Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem § 49 kommen wir an den eigentlichen Gehalt dieses Gesetzes, das ja nach den Vorlagen der Regierung, der CDU und der SPD von vornherein als ein Gesetz über die Mitbestimmung gedacht war und heute noch gedacht ist. Die Überschrift dieses Teiles, der mit § 49 beginnt, „Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer" sagt allerdings, daß es sich hier nicht nur um Mitbestimmung sondern auch um Mitwirkung handeln soll. Die eigentliche Tendenz dieses Entwurfs wird dadurch gekennzeichnet, daß hier beide Worte zur Anwendung kommen. Zunächst war nur an ein Gesetz über die Mitbestimmung gedacht.
Der § 49 beginnt nun im ersten Absatz damit, daß Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zusammenarbeiten sollen. Damit ist etwas angesprochen, was im Ausschuß von den Regierungsparteien als der Grundgedanke der Partnerschaft bezeichnet worden ist. Meine Damen und Herren, wer wie ich die Entwicklung des Betriebsrätegesetzes von 1920 fast von Anfang an in der Praxis als Gewerbeaufsichtsbeamter, der damals das durchzuführen hatte, was das Betriebsrätegesetz von 1920 festgelegt hatte, mitgemacht hat, der weiß, daß ein solches Gesetz einer langen, ja, ich kann sagen, einer langsamen Entwicklung bedarf.
Sie entsinnen sich vielleicht noch, daß das Gesetz von 1920 im Reichstag oder vor dem Reichstag sogar zu blutigen Zusammenstößen geführt hat, daß damals dieses Gesetz in der Öffentlichkeit durchaus umstritten war, selbst bei den Gewerkschaften. Erst allmählich ist innerhalb der Arbeitnehmerschaft, aber ich muß auch sagen, innerhalb der Arbeitgeberschaft das Betriebsrätegesetz zu dem geworden, was wir dann vor der nationalsozialistischen Machtergreifung im Betriebsrätegesetz gekannt haben, nämlich, was hier in Abs. 1 ausgedrückt ist: die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Betrieb. Ich mache diese Bemerkung, um Ihnen gerade an diesem Beispiel einer praktischen Entwicklung, die ich selbst erlebt habe, darzutun, daß es nicht so sehr auf den Wortlaut eines Gesetzestextes ankommt, etwa auf die Forderung, die hier aufgestellt ist, daß Betriebsrat und Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten sollen, sondern daß es darauf ankommt, wie die Praxis verläuft. Ich bin der Auffassung, und zwar eben auf Grund dieser Erfahrung, daß wir mit solchen Worten wie dem Wort „vertrauensvoll" nicht eine Praxis schaffen können; eine Praxis kann sich nur im Betrieb selbst ergeben.
Wie ist es denn damals gewesen? Die Arbeitgeber haben das Betriebsrätegesetz zunächst einmal abgelehnt, sie haben gerade diese Zusammenarbeit nicht haben wollen. Erst allmählich haben die Arbeitgeber eingesehen und sozusagen begriffen, daß mit diesem Instrument des Betriebsrates zu arbeiten sei, ja, daß dieser Betriebsrat im Betrieb eine sehr wertvolle und nützliche Funktion ausübe. Uns scheinen diese Dinge heute selbstverständlich zu sein. Aber es erscheint mir nötig, daran zu erinnern, daß hier eine Entwicklung sich vollzog, die sich über fast ein Jahrzehnt hingezogen hat. Wenn nun in diesem Betriebsverfassungsgesetz, das zweifellos wiederum, ähnlich wie das Gesetz von 1920, etwas Neues bringen will, im Anfangsparagraphen zum eigentlichen Mitbestimmungsrecht festgelegt, sozusagen verordnet wird, daß Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll miteinander zu sprechen haben, so scheint mir das ein wenig eigenartig. Denn man kann nicht verordnen, daß zwei Menschen vertrauensvoll miteinander zu arbeiten haben. Das muß sich ergeben, das muß aus der Praxis herauswachsen. Deshalb — entschuldigen Sie! — ist dieses Wort hier im Grunde nichts anderes als Deklaration, vielleicht sogar eine Deklamation; und mir scheint es wenig angebracht, daß wir einen so wichtigen Abschnitt mit etwas beginnen, was ich eben zwangsläufig als eine Deklamation bezeichnen mußte.
Dasselbe gilt für die Reihenfolge der sonstigen Leistungen, die von Arbeitgeber und Betriebsrat hier erwartet werden. Da heißt es:
Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten ... zum Wohl des Betriebs und seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zusammen.
Meine Damen und Herren, man wäre geneigt, auf die Frage einzugehen, welche Stellung denn eigentlich der Betrieb heute in irgendeiner Volkswirtschaft hat. Ist er denn isoliert? Ist denn dieser Betrieb noch ein Gebilde, das allein auf sich steht und das handeln kann unabhängig von den benachbarten Betrieben, unabhängig von der Gemeinde, in der dieser Betrieb liegt, unabhängig von der gesamten Wirtschaft dieser Branche, unabhängig von der gesamten Volkswirtschaft? Wir wissen doch alle, daß es einen solchen Betrieb nicht mehr gibt, daß selbst Monopolbetriebe heute nicht mehr in der Lage sind, sich isoliert von der Wirtschaft zu bewegen. Aber hier in diesem Absatz wird der Betrieb an den Anfang gesetzt, und es wird gesagt: Arbeitgeber und Betriebsrat haben zum Wohl des Betriebs und seiner Arbeitnehmer zu arbeiten. Erst an zweiter Stelle steht, daß sie dies zu tun hätten unter Berücksichtigung des Gemeinwohls. Meine Damen und Herren, schon nach unserer Verfassung, nach dem Grundgesetz, hat das Gemeinwohl, das allgemeine Wohl, vor jedem individuellen Wohl zu stehen, erst recht in einem Betriebe und bei der Arbeit, die ein Betrieb zu leisten hat. Deshalb erscheint es uns unverständlich, daß diese wichtigen Worte: „unter Berücksichtigung des Gemeinwohls" hier erst am Ende dieses ganzen, etwas ausführlichen Absatzes stehen. Nein, was Betrieb und Arbeitgeber zu tun haben, ist, daß sie nicht in erster Linie an sich selbst zu denken haben, sondern daß in erster Linie das Gemeinwohl zu stehen hat, das Gemeinwohl, dem auch der Betrieb selbst zu dienen hat.
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Deshalb meinen wir, daß die Aufgaben, die hier Betriebsrat und Arbeitgeber gesetzt sind, beginnen müssen mit der Berücksichtigung des Gemeinwohls, und erst unter diesem allgemein gefaßten Gesichts-. punkt kann dann und muß dann allerdings auch an den Betrieb gedacht werden, an den Betrieb und an seine Arbeitnehmer. Denn auch wenn dieses Gesetz Betriebsverfassungsgesetz genannt ist, so bleibt es doch dabei, daß es in erster Linie erlassen wird, um den Arbeitnehmern im Betriebe bestimmte Möglichkeiten — ich möchte gar nicht einmal allein sagen Rechte, sondern Möglichkeiten — und Befugnisse zu geben. Das ist das Neue. Deswegen ist es ein Gesetz, das nicht für die Arbeitgeber gemacht wird und gar nicht für Arbeitgeber gemacht werden kann, sondern das für Arbeitnehmer in allererster Linie dazusein hat.
Ich glaube, wir sollten uns gerade bei diesem Paragraphen an diesen Sinn des Gesetzes erinnern. Denn nur so kommen wir zu einer richtigen Formulierung der Gesamtaufgaben, die zunächst einmal unter dem Begriff Allgemeines in diesem Paragraphen festgelegt sind. Ich sagte, das Gemeinwohl hat am Anfang zu stehen, und erst im Rahmen dieses Gemeinwohls können der Betrieb und seine Interessen kommen.
Diese Interessenvertretung soll nun hier der Arbeitnehmerschaft, vertreten durch den Betriebsrat, auferlegt werden. Es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, welche Art Aufgaben unter dieser Version eigentlich dem Arbeitnehmer, dem Betriebsrat zufallen sollen. Soll er etwa Unternehmer- oder Arbeitgeberaufgaben erfüllen? Wenn wir die anderen Paragraphen ansehen, die darauf folgen, dann sehen wir — mindestens gerade nach diesem Entwurf — daß dem Betriebsrat irgendwelche Funktionen unternehmerischer Art gar nicht übertragen werden, ja gar nicht übertragen werden sollen, und doch soll demselben Betriebsrat in § 49 Abs. 1 auferlegt werden, daß er zum Wohle des Betriebs zu arbeiten hätte! Wenn er nicht die Funktion des Unternehmers selbst ausüben kann oder darf, wird es für ihn sehr schwierig sein, seine Arbeitnehmeraufgaben mit dem Wohle des Betriebs in diesem Sinne zu vereinen. Denn ich könnte mir durchaus denken, daß diese beiden Begriffe sich gegenseitig stoßen. Ich könnte mir vorstellen, daß ein Arbeitnehmer, ein Betriebsrat, Dinge durchzuführen oder sich mit Angelegenheiten zu befassen hat, die nicht immer mit dem Interesse dieses Einzelbetriebs in vollem Einklang stehen oder stehen können, weil dieser Betriebsrat als Vertretung der Belegschaft, als Vertretung der Arbeitnehmerschaft ja zunächst einmal diese Arbeitnehmerschaft zu vertreten hat und weil diese Arbeitnehmerschaft neben ihrem Interesse, das aus dem Betrieb kommt, gleichzeitig überbetriebliche Interessen hat.
Heute morgen, als über die etwaige Vertagung dieses Tagesordnungspunktes gesprochen wurde, hat mein Freund Willi Richter unter anderem darauf hingewiesen, daß wir heute nur über einen Teil der Anträge, die seinerzeit dem Ausschuß vorlagen, zu sprechen haben. Der andere Teil nämlich, der sich mit dem sogenannten überbetrieblichen Mitbestimmungsrecht zu befassen hat, ist hier gar nicht vorgelegt worden. Der Fehler des Ausschusses war so beträchtlich, daß der Herr Präsident des Bundestages den Vorsitzenden des Ausschusses darauf aufmerksam machen und ermahnen mußte, er selbst hätte im Laufe dieser
Debatte noch einen Antrag einzubringen, aus dem hervorgehe, daß es sich hier nur um einen Teil handele. Ich erinnere an diese Vorgänge von heute morgen in diesem Zusammenhang; denn hier tritt nun der Zusammenhang deutlich zutage. Er wird noch bei dem wirtschaftlichen Mitbestimmungsrecht im einzelnen ebenfalls deutlich werden. Aber schon hier erkennen wir, daß der Betriebsrat auch Aufgaben haben sollte, die mit dem überbetrieblichen Mitbestimmungsrecht zusammenhängen. Woher soll denn der Betriebsrat eigentlich seine Gesichtspunkte für die Durchführung des nun kommenden Kapitels finden, nämlich für die Frage nicht nur des personellen und sozialen, sondern vor allem als Kernpunkt des ganzen auch für die Durchführung des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts.
Wenn wir den vorliegenden Wortlaut in der vorliegenden Reihenfolge vollkommen ernst nehmen wollten, dann wäre der Betriebsrat gehalten, sich etwa so zu verhalten wie seinerzeit die Betriebsräte — leider, muß ich sagen — sich zum Teil vor der Währungsumstellung verhalten haben. Ich erinnere an die Zeit der Kompensation, wo Betriebsegoismus vor dem Gemeinwohl gestanden hat. Wenn Sie nun hier das Wohl des Betriebes vor das Gemeinwohl setzen, dann ermuntern Sie praktisch den Betriebsrat, sich so zu verhalten wie seinerzeit seine Kollegen vor der Währungsreform. Ich bin überzeugt, daß Sie das nicht wollen. Ich bin überzeugt, daß wir alle das nicht wollen; aber daraus müssen die Konsequenzen gezogen werden.
Wir wissen alle, daß in der Auslegung eines Gesetzes solche Reihenfolgen einen bestimmenden Charakter für die Auslegung einnehmen. Aus diesem Grunde möchten wir die andere Reihenfolge haben, die wir in unserem § 49 Abs. 1 festgelegt haben, wo wir gesagt haben: Betriebsrat und Arbeitgeber arbeiten unter Berücksichtigung des Gemeinwohles zusammen zum Wohle des Betriebes und seiner Arbeitnehmer. Mit einer solchen Reihenfolge haben Sie das rechte Maß gewonnen. Wie überall, kommt es gerade bei solchen Bestimmungen, die Neues schaffen wollen, auf das richtige Maß an.
Gerade bei Betriebsräten wissen wir ja — und auch das kann ich hier ruhig aussprechen —, daß nicht jeder Betriebsrat von vornherein weiß, wie diese Dinge gehandhabt werden sollen. Ihm sollen hier an dieser Stelle die notwendigen Weisungen gegeben werden. Sie werden ihm gegeben, wenn das Gemeinwohl vor das Wohl des Betriebes gesetzt wird.
Ich möchte außerdem sagen, daß wir aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe, uns nicht damit einverstanden erklären können, daß hier eine Deklaration mit dem Worte „vertrauensvoll" vorgenommen wird, die nichts anderes als eine Deklaration bleiben kann. Wir möchten und wünschen, daß die Betriebsräte mit den Arbeitgebern — und hier möchte ich auch umgekehrt sagen: die Arbeitgeber mit den Betriebsräten — vertrauensvoll arbeiten. Wer die Zeit vor 1933 mitgemacht hat, weiß, daß dies möglich ist. Er weiß, daß diese vertrauensvolle Zusammenarbeit aus dem Zusammenwirken im Betrieb sich allmählich mit einer gewissen Sicherheit ergibt, vor allen Dingen dann ergibt, wenn der Betriebsrat die Möglichkeit hat, sich auch mit allen Fragen des Betriebes wirklich zu beschäftigen.
Wir kommen noch auf eine Reihe von Bestimmungen, die diese Voraussetzungen geben wollen
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und bei denen wir glauben, daß die Voraussetzungen schärfer gefaßt werden müssen. Denn wenn ein Betriebsrat diese vertrauensvolle Zusammenarbeit haben soll, dann muß er auch über gewisse Interna des Betriebs unterrichtet sein. Ist er das nicht, liegen ihm nicht die Lohn- und Gehaltslisten vor, kann er die Bilanzen nicht voll einsehen usw., wenn das alles nicht der Fall ist, dann ist dieses Wort „vertrauensvoll" eine Deklamation und nichts weiter. Da Sie vorläufig in Ihrem Entwurf, wie er von der Mehrheit gestaltet worden ist, gerade diese entscheidenden Rechte des Betriebsrats auf Einsicht in alle Unterlagen nicht bzw. nicht ausreichend gegeben haben, ist dieses Wort „vertrauensvoll" hier fehl am Platze. Wir sind der Auffassung, daß dieses Wort aus diesem Grunde hier nicht stehen sollte.
— Ach, Herr Walter, dadurch wird Ihre Sache
nicht besser, daß Sie törichte Zwischenrufe machen.
Hier handelt es sich um eine sehr ernste Angelegenheit, und Sie, der Sie einmal der Gewerkschaft angehört haben, Sie sollten weiß Gott wissen, daß diese Angelegenheiten ernst sind.
— Herr Atzenroth, Sie haben sich in Ihren Reden auch gelegentlich wiederholt, und ich kann nichts dafür, wenn ich hier, gelegentlich und immer wieder auf das Betriebsrätegesetz zurückgreifen muß. Ich werde Ihnen aber gleich, weil Sie es wünschen, erklären, weshalb ich auf das Betriebsrätegesetz hier noch einmal zurückkommen muß.
Dieses Betriebsrätegesetz von 1920 nämlich hat ja seinerzeit in § 66 ähnliche Bestimmungen getroffen, wie sie nun hier formuliert worden sind. D. h. die Begriffsbestimmungen, die damals gewählt worden sind, lauteten ein wenig anders. In den Ziffern 3 und 6 des § 66 war einmal davon die Rede, daß der Betriebsrat dafür zu sorgen habe, daß der Betrieb vor Erschütterungen bewahrt bleibe. In Ziffer 6 war gesagt, daß der Betriebsrat u. a. für das notwendige Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sowie Belegschaft zu sorgen hätte.
Was sind die Folgen solcher gesetzlicher Formulierungen und Festlegungen gewesen? Die Folgen dieser Formulierungen waren, daß zwar die Rechtswissenschaft — ich habe den Kommentar von Flatow, den die meisten Älteren von Ihnen ja kennen werden, vor mir — sagte: Damit ist ähnlich wie die tarifliche Friedenspflicht nun eine betriebliche Friedenspflicht festgelegt und stipuliert, d. h. genau dasselbe, was in diesem ersten
Satz des zweiten Absatzes von § 49 festgelegt worden ist, wo ebenfalls gesagt wird, der Betriebsrat habe dafür zu sorgen, daß der Friede des Betriebes nicht gefährdet werde. Und nun haben sich die Gerichte mit diesen Dingen zu befassen und festzustellen gehabt, wie diese Worte, die damals „Erschütterung des Betriebes und „Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat" hießen, auszulegen seien. Sie haben sich dann, gestützt auf eine Auslegung im Zusammenhang mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, insbesondere mit den §§ 823 und 826 des BGB, damit beschäftigt, inwieweit Schadensersatzprozesse gegen Betriebsratsmitglieder auf Grund der hier vorliegenden damaligen Bestimmungen durchzuführen seien. Flatow gibt im Jahre 1927 — ich habe leider den späteren Kommentar verloren — allein etwa 10 Seiten Urteile, eng bedruckt, wieder, die sich mit dieser Auslegungsfrage befassen.
Die Gerichte haben zu tun bekommen, und durchaus nicht nur im Sinne und zum Nutzen der Betriebsräte. Diejenigen, die damals, wie ich selbst als Beamter zum Teil, mit diesen Dingen zu tun hatten, wissen, daß diese Bestimmungen, die wohlgemeint gewesen waren, sich damals in einer großen Zahl von Fällen als eine wahre Fußangel für die Betriebsräte erwiesen haben.
Wir haben Oberlandesgerichtsurteile und wir haben Reichsgerichtsurteile gehabt, die sich damit beschäftigt haben. Z. B. hat das Reichsgericht zum Begriff der Sittenwidrigkeit nach § 826 des BGB damals in bezug auf die Betriebsräte und ihre Tätigkeit davon gesprochen, daß Sittenwidrigkeit
— also eine Verfehlung des Betriebsrats, die zu ahnden wäre und die gegebenenfalls zu Schadensersatz führen müßte — bereits dann vorliege, wenn Mittel wie wahrheitswidrige und aufhetzende Darstellungen angewendet würden.
Das klingt, als wenn es sehr in Ordnung wäre. Die Praxis hat aber anders ausgesehen. Die hier anwesenden Betriebsräte und Gewerkschaftler, die wir ja erfreulicherweise in allen Fraktionen haben, werden mir bestätigen, daß gerade damals solche Urteile dazu geführt haben, daß etwa der Bericht eines Betriebsrats über eine Tarifverhandlung vom Arbeitgeber dazu benutzt worden ist, um ihm ein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen und um ihn entfernen zu können.
Oder ich denke etwa an die Berichte eines Betriebsrats über seine Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. Hier lag dasselbe vor; er hat mit dem Arbeitgeber über dies und jenes gesprochen.
- Nein, Kollege Arndgen! Wir sind nicht in der ADA, obwohl es nützlich ist, daß dort den Betriebsräten einiges gesagt wird, wie Sie ja selbst als Minister die ADA gefördert haben. Aber immerhin glaube ich, daß wir bei dieser Angelegenheit uns doch einmal damit beschäftigen müssen, was Ihre Fassung, Kollege Arndgen, für die Betriebsräte künftig bedeuten wird.
Und so glaube ich, daß wir uns gerade mit der früheren Rechtsprechung beschäftigen müssen, um zu erkennen, was denn eigentlich dieser Satz bedeutet, der hier in das Gesetz hineingebaut werden soll. Er bedeutet eben, daß dem Betriebsrat auf diese Weise die Möglichkeit genommen wird, wirklich zu arbeiten, wie er es für erforderlich hält.
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Meine Damen und Herren! Ich sage wirklich nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, daß es zwar sehr viele Betriebsräte gibt, die ihre Aufgabe gut zu erfüllen vermögen, daß wir neben ihnen aber andere Betriebsräte haben, die erst in ihre Aufgaben hineinwachsen und sie erst erlernen müssen. Gerade jetzt nach den letzten fünf oder sieben Jahren müssen wir ja sehen, daß wir erst wieder Menschen heranbilden, die diese Funktionen auszuüben vermögen, nachdem die mittlere Generation durch den Krieg ausgefallen ist. Da passiert es natürlich auch einmal, daß ein Betriebsrat im besten Glauben über das notwendige und erforderliche Maß hinausgeht. Wenn er dies aber tut, dann wird ihm von einem Arbeitgeber, der nun eine Gelegenheit sucht, durch den Satz 1 des Abs. 2 gegebenenfalls eine Schlinge gelegt. Denn wenn es dort heißt, daß der Betriebsrat alles zu unterlassen hat, was geeignet sei, die Arbeit und den Frieden des Betriebes zu gefährden, dann entspricht dieser Wortlaut zwar nicht den Worten, wohl aber dem Sinn nach dem, was im alten Betriebsrätegesetz in den genannten Bestimmungen enthalten war. Dann wird die Urteilsfindung sich wieder mit einem gewissen Recht auf die alte Rechtsprechung beziehen, und dann werden die hier vorhin geschilderten Rechtsauslegungen wieder zum Zuge kommen können und kommen müssen.
Aus diesem Grunde glauben wir, daß dieser Satz 1 des Abs. 2 nicht dem entspricht, was den wahren Erfordernissen des Betriebsrats, aber auch des Betriebes selbst, dient. Denn wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, mit solchen Bestimmungen auch gegen den Betriebsrat vorzugehen, dann ist der Friede des Betriebes nicht gesichert, sondern dann ist er schon durch diese Bestimmung gefährdet. Aus diesem Grunde, gerade weil wir die Sicherung des Friedens und der Arbeit im Betriebe für eine vordringliche Aufgabe des Betriebsrats halten, möchten wir diesen Satz 1 gestrichen haben. Wir bitten Sie aus diesem Grunde, dem Abs. 2 lediglich die Sätze 2 und 3 des bisherigen Abs. 2 zu geben in einer stilistisch etwas anders geformten Fassung.
Meine Damen und Herren! Die Absätze 3 und 4, die von der Anrufung der Schiedsstellen und den vorhergehenden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber sprechen, glauben wir nicht ändern zu sollen. Sie entsprechen in etwa dem, was erforderlich erscheint.
Aber ich habe noch auf eine Bestimmung einzugehen, die nach der Ausschußfassung im Abs. 1 liegt, und die wir in einem besonderen Absatz 5 geregelt sehen möchten. Wir schlagen Ihnen vor, den Abs. 5 des § 49 zu formulieren: „Die Betriebsräte führen ihre Aufgaben in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durch". Etwas Ähnliches steht im Abs. 1 der Ausschußvorlage. Dort steht nämlich, daß Arbeitgeber und Betriebsrat im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zusammenzuarbeiten haben. Die Erwähnung der Arbeitgebervereinigungen in diesem Zusammenhang ist zwar durchaus nicht sinnlos; aber sie ist überflüssig. Die Dinge liegen ja so, daß der Arbeitgeber jederzeit, da er nach wie vor Inhaber des Betriebes ist und bleiben soll, die Möglichkeit hat, mit seiner Arbeitgebervereinigung außerhalb, aber auch innerhalb des Betriebes zu arbeiten und zusammenzuwirken.
Die Frage, die in diesem Zusammenhang in der Zeitschrift „Der Arbeitgeber" vom 1. Juni gestellt wird, warum und mit welchem Recht die Gewerkschaft nach diesem Abs. 5 den alleinigen Anspruch erhebe, mit den Arbeitnehmern zu arbeiten, während die Arbeitgebervereinigung nicht mehr genannt sein solle, verkennt vollkommen den Sinn dieses von den Gewerkschaften übernommenen Abs. 5. Es wird gar nicht bestritten, daß der Arbeitgeber mit den Arbeitgebervereinigungen zusammenwirken könne. Aber, meine Damen und Herren, in diesem Absatz handelt es sich zunächst und in erster Linie darum, daß den Betriebsräten und der Belegschaft Rechte gewährt werden sollen. Da spielt allerdings eine ganz andere Rolle als die Zusammenarbeit des Arbeitgebers mit seinen Arbeitgebervereinigungen die Zusammenarbeit des Betriebsrats mit den Gewerkschaften, mit seiner Gewerkschaft; denn der Betriebsrat ist anders als der Arbeitgeber wohl in der Lage, außerhalb des Betriebs ohne weiteres mit seiner Gewerkschaft zusammenzuarbeiten. Aber, meine Damen und Herren, die Berechtigung, mit der Gewerkschaft auch i m Betrieb zusammenzuarbeiten, gehört in das Gesetz hinein.
Sie sagen vielleicht: Mein Gott, das wird schon nicht verhindert werden. Wir haben sehr viele solcher beschwichtigenden Reden im Ausschuß anhören müssen.
Aber der Verband der Textilindustrie Westfalens war so freundlich, gerade in diesen Tagen auf ein Urteil eines Landesarbeitsgerichts in Westfalen hinzuweisen. Dieses beginnt mit folgendem Satz:
Eine Pflicht des Arbeitgebers, jederzeit Rücksprachen von Gewerkschaftsvertretern mit Betriebsangehörigen im Betrieb zu dulden, kann
nicht anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, dieses Gericht ist also in den Fußtapfen der Gerichtsurteile weitergelaufen, die ich Ihnen aus der Zeit vor 1933 geschildert habe, und Sie werden mir nunmehr vielleicht erst recht geben müssen, wenn ich sage: die hier vorgesehenen Bestimmungen zwingen dazu, daß sich die Gerichte nach der alten Rechtsprechung richten. Wenn das Landesarbeitsgericht in dem ja nicht unwesentlichen Westfalen davon gesprochen hat, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, Rücksprachen des Betriebsrats mit der Gewerkschaft im Betrieb zu dulden, dann bekräftigt das unsere Forderung zu Abs. 5, daß dem Betriebsrat die Verpflichtung und die Berechtigung auferlegt wird, mit seiner Gewerkschaft zusammenzuarbeiten. Denn, meine Damen und Herren, der Wortlaut, den die Ausschußmehrheit für Abs. 1 gewählt hat, daß ein Zusammenwirken mit der Gewerkschaft erfolgen könne, genügt ja nicht. Wenn wir hier nur von einem Zusammenwirken sprechen, dann weiß ich nicht, ob ein findiges Gericht nicht darauf käme, wie dieses Landesarbeitsgericht zu sagen: Zu einem bloßen Zusammenwirken kann nicht gehören, daß die Gewerkschaft im Betrieb mit dem Betriebsrat verhandelt.
Interessanterweise sprach die Formulierung des Arbeitskreises, die in manchem viel besser war als das, was dann durch die Vertreter einer Partei in die Verhandlungen des kombinierten Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft eingebaut worden
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ist, jene Fassung des Arbeitskreises, die die Rückständigkeit der jetzigen Fassung noch nicht in allen Punkten enthielt, davon, daß der Betriebsrat mit Unterstützung der Gewerkschaften arbeiten könne und dürfe. Dieser Wortlaut oder der von uns der Deutlichkeit halber gewählte „Zusammenarbeit im Betriebe" gibt für den Betriebsrat die Möglichkeiten, mit seiner Gewerkschaft zusammenzuarbeiten. Wenn diese Möglichkeiten, die wir Ihnen aufgezählt haben, nach unseren Vorschlägen ausgeschöpft werden, dann glauben wir, daß das durchgeführt werden kann, worauf es Ihnen und uns gleichermaßen ankommt, nämlich daß wir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betriebsrat und Arbeitgeber zum Wohle des Ganzen und des Betriebes haben.
Es ist in der Begründung in diesem Zusammenhang von einer Partnerschaft gesprochen worden. Ich glaube, wir sollten das vermeiden. Das, was heute in einzelnen Betrieben unter dem Stichwort „Partnerschaft" läuft, sollte uns nicht als Vorbild für dieses Betriebsverfassungsgesetz dienen.
Denn das, was in diesen Betrieben — die ich hier nicht mit Namen nennen will — als Partnerschaft hervorgehoben wird, wird j a auch von den Arbeitgebervereinigungen abgelehnt, weil eben hier das, was natürlich ist, ich will nicht sagen: die Gegnerschaft, aber ein gewisses natürliches Gegenspiel zwischen Belegschaft und Arbeitgeber verleugnet wird, weil es irgendwie hinweggezaubert werden soll. Was hier in dem Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes anzusprechen ist, das ist, daß die Belegschaften und ihre Arbeitgeber dazu kommen, sich gegenseitig zu verstehen und zu begreifen. Auf dieses Verstehen und Begreifen möchten wir allerdings abheben, aber nicht dadurch, daß, gesetzliche Formulierungen gewählt werden, über die die Betriebsräte stolpern können, wenn sie einen Arbeitgeber vor sich haben, der sie nicht wohlwollend behandelt, sondern dadurch, daß wir die Freiheit gewähren, gerade im ersten Paragraphen des Abschnitts über die Mitbestimmung, die Freiheit für die Belegschaft und für die Betriebsräte, daß sie vollkommen ungehindert als freie Menschen im Betrieb wirkliche Mitbestimmung üben können.