Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unseren Antrag zu § 47 halten wir für sehr bedeutsam, weil er die Frage klärt, ob Betriebsvereinbarungen die gleiche Wirkung haben wie Tarifverträge und andere Abmachungen von grundsätzlicher Bedeutung.
In § 47 der Vorlage wird gesagt, daß jeder Betriebsrat, wenn ihm Vertreter beider Gruppen angehören, jede dieser Gruppe einen Vertreter in den Gesamtbetriebsrat entsendet. Wir vertreten die Ansicht, daß die Fassung erweitert werden, daß es grundsätzlich heißen muß, daß jede im Betriebs- rat vertretene Gruppe einen Vertreter zu entsenden hat. Es ist praktisch nichts anderes als das, was Sie sagen; es ist nur klarer, und es hat vor allen Dingen den Vorteil, daß, wenn Sie doch zu der Einsicht kommen sollten und die Mehrheit des Bundestages beschließen sollte, ein gemeinsames Betriebsrätegesetz zu schaffen, dann in diesem Paragraphen schon die richtige Formulierung enthalten ist. Denn wenn wir allgemein sagen: „Jede Gruppe die im Betriebsrat vertreten ist, entsendet zum Gesamtbetriebsrat einen Vertreter", dann haben wir auch in Zukunft die drei Gruppen; und wenn in einem Betriebsrat nur eine Gruppe oder nur zwei Gruppen vertreten sind, dann entsendet eben jede dieser Gruppen ihren Vertreter zum Gesamtbetriebsrat. Das ist das, was wir mit dem Satz 1 unseres Antrages unter Ziffer 3g des Umdrucks Nr. 617 sagen wollen.
„Jedes Mitglied des Gesamtbetriebsrates hat soviel Stimmen, als dem Betriebsrat, der es entsendet hat, Mitglieder seiner Gruppe angehören." Dieser Grundsatz entspricht dem in § 47 der Vorlage festgelegten, und wir werden ihn akzeptieren. Denn hier wird zum Ausdruck gebracht, daß die Zahl der Arbeitnehmer doch immerhin in gewissem Maßstabe bei der Stimmabgabe gewertet wird. Wenn auch in größeren Betrieben, in denen viele Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Zahl der Betriebsvertretungen nicht so steigt wie im Verhältnis zu der Zahl der Arbeitnehmer in den Kleinbetrieben, wenn hier der Grundsatz: „Je größer, um so weniger Betriebsratsmitglieder" von den Ausschüssen festgelegt wurde, so ist doch bis zu einem gewissen Grade die Zahl der Arbeitnehmer beachtet worden, indem man in dieser Bestimmung festgelegt hat, daß der Vertreter der Gruppe der Arbeiter so viel Stimmen im Gesamtbetriebsrat hat, wie Arbeiter im Betriebsrat des betreffenden Betriebes vertreten sind.
Genau so ist es mit den Angestellten und, wenn die Beamten unter dieses Gesetz fallen, in Zukunft auch für die Beamten, so daß wir zu diesem Abschnitt nichts zu sagen brauchen.
Aber zu Abs. 2 ist einiges zu bemerken. Da heißt es:
Mitgliederzahl und Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats können durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abweichend geregelt werden.
Deutscher Bundestag — 223. und 224. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juli 1952 9995
Wir haben ernstliche Bedenken, daß durch Betriebsvereinbarung eine abweichende Regelung erfolgen kann. Denn wie würde das in der Praxis zustandekommen? Die Betriebsvereinbarungen, die mehrere Betriebe eines Unternehmens angehen, sollen nach den diesbezüglichen Bestimmungen der Vorlage von dem Gesamtbetriebsrat getätigt werden; und wenn nach Ihrem Willen die Vorlage bei der namentlichen Abstimmung zu § 46 so geblieben ist, daß 75 vom Hundert der Arbeitnehmer in den Betrieben zu entscheiden haben, ob ein Gesamtbetriebsrat gebildet wird oder nicht, dann beherrschen praktisch die Mammutbetriebe eines Großunternehmens, mögen es zwei oder drei sein, den Gesamtbetriebsrat, denn sie haben ihn beschlossen; und wie Sie später sehen, wird nach Abs. 3 noch die Zahl auf 40 reduziert, so daß also diese Großunternehmen letzten Endes den Inhalt der Betriebsvereinbarungen beeinflussen, unter Umständen sogar entscheidend bestimmen können gegenüber vielen Kleinbetrieben und Filialen, die zu dem Unternehmen gehören. Das können wir nicht akzeptieren; da sind wir der Auffassung, daß eine Betriebsvereinbarung nicht die Grundlage bieten darf, um von der Mitgliederzahl und Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats abzuweichen. Es könnten dann ja einige Großbetriebe eines Unternehmens, wo die Arbeiter weit, weit überwiegen, die Verwaltung, die von den Unternehmern in kleinere Betriebe aufgeteilt ist, überfahren; es könnte eine andere Zusammensetzung und Mitgliederzahl bestimmt und beispielsweise die Gruppe der Angestellten ausgeschaltet werden. Ich könnte mir nicht denken, meine Damen und Herren, daß Sie dies wollen. Deshalb sollten Sie unserem Antrag, die Worte „oder Betriebsvereinbarung" zu streichen, entsprechen.
Wir haben dann den Abs. 2 in der Fassung, die besagt, daß Zusammensetzung und Mitgliederzahl abweichend von den §§ 47 Abs. 1 und 46 durch Tarifvertrag geregelt werden können. Nun umfaßt der Tarifvertrag ja nicht nur den einzelnen Betrieb, sondern die ganze Berufsgruppe oder den ganzen Wirtschaftszweig. Ein Tarifvertrag, der dahingehende Bestimmungen enthält, hat die Interessen der gesamten Arbeitnehmer zu beachten, und man kann nicht nach der einen oder anderen Seite Politik machen. Dazu sind die Betriebe, die Berufe, der Wirtschaftszweig sicherlich viel zu bedeutsam, als daß dies mit Erfolg durchgeführt werden könnte. Wir haben auf Grund von Erfahrungen aus der Weimarer Zeit auch das Vertrauen und können deshalb mit gutem Gewissen diesen Antrag stellen und Sie bitten, ihm zuzustimmen.
Weiter haben wir beantragt, in § 47 den Abs. 3 zu streichen. Der Abs. 3 besagt:
Gehören nach den Vorschriften des Absatzes 1 dem Gesamtbetriebsrat mehr als 40 Mitglieder an und bestehen keine tarifvertraglichen Bestimmungen über die Bildung eines Gesamtbetriebsrats, so ist zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über Mitgliederzahl und Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats zu schließen.
Ich darf mit dem letzten anfangen: Sie wollen dem Gesamtbetriebsrat das Recht geben, wiederum Betriebsvereinbarungen über Zusammensetzung und Mitgliederzahl abzuschließen. Er könnte also — sagen wir doch mal — unliebsame Konkurrenten oder sonstige Außenseiter durch eine Betriebsvereinbarung ausmerzen. Das können wir nicht unterstützen. Wir müssen jedem Betrieb die gleichen Rechte geben, wenn er einem Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens angehören will. Denn hier geht es ja doch darum, daß der Gesamtbetriebsrat über alle Betriebe, und zwar über alle Angelegenheiten, die diese Betriebe gemeinsam interessieren und angehen, entscheidet, mit den Arbeitgebern über das Wohl der Belegschaft des gesamten Unternehmens, also aller einzelnen Betriebe bestimmt. Deshalb wollen Sie bitte unserem Änderungsantrag zustimmen.
Sie wollen aber auch verstehen, daß wir nicht damit einverstanden sein können, einen Gesamtbetriebsrat in seiner Mitgliederzahl so zu beschneiden, daß sie höchstens 40 betragen darf. Bei der Kommune, aber auch in der privaten Wirtschaft — denken Sie an die Großbanken, an die großen Versicherungsunternehmungen und an die großen Industriegebilde —, haben wir Unternehmungen, die weit mehr als 40 Betriebe umfassen. Wir haben die Bestimmung, daß jede Gruppe eines Betriebes vertreten sein muß. Es kann der Fall eintreten, daß 20 Betriebe den Gesamtbetriebsrat besetzen, die 40 Angehörigen des Gesamtbetriebsrats stellen, und alle anderen Filialen dieser Bank, des Versicherungsunternehmens oder sonst eines privaten wirtschaftlichen Unternehmens würden ausfallen. Bei den Verwaltungen und Betrieben der Großstädte wäre es ebenso; denn jede Großstadt hat mehr als 40 Betriebe und Verwaltungen. Deshalb können wir auch dieser Höchstzahl von 40 nicht zustimmen, sondern sind der Auffassung, daß alle Betriebe eines Unternehmens, die bereit und willens sind, einen Gesamtbetriebsrat zu bilden, im Gesamtbetriebsrat vertreten sein müssen. Wir sind auch der Auffassung, daß das nicht nur durch einen Mann geschehen kann, durch ein Betriebsratsmitglied dieser Betriebe, sondern daß die Gruppen — Arbeiter, Angestellte und Beamte — durch je einen Mann vertreten sind.
Sie haben uns im Ausschuß entgegnet: Dann kann es ja Gesamtbetriebsräte von 100 und noch mehr Personen, geben! Das ist richtig, diese Möglichkeit besteht zumindest theoretisch, und es wird wahrscheinlich auch in dem einen oder anderen Falle in der Praxis so sein. Aber bitte, sagen Sie uns doch nicht, daß dann die Arbeitsmöglichkeit des Gesamtbetriebsrats nicht mehr gegeben sei, daß der Apparat zu groß sei, zu unbeweglich, daß er dem Unternehmer zu viele Kosten verursache, wenn die gesamten Mitglieder alle Monate oder alle Vierteljahre einmal zusammenkommen. Diese Argumente kann man wohl anführen; aber wir haben Ihnen erwidert — und Sie haben es bestätigt —, daß der Gesamtbetriebsrat aus seiner Mitte zur Durchführung bestimmter Aufgaben Ausschüsse bilden kann, Ausschüsse zur Erörterung sozialer, personeller oder wirtschaftlicher Fragen. Er kann auch ein Gremium bilden. das eine Wohlfahrtseinrichtung des Unternehmens gemeinsam mit dem Unternehmer verwaltet oder kontrolliert und derartiges mehr. Dieses sogenannte Mammutgebilde — nach meiner Erfahrung ist es gar keins — ist nach meiner Auffassung also sehr wohl arbeitsfähig und sicherlich eine gute Einrichtung nicht nur für die Arbeitnehmerschaft, die in dem Betrieb beschäftigt ist, sondern auch für das gesamte Unternehmen. Diese beiden Gründe sind doch von so großem Gewicht, daß man unsere Anträge reiflich prüfen und ihnen die Zustimmung geben sollte. Wir können es einfach nicht verantworten, daß einzelne Betriebe bzw. ihre Betriebsräte für die zwei Jahre der Amtszeit aus dem Ge-
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Samtbetriebsrat ausgeschlossen sind. Das geht nicht, das ist untragbar, und deshalb unser Antrag auf Streichung des Abs. 3.
Wir haben beantragt, daß auch Abs. 4 des § 47 gestrichen werden soll. Der Abs. 4 handelt von einer Einigungsstelle, wie es wörtlich heißt, und besagt, daß, wenn im Falle des Abs. 3 eine Einigung nicht zustande kommt, diese Einigungsstelle für das Gesamtunternehmen zu bilden ist. Diese Einigungsstelle soll gemäß § 50 entscheiden. Es heißt aber in dem Abs. 4 weiter, daß an die Stelle des Vorsitzenden des Arbeitsgerichts der Präsident des für den Sitz des Unternehmens zuständigen Landesarbeitsgerichts tritt.
Wir glauben, daß es zweckdienlich ist, wenn auch hier die Dinge nochmals überprüft werden und wenn sie so geregelt werden, wie wir es vorgeschlagen haben: durch Streichung der Absätze 3 und 4, durch Streichung der Worte in Abs. 2 „oder Betriebsvereinbarung" und durch Änderung des Abs. 1. Wenn das geschieht, dann werden wir, davon sind wir überzeugt, ein Organ schaffen, daß die Interessen aller Betriebe des Unternehmens wahrnimmt, das gut zusammengesetzt sein wird und bei dem die Möglichkeit einer Auswahl der für den geschäftsführenden Ausschuß Fähigsten weitestgehend gegeben sein dürfte, so daß er im Gesamtinteresse des Unternehmens tätig sein kann.
Meine Damen und Herren, Sie werden es verstehen, wenn wir gerade für Fragen von so grundsätzlicher Bedeutung namentliche Abstimmung beantragen.