Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der § 13 regelt bestimmte Grundsätze und ist von besonderer Bedeutung. Dort wird festgelegt, ob die Arbeitnehmer gemeinsam den Betriebsrat wählen sollen, zweitens ob die Gruppen in getrennten Wahlgängen gesondert wählen sollen und weiterhin der Grundsatz: Verhältniswahl oder Mehrheitswahl.
Gerade diese Frage hat bei der öffentlichen Debatte und besonders bei den Arbeitnehmern und Gewerkschaften eine außerordentliche Bedeutung erlangt. Die Sozialdemokratische Partei steht auf dem Standpunkt, daß die Arbeitnehmer eines Betriebes den Betriebsrat gemeinsam wählen sollen; Arbeiter und Angestellte sollen also den Kandidaten gemeinsam ihre Stimmen geben. Denn hier geht es darum, daß gemeinsame Interessen im Betrieb wahrgenommen werden. Es geht hier nicht um Gruppeninteressen. Diese Frage ist, wie ich schon sagte, von außerordentlicher Bedeutung. Hierbei sollte besonders seitens der Regierungsparteien mehr darauf geachtet werden, was sich seit 1945 bis heute getan hat. Bei der Debatte um das Mitbestimmungsgesetz für die Eisen-, Stahl-und Kohleindustrie wurde praktisch zum erstenmal dieses angebliche Gruppeninteresse mit in die politische Debatte geworfen. Bis dahin wurde diese Frage in den Betrieben und bei den Gewerkschaften nicht diskutiert und stand auch nicht im Mittelpunkt der Diskussion. Ich stelle diese Frage darum heraus, weil vermutet werden kann, daß besondere Absichten für die zukünftige Arbeit im Betrieb im Gesetz verankert werden sollen.
Wenn es also jetzt darum geht, eine gesetzliche Formulierung für gemeinsame Interessen im Betrieb zu finden, so glaube ich, sollten wir einmal Ausschau halten, inwieweit gerade das Kontrollratsgesetz Nr. 22, nach dem bisher im wesentlichen und auch in den Ländergesetzen diese gemeinsame Aufgabe im Betrieb gelöst wurde, herangezogen werden kann. Dann müssen wir feststellen, daß nur Vorteile darin zu sehen waren. Wir wünschen also im Grundsatz, daß alle Arbeitnehmer im Betrieb — ganz gleich, ob Arbeiter, Angestellte oder Beamte — gemeinsam ihren Betriebsrat wählen. Nicht das Gruppeninteresse soll ausschlaggebend sein. Wenn solche Interessen für die
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allgemeinen Interessen, für das Betriebsinteresse überhaupt ausschlaggebend sein sollen, dann ist die Zusammenarbeit von vornherein durch das Gruppeninteresse belastet.
Ich glaube, daran sollten auch Sie nicht interessiert sein.
Wenn ich sage „durch Gruppeninteresse belastet", so glaube ich, wieder darauf hinweisen zu müssen, daß in den vergangenen Jahren, besonders in den kritischen Jahren 1945, 1946, ja 1948 das gemeinsame Handeln durch die besonderen Umstände, als die Betriebe wieder in Angriff genommen werden mußten, und unter den besonderen Lebensumständen — wie die Arbeitnehmer leben mußten — immer im Vordergrund der Debatte gestanden hat. Wir halten es darum für eigenartig, daß jetzt, sieben Jahre nachdem diese Praxis bestanden hat und nachdem nun wieder ein deutsches Gesetz die Arbeitsgrundlage für die Betriebsrattätigkeit sein soll, das Trennende in den Vordergrund gestellt wird.
Ich sage ausdrücklich: „das Trennende in den Vordergrund gestellt wird"; denn es geht gar nicht bei beiden Vorschlägen darum, das Gruppeninteresse zu sichern. Das Gruppeninteresse ist gesichert.
Wir halten es daher für außerordentlich bedauerlich, daß in § 13 Abs. 2 von vornherein bestimmt wird, daß die Arbeitnehmer die Wahl zum Betriebsrat in getrennten Wahlgängen vornehmen müssen. Ich glaube, wir sollten gerade den gemeinsamen Weg finden und alles Trennende, das Gruppeninteresse beiseite legen und die gemeinsame Wahl zum Betriebsrat zum Prinzip erheben. Ich glaube, daß gerade in dieser Beziehung sehr gute und erfolgreiche Arbeiten vorliegen. Ich selbst komme aus dem Bergbau und habe vor mir einige Arbeitsgrundlagen — statistische Grundlagen der letzten Jahre — über diese gemeinsamen Wahlen zum Betriebsrat liegen. Dort wurden bisher durch die Wahlordnung die Rechte der Gruppen festgelegt und gesichert. Wir sind in der Lage, Ihnen nachzuweisen, daß diese Minderheitsgruppen weit über ihr zahlenmäßiges Verhältnis und ihre Stärke hinaus nach erfolgter Wahl in Erscheinung treten konnten. Zum Beispiel wurden im Bereich des Bergbaus nach den Angaben der Industrie-Gewerkschaft Bergbau im Jahre 1951 3962 Betriebsräte gewählt. Von diesen 3962 Betriebsratsmitgliedern sind 977 Angestelltenvertreter. Das sind 24,7 %. Der Anteil der Angestellten an der Gesamtzahl der Beschäftigten beträgt aber nur 8,4 %.
Damit ist bewiesen, daß die Angestellten als Minderheiten voll zu ihrem Recht gekommen sind. Sie sollten nach der Wahlordnung der I. G. Bergbau ein Fünftel der Betriebsratssitze einnehmen, also 20 %; sie haben aber durch die gemeinsame Wahl, wie ich schon sagte, 24,7 % erhalten. Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß nicht das Trennende, sondern die gemeinsame Wahl zum Betriebsrat gesetzlich festgelegt werden sollte.
Diese Beweise könnten noch durch Beispiele anderer Industriesparten vermehrt werden. Wir können weiter dazu sagen, daß im Laufe der Jahre der Anteil der Betriebsratssitze für die Angestellten im Bergbau ebenfalls gestiegen ist. Im Jahre 1949 betrug z. B. der Anteil der Angestellten
an den Betriebsratssitzen im Bergbau 23,8 %, im Jahre 1950 24,1 % und im Jahre 1951, wie ich schon sagte, 24,7 %. Damit ist aber bewiesen, daß im Laufe der Jahre durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Angestellten das Vertrauen gewachsen ist und gerade die Minderheitsgruppe davon den Erfolg getragen hat. Wir können daher nicht verstehen, daß gerade jetzt seitens der Regierungsparteien das Trennende wieder in den Vordergrund gestellt werden soll.
So sehen Sie, daß die Vertrauensbasis im Betrieb gewachsen ist. Ich glaube, daß bei einem großen Teil dieses Hauses darauf zuwenig geachtet wird, diese Vertrauensbasis weiterhin zu behalten, ja zu vergrößern. Denn sie war wesentlich der Motor für unsere Arbeit im Betrieb und für die Gestaltung der deutschen Wirtschaft. Wir haben wahrlich schwere Jahre hinter uns, und immer wieder wird erwartet, daß die ganze Arbeitskraft der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt wird. Sie sollten aber nicht unterschätzen, daß diese vertrauensvolle Zusammenarbeit letzten Endes unter Führung der Gewerkschaften vor sich gegangen ist.
Und da der Gewerkschaftsbund in dieser Frage heute eine seiner Hauptforderungen sieht, sollte das Parlament, sollte jeder Abgeordnete darauf mehr Rücksicht nehmen. Hier geht es um mehr. Denn in den Jahren, in denen wir nach dem Kontrollratsgesetz, z. B. in der britischen Zone, arbeiten mußten, hatten die Gewerkschaften ihre Einflußmöglichkeiten, und heute, wo das erste Betriebsrätegesetz auf Bundesebene nach 1945 jetzt im Jahre 1952 gestaltet und geformt werden soll, ist man nicht bereit, von der politischen Ebene ihnen diese Rechte zu geben.
Die deutsche Arbeitnehmerschaft wird das Verhalten dieses Parlaments genau verfolgen.
Wenn wir nun zu dem Abs. 3 kommen, in dem festgelegt wird oder, besser gesagt, in dem auf Vorschlag der Regierungsparteien festgelegt werden soll, daß die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt, dann muß man staunen, daß man heute noch den Mut aufbringt, die Verhältniswahl zum Prinzip zu erheben.
Denn darüber ist sich jeder im klaren, daß die Verhältniswahl die Politisierung der Betriebsrätewahlen bedeutet.
Wir sind um so mehr darüber erstaunt, als Sie ja gerade in der Politik schließlich mit demselben Argument arbeiten und in der Politik ebenfalls gewillt sind, sich nach der Mehrheitswahl Ihre Mandate zu sichern. Aber bei den Betriebsrätewahlen haben Sie nicht den Mut, sie nach dem Prinzip der Mehrheitswahl, wie es vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgeschlagen wird, durchzuführen. Ich denke hier gerade an das Ruhrgebiet und insbesondere an seine wirtschaftliche Bedeutung und daran, welche verhängnisvollen Folgen hier bei der Politisierung solcher Betriebsrätewahlen in Erscheinung treten müßten. Das bedeutet, daß der Gesetzgeber jetzt dazu bereit ist — und das wird eben die Folge sein —, daß auch nach politischen Grundsätzen der Streit in die Betriebe hineingetragen wird. Es ist das große Verdienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß er unter seiner bisherigen Führung gerade die Gewerkschaftler herausgestellt und sie zur Betriebsrätewahl gestellt hat.
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Die Sozialdemokratische Partei fordert daher, daß die Mehrheitswahl, das Wahlsystem, das wir seit 1945 bis heute nicht nur nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 22, sondern auch in fast allen Ländergesetzen durchgeführt haben, zum Prinzip erhoben und festgelegt wird. Dann hat auch der einzelne Wähler, weil die Wahl direkt erfolgen soll, Einfluß darauf, wer in den Betriebsrat hineinkommt. Denn vergessen Sie doch eines nicht: die Verhältniswahl bedeutet doch, daß mehrere Vorschlagslisten in Erscheinung treten. In der Praxis bedeutet das — und daran sollten Sie denken —, daß diese Verhältniswahl im alten Betriebsrätegesetz doch festgelegt und zum Prinzip erhoben werden mußte, weil mehrere Richtungsgewerkschaften vorhanden waren. Sie sind heute nicht vorhanden; die einheitliche Gewerkschaftsform ist die Grundlage der Gewerkschaftsarbeit. Sie wollen wir erhalten, und da sie letzten Endes die Grundlage darstellt, entfällt dieses wichtige Argument. Es ist darum gar nicht notwendig, daß die Verhältniswahl, die, wie ich sagte, mehrere Vorschlagslisten voraussetzt, nun hier festgelegt wird.
Ich sagte schon einmal: der Arbeitnehmer soll direkten Einfluß darauf haben, wer letzten Endes in den Betriebsrat hineinkommt; denn die Mehrheitswahl ist eine Persönlichkeitswahl. Die Arbeitnehmer wollen ihre Persönlichkeiten dort hineinwählen, nämlich die Männer und die Frauen, die bereit und in der Lage sind, mit viel Mut und Geschick die Belange der Arbeitnehmer zu vertreten. Sie wollen nicht rein listenmäßig wählen, wie das bei der Verhältniswahl der Fall sein muß. Dann haben sie auch die Gewähr, daß nicht politische, religiöse oder, wenn Sie wollen, auch gewerkschaftliche Zugehörigkeit von jedem Wähler in den Vordergrund gestellt werden kann, sondern er wählt die Persönlichkeit, die sein Vertrauen besitzt. Darauf aber kommt es an, daß er Persönlichkeiten im Betriebsrat weiß, die mit seinem Vertrauen die Belange der Arbeitnehmer vertreten.
Ich möchte ein weiteres Argument anführen. Sie befürworten in § 13 die Verhältniswahl. Dieser Paragraph steht im Widerspruch zu § 14; denn in § 14 heißt es: „Der Betriebsrat soll sich möglichst aus Vertretern der verschiedenen Beschäftigungsarten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer zusammensetzen." Gerade mit einer Liste sind Sie nicht in der Lage, den Wünschen, die in § 14 zum Ausdruck gebracht werden, gerecht zu werden. § 13 über die Verhältniswahl steht also in direktem Widerspruch zu § 14, in dem festgelegt wird, daß möglichst die Vertreter der verschiedenen Beschäftigungsarten im Betriebsrat vertreten sein sollen.
Man wirft mit Recht die Frage auf, die bei der öffentlichen Debatte eine außerordentliche Rolle gespielt hat, ob die vorliegende Gesetzesvorlage — die Vertreter der Regierungsparteien behaupten es — keine Verschlechterung bedeute. Wenn wir aber feststellen müssen, daß wir seit 1945 gemeinsam mit den Gewerkschaften zum Wohle der deutschen Wirtschaft die Vertreter im Betriebsrat gewählt haben, wenn wir weiter feststellen müssen, daß die meisten Landesgesetze dies ebenfalls zum Prinzip erhoben haben, dann ist der Schluß berechtigt, daß die neue Gesetzesvorlage einen gewaltigen Rückschritt darstellt.
Darüber wird man in den Betrieben diskutieren.
Dafür wird man in den Betrieben kein Verständnis aufbringen, daß wir jetzt mit diesem Bundesgesetz wieder drei Schritte zurückgehen sollen.
Sehen Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, das ist reaktionär,
das ist Rückschritt!
Aber ich möchte auch zum Abs. 4 des § 13 Stellung nehmen. Dort ist festgelegt, daß die wahlberechtigten Arbeitnehmer zur Wahl des Betriebsrats
Vorschläge machen können. Hier legen Sie, meine
Damen und Herren von den Regierungsparteien,
wiederum fest und versuchen, den Einfluß der Gewerkschaften zu schmälern, ja zu beseitigen. Wir
sind der Auffassung — auch Sie sind im Grunde
Ihres Herzens mit uns dieser Auffassung —, daß
gerade mit Hilfe der Gewerkschaften, als sie berechtigt waren, die Vorschläge zum Betriebsrat mit
einzureichen, die Gewähr für den sozialen Frieden
gegeben wurde, von dem Sie so oft sprechen. Ich
bin der Auffassung, daß Sie durch diese Gesetzgebung diesen Frieden im wesentlichen gefährden.
Wir sind darum der Auffassung, daß auch den Gewerkschaften das Recht gegeben werden muß, Wahlvorschläge zum Betriebsrat zu machen.
— Sie rufen dazwischen, das sei Quatsch;
ich sage Ihnen: Das ist die Praxis, die Sie bis heute mit durchgeführt haben!