende Berücksichtigung des berechtigten materiellen Anspruchs des Arbeitenden, sondern vor allem auch die fehlende Anerkennung seines Anspruchs auf die Würde als Mensch schafft jene psychischen Spannungen, die in der Regel ihren Niederschlag nicht nur im Betriebe finden, sondern auch in die allgemeine gesellschaftliche Sphäre hinüberschlagen. Alle syndikalistischen und in ihrer letzten Konsequenz nihilistischen Vorstellungen haben ihre Wurzel in der Tatsache, daß Arbeits- und Betriebserlebnis den arbeitenden Menschen nicht mehr voll zu erfüllen vermögen und ihn in einer immer größeren Leere zurückgelassen haben. So war schon immer der Betrieb Ursache und Ausgangspunkt sozialer Störungen, die im Gesellschaftsganzen sichtbar geworden sind.
Nur wer diese ständige Wechselwirkung zwischen Betrieb und allgemeinem gesellschaftlichen Sein anzuerkennen bereit ist, wird die Notwendigkeit erkennen, daß auch im Betriebsverfassungsrecht nicht nur das Betriebserlebnis in seinen Wirkungen nach außen seinen Niederschlag finden kann, daß gesellschaftspolitische Gesamtvorstellungen notwendig in den Betrieb zurückwirken müssen. Auf dieser Grundtatsache ist die Forderung aufgebaut, daß innerhalb des Betriebsverfassungsrechts auch den Gewerkschaften der ihnen gebührende Raum zugewiesen werde. Und wenn der Betriebsrat von der Arbeitnehmerseite her zentraler Mittelpunkt betriebverfassungsrechthchen Geschehens ist, dann muß den Gewerkschaften notwendig das Recht eingeräumt werden, ihrerseits an der innerbetrieblichen Gestaltung dieses Betriebsverfassungsrechts teilzuhaben.
Wenn so vom Allgemeinen her der Anspruch der Gewerkschaften auf das geforderte Antragsrecht ausreichend begründet erscheint, so ist er nicht minder begründet auch aus dem innerbetrieblichen Geschehen heraus; und zwar sind es hier, wie ich persönlich glaube, zwei parallel laufende Vorstellungen, die die Anerkennung der gewerkschaftlichen Ansprüche und Forderungen nicht nur als berechtigt, sondern auch als notwendig erscheinen lassen. Zunächst wird der Betriebsrat selbst, und zwar in der Regel, das sei gern zugegeben, das Bedürfnis haben, Vertreter der Gewerkschaften in der Betriebsratssitzung anwesend zu sehen, ganz besonders dann, wenn schwierige Materien zur Beratung stehen, zu deren Bewältigung er sich des Rates der Gewerkschaften bedienen möchte. Es kann aber auch — das ist der bedeutsame Teil — .der Umstand eintreten, daß der Betriebsrat einen zunächst nur betriebsbezogen in Erscheinung tretenden sozialen Unruheherd nicht ausreichend zu erkennen und seine Wirkungen in den allgemeinen gesellschaftlichen Raum hinein nicht ausreichend abzuschätzen vermag. Ehe nun aber von einem Betrieb her Spannungsfelder erzeugt werden, die zu leicht den Funken in andere Betriebe überschlagen lassen, muß die Möglichkeit zur Bereinigung solcher Spannungen bestehen, und sie ist nur dann gewährleistet, wenn der Generalbeauftragte in der Arbeitnehmerbewegung, nämlich die Gewerkschaft, die Möglichkeit hat, rechtzeitig in dieses interne Betriebsgeschehen einzugreifen.
Dazu kommt, daß eine mehr oder minder große Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ihrerseits den Wunsch haben, daß eine bestimmte Materie rechtzeitig und ausreichend im Betriebsrat behandelt werde. Dann muß die Gewerkschaft
— und das scheint eine demokratische Grundsatzfrage zu sein — die Möglichkeit haben, die Abhaltung einer Betriebsratssitzung mit einer bestimmten Tagesordnung zu beantragen. Ja, im Interesse der Wahrung des Betriebsfriedens und der Auflösung etwa bereits vorhandener innerbetrieblicher Spannungen ist die Möglichkeit eines solchen Vorgehens eine absolute Notwendigkeit.
So ist also von der Belegschaft, vom Betriebsrat, vom Gesamtbetrieb und von seinen möglichen Wirkungen auf das allgemeine soziale Geschehen her der von meiner Fraktion angemeldete Gewerkschaftsanspruch wohl begründet. Ich darf Sie aus diesem Grunde bitten, dem Ergänzungsantrag zu § 29 Abs. 3 meiner Fraktion Ihre Zustimmung zu geben.