Rede von
Dietrich
Keuning
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schröder hat heute morgen hier erklärt, daß eine kommentierte Gegenüberstellung des Betriebsrätegesetzes von 1920 mit der heutigen Vorlage leicht die Behauptung des DGB zerstreuen würde, die heutige Vorlage sei schlechter als das Betriebsrätegesetz von 1920. Einmal stimmt es nicht, daß diese Behauptung in dieser allgemeinen Form gemacht wurde,
sondern es wird gesagt
und in der Öffentlichkeit ist immer wieder darauf hingewiesen worden, Herr Dr. Wellhausen, daß dieses Gesetz teils schlechter sei als das Betriebsrätegesetz von 1920. Außerdem, Herr Dr. Schröder, sind von 1920 bis 1952 immerhin 32 Jahre vergangen, und in diesen 32 Jahren ist allerlei geschehen, so daß selbstverständlich ist, daß wir erwarten können, daß dieses Gesetz wesentliche Fortschritte bringen müßte. Aber was tun Sie denn mit diesem Gesetz? Sie übersehen doch einfach das, was in den Ländern seit dem Zusammenbruch schon Recht geworden ist. Es wäre sicherlich sehr interessant, Herr Dr. Schröder, einmal eine Gegenüberstellung der heutigen Vorlage mit dem, was in den Ländern Recht ist, zu machen. Daran ändern auch die Worte des Kollegen Dr. Wellhausen nichts,
der darauf hinwies, daß in Hessen nun eine gewisse Neuordnung begonnen habe, aber nicht genügend Erfahrungen vorlägen, um schon Endgültiges zu sagen. Bitte, wenn nicht Erfahrungen im ungünstigen Sinne vorlegen, warum wollen Sie denn dann nicht das in Hessen bereits verankerte Recht mit diesem Gesetz auf das Bundesgebiet übertragen? Wir brauchten nicht nur Hessen zu erwähnen, auch in anderen Ländern des Bundesgebiets ist man weit über das hinausgegangen, was jetzt im vorliegenden Gesetz der Arbeitnehmerschaft angeboten werden soll.
Wenn ich das hier anführe, dann deshalb, weil mit unserem Antrag zu § 7 — Ziffer 2 des Umdrucks Nr. 634 — eine Frage aus dem alten Betriebsrategesetz angesprochen wird. Im alten Betriebsrategesetz war testgelegt, 'daß es genügt, b Monate Mitglied des Betriebs zu sein, um gewahrt werden zu konnen. Schauen Sie sich die Landergesetze an. In allen Landergesetzen ist diese Frage in der gleichen Form geregelt. Schauen Sie sich aas Gebiet an, in dem das Kontrollratsgesetz 22 heute noch Gültigkeit hat, die britische Lone. Dort ist ebenfalls eine Regelung gefunden worden, daß eine sechsmonatige Betriebszugehörigkeit genügt. Das ist ja das Bemerkenswerte an dem Gesetz und an diesem Punkt ist es klar offensichtlich, :dab Sie rückwartsschrauben. Es besteht doch einfach ein far die Arbeitnehmer günstigeres Recht. Sie wollen nun festlegen, daß auf Bundesebene eine Betriebszugehörigkeit von zwei Jahren Voraussetzung sein soll.
Übersehen Sie doch bitte nicht die große Wanderungsbewegung in der Bundesrepublik, die vielen Menschen, die nun umgesetzt werden sollen. Wir haben vorgestern hier das Umsiedlungsgesetz beraten. Man erwartet bis Mitte 1953 die Umsiedlung von noch über 200 000 Menschen. Das sind doch überwiegend Menschen, die an :den neuen Plätzen Arbeit und Brot finden sollen, neue Arbeitsverhältnisse aufnehmen und teils mit guten Erfahrungen aus ihren früheren Arbeitsplätzen hierher kommen. Warum wollen Sie 'dem entgegenstehen?
Herr Kollege Sabel sagte: Die Ländergesetze sind teils Fragmente, und man kann hier und da etwas herauspicken. Ja, Herr Kollege Sabel, wenn wir schon anfangen zu picken, dann haben wir festgestellt, daß Sie nun nicht das herausgepickt haben, was 'das Fortschrittlichste in diesen Gesetzen war.
Denn es ist doch festzustellen, daß in den Ländergesetzen einige Dinge wesentlich 'über das hinausgehen, was hier in dem Gesetz verankert werden soll.
Das kann doch von Ihnen nicht bestritten werden, selbst wenn es Fragmente sind.
— Ich habe Sie verstanden, wenn Sie sagen, die wirtschaftliche Mitbestimmung sei ohne Vorbild. In der in diesem Gesetz festgelegten Form, ja aber doch nicht in ihrem Ausmaß.
Ich erwähne das darum, weil Sie eine zweijährige Betriebszugehörigkeit fordern. Sie haben heute ein Jahr vorgeschlagen. Ich freue mich, daß Sie uns etwas entgegenkommen. Aber das genügt nicht. Warum wollen Sie die alten Rechte nicht bestehen lassen? Was spricht dagegen? Was sagen Sie dagegen? Sie sagen, Sie gäben den Arbeitnehmern
neue Rechte. Die Rechte, die in diesem Gesetze verankert sind, waren nach 1945 hier und dort in den Gesetzen irgendwelcher Länder schon längst enthalten und überschritten.
— Aber nicht das, was in den einzelnen Ländern erreicht wurde. Ich bin darum beauftragt, Sie im Namen meiner Fraktion zu bitten, der Zitier 2 des Antrags Umdruck Nr. 634 zu § 7 zuzustimmen. wenn Sie ihm nicht zustimmen, glaube ich sagen zu können, daß Sie dann doch sehr rigoros über das hinweggehen, was bisher in unserem Bundesgebiet Recht und Übung war, und daß Sie auch sehr rigoros über die Gefühle hinweggehen, die die Arbeitnehmerschaft haben muß, wenn ihr mit dieser heutigen Vorlage bisheriges Recht genommen werden soll.