Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich jetzt zu Ihnen spreche, dann nicht aus dem Grund, den man der
Sozialdemokratie in den letzten Tagen aus Anlaß unserer Diskussion zur zweiten Lesung dieses Gesetzes unterstellt hat. Es geht uns hier nicht um Obstruktion. Wenn wir in diesem Hause Obstruktion treiben wollten, dann gäbe es noch viele andere und für Sie sehr ermüdende Möglichkeiten im Rahmen unserer Geschäftsordnung.
Aber wir haben seit einiger Zeit den Eindruck, daß Sie die zufällige und vorübergehende Machtverteilung in diesem Hause ausnutzen möchten,
um bestimmte sehr weittragende Tatsachen zu schaffen.
Wir warnen Sie. Die Robustheit in der Ausnutzung dieser Möglichkeiten erschreckt uns nicht. Wir sind bereit, den Kampf auch auf dieser Ebene zu führen, und was Sie heute glauben, sich in diesem Hause leisten zu können, werden wir morgen für uns in Anspruch nehmen, wenn Sie es so haben wollen.
Unser hartnäckiger Kampf um die Gestaltung des Mitbestimmungsrechts der arbeitenden Menschen im Zusammenhang mit diesem Gesetz hat eine viel tiefere Ursache. Für uns geht es um das neue Gesicht der Wirtschaft in der deutschen Demokratie. Es geht um ein fundamentales Prinzip. Sie wissen es genau so gut wie wir: für uns Sozialdemokraten ist ein echtes Mitbestimmungsrecht der Arbeitenden in der Wirtschaft die notwendige, gerechte und zeitbedingte Eingliederung der Arbeitenden in die Führung von Betrieb und Wirtschaft in Deutschland. Der Gegensatz zwischen Ihnen und uns bei diesem Gesetz ist, daß Sie diesen Grundsatz nicht anerkennen wollen.
Sie wollen keinen grundsätzlichen Wandel und Sie wollen die beherrschende Position des Großunternehmertums im Grunde nicht antasten lassen.
Sie sind bereit, die Kosten für eine neue Fassade zu zahlen, aber Sie sind nicht bereit, das Haus aus der wilhelminischen Periode abzureißen und in Gemeinschaft mit den Arbeitenden das neue Haus der Mitte des 20. Jahrhunderts aufzubauen.
Hier geht es nicht um Taktik, hier geht es eben um diese neue Ordnung. Dabei steht nicht die Frage zur Diskussion, ob es nicht eine Gefahr für eine echte und freie private Unternehmerinitiative geben könnte. Auch in der sozialistischen Gesellschaft, auch bei der Verwirklichung unserer Vorstellungen über das Mitbestimmungsrecht, über die wirtschaftliche Demokratie wird ein breiter Raum für diese Initiative bleiben. Nur in der Greuelpropaganda gegen die Sozialdemokratie
ist noch Raum für die Vorstellung, daß wir den letzten Friseurladen, den ehrlich selbständig Schaffenden sozialisieren wollen.
Wir wollen im Zusammenhang mit dieser Frage
nur eines: das Recht der Mitbestimmung des arbei-
tenden Lohn- und Gehaltsempfängers an der Gestaltung seines und seines Volkes wirtschaftlichen Schicksals.
Hier in dieser Diskussion haben Sie in der Argumentation gegen die sozialdemokratische Fraktion in der Regel die Kleinen vorgeschoben, um die Großen zu schonen.
Hier beginnt der eigentliche politische Teil. Sie
machen mit diesem Gesetz ein Gesetz über die Betriebsverfassung, das in seinem Zweck und in seiner Begrenzung die Interessen der Großen in der
Wirtschaft nicht nur schützen, sondern durch die
Legislative der Demokratie erneut verankern soll.
Dazu sagen wir nein. Es gibt in Ihren Reihen sehr viele, die die Fragwürdigkeit der heutigen gesellschaftlichen Ordnung durchaus ebenso sehen wie wir; aber es fehlt in allen entscheidenden Punkten auf Ihrer Seite der Mut zum Bekenntnis und der Mut zum Handeln.
,
Denn hier war ein Punkt, an dem wir im Interesse des Aufbaues der neuen Demokratie hätten handeln müssen. Hier geht es um die Frage: politische u n d wirtschaftliche Demokratie — ja oder nein, und Sie sagen durch dieses Gesetz nein. Sie verweigern die Fundierung der deutschen Demokratie auf wirtschaftlichem Gebiet.
Es kommt noch etwas anderes hinzu, und ich will es hier am Beginn der dritten Lesung sagen. Es geht hier nicht nur um den materiellen Inhalt, es geht auch um die Art und Weise, in der Sie die Verabschiedung dieses Gesetzes zu erzwingen versuchen. Die überstürzte Verabschiedung dieses Gesetzes unmittelbar vor den Ferien des Parlaments ist ohne in der Sache liegende Gründe von Ihnen erzwungen worden.
Es hat noch niemand gesagt und es wird in der heutigen Debatte niemand von Ihnen uns sagen können, warum in diesem Zeitpunkt diese Entscheidung gefällt werden muß,
meine Damen und Herren; denn diese Entscheidung in der letzten Woche haben Sie jetzt für richtig gehalten, nachdem Sie eineinhalb Jahre und mehr Zeit gehabt haben, in den Ausschüssen über diese Gesetzentwürfe zu verhandeln.
— Auf Ihre Geduld komme ich noch, Herr Schröder, warten Sie noch einen Augenblick. Die Situation ist nach Ihrer Meinung für Sie erst brenzlig geworden, als die arbeitenden Menschen in Deutschland sich auch öffentlich und demonstrativ für ein echtes Mitbestimmungsrecht einsetzten.
In dem Augenblick, in dem die Betroffenen und die unmittelbar Beteiligten sich selbst rührten, da wurden Sie merkwürdig nervös.
Da haben Sie eine ganze Theorie entwickelt, hier im Hause und noch mehr in der Presse, daß solche Demonstrationen ein unzulässiger Druck auf die Arbeit der gesetzgebenden Körperschaften in einer Demokratie seien.
Es ist bemerkenswert, wie empfindlich Sie werden,
wenn die Arbeiter demonstrieren, und wie stillschweigend Sie noch vor zwei Jahren die Androhung gewisser Kreise in der deutschen Bauernschaft hingenommen haben, die aus rein materiellen Gründen mit einem Lieferstreik an die Städte gedroht hatten.
Meine Damen und Herren! Sie haben dann weiter darüber gesprochen, man könne über alle Fragen diskutieren, aber nicht unter dem Druck der Straße, ja, Sie haben sogar den Herrn Bundeskanzler selbst bemüht, der von einem Verstoß gegen das Grundgesetz und einer gefährlichen Störung der inneren Ordnung unseres Staatswesens sprach. Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, die Demokratie in Deutschland käme niemals in eine ernstere Gefahr als durch die Demonstrationen demokratisch eingestellter, gewerkschaftlich organisierter Arbeiter und Angestellten.
Als dann — wir wollen das hier in diesem Augenblick festhalten, denn über die Geschichte dieses Gesetzes wird auch morgen noch gesprochen — von Ihrer Seite direkte Verhandlungen mit den Gewerkschaften angeboten wurden, haben die Gewerkschaften ihre Aktionen in voller Loyalität gestoppt.
Und was war das Resultat? Am letzten Montagnachmittag, als die Partner wieder an einen Tisch gebracht worden waren, hat man von Ihrer Seite die Verhandlungen abgebrochen
— entschuldigen Sie, Sie wissen das genau so gut wie ich, Herr Sabel —
— ich weiß, daß es stimmt — trotz der Bereitschaft der Leitung der Gewerkschaften zu weiteren Besprechungen. Und Sie haben die zweite und dritte Lesung in dieser Woche vor den Parlamentsferien erzwungen! Glauben Sie denn, daß wir Ihnen abnehmen, daß in dieser Methode aus der Sache hervorgehende Gründe stecken? Nein, hier ging es für Sie darum, unter allen Umständen und in dieser Form ohne Rücksicht auf die Wünsche der gewerkschaftlich organisierten arbeitenden Menschen das Gesetz jetzt zur Realität werden zu lassen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen, meine Damen und Herren: In dieser Auseinandersetzung zwischen den Gewerkschaften und Ihnen über das Verhältnis von Demonstration und demokratischer Legislative ging es im Grunde überhaupt nicht in erster Linie um die Frage der Staatsräson, um die Frage der Wahrung der Rechte der verfassungsmäßigen Institution der Demokratie. In diesem Fall hier ging und geht es in erster Linie doch um etwas anderes, nämlich um ein politisches Geschäft innerhalb Ihrer Regierungskoalition.
Und glauben Sie wirklich, daß die Menschen draußen nicht wissen, daß es einen inneren Zusammenhang gibt zwischen der Frage der Ratifizierung des Generalvertrags und des EVG-Vertrags
und der von Ihnen erzwungenen Verabschiedung
dieses Gesetzes am letzten Tage vor den Ferien?
Es ist Ihre Angelegenheit, wie Sie die inneren Schwierigkeiten in der Koalition in Ihrer nicht einfachen Lage aus der Welt schaffen. Aber Sie dürfen nicht annehmen; daß wir Ihnen Vorwände abnehmen, wo es um solche politischen Geschäfte geht.
Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, dann haben Sie ihn durch die Art und Weise, wie Sie in der zweiten Lesung reagiert haben, selbst erbracht.
Herr Dr. Schröder hat hier vorgestern von der „großen Geduld" gesprochen, mit der man die Reden der Opposition angehört habe.
Herr Dr. Schröder, in einem demokratischen Parlament gehört es dazu, daß man die Geduld hat, die Argumente der anderen anzuhören.
Das ist keine besondere Tugend, die Sie entwickelt haben.
Und das ist gar nicht das Entscheidende. Wissen Sie, was das wirkliche Merkmal der zweiten Lesung war? Das war nicht Ihre von Ihnen selbst gepriesene Geduld, sondern es war Ihre Weigerung, sich mit den sachlichen Anträgen der Opposition auseinanderzusetzen.
Meine Damen und Herren, Sie können dasselbe auch heute betreiben; aber täuschen Sie sich nicht, es gibt j a eine Welt außerhalb dieses Hauses,
es gibt j a ein öffentliches und politisches Bewußtsein in diesem Volk.
Ihr Verhalten in der zweiten Lesung über eines der wichtigsten Gesetze der Bundesrepublik, über alle Anträge der Opposition durch Schweigen hinwegzugehen, ist eine glatte und beleidigende Brüskierung
des Teils des deutschen Volkes, den die Sozialdemokratische Partei zu Ihrem Leidwesen nun einmal in diesem Hause verkörpert.
Meine Damen und Herren, es ist noch mehr: es ist eine einfache und in dieser Art auch in diesem Hause noch nicht dagewesene Herausforderung der Arbeiterschaft und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen.
Wissen Sie eigentlich, was Sie mit Ihrem Verhalten vorgestern und heute, wie ich annehme, getan haben und tun werden? Hier steht auf der Tagesordnung nicht nur ein Gegenvorschlag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Sie sollten sich einen Augenblick daran erinnern, daß dieser Gegenvorschlag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in allen entscheidenden Punkten übereinstimmt mit den Vorschlägen der größten Organisation der Arbeitnehmer in Deutschland, des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Ihnen das peinlich ist.
Aber diese Peinlichkeit haben Sie sich selber geschaffen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen, damit Sie sich keinem Zweifel darüber hingeben, wie wir die Dinge ansehen. Es kam Ihnen auf der politischen Ebene darauf an, sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste dieses Gesetz in einer Form durchzubringen, bei der Ihre Koalition zusammenhält, weil die Koalition ja auch übermorgen noch für Ihre Politik zusammenhalten muß.
Sie wollen noch etwas anderes, meine Damen und Herren. Sie haben in diesem Kampf seit Monaten ja noch eine andere Hoffnung gehabt. Sie haben sich in der Hoffnung gewiegt, daß es vielleicht doch zu einem offenen Zwiespalt zwischen der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften in einer der wichtigsten wirtschaftspolitischen Fragen unserer Zeit kommen könnte. Denn Sie haben es sehr bedauert, daß darin bisher eine sehr weitgehende Übereinstimmung bestand. Sehr oft, wenn bie von der Neutralität der Gewerkschaften gesprochen und sie gepriesen haben, meinten Sie doch praktisch damit eine Politik gegenüber der Arbeiterschaft nach dem Grundsatz: Teile und herrsche!
Der Kampf um das Mitbestimmungsrecht führt uns an eine zentrale Frage unserer Zeit. Für uns ist er nicht eine Auseinandersetzung der einen Interessengruppe mit der anderen. Die Forderung nach Mitbestimmung, d. h. nach Gleichberechtigung der Arbeitnehmer in Betrieb und Wirtschaft ist die Forderung nach Ausweitung und Vertiefung der Demokratie und der demokratischen Selbstverwaltung des Volkes auf dem Gebiet der Wirtschaft.
— Ich wünschte, manche auf Ihrer Seite hätten in den vergangenen Jahren der Not gerade auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Pflichterfüllung so viel Einsicht und Verantwortungsbewußtsein bewiesen wie die Millionen von einfachen namenlosen arbeitenden Menschen in Deutschland!
Lassen Sie uns doch endlich im Jahre 1952 nach allem, was wir erlebt haben, in Ruhe mit solchen Ladenhüterschlagworten !
Hier geht es doch um wesentlich mehr. Hier geht es, wenn dieses Haus das Haus der deutschen Demokratie, die oberste Instanz ist, um die zentrale Frage, ob wir die politische Demokratie in Deutschland endlich untermauern wollen durch ein System der wirtschaftlichen Demokratie, der wirtschaftlichen Gleichberechtigung, der gleichen Rechte und der gleichen Pflichten aller Arbeitenden ohne Rücksicht auf ihre gesellschaftliche Position.
In der Weimarer ,Demokratie — wir haben es nicht vergessen — haben wir dieses Ziel nicht durchsetzen können — zum Schaden von uns allen!
Denn das Versagen der Weimarer Demokratie in bezug auf die wirtschaftliche Neuordnung hat es doch mit sich gebracht, daß die Alleinherrschaft eines Teils der Träger der Wirtschaft, nämlich der Unternehmer, zu den gefährlichsten Konsequenzen geführt hat. Es gibt viele Gründe dafür, daß 1933 der Nationalsozialismus zur Macht kam. Aber niemand kann bestreiten, daß einer der entscheidenden war, daß es in Deutschland einer kleinen Gruppe von Menschen möglich war, wirtschaftliche Macht zu politischen Zwecken gegen die Demokratie zu mißbrauchen.
Einen solchen Mißbrauch müssen wir in Zukunft unterbinden.
Aber das ist nur eine Seite.
— Seien Sie nicht nervös! — Ebenso wichtig ist nach unserer Meinung, daß das Mitbestimmungsrecht auch das entscheidende Mittel zur Herbeiführung eines neuen Verhältnisses zwischen dem arbeitenden Menschen und seiner Arbeit ist. Ja, meine Damen und Herren, es ist nach unserer Meinung der einzig mögliche Weg, um die unerläßliche freiwillige Mitarbeit der arbeitenden Menschen in Betrieb und Wirtschaft in Realität durchzuführen. Wenn der arbeitende Mensch das Recht erhält, auch an der Gestaltung der Produktionspolitik seines Betriebes, an der Gestaltung der Wirtschaftspolitik seines Wirtschaftszweiges verantwortlich mitzuarbeiten, wenn Lohn- und Preispolitik, wenn Produktions- und Arbeitsmethoden, wenn die allgemeinen Arbeitsbedingungen auch das Resultat seiner verantwortlichen Mitwirkung werden, dann und nur dann allein öffnen sich die Wege zu einem neuen Verhältnis zwischen dem Arbeitenden und seiner Arbeit, zwischen dem Arbeitenden und der Wirtschaft. Die Demokratie ist erst dann vollkommen, wenn der arbeitende Mensch nicht nur die vollen `staatsbürgerlichen Rechte hat, sondern wenn auch auf der wirtschaftlichen Ebene die Ungleichheit von heute abgelöst wird durch eine Ordnung, die den arbeitenden Menschen zum 'gleichberechtigten, freien Wirtschaftsbürger macht, wie er freier Staatsbürger sein soll.
— Ja, Sie sollten sich wirklich Ihr Schulgeld wiedergeben lassen!
In unserer heutigen Lage ist die Demokratisierung der Wirtschaft durch die gleichberechtigte Mitwirkung der Arbeitenden eine staatspolitische Notwendigkeit erster Ordnung. Die Sicherheit und die Krisenfestigkeit der deutschen Demokratie hängen auf innerpolitischem Gebiet von zwei Faktoren entscheidend ab: erstens von der sozialen Ordnung in der Demokratie und zweitens von der verantwortlichen Mitwirkung der arbeitenden Menschen in der Wirtschaft.
Was wir Ihnen zum Vorwurf machen, meine Damen und 'Herren, die Sie in diesem Hause die Mehrheit haben, ist, daß Sie diesen beiden Notwendigkeiten in Ihrer bisherigen Politik nicht gerecht geworden sind. Auf sozialem Gebiet ist das bewiesen worden durch die Verweigerung eines echten Lastenausgleichs. Der Beweis für die Solidarität des ganzen Volkes in der Überwindung einer großen nationalen Not ist in diesem Hause durch Ihre Entscheidung ausgeblieben.
Auf wirtschaftlichem Gebiet haben wir dieselbe Situation. Dabei handelt es sich hier nicht nur um einen sozialen Ausgleich der Lasten aus der Vergangenheit. Hier geht es um die Neugestaltung der Wirtschaft, die in die Zukunft hineinwirkt. Es geht darum, daß in Deutschland jede Neugestaltung der Wirtschaft und der Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von dem Grundsatz ausgehen muß, daß die Ausübung wirtschaftlicher Funktionen und wirtschaftlicher Macht nur verstanden werden darf als eine treuhänderische Aufgabe gegenüber der Volksgemeinschaft.
Der Herr-im-Hause-Standpunkt muß abgelöst werden von einem System der gemeinsamen Verantwortung aller in Betrieb und Wirtschaft Tätigen, ob Unternehmer oder Arbeiter.
Eben von diesem Geist ist in Ihrem Gesetz nichts zu spüren. Im Gegenteil, dieses Gesetz geht zum Teil zurück hinter die alte Ordnung, die das Betriebsrätegesetz des Jahres 1920 geschaffen hat.
Es geht vor allem zurück hinter eine ganze Reihe von Bestimmungen in Ländergesetzen, die wir heute haben.
— Herr Kollege Wellhausen, wir kommen im Laufe der dritten Lesung darauf zurück!
Diese Tendenz und dieser materielle Inhalt dieses Gesetzes sind auch deshalb für uns so bemerkenswert, weil hier ja nach Ihrem Willen die Neuregelung der Wirtschaft überhaupt abgeschlossen werden soll, weil man hier ja den Kampf um die Neuordnung in der Wirtschaft von seiten der Arbeiter einfrieren lassen möchte.
Das bedeutet: man möchte zum zweiten Male in der Geschichte der deutschen Demokratie die Neuordnung der Wirtschaft verhindern. Das liegt hinter diesem Gesetz und hinter dieser Taktik. Darum sage ich Ihnen für die sozialdemokratische Fraktion, daß Sie mit der Verabschiedung dieses Gesetzes eine der ernstesten Tatsachen auf dem Gebiet der deutschen Innenpolitik seit 1945 schaffen. Sie vollziehen damit einen tiefen Bruch zwischen Ihrer Mehrheit und der Opposition und den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in einer der Lebensfragen der deutschen Politik. Ihr Vorgehen, meine Damen und Herren, ist nach Form und Inhalt ein schwerer Schlag gegen eine Politik, die die arbeitenden Menschen in ein näheres und inneres Verhältnis zur Demokratie zu bringen versucht,
und Sie verhalten sich gerade in einer Zeit so, in der Sie immer wieder von der Notwendigkeit eines Zusammengehens in den großen nationalen Fragen sprechen. Hier war eine und ist eine der großen nationalen Fragen!
Hätten Sie doch hier konkret bewiesen, daß Sie bereit gewesen wären, eine wirkliche erträgliche Lösung für alle Teile des Volkes zu schaffen! Haben Sie einen Augenblick überlegt, was es bedeutet hätte, wenn Sie durch die Schaffung eines fortschrittlichen Mitbestimmungsrechts in der Bundesrepublik eine sehr, sehr starke und positive Wirkung auch auf die arbeitenden Menschen in der Sowjetzone ausgelöst hätten,
auf 18 Millionen Menschen, die unter einem System der Unterdrückung ein Leben der Zwangsarbeit zu führen haben? Sie sprechen so gern von den Alternativen. Meine Damen und Herren, hier war eine echte Alternative der Demokratie gegenüber der totalitären Diktatur.
Aber wenn es um Alternativen geht, die Geld und Macht kosten, dann lassen Sie lieber den alten Zustand, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.
Die große Bedeutung dieser ganzen Frage und einer großzügigen und grundlegenden Neuregelung der Stellung der arbeitenden Menschen in der Wirtschaft möchte ich hier nur durch ein einziges Zitat unterstreichen. Es ist kurz; ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, es vorzulesen. Einige Sätze:
Ich bin mir völlig klar darüber, daß wir in dieser Frage 1945/46 vielleicht eine größere Aufgeschlossenheit gezeigt hätten. Ich kann mir jedenfalls denken, daß es hier viele unter uns gibt, für die es 1945/46 unter dem Eindruck des damaligen Schocks — der Schock hat j a das Ergebnis, plötzlich Erkenntnisse aufzuzeigen, die jahrelang verschüttet waren — sehr viel leichter gewesen wäre, auf diesem Gebiet zu einer Lösung zu kommen, die wir jetzt so schwer_ erkämpfen müssen. Inzwischen haben
sich die Kräfte der trägen ,Beharrung des Gestrigen längst wiedergefunden, etwa unter dem Motto: „Wir sind noch einmal davongekommen!", in der Absicht, möglichst wenig zu tun und nicht etwa den Blick darauf gerichtet zu halten, daß nur in einer Überwindung der Verhältnisse, wie wir sie gehabt haben, eine Aussicht auf die Zukunft gegeben ist. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß nur die totale Regenerierung und der Mut zu grundsätzlich neuen Entscheidungen Katastrophen verhindern kann.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat aus der Rede unseres Kollegen Dr. Schröder,
als er im Bundestag am 27. Juli 1950 in der ersten Lesung dieses Gesetzes den Gesetzentwurf der CDU begründet hat.
Das war vor knapp zwei Jahren, Herr Dr. Schröder,
und inzwischen, meine Damen und Herren von der
Koalition, haben die Kräfte des Gestrigen Sie alle
übermannt, und Ihr, Gesetzentwurf steht unter
dem Motto: Wir sind noch einmal davongekommen!
'
Ich möchte zum Schluß kommen. Sie werden sicher das Gesetz annehmen. Aber ich möchte Ihnen eines sagen: Die Frage der Mitbestimmung, die Frage der Demokratisierung der Wirtschaft bleibt auf der Tagesordnung;
denn sie ist durch die geschichtliche Entwicklung auf die Tagesordnung gestellt worden.
So wie vor mehr als drei Jahrzehnten das Koalitionsrecht der Arbeiter als erster Schritt auf dem Wege zur Partnerschaft der arbeitenden Menschen in der Wirtschaft nach schweren Kämpfen verwirklicht wurde, so wird auch das Mitbestimmungsrecht in Deutschland Wirklichkeit werden. Hunderttausende von arbeitenden Menschen haben in den vergangenen Wochen in Deutschland in vorbildlicher Disziplin für ihre Rechte demonstriert. Was hat man nicht alles in der deutschen Presse und in der Öffentlichkeit über diese demonstrierenden Arbeiter gesagt! Da standen sie alle mit erhobenem Zeigefinger vor diesen Arbeitern. Da waren sie alle bessere Demokraten als die Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz verließen.
Zum ersten Mal seit 1945 haben die organisierten Arbeiter in Deutschland von diesem elementaren demokratischen Recht Gebrauch gemacht. Und wofür? Für nichts anderes, als ein neues demokratisches Recht in einer Demokratie zu verankern.
Mit wieviel Hochmut, mit wieviel Blasiertheit hat das deutsche Bürgertum in den vergangenen Wochen auf diese Arbeitenden herabgeblickt!
Sie können es nicht bestreiten. Und das alles geschah in eiher Zeit,
als jeder in Deutschland wissen mußte, daß es ein Spiel gegen die Demokratie war, in einer Zeit so schwerwiegender außenpolitischer Entscheidungen, wie Sie sie treffen wollen, auch noch die arbeitenden Menschen in einen Gegensatz zur Demokratie zu drängen.
Wie glücklich wären die Regierungen in Frankreich und in Italien, den Partnerländern Ihrer Europaarmee, wenn sie in ihren Ländern
eine Arbeiterschaft mit der Loyalität gegenüber der Demokratie hätten, wie es in Deutschland der Fall ist.
In den vergangenen Wochen haben Hunderttausende für die 61/2 Millionen gestreikt. Die 61/2 Millionen können auch alle zusammen ihren Willen in dieser Form zum Ausdruck bringen.
— Das ist keine Drohung!
— Aber meine Damen und Herren, Sie müssen sich damit abfinden, daß es in Deutschland 61/2 Millionen Menschen gibt,
die freiwillig und ohne Zwang aus innerer Überzeugung in den Gewerkschaften die Repräsentanten ihrer sozialen und wirtschaftspolitischen Forderungen sehen.
Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch etwas anderes sagen: Bitte, zeichnen Sie sich
nicht durch diese Zurufe aus, die sich ja gegen die Menschen draußen richten!
— Ich kann es tragen. — Diese 61/2 Millionen Menschen sind ja nicht in der Lage, ihre eigene Sache hier unmittelbar zu vertreten.
Meine Damen und Herren auf der Rechten, ich hätte es sehr gerne gesehen, daß bei der zweiten Beratung dieses Gesetzes auf Ihrer Seite wenigstens einer gewesen wäre, der den Forderungen des DGB für ein echtes Mitbestimmungsrecht zugestimmt hätte.
Dieser Kampf um das Mitbestimmungsrecht bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn Sie dieses Gesetz in dieser unmöglichen Form annehmen. Sie haben hier die Mehrheit, und Sie haben es für richtig gehalten, die Willenskundgebungen der Gewerkschaftler beiseite zu schieben und zu mißachten. Aber in der Demokratie kann das Volk durch demokratische Entscheidungen, nämlich durch allgemeine Wahlen, seinen Willen zur Geltung bringen. Und verlassen Sie sich darauf: Die Entscheidung, die Sie heute erzwingen, wird korrigiert werden.
Sie wird in der Geschichte des deutschen Volkes
B) als der letzte Versuch fortleben, eine überholte wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu galvanisieren und den arbeitenden Menschen ihr demokratisches Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung in der Wirtschaft zu verweigern.