Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Auf Umdruck Nr. 617 Ziffer 46 hat Ihnen meine Fraktion einen Änderungsantrag vorgelegt, der im wesentlichen eine Gesamtneufassung dieses Paragraphen vorsieht. Ich darf mir erlauben, die Begründung zu diesem Änderungsantrag absatzweise zu geben:
Zu Abs. 1 darf ich zunächst bemerken, daß außer der Tatsache, daß die paritätische Besetzung der Autsichträte im Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Kohle und Eisen auch von diesem Hause akzeptiert worden ist, insbesondere im Hinblick auf die allgemein anerkannte zentrale Bedeutung dieser beiden Industrien, doch nicht darauf verzichtet werden kann, auch einiges in bezug auf den generellen Gesichtspunkt in der Frage des Mitbestimmungsrechts in der oberen Betriebsführung, also in den Aufsichtsräten, darzustellen. Um eine gewisse zeitliche Verknüpfung der jüngeren Vergangenheit mit der Gegenwart herzustellen, wird es wohl am zweckmäßigsten sein — und ich darf den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis dazu bitten —, einige Zitate aus der Vergangenheit zu bringen, damit wir uns darüber klarwerden, inwieweit sich der Standort in dieser Frage speziell geändert hat.
Ich vermag nichts Besseres zu tun, als den, wie ich glaube, in diesem Hause insgesamt und allgemein hochverehrten leider verstorbenen früheren Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dr. Hans Böckler, zu zitieren, der zu diesem Thema auf dem Ersten Ordentlichen Bundeskongreß, dem Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, im Jahre 1949 folgendes ausgeführt hat:
Es geht zunächst darum, den entscheidenden Grundsatz zu kennen und anzuerkennen, nach dem die Gewerkschaften die volkswirtschaftliche und soziale Ordnung aufgebaut haben wollen. Dieser Grundsatz ist, daß der arbeitende Mensch als der weitaus wichtigste Produktionsfaktor inmitten allen wirtschaftlichenGeschehens zu stehen hat und daß ihm gesellschaftlich der Platz eingeräumt wird, auf den er Anspruch hat. Es ist immer und einzig die menschliche Arbeit, durch welche die Gemeinschaft lebt. In dem Maße, in dem es uns gelingt, die Arbeitskraft und den Leistungswillen aller zum Einsatz zu bringen, wird ein optimaler volkswirtschaftlicher Ertrag und die bestmögliche Versorgung der Gesellschaft gewährleistet sein. Die reine Unternehmerwirtschaft hat ökonomisch und sozial versagt; denn es ist ihr nicht gelungen, die Vollbeschäftigung aller und damit die bestmögliche volkswirtschaftliche Leistung herbeizuführen, und es ist ihr ebenso unmöglich gewesen, eine gerechte Verteilung der Produktion zu erreichen.
Das ist die Grundvorstellung, von der auch wir
heute bei unserem Begehren auf paritätische Besetzung der Aufsichtsräte, wie sie in Abs. 1 unseres § 76 gefordert wird, ausgehen, und es sollte in diesem Zusammenhange nicht ohne Interesse sein, daß auch der Herr Bundeskanzler zu einem früheren Zeitpunkt bereits sehr nachdrücklich praktisch genau denselben Standpunkt vertreten hat, den ich eben als denjenigen meines Freundes Böckler herausgestellt habe. Ich darf mir erlauben, mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten auch dieses Zitat zu verlesen.
Der Herr Bundeskanzler hat im Februar 1947 auf der Tagung der Sozialausschüsse der CDU in der britischen Zone folgendes ausgeführt:
Der Sozialismus ist eine Auffassung, eine Konstruktion der Wirtschaft, wie es der Kapitalismus gewesen ist. Ich sage ausdrücklich: „gewesen ist". Wir in der CDU stehen auf dem Standpunkt, daß die kapitalistische Wirtschaftsform der Vergangenheit angehört.
Wir haben eine ganz andere Weltanschauung, die uns trägt und die uns befähigt, auch das wirtschaftliche Leben unseres Volkes zu gestalten, wie es nötig ist im Hinblick auf den Menschen, der der Mittelpunkt der Wirtschaft ist und bleiben muß.
— Ich freue mich darüber, Herr Wuermeling,
das auch heute noch von Ihnen anerkannt zu hören. Dann darf ich wohl hoffen, daß Sie den in Abs. 1 des § 76 niedergelegten Paritätsvorstellungen Gehör zu schenken bereit sind.
Ich darf, um damit das Bild abzurunden, nochmals um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten bitten, damit auch die FDP gebührend zu Worte kommt, diejenigen Ausführungen zu verlesen, die der Herr Vizekanzler Blücher auf dem Zweiten Parteitag der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands in Eisenach vom 4. bis 7. Juli 1947 von sich gegeben hat:
Den Arbeitern und Angestellten der breiten Masse unseres Volkes muß ein Mitbestimmungsrecht, also die letzte soziale Gerechtigkeit gegeben werden.
Ja, das war damals. Da war noch einiges Dunkel mehr in Deutschland als heute. Damals waren die Erinnerungen an die Vergangenheit noch frisch, und man schien bereit zu sein, aus den Erfahrungen dieser dunklen Vergangenheit einige sehr brauchbare Nutzanwendungen für künftige Entwicklungen abzuleiten. Heute haben wir einen Abstand von nur fünf Jahren davon, und obwohl auch von seiten der Regierung in diesem Hause oft genug betont worden ist. daß die deutsche Arbeitnehmerschaft seit 1945 höchst anerkennenswerte Leistungen vollbracht habe,
ist uns der Ausschußentwurf, der von der Mehrheit der Regierungskoalition getragen wird, ein Beweis dafür, daß man heute nicht mehr bereit ist, die Konsequenzen aus den damals gegebenen Zusagen abzuleiten.
— Ja, nun, wenn ich noch einmal den Herrn Vizekanzler Blücher zitieren darf, der festgestellt hat, „also die letzte soziale Gerechtigkeit muß den Arbeitnehmern gegeben werden", dann werden Sie wohl nicht umhin können, die Tatsache anzuerkennen, daß diese letzte soziale Gerechtigkeit dann nicht gegeben ist, wenn man den Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten nur ein Teilrecht und nicht das gleiche Recht wie den Unternehmern einzuräumen bereit ist.
— Ja, ich kann mir denken, Herr Dr. Wellhausen, daß die volle Anerkennung des sozialen Anspruchs der Arbeitnehmerschaft von Ihnen anders gedeutet werden kann und gedeutet wird.
Abs. 1 des § 76 der von uns vorgeschlagenen Fassung gibt aber heute die Möglichkeit, zu den damals gegebenen Versprechungen zu stehen. Ich glaube nicht, daß es Aufgabe des Hauses bzw. der Regierungsmehrheit sein kann, etwa erneut in der Arbeitnehmerschaft die Vorstellungen wachwerden zu lassen und sie noch weiter zu vertiefen, daß der arbeitende Mensch bestenfalls nur Werkzeug, das man unter dem Ertragsgesichtspunkt einsetzt, sein kann, das man aber dann — so wie es durch Jahrzehnte hindurch geübt worden ist — beiseite stellt, wenn man es nicht mehr braucht.
Der Kollege Sabel hat leider darauf verzichtet, seinen Bericht hier mündlich vorzutragen, so daß an dieser kritischen Stelle eine Nachholung unbedingt erforderlich erscheint, damit auch aus diesem Bericht insbesondere deutlich werde, daß nach der Vorlage des Ausschusses den früher gegebenen Versprechungen nicht Rechnung getragen werden soll.
Bei der Behandlung dieses Problems
— so sagt Kollege Sabel in seinem Bericht—waren folgende Hauptpunkte zu erörtern: Zunächst war der Umfang der Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat festzulegen, wobei seitens der Opposition eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer gewünscht wurde, während die Regierungsparteien der Ansicht waren, daß die Vertretung zu einem Drittel angemessen erscheine. Weiter war die Frage zu klären, in welchem Verfahren die Vertreter der Arbeitnehmer bestellt werden sollten. Die Opposition wünschte die Nominierung durch die zuständige Spitzenorganisation der Gewerkschaften unter Beteiligung der Betriebsvertretungen, während die Regierungsparteien die Auffassung vertraten, daß die Bestimmung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten ausschließlich Angelegenheit der Arbeitnehmer des Unternehmens sein müsse. Schließlich war strittig, auf welche Arten von Unternehmungen die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes über den Aufsichtsrat und die Beteiligung der Arbeitnehmer Anwendung finden sollten.
Weder die Parität noch die ausreichende Einbeziehung aller in Frage stehenden Unternehmen ist gewollt. Mit echter Wirtschaftsdemokratie und mit voller Anerkennung des sozialen Anspruchs der Arbeitnehmerschaft hat eine solche Vorstellung schlechterdings nichts zu tun. Wir aber, die wir echte Wirtschaftsdemokratie in wirklichem Übereinstimmen mit den Gewerkschaften und, wie ich bemerken möchte, praktisch mit der Gesamtheit aller
Arbeitnehmer anstreben, können natürlich solchen Vorstellungen nicht folgen.
Aus meiner persönlichen Erfahrung darf ich Ihnen vielleicht einiges sagen, was Sie dazu veranlassen könnte, das offenbar vorhandene Mißtrauen gegen breite Kreise der Arbeitnehmerschaft zurückzustellen. Ich habe es nicht geprüft, aber möglicherweise bin ich einer der ganz wenigen auf der Arbeitnehmerseite in diesem Hause, der schon die Ehre hatte, nach dem Aufsichtsratsgesetz aus dem Jahre 1922 als Arbeitervertreter dem Aufsichtsrat eines Unternehmens mit 10 Millionen Aktienkapital und etwas über 1100 Arbeitern und Angestellten anzugehören. Mir, der ich damals aus einem Betriebe mit besten betriebsorganisatorischen Verhältnissen, technisch hoch rationalisiert, in diesen Betrieb kam, den ich eben erwähnte, war es ungewöhnlich interessant, dort im Aufsichtsrat eine Arbeit leisten zu können, von der dieser später selbst mit Stolz feststellte, daß sie wesentlich dazu beigetragen habe, die Entwicklung des Unternehmens so rasch wie möglich zu fördern und das Unternehmen in den Stand zu setzen, die später folgenden Schwierigkeiten zu einem guten Teil mit überwinden zu helfen.
Deshalb meine Frage nach der Vertrauensseite dieses Problems.
Ich glaube, es gibt heute eine ungewöhnlich große Zahl von Arbeitnehmervertretern in den Betriebsräten und in den Aufsichtsräten, die zu bilden sein werden, die sicherlich mit genau denselben Vorstellungen ihre Arbeit in den Aufsichtsräten und Betriebsräten auszuüben bereit sein werden. Ich habe mich damals im Aufsichtsrat — sicherlich, das muß nicht notwendig allenthalben so sein; das kann ein Einzelfall sein, der nicht generalisiert zu werden braucht —, oft genug in die Lage versetzt gesehen, die Vorstellungen des Vorstandes gegen nicht selten beachtliche Mehrheiten des Aufsichtsrats vertreten zu müssen; denn nicht immer, meine Damen und Herren, ist das Aktionärsinteresse absolut identisch mit dem Betriebsinteresse.
— Dann sollten Sie aber, Herr Dr. Wellhausen, auch bereit sein, wenn Sie die Richtigkeit einer solchen Darlegung anerkennen, zu sagen: Dann müssen auch in den Aufsichtsräten Verhältnisse geschaffen werden, die überall dort, wo etwa das Aktionärsinteresse zu überwiegen in der Lage wäre, eine gebührende Parität zur Darstellung gelangen lassen, damit die Vorstellungen des Vorstands einer solchen Gesellschaft, dem in der Regel mehr am Betriebsinteresse liegt als dem Aktionär, entsprechend gewahrt werden können. Sie sollten darüber hinaus bereit sein, anzuerkennen, daß ohne echte Parität nichts weiter verbleibt als zwar die Mitverantwortung, aber ohne echte Mitbestimmung.
Bezogen auf das, was ich eben ausgeführt habe, darf ich wohl auch den allgemeinen Schluß daran knüpfen, daß wir bezüglich der künftigen Entwicklung in diesen Dingen gar nicht so pessimistisch zu sein brauchen; denn Sie werden den Arbeitnehmer wahrscheinlich fortschrittsfreudiger finden, als im allgemeinen angenommen wird. Ich glaube, die deutsche Wirtschaft ist angesichts ihrer besonderen Position im europäischen und weltwirtschaftlichen Rahmen ganz besonders dazu angehalten, dem
Fortschritt zu dienen, damit das gesamtdeutsche Interesse entsprechend gewahrt werden kann.
Dann, meine Damen und Herren, möchte ich nicht darauf verzichten, hier doch noch ein etwa übergeordnetes Prinzip ganz kurz mitanzusprechen. Halten Sie sich bitte dessen versichert, daß auch ein übergeordnetes allgemein politisches Gebot zwingend dafür spricht, der Arbeitnehmerschaft im westdeutschen Raum — und wir hoffen auf eine Fortentwicklung darüber hinaus — die gebührende Anerkennung für ihre bisherige Leistung nicht zu versagen. Es wird in unserem gemeinsamen Interesse erforderlich sein, ein Stück Freiheit — und sei es auch ein solches im materiellen Bereich — freiwillig zu opfern, um die Freiheit als Prinzip zu retten.
Zu diesem Hinweis veranlaßt mich insbesondere auch das, was wir heute hier zu diesem Thema wieder von den Abgesandten Moskaus gehört haben. Denn wenn wir uns drüben die Verhältnisse in der Ostzone betrachten, dann müssen wir unseren verehrten Kollegen auf der äußersten Linken des Hauses doch wohl empfehlen, erst einmal dort zu versuchen, auch nur die bescheidensten Ansätze für die Durchsetzung von Menschenrecht Wirklichkeit werden zu lassen.
Erst dann, wenn man in seinen eigenen Bereichen darum bemüht war, das Erforderliche zu tun, hat man das Recht und die Legitimation, in anderen Bereichen ein gleiches Streben irgendwie kundzutun.
In Würdigung all dieser Umstände darf ich Sie, meine Damen und Herren, darum bitten, dem Antrag meiner Fraktion zu § 76 Abs. 1 Ihre Zustinmung nicht zu versagen. Ich habe namens meiner Fraktion hierzu gleichzeitig darum zu bitten, daß darüber namentlich abgestimmt werden möge.
— Ja nun, meine Damen und Herren, die Frage der paritätischen oder nichtparitätischen Besetzung der Aufsichtsräte, der vollen Anerkennung der sozialen Leistung der Arbeitnehmerschaft oder nur ihrer Teilanerkennung dürfte doch wohl auch von Ihnen als von so grundsätzlicher Bedeutung erkannt werden, daß die namentliche Abstimmung hierzu ohne weiteres gerechtfertigt erscheint.
Und nun zu § 76 Abs. 2. Unser Vorschlag lautet: Die Betriebsräte benennen von jeder der im Betriebsrat vertretenen Gruppen denjenigen, welcher in einer vorher erfolgten geheimen Abstimmung sämtlicher anwesender Mitglieder der Betriebsräte des Unternehmens die höchste Stimmenzahl auf sich vereinte. Sind in den Betrieben in der Regel die Hälfte der Arbeitnehmer Frauen, so soll unter den vom Betriebsrat benannten Vertretern eine Frau sich befinden.
Das steht zunächst einmal zu dem, was der Ausschuß dem Hause zur Annahme empfiehlt, insoweit in einem grundsätzlichen Widerspruch, als der Ausschuß glaubt, dem Hause empfehlen zu sollen, daß die Arbeitnehmerschaft in ihrer Gänze jeweils die Wahl der Mitglieder aus den Betriebsräten in den Aufsichtsrat vornehmen soll. So sehr wir uns auch sonst für eine Breitenwirkung der Demokratie einzusetzen uns bemühen, gibt es doch gewisse Bezirke im wirtschaftlichen und allgemeinen Leben, die eine andere Betrachtungsweise — insbesondere
unter dem Gesichtswinkel der Qualität — unbedingt erforderlich machen. Wir haben bereits vor dem zweiten Weltkrieg bis zum Jahre 1939 eine nicht unbeachtliche Erfahrung auf diesem Gebiet machen können.
Mir scheint es insbesondere bedeutsam, darauf hinzuweisen, daß die Ausschußvorlage grundsätzlich auch den schon seit dem 15. Februar 1922 gesetzlich fixierten Vorstellungen nicht entspricht. Auch hier ein Zurückgehen zum Vorgestern anstatt ein Fortschreiten zum Morgen! Bereits im Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922 war — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten § 5 dieses Gesetzes zitieren — festgestellt:
Wahlkörper für Entsendung von Betriebsratsmitgliedern ist bei Körperschaften mit einem Einzelbetriebsrat oder einem Gesamtbetriebsrat dieser, in solchen mit mehreren Einzelbetriebsräten die Gesamtheit dieser, auch wenn sie zum Teil zu einem Gesamtbetriebsrat zusammengeschlossen sind.
Damals ist man bewußt und absichtlich diesen Weg gegangen und hat sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Es mag richtig sein, daß man in kleineren und mittleren Betrieben, soweit dort überhaupt Aufsichtsräte bestehen, unter Umständen genügend Übersicht von der Belegschaft erwarten kann, daß sie jeweils den fähigsten, den besten, den ihre Interessen am sichersten wahrnehmenden Mann zu entdecken vermag. In dem Augenblick aber, wo sie in größere Betriebsbereiche kommen, wird die Lösung dieser Frage von der Belegschaft her ungemein schwierig. Die Betriebsräte jedoch, die sich gegenseitig kennen und ihre Qualitäten gegenseitig abzuschätzen vermögen, die immer wieder betonen, daß sie fortschrittsbereit sind, daß sie bereit sind, dem gemeinen Besten zu dienen, daß sie das Betriebsinteresse wahrzunehmen bereit und in der Lage sind, werden sich aus ihren Reihen den Mann oder die Männer und die Frauen küren, von denen sie glauben, daß sie die befähigtsten wären, um der hier gestellten Aufgabe gerecht zu werden.
— Ja, Herr Dr. Wellhausen, Sie wissen so gut, wie ich es weiß, daß es nicht selten vorkommt, — —(Abg. Baur [Augsburg]: Er besonders muß
es besser wissen!)
— Ja nun, die allgemeine Betriebsrätepraxis liegt vielleicht mehr auf unserer Seite. Aber ein Betriebsunternehmer, der sich um seine Gesamtbelegschaft und auch um seinen Betriebsrat ausreichend kümmert, müßte von solchen Wahrnehmungen ja auch irgendwie beeinflußt werden; und die Wahrnehmungen gehen irgendwie dahin, daß nicht selten ein solches Belegschaftsmitglied gar nicht in den Betriebsrat kommt aus Gründen, die tausend-und vielfältig sind und hier im einzelnen nicht erörtert werden können. Aber nicht selten passiert es tatsächlich, daß gerade der Beste, der Fähigste, der Tüchtigste aus irgendwelchen Gründen keine Chance hat, in den Betriebsrat gewählt zu werden; und dann muß eine Korrekturmöglichkeit bestehen, auf die ich allerdings in einem anderen Zusammenhang noch zurückkommen werde.
Wir haben auch die Tatsache zu verzeichnen, daß nicht nur das Betriebsrätegesetz von 1922 bzw.
das Gesetz betreffend die Entsendung von Betriebsräten in den Aufsichtsrat von 1922 schon diesen Vorstellungen gerecht geworden sind, sondern daß auch die Ländergesetze, die heute die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat kennen, sich durch die Bank auf der gleichen Ebene bewegt haben und es weiterhin tun werden, bis sie durch bundesgesetzliche Vorschriften abgelöst werden. Ich möchte nicht darauf verzichten, darauf hinzuweisen, daß die direkte und die indirekte Wahl der Aufsichtsratsmitglieder in jüngerer Vergangenheit genau so mit Vorteilen — und ausschließlich mit Vorteilen — behaftet ist, wie es in der Vergangenheit gewesen ist. Es ist bei den Beratungen im Ausschuß oft genug darauf hingewiesen worden, daß eine direkte Wahl nicht immer eine ausreichende Sicherheit für die Auswahl der geeignetsten Personen für die auch von Ihnen als so wichtig anerkannte Funktion ermöglicht. Dies ist der wesentliche Grund, der uns bestimmt, diese unsere Forderung hier zu wiederholen. Auf der einen Seite sind Sie angereichert mit einer Fülle von Besorgnissen, die Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten könnten ihre Funktion zu irgendwelchen betriebs- oder wirtschaftsschädigenden Maßnahmen mißbrauchen. Wir hegen diese Befürchtungen nicht, halten aber dafür, daß die beste Qualität nur in der Wahl der Betriebsratsmitglieder selbst gesichert werden kann.
Ich darf Sie aus diesem Grunde bitten, auch dem Änderungsantrag meiner Fraktion zu § '76 Abs. 2 Ihre Zustimmung zu geben.
Zu § 76 Abs. 3, der nach unseren Vorschlägen lauten soll:
An der Abstimmung über die Vertreter der Arbeitnehmer für den Aufsichtsrat eines Unternehmens nehmen auch die Mitglieder der Betriebsräte der dazu gehörenden Unternehmen teil.
Diese Materie ist ebenfalls im Gesetz von 1922 entsprechend geregelt gewesen und im Grundsatz auch in der Ausschußvorlage anerkannt, so daß es darüber irgendwelche wesentlichen Meinungsverschiedenheiten nicht geben kann. Ich darf Sie bitten, diesem unserem Vorschlag Ihre Zustimmung zu geben.
§ 76 Abs. 4 soll nach unserem Vorschlag lauten: Die nach der gemäß Absatz 2 erfolgten Benennung noch verbleibenden Vertreter der Arbeitnehmer für den Aufsichtsrat werden von den in den Betriebsräten des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften benannt. Sind mehrere Gewerkschaften in den Betriebsräten vertreten und mehrere Vertreter zu benennen, so werden dieselben auf die Gewerkschaften im Verhältnis der Mitgliederzahl, die diese in den Betrieben haben, aufgeteilt.
Die Forderung, daß betriebsfremde Personen einem Aufsichtsrat angehören können, ist in der Ausschußvorlage ebenfalls im Grundsatz anerkannt. Hier besteht also eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit ebenfalls nicht. Bezüglich der Zahl der zu entsendenden Aufsichtsratsmitglieder wird ohnehin zu § 84 das Erforderliche noch zu sagen sein. Aber eines möchte ich bei dieser Gelegenheit bemerken. Selbst die nach Abs. 4 des § 76 möglichen Vorschläge der Gewerkschaften müssen nicht notwendig auf betriebsfremde Personen bezogen sein. Die Praxis wird vielfach auf Betriebsangehörige Bezug nehmen können und wird es auch tun. Der Minderheitenschutz ist entsprechend gewährleistet; denn für den Fall, daß mehrere Gewerkschaften in den Betriebsräten vertreten sind, sollen die Vertreter im Verhältnis zur Zahl der Mitglieder, die diese Gewerkschaften in den Betrieben haben, aufgeteilt werden.
Abs. 5 des § 76 soll nach unseren Vorstellungen folgenden Wortlaut haben:
Die Bestellung erfolgt für die Zeit, die im Gesetz oder in der Satzung für die von der Hauptversammlung zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder bestimmt ist.
Dies bedarf keiner weiteren Begründung.
Abs. 6 des § 76 soll folgendermaßen lauten:
Die Bestellung von Vertretern der Arbeitnehmergruppen im Aufsichtsrat ist vor Ablauf der Amtszeit zu widerrufen, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Betriebsräte des Unternehmens demgemäß beschlossen hat. Das gleiche gilt auf Ersuchen der in Betracht kommenden Gewerkschaften für die gemäß Abs. 4 benannten Aufsichtsratsmitglieder.
Wir glauben, daß alle demokratischen Schutzbedürfnisse durch den Hinweis auf die Zweidrittelmehrheit für das Rückberufungsrecht unter allen Umständen gewährleistet erscheinen. Insbesondere in der Übergangszeit mag es da und dort ein gewisses Austauschbedürfnis geben, und noch haben wir die Röntgenapparate ja nicht erfunden, die uns jede Persönlichkeit bis in die letzte Faser hinein erkennen lassen. Ich glaube, es sollte auch aus diesem Grunde das Austauschbedürfnis anerkannt werden, und Sie sollten bereit sein, dieser Bestimmung Ihre Zustimmung nicht zu versagen.
Es handelt sich, wie ich zu Abs. 1 bereits bemerkt habe, tatsächlich um einen Schlüsselpunkt des gesamten Gesetzes; denn wie die Beschickung der Aufsichtsräte durch die Arbeitnehmer geregelt wird, so wird das ganze Gesetz letzten Endes im wesentlichen Teile beurteilt werden müssen. Ich habe die Aufgabe, Sie namens meiner Fraktion wiederholt darum zu bitten, unseren Vorschlägen Ihre Zustimmung zu geben, und darf auch darum bitten, daß über Abs. 1 namentlich abgestimmt wird.